Große Manaslu-Runde Mai 2016

Freitag, den 13. Mai haben wir verstreichen lassen, aber am Samstag hält uns nichts mehr. Auf geht’s zum Trekking und zu meinem alten Freund Pasang Sherpa nach Nepal. Den Flug mit Oman Air trennen von dem von Emirates speziell im Unterhaltungsprogramm zwar Welten, aber wir werden gut verpflegt und pünktlich sind sie auch. Der Flughafen in Muscat hat seine beste Zeit lange hinter sich. Aber auf der anderen Seite der Rollbahn protzt schon das Monster des künftigen Gebäudes. Sind die alle wahnsinnig, diese Araber aus den Golfstaaten?

Wie angenehm dann die Ankunft in Kathmandu. Die heimkehrenden Arbeitssklaven verbreiten schon im Flieger freundliche Feiertagsstimmung. In der Empfangshalle haben Sie moderne Terminals für die elektronische Visa-Beantragung eingerichtet, die die ganze Prozedur enorm erleichtern und beschleunigen. Falls doch jemand Probleme hat, so steht ein mehrsprachiger junger Mann bereit, der freundlich helfen möchte.

Draußen wartet schon Pasang und in wenigen Minuten sind wir im gemütlichen und vertrauten Tibet Guest House in Thamel, dem Innenstadtbezirk mit der besten touristischen Infrastruktur. Kathmandu selbst ist durch die Aufräumarbeiten nach dem Erdbeben vom April 2015 noch schmutziger, staubiger und durch die Baustellen noch verstopfter, eine Zumutung für Einheimische und Gäste. Atemschutztücher sind bei der Mehrzahl der ständig hier Lebenden inzwischen eher der Normalfall.

Der Transfer am nächsten Morgen in die Gorkha-Region zum Startort unseres Trekkings nach Arughat führt uns in den normalen nepalesischen Straßenwahnsinn. Zunächst geht es auf dem Prithvi-Highway gut voran nach Westen und nach dem Abbiegen freuen wir uns, überhaupt mit dem Allrad-Jeep auf der Piste voranzukommen. Alles Erlebte sprengt die Vorstellungskraft eines mitteleuropäischen Teilnehmers am Straßenverkehr.

Die sichtbaren Beben-Zerstörungen halten sich in Grenzen, es ist jedoch deprimierend zu erfahren, dass viele von der Regierung angehalten sind, noch immer nicht mit der Instandsetzung ihrer Häuser zu beginnen. Provisorien, sei es aus Wellblech, von internationalen Organisationen gespendete Zelte oder bereits in Eigeninitiative hochgezogene „Schwarzbauten“ beherrschen einstweilen das Bild, da die unfähigen und vom Parteienstreit beherrschten Politiker nicht in der Lage sind, die lange bereitstehenden internationalen Hilfsmittel zielgenau einzusetzen. Eine Schande! Erstaunlich nur, wie scheinbar gelassen die Einheimischen auch diese Katastrophe nach der Katastrophe hinnehmen. Es ist wohl wieder einmal die hier zum Überleben nötige und zum Glück vorhandene Mischung aus buddhistischem Gleichmut und hinduistischer Duldungsfähigkeit…

Nun zum eigentlichen Trekking.

Tag 1 – Dienstag, 17.05.2016

Gleich vom Start weg sind wir trotz der sengenden Hitze gut unterwegs, so dass wir an unserem ersten Tagesziel Soti Khola nur eine leckere Lunchpause einlegen. Die Wirtin weist auf die gegenüber dem Ort liegende beeindruckende Steilwand. Diese habe beim großen Beben richtig gezittert. Sie und alle sahen sich schon unter den gewaltigen Felsmassen begraben. Aber trotz der Schwingungen sei kaum etwas heruntergekommen und so könnten wir noch heute hier bewirtet werden. Geschichten wie diese werden wir in den kommenden Tagen noch öfter hören. Trotz aller Dramatik sind sie hier froh, dass es nicht noch viel schlimmer gekommen ist.

An diesem Ort endet auch die von allradgetriebenen Geländefahrzeugen und Bussen befahrbare Piste. Das Tal verengt sich und von nun an sind die Kolonnen von Mulis und die Einheimischen es selbst, die alle Lasten den schmalen Pfad hinauf bringen. Kurz danach passieren wir bereits eine spektakulär in die Steilwand geschlagene Trasse, an der schon viele Tragetiere ihr Leben ließen und die auch unseren Herzschlag deutlich in die Höhe treibt.

