Ein Tag wie kein anderer!

Sonntags auf dem Rad durch den oberen Himalaya

 

Es geht hier nicht um einen gemütlichen Sonntagsausflug mit der Liebsten auf dem Fahrrad. Wir sind in einer fünfköpfigen Gruppe Anfang Juli im alpin anmutenden Manali im nordindischen Unionsstaat Himachal Pradesh aufgebrochen, um nach einer Woche intensiven Radfahrens über die höchsten derzeit per Mountainbike passierbaren Straßen unseres Planeten nach Ladakh, auch Klein-Tibet genannt, zu gelangen.

Gestern, am Samstagnachmittag haben unsere fleißigen nepalesischen Begleiter unsere Zelte am malerischen Tsokar-Salzsee in der Moray-Ebene, nun im Unionsstaat Jammu und Kashmir, auf gut 4.800 Meter über dem Meeresspiegel aufgeschlagen. Das, was vor wenigen Tagen noch als nahezu unbezwingbare Passhöhe galt, ist nun unsere Camphöhe. Wie zu erwarten ist der Schlaf unruhig. Immer wieder einmal wache ich auf, kalt ist mir aber nicht. Am frühen Morgen sind es Möwen, die mich wecken. Wie kommen die nur Tausende Kilometer von jeder Küstenlinie hier oben her? Ist es nur das Salz oder was sonst könnte sie in diese Gegend locken? Fische jedenfalls gibt es keine.

Wenig später serviert die gute Seele des Teams Gopal den Morgenkaffee direkt ans Zelt. Anil, unser an Kreativität und Klasse kaum zu überbietender Koch ist schon dabei, ein leckeres Kichererbsen-Curry (Channa) und frische Chapati-Fladenbrote sowie Porridge zuzubereiten. Reichlich heißen Chai, indischen Milchtee, konsumieren wir natürlich auch.

Gegen 8:00 Uhr schwingen wir uns auf die Räder. Nach wenigen Metern allerdings müssen wir in dieser Hochgebirgswüste einen kleinen Hang hinauf zur asphaltierten Straße überwinden. Vorbei ist es sofort mit dem Radeln, Schieben ist angesagt. Das Herz rast und schnell geraten wir trotz der morgendlichen Kühle ins Schwitzen. Doch dann haben wir es erreicht, das schwarze Asphaltband, welches uns den gesamten Tag (mit einer kleinen Unterbrechung) als die Strapazen erleichternde Unterlage dienen soll.

Aus sicherer Entfernung beobachtet ein imposanter wilder Esel unser morgendliches Treiben, hoch über uns hält ein Adler-Paar hoffentlich nicht nach uns als potenziellem Frühstück Ausschau?

Nach knapp 10 km erreichen wir den Manali-Leh-Highway. Wir sind auf der frisch geteerten strategischen Straße in den Hohen Norden Indiens fast ganz allein. Alle paar Minuten mal kommen ein Truck, ein Bus oder eine der zahlreichen Motor-Biker-Gruppen auf ihren Royal Enfield Kult-Motorrädern vorbei. Weitere Menschen oder gar Siedlungen gibt es hier oben keine.

Vor uns liegt in etwa 20 Kilometern Entfernung der Tanglang La Pass. Mit einer angegebenen Höhe von 5.360 m ü.M. soll es der höchste Punkt unserer Radtour und sicher ein einmaliger Höhepunkt werden. Die Steigung ist kaum wahrnehmbar und im Flachland würden wir diese bei dem trockenen und klaren Morgen sicher entspannt plaudernd hinan rollen.

Nicht so hier. Obwohl inzwischen bestens akklimatisiert und mit dem erwähnt guten Untergrund versehen tuen wir uns mit zunehmender Zeitdauer immer schwerer, ein längeres Stück ohne Verschnaufpause zu bewältigen. Wieder einmal ist es der unmittelbare Kontakt mit der grandiosen Natur, der uns bewusst macht, wie klein und unwichtig wir hier oben sind. Der Atem wird kurz, das Herz pocht kräftig und doch sind die Muskeln in den Beinen komplett unterversorgt und der ganze Körper fühlt sich matt an. Wir werden unendlich langsam, die Pausen immer länger und ja, ich gebe es zu, ich lasse mich auch ein etwa drei Kilometer langes Stück von einem ebenso langsam wie wir den Berg hinauf schleichenden Truck mitziehen. Offensichtlich leiden die Verbrennungsmotoren ebenso wie wir beim Erklimmen des Gipfels. Mehr als 10 km/h sind bei dem voll beladenen Blechkasten nicht drin. Ideal um sich kurz einmal dran zu hängen.

Nach gut vier Stunden, einer Reifenpanne am Hinterrad eines der von uns genutzten und sonst extrem zuverlässigen Mountainbikes und vielen notwendigen Pausen sind wir bei einsetzendem Schneefall endlich glücklich oben. Die Erschöpfung hält sich erstaunlicher Weise in Grenzen. Frieren wie unsere Vorgänger müssen wir, natürlich warm eingepackt, auch nicht mehr, da es seit kurzem hier oben ein jurtenartiges Rundzelt gibt, welches uns und andere -motorisiert – Vorbeikommende mit wunderbarem Massala-Chai und heißer Nudelsuppe versorgt.

Gut gestärkt und emotional auf einer Wolke der Glückseeligkeit machen wir uns alsdann an die ihres Gleichen suchende 25 km lange Abfahrt hinunter ins ladakhische Rumtse. Wir starten inmitten endloser Geröllwüsten, die an der Nordseite noch immer von beeindruckenden Altschneekanten geziert werden. Für die ganz Wagemutigen unter uns bietet sich auch eine knapp 1 km lange, brutal aussehende super Downhill-Piste an. Allerdings verpassen sie dadurch eine etwa 10 km lange neu asphaltierte und mit grandiosen Aussichten in die Bergwelt des oberen Himalaya aufwartende Serpentinenstrecke. Für jeden Geschmack, besser für jeden Leistungsgrad in der Radbeherrschung ist hier etwas dabei.

Weiter unten, wir sind alle ohne Stürze wieder vereint, wird es unglaublich grün, der Baustil der Häuser und religiösen Bauten, wie auch der Name unseres Zielortes verkünden es – wir sind endgültig im tibetisch geprägten Ladakh angekommen. Beim Einrollen ins Dorf erkennen wir schon unsere aufgebauten Zelte. Wir müssen noch einen kleinen Bach überqueren und verfügen erneut über ein geradezu elitäres Camp auf der Wiese einer hiesigen Bäuerin, eingerahmt von den schneebedeckten Himalayariesen. Die Alte lässt sich sogleich blicken, begrüßt unsere nepalesischen Begleiter wie auch uns ausgemacht herzlich und lautstark. Auch hat sie einen selbst gekelterten leicht alkoholischen milchfarbenen Trunk dabei, der unser abendliches Abschiedsdinner mit erlesenen Curries, Penne carbonara und einem Schokoladenkuchen aus der Zeltküche krönt.

Was für ein Radfahrsonntag! Mit Sicherheit ein Tag wie kein anderer. Und morgen geht es dann „hinunter“ in die ladakhische Metropole Leh auf nur noch 3.500 ü.M….

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