Eastern Arunachal im April 2018

Alle reisen wir individuell aus den verschiedensten Richtungen am Wochenende 24./25.03. in der indischen Kapitale New Delhi an. Am Montagmorgen, 26.03. beginnt unser gemeinsames Abenteuer mit der Yamuna-Tour durch das erwachende Old Delhi mit dem befreundeten Veranstalter Delhi by cycle inklusive vegetarischem Frühstück in einem alten Haveli (Herrschaftshaus). Anschließend ist individuelles Sightseeing angesagt, ehe wir uns am Abend im pulsierenden Viertel Pahar Ganj wieder zum Essen treffen.

Am späten Dienstagmorgen, 27.03. führt uns der Direktflug mit IndiGo weit nach Osten nach Dibrugarh, am unglaublich breiten Brahmaputra gelegen. Ich selbst habe auf Sitzplatz A eine tolle Sicht auf die gesamte Himalaya-Range mit dem Mt. Everest zu Beginn und dem Kanchenjunga am Ende, dazu die heiligen Ströme Ganges und beim Landeanflug Brahmaputra als scheinbare Rinnsale in ihren derzeit überdimensioniert erscheinenden, weil zu großen Teilen trockenen Betten.

Mein Partner Roheen empfängt uns herzlich und lädt uns gleich in Flughafennähe zum lokalen Lunch ein. Bei mir ist es gedünsteter Fisch in Senfmarinade im Bananenblatt – lecker, aber eine der vielen Gräten verfängt sich in einer Zahnlücke und verschafft mir gleich zum Start eine schmerzhafte Kieferentzündung. Die erste Nacht verbringen wir im Gästehaus bei den Thai-Mönchen in Tipam Phakey. Vorher passen wir die Räder an und essen im Bananenblatt gedünstetes Gemüse und Huhn mit Klebreis zu Abend bei einer hiesigen Familie in deren Bambushaus auf Säulen.

Wir sind angekommen und bereit zum Radfahren.

Radfahren Tag 1, Mittwoch 28.03. Tipam Phakey – Inthong ca. 60 km, kaum HM

Nach dem eher thailändischen, denn indischen Frühstück geht es durch Felder und ein Wildreservat auf kaum frequentierten Wegen und Straßen zunächst nach Digboi, dem Zentrum der Ölförderung hier in Assam. Wir stoppen kurz im pittoresken Museum zu diesem Thema, ehe es über die Kohlestadt Margeritha weiter zu unserer in einem Teegarten gelegenen Eco-Lodge ins Dörfchen Inthong geht. Dieses verfügt über einen für die Thai-Minorität wichtigen Tempel, zu dem wir am Nachmittag einen Spaziergang unternehmen. Unsere Unterkunft, komplett aus Bambus errichtet, bietet für die meisten von uns ein ungewohntes, aber wohltuendes Schlaferlebnis auf leicht schwingendem Untergrund und nur auf Matten gebettet.

Tag 2, Donnerstag, 29.03. Inthong – Miao, ca. 75 km, 120 HM

Zurück in Margherita stoppen wir am Morgen zunächst im eher für Schüler konzipierten Museum zum Thema Kohle und ihrem Abbau in der Region. Im anschließenden Tagebau in Ledo werden wir Zeugen, dass neben dem offiziellen Abbau auch massiv individuell Kohle „gewonnen“ wird. Hier in Ledo ist auch eine kleine Gedenkstätte am km 0 der berühmten Versorgungsstrasse nach Kunming aus dem 2. Weltkrieg gelegen. Diese vermittelt einen intensiven Eindruck von den unglaublichen Anstrengungen der Amerikaner, Chinesen, Burmesen und aller Minderheiten der Region im 2. Weltkrieg, um die verhassten Japaner zu schlagen. Ich jedenfalls fahre mit Gänsehaut und großem Respekt weiter für die, die von 1942-45 diese über 1.700 km lange Schneise auf Stahlplatten in die Unwegsamkeit dieser Grünen Hölle geschlagen haben und oft ihr Leben dabei ließen.