Waren bis hierher meisterhaft angelegte Terassenfelder für Reis, Mais und alle nur erdenklichen Gemüsearten sowie riesige alte Mango- und Litschibäume unsere Begleiter, so durchwandern wir nun erste Laubwälder. Die Fläche für den Gemüseanbau wird deutlich knapper und mit ihr auch die Zutaten für das Nationalgericht Dal Bhat. Noch am Vorabend zierten den Teller 6 verschiedene Gemüsebeilagen. Nunmehr reduziert sich der Klassiker wieder auf das, was er verspricht, nämlich Linsen mit Reis, evtl. noch ergänzt durch eine Kartoffel- oder Spinatbeilage.

Tag 2 – Mittwoch, 18.05.2016

Gleich hinter der Gurung-Gemeinde Lapu Besi, der Heimat der legendären Honigjäger, stoßen wir auf die durch das Beben zerstörte Infrastruktur. Statt über die alte Hängebrücke und dann auf einem meisterhaft in die Steilwand gehauenen schmalen Pfad weiter zu gehen, müssen wir ziemlich halsbrecherisch hinunter ins Flussbett absteigen. Hoch über uns sehen wir die bunt gekleideten Frauen ameisengleich emsig die verschütteten Passagen wieder herstellen.

Das werden wir in den kommenden Tagen wiederholt erleben. Eine regelrechte Mutprobe erwartet uns hinter dem Weiler Tatopani, wo die Hängebrücke derzeit gesperrt ist. Dafür wurde die daneben liegende alte Brücke mit Brettern, Grünzeug für die Tiere, Stämmen und Steinen belegt und temporär für die freigegeben, die sich drüber trauen oder müssen. Der Name des Örtchens bedeutet auf Nepalesisch „Warmes Wasser“ und rührt von einer heißen mineralischen Quelle her, die hier seit Menschengedenken von den Einheimischen und Wanderern zum Waschen, Baden, Trinken genutzt wurde. Seit dem Beben findet das heiße Wasser den Weg durch den Fels nicht mehr hierher. Angeblich haben Einheimische in ca. 2 km Entfernung eine neue heiße Quelle ausgemacht…

Unser nächster Übernachtungsort Dhoban wird uns für immer unvergessen bleiben.

Wir sind zu Gast bei einer für uns sehr ungewöhnlichen Familie in der Mitte des Ortes, welcher U-förmig umbaut ist. Der rechte Flügel beherbergt die Schule, der linke unsere Herberge und im zentralen Bereich residieren einträchtig die beiden Familien des Hausherren. Der ist nämlich mit zwei Frauen verheiratet. Eine betreibt mit ihrem Mann unsere Herberge, die andere einen schon deutlich tibetisch geprägten Kolonialwarenladen, dessen Hauptumsatz offensichtlich der von Hochprozentigem ist.

Dazu gehört noch eine kauzige singende Alte, jede Menge Kinder und streitsüchtige Nachbarsweiber. Da wir nun zum Saisonende die einzigen beiden westlichen Besucher sind, bewirten Sie uns zwar sehr zuvorkommend, nehmen uns aber sonst nicht weiter zur Kenntnis. Wir sind also mittendrin in allem, was sich in nepalesischen Dörfern am Abend so zuträgt und das ist für uns ziemlich unübersichtlich. Die beiden Familien des Oberhauptes scheinen fließend ineinander überzugehen, alle vertragen sich, die Kinder spielen sowieso miteinander, gekocht wird in zwei Küchen und dann werden die Gerichte ausgetauscht, so dass einjeder über eine größere Auswahl verfügt.

Auffällig ist, dass es hier, wie in den meisten Dörfern einen deutlichen Frauenüberhang gibt. Die Lehrerin des Ortes erklärt uns, dass die meisten Männer relativ schnell nach der Gründung ihrer Familien gezwungen sind, ihr Einkommen in den Golfstaaten zu erzielen oder doch aber zumindest im Kathmandu-Tal. Das bringe es bei dem angeborenen Selbstbewustsein der hiesigen Frauen mit sich, dass es neben dem von uns verfolgten Alltagsgezänk über Nichtigkeiten nicht wenige Frauen mit der Treue nicht so nähmen und sich gern Vorbeikommenden anschließen. In diesem Jahr seien bereits zwei verschwunden. Wir fühlten uns in dieser Gegend ohne Strom und Internet zunächst ins Mittelalter zurückversetzt und hören nun von auch bei uns höchst aktuellen Problemen. Die Welt rückt also auch hier enger zusammen.

Tag 3 – Donnerstag, 19.05.2016

Heute erreichen wir in Jaghat endlich den Eingang zum Manaslu-Schutzgebiet. Es ist an der Zeit, der Einmaligkeit und ursprünglichen Kraft der hiesigen Bergwelt unser Loblied zu singen, obwohl wir noch weit von der Gletscherwelt der kommenden Tage entfernt sind. Zunächst wird unser Begleite
r, der Budi Gandhaki immer wilder und formte über die Jahrtausende fantastische Formen und Formationen. Mal scheinen idyllische Pools unter Wasserfällen zum Bad einzuladen. Dann wieder gebietet das unheimliche Getöse der herabstürzenden Wassermassen den größten Respekt, wenn man denn am Leben hängt. Eingerahmt wird dieses Schauspiel von oft fast senkrecht und viele Hundert Meter in den Himmel ragenden Felsformation. Eigentlich ist das schon an der Grenze dessen, was wir aufnehmen können. Trotzdem. Morgen geht es weiter hinauf in Richtung Tibet und immer neuen Erlebnissen (und Schmerzen) entgegen.

Tag 4 – Freitag, 20.05.2016

Heute ist es vor allem die Einsamkeit, die uns auf dem weiteren Weg nach Norden bewußt macht, wie grandios die Natur ist und wie unwichtig wir selbst. Hätten sie nicht kurz nach dem Beben kurz vor Deng einige Hütten gezimmert, in denen wir zumindest einen Tee trinken können, wir wären bis zum Zielort ohne Kontakt mit der Zivilisation gewesen und wohl am Stück durchgewandert.

Hier fällt mir Erlebtes von den Vortagen und auch von früheren Besuchen wieder auf. Die Einheimischen haben stets einen Ballen bereits gekochten Reis (Bhat) dabei, den sie im Zweifel pur essen oder einige Kräuter vom Wegesrand beimischen oder sie verlängern damit bei einer Rast den obligatorischen Dal Bhat. Wir Westler verlassen uns stets darauf, dass die eingezeichneten Gästehäuser uns versorgen. Heute in der Nachsaison sind wir durch zwei kleine Weiler gekommen, die wie ausgestorben wirkten und dies eben nicht konnten. Wir werden uns in den kommenden Tagen drauf einstellen, schließlich gehören wir zu Hause ja auch zu der kleiner werdenden Spezies derer, die sich auf Reisen lieber auf den eigenen Proviant verlassen.

Tag 5 – Samstag, 21.05.2016

Aus dem nepalesischen „Namaste“ wird das tibetische „Tashi Delek“. Die Herzlichkeit bleibt, mindestens. Auf der anstrengenden Wanderung nach Namrung kommen wir nun in den Regenwald des Himalaya mit uralten Koniferen- und Wacholderriesen, die dicht mit Moos bewachsen sind. Leider ist die Rhododendrenblüte in dieser Höhe gerade vorbei und die Orchideen blühen noch nicht, so dass die um diese Jahreszeit übliche Farbenpracht fehlt. Aber auch das wird uns sicher in den größeren Höhen noch „blühen“.

Im Kloster gleich neben unserem Gästehaus üben die Jungen und nicht mehr ganz jungen Mönche lautstark und in ungewohnten Rhythmen für die bevorstehenden Feierlichkeiten zum Saga Dawa, der jährlichen Erneuerung der Gebetsflaggen im Land und allen damit verbundenen religiösen Aktivitäten. Verena freundet sich mit dem stets freundlichen, seine Gebetsmühle drehenden Vater des Chefs unserer Herberge an. Irgendwie erinnert er mich in seiner ausgeglichen freundlichen Art an meinen im Vorjahr verstorbenen lange an Demenz erkrankten Vater?

Tag 6 – Sonntag, 22.05.2016

Für den Nieselregen im letzten Teil des Aufstieges nach Namrung werden wir heute mit dem, was man in Deutschland Kaiserwetter nennt, mehr als entschädigt. Besser kann es nicht passen, denn die heutige Passage ist ein Festtag fürs Auge und die Seele, vor allem wenn alles von der Sonne so perfekt in Szene gesetzt wird und der Wolkenvorhang erst am späten Nachmittag das uns sprachlos machende Grandiosum des Himalaya in eine undurchdringliche Nebelwand hüllt. Bis dahin jedoch erleben wir auf einem traumhaften Weg zunächst uralte Nadelwälder, fleißige Bauern mit archaischen Methoden auf ihren Terassenfeldern und immer wieder freundlich grüßende Einheimische mit unglaublichen Lasten auf dem Rücken. Yaks lösen nun die für dieses Terrain nicht mehr genügend robusten Mulis ab, die oft über tausendjährigen Mani-Steinwände, Stupas und Gebetsmühlen reihen sich förmlich aneinander und über uns thronen die eisgekrönten Riesen des höchsten Gebirges der Erde. Kurz vor Lho grüßt uns erstmals der Herrscher Manaslu mit seinen Zwillingsgipfeln. Im Garten des Gästehauses können wir uns gar nicht satt sehen vom Dorfpanorama. Die typischen Steinhäuser der Tibeter, das exponiert über dem Dorf erbaute Kloster mit der dazugehörigen Lamaschule und der weit darüber thronende Manaslu in einem so perfekten Gleichgewicht lassen uns ehrfürchtig und glücklich unsere (unwichtige) Rolle auf diesem Planeten begreifen. Gern schließen wir uns dem bedachtsamen Rhythmus der Einheimischen an, die der Natur und den Göttern den angemessenen Respekt zollen. Anders geht es hier gar nicht.