Nach einem grausam schlechten Stück Straße erreichen wir den Polizei- Checkpoint an der Grenze zu Arunachal Pradesh. Die diensttuenden Beamtinnen lassen uns deutlich ihr Unverständnis ob unserer für sie verrückten Aktivität wissen. Bald wird die Straße besser und wir halten zum Lunch in einem Dorf von tibetischen Veteranen, die in Elite-Einheiten der indischen Armee in den Kriegen gegen die Chinesen und gegen Bangladesch gekämpft haben. Sie scheinen gut von ihrer Pension leben zu können, denn arbeiten sehen wir außer einigen Teppichknüpferinnen niemanden.

In Miao nächtigen wir wieder in den schon bekannten Bambuscottages auf Stelzen, also in guter Nachbarschaft mit den auch sonst hier beheimateten Lebewesen. Als ich schon am Einschlafen bin rumort es kräftig ganz nah an meiner Pritsche. Ich fürchte schon, dass es eine Schlange ist und schalte meine Kopflampe an. In der Tat bin ich nicht allein, schaut mich doch ein Prachtexemplar von Ratte mit großen Augen überhaupt nicht scheu an. Versuche, sie zu vertreiben, scheitern kläglich. Wohl verschwindet sie kurz durch eine der vielen hier für sie gut passierbaren Lücken im Naturmaterial, ist aber nach wenigen Momenten wieder zurück. So nehme ich all meine Vernunft zusammen und schlafe irgendwann unbehelligt ein. Am Morgen ist sie fort und ich lebe noch.

Tag 3, Freitag, 30.03. Miao – Deban 26 km, 310 HM

Heute erwartet uns ein kurzer, aber spektakulärer Radeltag, geführt von 2 lokalen jungen Männern auf ihren Hero-Bikes ohne Gangschaltung durch ihre Dörfer auf schmalen, mitunter schwer passierbaren Pfaden. Nach einigen ersten welligen Kilometern folgt eine nicht alltägliche Flußüberquerung in einem schmalen Boot. Die jungen Männer paddeln uns routiniert durch die Stromschnellen. Zwar holen wir uns nasse Füße beim Aussteigen, aber das ist völlig unwichtig in Anbetracht des  Radelns auf Single Trails an Flüsschen entlang, über Felder und durch die engen Pfade in ihren Dörfern, wo sie auch Tabak, Hanf und sicher weitere Drogen anbauen.

Am Nachmittag unternehmen wir eine gut 3-stündige Wanderung im Flussbett vor der Kulisse des Namdapha – Wildreservates und spüren das echte Jungle feeling besonders bei der Suche nach der Straße und dem schweißtreibenden Aufstieg dorthin. Auch tragen wir alle massiv kleine Verletztungen davon, die uns noch Tage lang an diese Übung erinnern. Unsere Lodge in der spektakulären Wildnis ist sehr einfach, ohne Strom, aber mit separaten Toiletten und fließendem Wasser. Abends versammeln wir uns alle in der Küche mit offenem Holzfeuer ohne Abzug und daraus resultierender schwarzer Decke, beobachten die lokale Crew beim Kochen und genießen die leckeren Gerichte anschließend auch gemeinsam mit ihnen. In seiner Intensität und Authentizität ist es vielleicht der prägendste Abend der ganzen Tour.

Tag 4, Samstag, 31.03., Deban – Wakro 51 km, 550 HM

Erneut erleben wir heute einen Biketag der Extraklasse auf schwierigem Untergrund am Rande des Dschungels, fast ohne Zivilisationskontakt. Leider kommen die Räder mit zunehmender Verschmutzung an ihre technischen Grenzen. Steffis Rad hat einen Bruch in der Schaltung, was unseren indischen Guide zeitweilig zwingt, wie seine Landsleute auf ihren unverwüstlichen Hero-Bikes ohne Gangschaltung zu fahren. In Wakro nutzen wir den sonnigen Nachmittag zur großen Wäsche, genießen den vorzüglichen hauseigenen Tee und die Ruhe vor dem Sturm auf die Berge.

Tag 5, Sonntag, 01.04., Wakro – Tiding 71 km, ca. 1.670 HM

Nach kräftigem lokalen Frühstück streben wir zunächst auf welligem Terrain 16 km zum Pilgerort Brahmakund, direkt am Lohit-Fluss gelegen. Von dort geht es 15 km konstant bei schönstem Wetter und toller Sicht auf die Berge und auf den Lohit-Fluss hinauf nach Tohangam an der Tezu-Brahmakund Road zur ersten langen Pause. Gut gestärkt mit Dal, Reis und Gemüse geht es weitere 11 km hinauf zum Udhyaya-Pass und von dort 29 km hinunter ins Camp erneut zum Lohit, einem der vier großen Zuflüsse des Brahmaputra nahe beim Weiler Tiding.