Was für ein Tag! Schön, dass wir ihn erleben dürfen. Nach dem Abendessen klart es erneut auf und der noch fast voll strahlende Mond läßt den über 8.100 m großen weißen Riesen in einer geradezu mythischen Art erstrahlen.

Tag 7 – Montag, 23.05.2016

Another Day in Paradise. Womit haben wir uns den erneut wolkenlosen Himmel nur verdient? Auf dem weiteren Weg nach Samagaon  fehlen mir die Worte, um die Schönheit und Urgewalt der Natur gebührend zu feiern. Bei einer Teepause auf halbem Wege wissen wir nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen, sind wir doch nun beinahe rundum von den majestätischen Gipfeln und deren Gletschern umgeben.

In Samagaon lassen sich die Einheimischen in ihrem Altag nicht stören, aber gern beobachten. Unsere Herberge für die kommenden zwei Nächte unterhalb des Klosters läßt uns aus dem Bett auf die nahe Abbruchkante des Manaslu-Gletschers blicken. Der kleine Sohn des Eigentümers und seine Freunde begeistern uns sofort mit Ihrem kreativen Spiel, können unsere Begeisterung für die hiesige Bergwelt aber nicht teilen. Die ist ihnen einfach zu alltäglich. Unsere Mobiltelefone und i-Pads sind da viel interessanter für die 3-4-Jährigen.

Kurz nach dem Mittag zieht es komplett zu, der Tag verdunkelt sich und die schweren Wolken regnen bis in die Nacht hinein kräftig ab. Es wird auf gut 3.600 m schlagartig wohl 20 Grad kühler. Unsere Stimmung kippt sozusagen von Himmelhoch jauchzend auf…Dabei sind das nur zwei von mehreren Seiten dessen, mit welchen die  Einheimischen sich tagtäglich unaufgeregt arrangieren.

Tag 8 – Dienstag, 24.05.2016

Er dient der weiteren Anpassung an die Höhe. Nach dem Frühstück unternehmen wir einen Kurzbesuch im Kloster und steigen danach zum nahen Gletschersee unterhalb der Abbruchkante des Manaslu-Gletschers auf. Bald zwingt uns anhaltender Regen in unser Domizil und wir erleben unseren kleinen Freund in Höchstform. Er ist sichtbar der unangefochtene Star im 3-Generationen-Haushalt. Alle Räume der Familie stehen für uns offen, wir sind in den mitunter lauten, aber immer entspannten Alltag einbezogen und alle haben wir viel Spaß.

Tag 9 – Mittwoch, 25.05.2016

Nach komplett durchregneter Nacht, aber gut gestärkt durch den allmorgendlichen Strong Black Coffee und das leckere frisch in Öl ausgebackene tibetische Brot mit Honig machen wir uns auf nach Samdo durch ein überraschend weites Hochplateau. Neben ausgedehnten Weiden für die Yaks finden wir hier die höchsten Felder, auf denen noch Kartoffeln, Kohl und Knoblauch gedeihen. Vorher überraschen uns einfachste Steinbehausungen am Rande der Birken- und Nadelwälder. Wir lernen, dass viele Einheimische hier im Mai nach besonderen Insekten mit einem hohen Wert für die pharmazeutische Industrie suchen und, da es gut bezahlt wird, ihr bescheidenes Einkommen erheblich aufbessern können.

Der unangenehm eisige Wind im Ort ermahnt uns, dass wir nun endgültig im Hochgebirge angekommen sind. Entsprechend gekleidet machen wir uns nach einer kurzen Lunchpause an den Aufstieg eines direkt vor der Herberge liegenden mit Wacholder-Sträuchern bewachsenen Berges. Wir steigen erstmals bis über 4.000 m auf und genießen atemberaubende Blicke auf die den Ort umgebenden Gipfel und deren Gletscher. Über uns schweben beängstigend nah Prachtexemplare der in den Steiwänden heimischen Adler und auch die Yaks auf den Hochweiden sehen eher Respekt gebietend denn freundlich drein. Auch explodieren förmlich Blumen und Sträucher, eine hier unerwartete Farbenpracht zeigend.

Tag 10 – Donnerstag, 26.06.2016

Der morgendliche Blick a
us dem Fenster verheißt zunächst nur eine graue Suppe. Diese lichtet sich aber, als wir nach dem kargen tibetischen Frühstück in der zumindest schon etwas warmen Küche aufbrechen, den noch höher gelegenen Sommerweiden der Yaks entgegen. Es geht beständig bergauf, zum Glück nicht zu steil. Es setzt leichter Schneefall ein, trotzdem beginne ich zu schwitzen. Die Lungen brennen ob der kalten Luft, die ich ja in der Höhe jenseits der 4.000 m in gefühlt mindestens doppelter Menge einatme, um den permanenten Aufstieg zu bewältigen. Trotzdem macht es Spaß, denn um uns herum verändert sich der Mix aus Wolken und die Sicht auf die ganz nahen schneebedeckten Gipfel in deren Lücken fortlaufend. Immer wieder vernehmen wir das Grollen kalbender Gletscher oder sich lösender Gesteinsbrocken. Und wir sind ganz allein mit den Yaks und den Murmeltieren.

Viel zu früh erreichen wir die karge Herberge Dharmasala auf knapp 4.500 m. Immerhin sind es solide Steinmauern mit einem Wellblechdach darüber, die unsere heutige Schlafstätte schützen. Es gibt hier oben weder Heizung noch Licht, aber in unsere Schlafsäcke gehüllt, unterstützt von dicken chinesischen Decken werden wir es gut in den morgigen Tag des Aufstieges bringen. Immerhin sorgen sich hier oben noch zwei schmächtige Kerlchen um unser leibliches Wohl, ein sehr spartanisches Dal Bhat anbietend und auch etwas heißen Tee. Was will man mehr hier, wo wir eigentlich nicht hingehören?

Tag 11 – Freitag, 27.05.2016

Auf diesen Moment haben wir 10 Tage hingearbeitet. Heute geht es mit einem öligen tibetischen Brot und einem lauwarmen Kaffee um 4:30 Uhr – immerhin – in den anstrengenden abschließenden Aufstieg zum Larkya La-Pass auf über 5.100 m. Wir haben mal wieder kein Wölkchen am Himmel und können uns am Panorama schon beim Heraustreten aus dem Zimmer nicht satt sehen. Mit scharfen Konturen zeichnen sich im Osten in der Ferne der Ganesh Himal und direkt vor uns der Samdo Peak und Naikee Peak in den beginnenden Morgen. Und so bleibt es während des gesamten 4-stündigen Aufstieges. Immer höher steigen wir, bis wir fast vollständig von imposanten Gipfeln und ihren Gletschern umgeben sind. Kurz vor dem Larke Peak begleiten uns noch einige neugierige Himalya-Blauschafe, Hasen und Murmeltiere, bevor wir dann endgültig nur noch über teils verschneite und vereiste Geröllfelder gehen. Oben angekommen sind wir am Rande unserer physischen Möglichkeiten, aber doch sehr glückliche und etwas stolze Erdenbürger ob der erbrachten Leistung an diesem Bilderbuchmorgen. Auch der gefürchtete Wind lässt heute auf sich warten und uns in Ruhe.

Wirklich schwer und nicht ganz ungefährlich gestaltet sich auch der erste Teil des Abstieges. Es geht extrem steil über ein Geröllfeld ca. 800 m nach unten bis an die Zunge eines weiteren von Norden kommenden Gletschers. Erschöpft, aber – wichtig – unversehrt erreichen wir eine kleine Grünfläche direkt am Rande des permanent arbeitenden und bedrohliche Geräusche von sich gebenden Gletschers. Hier an diesem gottverlassenen traumhaften Ort gönnen wir uns eine lange Pause, bevor wir uns auf den Weg zurück in den ersten bewohnten Ort nach Bhimtang aufmachen.

Im ganz neuen Apple Garden Hotel steigen wir quasi wieder in die Zivilisation ein. Abends genießen wir mal wieder das Privileg, in der Küche nah am offenen Feuer  zunächst der Zubereitung unseres Abendessens beizuwohnen und dieses alsdann gemeinsam mit den Einheimischen und unserem Guide und Träger eng geschart um die Wärmequelle auf kleinen Schemeln genießen zu dürfen. Was für ein Spaß!

Tag 12 – Samstag, 28.05.2016

Es regnet unaufhörlich. Mal mehr und mal weniger stark. Die Sicht ist meist eher keine.