Sogleich wird das Salz des Tages im zumindest eiskalten Fluss abgewaschen. Im Handumdrehen stehen unsere Zelte und ist auch der erste Tee gekocht. Originell sind unsere „Tassen“ für die kommenden Tage, handelt es sich doch jeweils um ein Stück hohlen Bambusrohres, welches wir sofort mit meinem Taschenmesser individuell signieren, um Verwechslungen vorzubeugen. Pünktlich zum Abendessen am Lagerfeuer, das monotone Rauschen des hier noch recht wilden Flusses im Ohr, erhebt sich ein Vollmond aus dem nahen Bergsattel und wirft eine silbern schimmernde Decke auf die unruhigen Wasser, dass ich vor Bewunderung fast das Essen vergesse. Irgendwo weit weg in Deutschland feiern sie gerade Ostern, wie langweil
ig.

Tag 6, Montag, 02.04. Tiding – Tezu, ca.  70 km, 1.400 HM

Mit den ersten Sonnenstrahlen ans Außenzelt gibt es frischen Tee mit Gebäck. Alsdann heißt es, die ersten 10 km zurück nach Salangam zum Frühstück in den Berg zu steigen. 500 Höhenmeter, was für ein erster workout! Und wie die Chapatis, das Chillie-Omellett und der Gemüsecurry nun schmecken! Es folgen 19 weitere teilweise anstrengende Kilometer wieder hoch zum Udhyaya-Pass und 11 die ganze Konzentration fordernde Kilometer wieder hinunter zur Wegscheide zwischen Wakro, Tezu und Huuayaling? Nach einem nach Nelken und Ingwer duftenden Tee geht es weitere knapp 30 km auf teilweise frischem Asphalt hinunter in die Ebene von Tezu.

Beim Lunch schlägt mir Roheen vor, aufgrund der Wetterprognosen gleich per Transfer nach Roing zu fahren, um für die Unternehmungen zur Querung der Mishmi-Hills mehr Zeit zu haben.  Wir willigen ein, überwinden die eigentlich geplante Flachetappe nach Roing binnen 1,5 h im Auto und genießen einen wundervollen Nachmittag auf der Terrasse oberhalb des Dibang-Flusses, eines weiteren Zuflusses des Brahmaputra, bei Tine Mehna, der nun hochschwangeren indischen Erstbesteigerin des Mount Everest.

Tag 7, Dienstag, 03.04. Roing – KM 47, 43 km, ca. 1.800 HM

In den sonnigen Morgen hinein überrascht uns Tine mit Porridge und einem Gemüsereis. So gehen wir gut gestärkt in diesen fordernden Tag. Zunächst aber rollen wir hinunter zu einer Brücke und dann – Überraschung Nr. 2 – bis km 11 auf neuem Asphalt relativ entspannt nach oben. Dafür fordern uns die kommenden 5 km umso mehr, da diese derzeit eine Baustelle sind. Wir müssen mehrfach warten, manchmal schieben, von einer Straße ist wirklich nichts mehr zu sehen. Dann beginnt die alte Straße wieder und – Überraschung Nr. 3 – gut 20 km der verbleibenden Reststrecke zum Camp sind neu asphaltiert. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung und wir sind glücklich, als wir kurz vor 15:00 Uhr unsere Schlafstätte für die kommende Nacht erreichen. Sogleich gibt es Tee und noch im Sonnenschein eine eisige Eimerdusche. Nach einer verdienten Pause versammeln wir uns am Abend am Lagerfeuer und hoffen nach dem leckeren Dinner, dass uns die Mithune, eine Kreuzung aus dem indischen Bison und dem Hausrind, die sonst hier schlafen, eine ruhige Nacht gestatten.