Das ist im Moment sehr vorteilhaft, unterstreicht es doch den Charakter des Himalaya-Regenwaldes, durch welchen wir zunächst absteigen. Es ist teilweise gespenstisch, da unvermittelt immer neue verkrüppelte, mit Moos, „Altmännerbart“ und Farnen bewachsene Bäume und Sträucher vor unseren Augen erscheinen. Am Wegesrand pflücken wir emsig die einladend roten, leckeren wilden Erdbeeren.

Weiter unten sind es dann Obstbäume, vor allem Apfel, die in der Gegend um Tilche das Bild prägen. Leider hat die lokal berühmte Brennerei dicht gemacht, so dass wir unseren geplanten Einkauf wohl auf die Hauptstadt verschieben müssen, wo der gesuchte Obstler aus der Annapurna-Region gehandelt werden soll.

Kurz vor unserem Zielort Dharapani werden wir von einem monsterhaften Bagger – wie kommt der nur an diesen Ort? –  am Weitergehen gehindert. Dieser ist damit beschäftigt, den durch Abbrüche gefährlich schmal gewordenen Weg durch Abbaggern der oberen Seite wieder zu verbreitern. Zunächst wird der Weg dadurch jedoch unpassierbar, wie nach einem kapitalen Erdrutsch. Einheimische weisen uns zum Glück dann einen kaum noch begangenen Pfad hoch über dem derzeit nicht benutzbaren. So kommen wir noch zu einem weiteren kleinen Abenteuer mitten durch den Regenwald und treffen tatsächlich auf Affen und frei weidende Kühe und Pferde.

Wir sind dann nach einem Abstieg von 3.700 m auf 1.860 m erst am Abend im Hotel und genießen nach Tagen der eher nicht vollzogenen Körperpflege mal wieder eine heiße Dusche.  Die Thermounterwäsche, Mützen, Handschuhe und dicken Jacken kommen nun in den Rucksack.

Tag 13 – Sonntag, 29.05.2016

Kurz vor 6 Uhr werden wir wach. Da ist es noch trocken. Wenig später setzt ein heftiger und bis in den späten Nachmittag anhaltender Regen ein. Wir besitzen zum Glück ein Zeitpolster und die nötige Gelassenheit für einen verdienten Ruhetag, erholen uns von den Anstrengungen der letzten Tage, pflegen unsere kleinen Wehwehchen, lesen viel und haben Zeit für Reflexionen und gute Gespräche.

Tag 14 – Montag, 30.05.2016

Der Regen ist gegangen. Ein Hühnerauge an der linken Ferse läßt mich beim Reinschlüpfen in die seit 24 Jahren bewährten Reindl-Wanderschuhe einen unangenehmen Druck verspüren. Ich ahne nichts Gutes, marschiere aber gegen jede Vernunft mit eisernem Willen 3 Stunden gegen die immer unerträglicher werdenden Schmerzen an. Bei einem Tee-Stopp lasse ich mich endlich von Pasang Sherpa überzeugen und steige um in meine Trekking-Sandalen. Nun kann auch ich endlich die immer noch grandiose, jetzt in vielen Grüntönen daher kommende Bergwelt wieder genießen. Highlights sind heute die zwischen den Terrassenfeldern und Obstplantagen immer wieder anders spektakulär in die Tiefe stürzenden Wasserfälle. In Europa hätten die sicher Namen und wären Touristenattraktionen. Hier sind wir heute allein an mehr als einem Dutzend vorbeigekommen und nehmen tolle Schnappschüsse mit nach Hause. Die Einheimischen Gurung können unsere Begeisterung mal wieder nicht teilen. Dafür sind sie an einem Bach, wo sie über die Furt gerade eine massive Brücke bauen, hilfsbereit zur Stelle und tragen Verena Huckepack durch die reißende Strömung zur anderen Seite. Das angebotene kleine Trinkgeld lehnen sie selbstverständlich ab.

Tag 15 – Dienstag, 31.05.2016

Weiter geht es bergab und das, was die Nepalesen Highway nennen, wird mit zunehmender Gehzeit von einer anfänglich für nur mit Allrad-Antrieb ausgestatteten Jeeps und Trucks befahrbaren Schlamm- und Stein-Piste zu einer im heutigen Zielort Besi Shahar tatsächlich asphaltierten Straße. Hier enden auch alle Busverbindungen. Zwischendurch passieren wir ein von den Chinesen geplantes und durch sie derzeit im Aufbau befindliches mittelgroßes Wasserkraftwerk. Ganz ohne Umweltzerstörung ist der Fortschritt auch hier nicht zu haben, aber alles sieht sehr maßvoll aus.

Wir gewinnen den Eindruck, dass die Einheimischen den Chinesen genau auf die Finger schauen und ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Wert ihrer Heimat besitzen, die sie unbedingt auch künftig in ihrer Ursprünglichkeit für sich und ihre Gäste aus der ganzen Welt erhalten wollen. Diese Gäste begegnen uns heute, wo wir bisher kaum mal einen „Weißen“ trafen, sehr zahlreich in Richtung Annapurna, obwohl der nahende Monsun sich auch in der letzten Nach
t wieder mit einem gewaltigen Gewitter angekündigt hat.

Uns soll es egal sein, wir beenden heute unsere Runde, sind glücklich und etwas kaputt im angestrebten Zielort. Wir hatten eine tolle Zeit, an den richtigen Tagen Traumwetter und den Regen da, wo er gut hingepasst hat. Auch das Essen war immer dann richtig gut, wenn wir die Speisekarte für Touristen ignoriert und das geteilt haben, was unsere nepalesischen Freunde für sich selbst zubereiteten.

Tag 16 – Mittwoch, 01.06.2016

Der Weg zurück nach Kathmandu bedeutet für uns erst einmal, früh aufzustehen. Noch vor 6 Uhr trinken wir unseren Morgentee am Abfahrtpunkt des öffentlichen Busses nach Gorkha. Die kommenden fünf Stunden fordern zwar keine physischen Anstrengungen von uns, sind aber übervoll an Eindrücken für Auge, Ohr und Nase. Eine sinnvolle Erfahrung im umfassendsten Sinne also.

In der ersten Stunde ist der Bus noch nicht überfüllt, obwohl der junge an der Tür hängende Schaffner quasi jede/n am Straßenrand Wartende/n zur Mitfahrt auffordert. Wir fahren durch eine üppig grüne Kulturlandschaft und haben immer wieder die jetzt noch wolkenfreien Massive von Himchul und Manaslu vor den Augen. Dazu hat der Fahrer eine CD eingelegt, die irgendwo zwischen nepalesischer Folklore und aktueller Bollywood-Filmmusik liegen könnte. Jedenfalls unterstreicht es die Wirkung dessen, was wir sehen auf angenehme Art. Später versuchen sich 2 Gorkhas mit traditionellem Gefiedel und sehr gewöhnungsbedürftigem Gesang ohne viel Erfolg – auch bei den Einheimischen. Der Fahrer dreht die Anlage wieder auf und sie verschwinden.

Leider kann ich häßliche, weil bewußt vermüllte Schluchten, wie schon während des Treks, so auch heute aus dem fahrenden Bus nicht übersehen. Wie schade und wie kurzsichtig! Es ist dies leider das Ergebnis gedanken- und verantwortungsloses Handeln der hier Lebenden. Wohl nimmt es sich zwar im Vergleich zu den beiden großen Nachbarn im Norden wie im Süden noch nicht so dramatisch aus und Mutter Natur verdeckt viele Sünden, aber jede Plastikverpackung am Wegesrand ist eine zu viel. Es ist der einzige Wermutstropfen einer ansonsten wunderbaren Tour bei wunderbaren Menschen!

Irgendwann biete ich meinen Platz einer zusteigenden jungen Mama mit ihrem Sohn an und komme im Gang zunehmend in den Genuss direktesten Körperkontaktes zu beiden Geschlechtern des berühmten Volksstammes der Krieger der Berge. Ich bin trotz meiner Erfahrung noch immer überrascht, wieviele Menschen und Fracht so ein kleiner gebirgstauglicher Tata-Bus aufnehmen kann.

In der frühen Mittagsstunde sind wir dann in der alten Königsstadt Gorkha, die aber gar nicht so alt ist, keine 500 Jahre nämlich. Sogleich machen wir uns auf den schweißtreibenden Weg hinauf auf den ca. 300 m über der Stadt thronenden Palast. Der Weg dahin ist toll, die Gebäude da oben als Ensemble eher eine Enttäuschung für den Nicht-Hindu. Der begegnet dort wenigstens seinen Göttern, wir nur einem nicht gerade wohl riechenden Sammelsurium von Schreinen und Opferstätten und einem Palast, an welchem uns nur die meisterhaften alten Holzschnitzarbeiten an Türen, Fenstern und weiteren Fassadenteilen beeindrucken. Also sind wir schnell wieder unten im Ort, wo schon unser Fahrer wartet. Wir gönnen uns ein weiteres Dal Bhat zum Mittag und ich komme endlich zu meiner lange gesuchten Flasche Apfel-Brandy für meine Sammlung, da die Wirtin den exklusiv aus ihrem Heimatdorf im Mustang hier anbietet.

Auf geht`s nach Kathmandu, die schmutzige Schönheit, die wir nach entspannter Fahrt kurz vor 18 Uhr erreichen.