Tag 8, KM 47 – Ithun River, 62 km, 820 HM

Der Wettergott meint es gut mit uns. Nach einer Nacht, die auf 2.200 m einen Sternenhimmel bot, den westlich Zivilisierte nur selten erleben, genießen wir die finalen 9 km zum Mayodia-Pass in der morgendlichen Frische. Oben werden wir dann mit einem Hochgebirgspanorama belohnt, das für alle Mühen entschädigt, für die weite Anreise wie für die 56 einsamen km beim Aufstieg. In Europa gibt’s es all das so nicht.

Es folgen ca. 50 km Abfahrt zu unserem heutigen Camp am Ithun Fluss, mehr als 2.000 m tiefer gelegen und herrlich warm. Zwischendurch gibt es neben Aussichten, die uns immer wieder zum Stopp veranlassen, bei km 65 eine deftige lokale Brotzeit, zunächst mit Nudelsuppe und Masala-Omelett, dann mit Chapatis und Gemüsecurry. Den Nachmittag verbringen alle außer mir am nahen Fluss. Ich genieße das kurze Alleinsein im Camp, habe Zeit für das Niederschreiben einiger Gedanken, für die persönliche Hygiene und eine kleine Wäsche am Rande des Dschungels.

Tag 9, Ithun River – Aloya, 47 km, 930 HM

Vor 6 Monaten mußten wir hier genau nach 5 km unsere Pilottour wegen einer verschütteten Straße abbrechen. Heute starten wir früh, werden jedoch wieder wegen einer Sprengung gestoppt. Unsere agilen Begleiter nutzen die Wartezeit bis zur Räumung der Straße, um uns eine kräftigen Suppe und Tee am Rande der Baustelle zu kochen. Das nennt man dann wohl Luxus. Wir starten nach zwei Stunden Wartezeit und kommen nur wenige Hundert Meter weit. Da, wo unsere Straße sein soll, tut sich direkt am Felsen ein bedenkliches Loch auf. Sofort denke ich an den erneuten Abbruch. Roheen und die lokalen Verantwortlichen jedoch sind die Ruhe selbst, ja sie sind überzeugt, dass die kolossal großen Bagger das Problem in wenigen Minuten beheben werden. Ungläubig und mit Herzklopfen verfolgen wir diese Operation am Rande des Abgrundes. Mein Respekt für die Leistung dieser Männer steigt mit jeder Minute, die wir ihnen notgedrungen zuschauen. Und tatsächlich, sie kriegen das hin und ich schiebe mein Rad als erster über eine schmale Passage mit freiem Blick in den über 100 Meter tiefen Abgrund, von der ich nicht für möglich hielt, dass sie uns und wenig später sogar Trucks die Weiterfahrt gestatten könnte.

Es ist dies einer der spektakulärsten Momente in meinem nicht mehr so ganz jungen Radfahrerleben. Im weiteren Verlauf können wir dann auf schwierigen Böden unsere technischen Fertigkeiten auf dem Mountainbike beweisen und perfektionieren. In grandioser Umgebung von tiefen Schluchten und haarsträubend engen Pass-Sträßlein erleben wir einen Radtag der Extraklasse. Nach knapp 8 Stunden erreichen wir dann am Ufer des Dibangflusses unser Camp, welches auf einem kleinen Plateau oberhalb des Flusses vor dramatischer Bergkulisse schon fast zu viel für die Sinne ist. Was für ein Tag, und er findet seine Abrundung mit einem Dinner am Lagerfeuer, nach dem wir in einen tiefen Regenerationsschlaf fallen.

Tag 10, Aloya Camp – Etalin Village (Abruch), 28 km, 500 HM

Es regnet. Das Klopfen am Zelt erfährt seine Erweiterung, als ich den Reißverschluss öffne. Eine mich an chinesische Aquarelle erinnernde, dampfende mystisch schöne Berglandschaft tut sich vor mir auf. Es sind die sich aus dem Fluss und dem Regenwald erhebenden Wolken, die dramatische Akzente setzen, die meine Fantasie anregen. All das kann ich von unserem Outdoor-Klo kurz nach 5:00 Uhr entspannt wahrnehmen.