*                         *                        *

Der kommende Morgen – unser vorerst letzter hier – bietet alle Zeit, um im Innenhof des Tibet Guest House ein entspanntes Frühstück in der Morgensonne zu genießen. Später holt uns Pasang ab. Er führt uns auf verschlungenen Pfaden durch diverse Viertel, die wohl die wenigsten Touristen je zu Gesicht bekommen, hin zu seinem möblierten Zimmer, welches er schon seit Jahren meist allein bewohnt. Es geht vorbei an den Dhobi Ghats, wo die Wäsche der Hotels gewaschen und gebleicht wird, durch Gässchen, die Nähern, Möbeltischlern und diversen Reparaturgewerben oft auf engstem Raum für ihren Broterwerb dienen. An jeder Ecke, auf kleinen Plätzen, an Hauseingängen entdecken wir Hindu-Schreine und kleine Tempel, die auf ein sehr intensives spirituelles Leben hinweisen.

Bei ihm angekommen, werden wir freundlichst von unserem Träger Sangay Sherpa, Pasangs jüngerem Bruder und einem weiteren Sherpa-Freund begrüßt. Alle drei sind sie emsig damit beschäftig, ein weiteres leckeres Dal Bhat zu zaubern, unser vorerst letztes gemeinsames Mittagessen.

An dieser Stelle muß ich für meine westlichen Zeitgenossen endlich das Zimmer meines Freundes Pasang Sherpa beschreiben. Er bewohnt in einem etwa 40 Jahre alten  8-Parteien-Mietshaus ein Zimmer ohne Wasseranschluss in der 1. Etage. Für alle Mieter seiner Etage gibt es eine Toilette. Eine Waschmöglichkeit besteht für alle im Innenhof. Das Zimmer selbst ist etwa 3,5 x 5 m groß. Links neben dem Eingang hat er ein Schränkchen zur persönlichen Hygiene, genannt „Badezimmer“, daran schließt sich die „Küche“ an, was eine Arbeitsplatte und einen zweiflammigen Gaskocher bedeutet. Im zentralen Bereich steht ein Tischchen mit mehreren Sitzgelegenheiten drumherum, das sog. „Wohnzimmer“. Übergangslos schließt sich ein vor der rechten Seitenwand stehendes Doppelbett an, das „Schlafzimmer“, welches tagsüber auch Sitzgelegenheit ist. In der einen Ecke hinterm Bett steht ein gebrauchter Schrank,  an der Wand hängen ein Regal und einige persönliche Bilder. Es ist frisch gemalert, auch ein kleiner Teppich wärmt das aufgeräumte, sehr effizient strukturierte Heim. Der erfahrene Trekking- und Expeditionsleiter schimmert überall hindurch. Welch ein Unterschied zu einigen mir bekannten viel großzügigeren Wohnungen junger Leute bei uns in der westlichen Welt.

Abends, nachdem die geplanten Einkäufe erfolgreich getätigt sind, treffen wir uns nochmals in einem versteckten Sherpa-Restaurant in Thamel, genießen einen vorzüglichen Sherpa Stew, tauschen  Geschenke und Erinnerungen an den nun schon vergangenen Trek aus und versprechen uns, dass es nicht der letzte gemeinsame gewesen sein soll.

Am darauf folgenden Morgen geht es früh zum Flughafen und sehr relaxt über Muscat zurück in die Heimat.

 

Tatsächliche Gehzeiten:

Tag 1 Arughat – Soti Khola                        3,5h (+1h Mittagspause)

Soti Khola –  Lapu Besi.                   3 h

Tag 2 Lapu Besi – Khorlabesi                    4 h (+ 1,5h Mittagspause)

Khorlabesi – Dobhan                        2 h

Tag 3 Dobhan – Phillim                              6 h (+1,5h Mittagspause)

Tag 4 Phillim – Deng                                  4,5 h (+ 1,5h Mittagspause)

Tag 5 Deng – Namrung                             5,5 h (+ 1,5h Mittagspause)

Tag 6 Namrung – Lho                                4 h

Tag 7 Lho – Samagaon                              3,5 h

Tag 8 Samagaon Umgebung                    2-3 h

Tag 9 Samagaon – Samdo                        2,5 h + 2 h Berg

Tag 10 Samdo – Dharmasala                    2,5 h + 1,5 h Berg

Tag 11 Dharmasala – Bhimtang                8 h

Tag 12 Bhimtang – Dharapani                  8 h + 1,5 h Mittagspause

Tag 13 Dharapani                                      (Regentag im Hotel)

Tag 14 Dharapani – Syange                     5,5 h + 1,5 h Mittagspause

Tag 15 Syange – Besi Shahar                  5,5 h + 1,5 h Mittahspause

Tag 16 Gorkha                                           1,5 h

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