Die Jungs vom Team sind schon in der Küche fleißig, servieren mir den Morgentee, sammeln Kräuter für den Curry, bereiten den Teig für das Brot, schnitzen aus einem Ast eine Chapati-Rolle. Überhaupt sind sie Meister der Improvisation. Bei einer Rast vergaßen sie eine Tasche mit Küchenutensilien. Seitdem benutzen wir Trinkbecher, Löffel und Esstäbchen, die sie geschickt aus Bambus geschnitzt haben. Ich schlage Roheen vor, uns bei künftigen Touren unbedingt in den Umgang mit der Machete einzuweisen und auch einen Kurs im Bambusschnitzen einzubauen.

Drei von uns entschließen sich kurz nach acht Uhr, auf’s Rad zu steigen und dem Umbill des Morgens zu trotzen. Sogleich geht es brutal nach oben. Nach ca. 5 km erreichen wir das erste Dorf, sind komplett durchgeweicht, wohl mehr vom Schweiß, als vom Regen und setzen, um nicht auszukühlen, unseren Ritt über schwierigen Untergrund fort. Nach knapp drei Stunden stoppen wir und beschließen, es für heute genug sein zu lassen mit dem Kampfradeln. Wir finden Quartier im Inspektionsbungalow der Straßenbaubehörde und entledigen uns sofort der nassen, schmutzgetränkten Regenbekleidung. Nach der „Grundreinigung“ verbringen wir, wieder trocken und warm eingepackt, bei einer Idu Mishmi-Familie zunächst eine lustige Lunchpause, später noch nach einem Spaziergang durch’s Dorf eine lokale Teatime.

Tag 11, Etalin – Anini – Achesotal, 63 km, ca. 1.700 HM

Getrocknet, erholt und nach einem gehaltvollen Frühstück gut gelaunt gehen wir den Tag an. Heute geht es von Beginn an bis zum Zielort verdammt oft nach oben. Wir genießen herrliche Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel, im Vordergrund Bananen, Zuckerrohr und sogar Wein, der in einigen Lagen hier oben offensichtlich angebaut wird. Immer wieder geht der Blick nach unten, wo tosend der Dibang in seiner Wildheit gen Brahmaputra strömt. Bei unseren Stopps treffen wir herzliche Menschen, die Männer traditionell  oft mit Waffe, die uns aber stets freundlich begegnen.

Allerdings passieren wir auch zunehmend Baustellen, die uns mal zum Warten zwingen, die aber nach dem gestrigen Regen vor allem oft einen für uns Radler fast unpassierbaren schlammigen Untergrund parat halten. Es wird mitunter richtig schwer und der Spaßfaktor sinkt immer mal wiede
r erheblich. Irgendwann in der Mittagsstunde erreichen wir nach einem weiteren brachialen Anstieg Anini und begeben uns dank Nudelsuppe und Omelett gut gestärkt in die finalen 13 km ins Acheso-Tal. Es soll eine Abfahrt dort hinunter sein. Letztlich ist auch diese gespickt mit giftigen Zwischenanstiegen, die das Letzte von uns verlangen, körperlich wie emotional. Letztlich kommen wir alle gut an, werden überrascht von einer vom Komfort her an diesem Ort nicht zu erwartenden Lodge, sogar mit einer warmen Eimerdusche für Kaspar und mich.

Der Abend bietet für alle von uns eine neue Erfahrung, sind wir doch zum Essen beim lokalen Schamanen und seiner Familie eingeladen. Nach Betreten seines Hauses gelangen wir sogleich in den größten Raum des Hauses, in dessen Mitte eine offene Feuerstelle bereits für angenehme Wärme sorgt. An den Wänden hängen verschieden Utensilien, eine Gewehr, ein typischer Idu-Hut, die Gehörne von geopferten Mithun-Rindern etc. Zur Begrüßung wird von der Hausherrin selbst gebrautes junges Reis-Bier gereicht. Auch werden wir in die Küche vorgelassen und können den Hausherrn beim  Töten und Zerlegen des Huhnes sowie den Damen beim Kochen Gesellschaft leisten. Das anschließende Essen ist eines der Besten, welches ich je zu mir nehmen durfte, seien es die Gerichte und besonders das einmalige Ambiente.

Transfertag, Sonntag 08.04., Acheso-Valley – Roing

Tatsächlich sind wir alle morgens um 05:00 Uhr reisefertig. Nach einem Tee geht es los auf die beschwerliche Rückfahrt nach Roing. Mit dem Rad haben wir uns 5 Tage Zeit genommen, weniger hätten es ob der extremen Anforderungen an die Physis und Moral eines jeden von uns auch nicht sein dürfen. Da wir durch die Topografie des Himalaya zum exakt gleichen Rückweg gezwungen sind, erleben wir unsere „Leiden“ also in umgekehrter Abfolge noch einmal. Dabei wird uns bewußt, welche Leistungen wir in diesen Tagen vollbracht haben. Mir wird erst heute klar, dass in den letzten 3 Tagen wohl 20% der Strecke über oft extrem schlammige, staubige oder halsbrecherisch am Fels entlang führenden Untergrund führen. Straße kann man das wirklich nicht nennen. Ich verabrede mit Roheen, dass wir bei künftigen Buchungen für diese in vieler Hinsicht unglaubliche Tour für diese Anschnitte Transferoptionen anbieten werden, um Mensch und Material zu schonen.

Am späten Nachmittag erreichen wir Tines Lodge und sind auch wieder mit der Welt verbunden. Eigentlich waren die 6 Tage Internet-Abstinenz für alle kein Problem, für mich war es wie immer eher angenehm, aber es ist schon schön, mit seinen Liebsten reden und erfahren zu können, dass nichts wirklich Bewegendes passiert ist.

Radfahrtag 12, Roing – Dibangbrücke – Roing, 84 km, 700 HM

Nach einem opulenten Frühstück im Städtchen und einer kleinen Erkundungsrunde mit diversen Shopping Stopps nutzen wir den nicht benötigten Puffertag zu einem vermeintlich flachen Ausflug auf ausgezeichneten Straßen hin zur längsten Brücke Indiens, die über mehr als 9 km Länge über das derzeit meist trockene Bett des Dibang führt. Wir erhalten einen sehr plastischen Eindruck von der grandiosen Allmacht und Größe der Natur an diesem Ort kurz vor dem Zusammenfluss mit Siang und Lohit und der Verschmelzung zum Brahmaputra.

Auf dem Hinweg rollen wir, dass es eine Freude ist, auf dem Rückweg sind besonders die letzten 7 km zur Lodge wieder reines Bergfahren. Aber das können wir ja inzwischen und das Wetter ist auch wieder vom Feinsten, fast schon zu warm.

Radfahrtag 13, Roing – Tengapani (Goldene Pagode), 75 km, 330 HM

Erneut queren wir einige noch trockene Gebirgsflüsse und kurz vor unserem Tagesziel mit dem breiten Bett des Lohit einen weiteren der Zuflüsse des Brahmaputra. Wir sind nun wieder im Siedlungsgebiet der thaibuddhistischen Chakma. Diese kamen hier in dér Region durch den Handel mit Teakholz zu erheblichem Wohlstand, was sich in prächtigen alten Klöstern und goldgeschmückten Tempeln zeigt.

Einer davon ist die Goldene Pagode in Tengapani (Saures Wasser), gleich neben der wir im vergleichsweise komfortablen Eco Resort die Nacht verbringen. Die Pagode selbst ist eine auf mich fast kitschig wirkende Kreation des 21. Jahrhunderts. Allerdings sind die leitenden Mönche in ihrem Bestreben nach Abschottung mit einer Reihe von Verboten und außer dem Haupteingang rundherum verschlossenen Toren in diesem wohl noch nicht angekommen. Ihre jüngeren Zöglinge sind dies sehr wohl, kommunizieren sie doch selbst während der wichtigen Gebete über ihre Smartphones mit der Außenwelt. Es ist auf jeden Fall spannend und aufschlußreich, hier einen Abend und den kommenden Morgen verbringen zu können. Die baulichen Hülle und die parkähnliche Umgebung verströmen Harmonie. Ob dies auch im Kloster so gelebt werden kann, da bestehen zumindest bei mir nach diesem Besuch erhebliche Zweifel.

Radfahrtag 14, Tengapani – Dibru Saikhowa N.P., 86 km, 170 HM

In der Tat ist die dem Kloster angeschlossene Eco Lodge ein Hort der Ruhe und der Zeit zum Nachdenken über sich und die Welt, nur nicht morgens um 03:35 Uhr, denn da schlägt einer der Mönche die Klosterglocke so vehement, dass ich wach werde und an diesem harmonischen Ort einen kräftigen Fluch ausstoße. Kurz vor 6:00 Uhr weckt mich der Gesang der „Baby-Mönche“ endgültig und ich genieße das Privileg, von meiner Terasse den jungen Tag zu beobachten, die goldene Pagode, eingehüllt in aufsteigenden Dunst, direkt vor meinen Augen. Es verspricht ein guter Tag zu werden, unser letzter Radfahrtag während dieser Tour.

Nach dem kräftigen Frühstück Chole Bathura ( Kichererbsencurry mit frittiertem Fladenbrot) starten wir, um gleich im nächsten Dorf einen Stopp beim gerade stattfindenden Wochenmarkt einzulegen. Ich kaufe von einer Marktfrau getrocknete rote Chillies und von einer anderen frischen Jaggery, eingekochte Zuckerrohrmelasse. Auf toller Straße, fast ohne Verkehr, fressen wir förmlich die Kilometer. Nach 30 km passieren wir die Grenze nach Assam und nach gut 60 km legen wir eine Tee- und Snackpause ein, bevor wir auf eine wunderbare frisch geteerte kleine Straße einbiegen und durch diverse Teeplantagen und Teepflückerdörfer dem Brahmaputra, genauer dem Dibru Saikhowa Nationalpark entgegen „fliegen“.

Nach kurzer Lunchpause sitzen wir schon in einem einfachen Boot und werden durch die jetzt im April bereits stark eingetrocknete Idylle gestakt, um diverse Vögel und auch Wasserbüffel beim genüßlichen Bad zu beobachten. Besonders berührt mich die Langsamkeit und die Ruhe, mit der hier alles abläuft.

Es war ein heißer Tag und folgerichtig werden wir am Abend Zeugen eines für die Jahreszeit typischen Sommergewitters. Dabei muß ich nochmals an die ungläubigen Gesichter der Beamten denken, die uns am Checkpost kontrollierten. Wie schon bei der Einreise von Assam nach Arunachal Pradesh vor 2Wochen können auch sie nicht verstehen, warum wir aus Deutschland – wo nach ihrem Verständnis wohl Milch und Honig fließen – hierher kommen und uns eine derart strapaziöse Radtour hoch in den Himalaya antun. Das sind nicht nur kulturell Welten, die da zwischen uns liegen. Sie scheinen unseren Großeltern durchaus ähnlich, die sich nach dem Krieg einen ersten kleinen Wohlstand und genug zu Essen leisten konnten. An gesunde Lebensweise hat damals auch bei uns kaum jemand gedacht. Aber das kommt auch hier schneller, als die meisten immer runder werdenden Beamten es derzeit noch nicht glauben wollen.

Am kommenden Morgen fahren meine Gäste in eines der Teepflückerdörfer, um vielleicht die immer laut hörbaren Brüllaffen auch einmal zu Gesicht zu bekommen. Ich genieße den dunstigen Morgen am Strom zu einigen Reflexionen beim Tee und einem bewertenden Gespräch mit meinem Partner Roheen. Wir sind beide froh, dass diese anspruchsvolle Tour von allen gut und ohne Zwischenfälle bewältigt wurde, was bei dem oft sehr schwierigen Untergrund, der gefahrenen Distanz von ca. 850 km und vor allem den gut 11.000 Metern teilweise harter Kletterei alles andere als eine Selbstverständlichkeit
ist. Dafür ist der letzte Tag, ein sehr entspannter, geht es doch nach einstündigem Transfer erst am frühen Nachmittag gemeinsam zurück nach Delhi und von dort individuell nach Hause oder wohin auch immer.

Künftige Interessenten mögen sich bewusst sein, dass sie neben der radfahrerischen Herausforderung auch für einige Tage mit sehr einfachem Komfort und reduzierten Voraussetzungen für die Körperhygiene klar kommen sollten.  Hochgebirgs-Trekkingerfahrungen sind hilfreich, Respekt und ein lebhaftes Interesse an den mitunter sehr fremden Menschen, ihren Gebräuchen und ihrer Küche unerlässlich. Wer damit klar kommt, körperlich fit und auf dem Mountainbike gut und sicher zu Hause ist, der sei herzlich willkommen.

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