Trubel, Tempel, Tee und Meer

Gedanken zur Rad-Tour  durchs Land der Tamilen im Februar 2018

 

Nach einem entspannten Spaziergang am Morgen des 01. Februar mit meinem Weibe hin zur Straßenbahn und der immer noch und immer wieder emotionalen Verabschiedung wird es gleich in Köln-Deutz turbulent. Zwar steige ich pünktlich in meinen ICE zum Flughafen nach Frankfurt ein, jedoch nach 5 Minuten werden wir aufgefordert auszusteigen, da die Strecke wegen eines liegengebliebenen Zuges gesperrt sei und dieser nun hier ende.

Wie andere Gäste auch sehe ich meinen Flieger schon ohne mich abheben. Kurzzeitig erwäge ich ein Taxi zu nehmen, der angesprochene Fahrer nennt mir einen Preis, der weit über dem des Flugtickets nach Indien liegt. Ich versuche klare Gedanken zu fassen und mich mit dem scheinbar unabänderlichem zu arrangieren, wieder nach Hause zu fahren und für den Folgetag einen sicher unverschämt teuren neuen Flug zu buchen. Da höre ich die Ansage, dass der nächste Zug nach Frankfurt pünktlich, aber auf einem anderen Gleis einfahren soll. Ich hetze hinüber, steige ein und erreiche tatsächlich meinen Flug. Nur fühle ich einen emotionalen Verschleiß, wie ich ihn bisher nicht kannte. Es dauert einige Zeit, bis Atmung und Puls sich beruhigt haben.

Die Tücken der Anreise indes, sie sollten noch nicht vorüber sein. In Madras/Chennai versteht der nette Herr am Schalter für die prepaid-Taxis den Namen des Hotels, welches ich ihm nenne, offensichtlich falsch. Zwar wundere ich mich ob des sehr günstigen Preises, steige aber erst einmal ins Taxi ein. Unweit des Flughafens will mich der Fahrer dann auch gleich in einer sehr fragwürdigen, alles andere als Vertrauen erweckenden Gegend los werden. Ich nenne ihm Namen und Anschrift meines gebuchten Hotels und er fällt aus allen Wolken. Das sind mindestens 25 km und er nennt eine Preisvorstellung, die unverschämt zu bezeichnen noch höflich wäre. Es beginnt also das Gezerre und Gefeilsche, welches ich vermeiden wollte. Immerhin bringt er mich dann schnell zu meinem Ziel und der Preis ist letztendlich für ihn sicher gut, auch wenn er anderes kundtut. Und für mich ist er verschmerzbar.

Elizabeth und Frank, meine ersten beiden Gäste, die bereits vor mir angereist sind, lerne ich später am Tage kennen. Sie sollten von einem Fahrer des Hotels abgeholt werden, was mir und meinem Partner Josey mehrfach bestätigt wurde. Das Hotel hat ihm sogar die Abholung in Rechnung stellen wollen. Nur wurden die beiden nie abgeholt. Nur gut, dass wir noch in Deutschland das Verhalten für diesen Fall abgestimmt hatten und die beiden das auch perfekt umgesetzt haben. Am Ende trifft es dann noch Rainer, der als letzter der Gäste anreist. Er ist sehr früh draußen und Josey etwas zu spät dran, so dass sie sich verfehlen, er sich ohne Geld ein Taxi nimmt und ich ihn quasi vor dem Hotel auslösen muss. Egal, am späten Samstagnachmittag sind wir alle erstmals als Gruppe vereint und unternehmen sogleich einen ersten kleinen Ausflug auf den sogleich angepassten Rädern.

Elizabeth reist leicht erkältet an und läßt sich am Samstag sicherheitshalber vor der Tour von einer indischen Ärztin checken und ist voll des Lobes über die Behandlung und noch mehr über den geradezu lächerlichen Preis dafür. Gleichzeitig erlebt sie einen skrupellosen Rikscha-Fahrer, der für das Warten und die Rückfahrt zum Hotel einen Mondpreis verlangt. Letztlich zahlt sie mehr für die Rikscha-Fahrt als für die Behandlung. Incredible India!

Bereits am Freitagabend bin ich von meinem in Chennai lebenden assamesischen Freund Roheen zum Abendessen zu ihm nach Hause eingeladen. Ich darf auch Josey, Elizabeth und Frank mitbringen. Zunächst versetzt uns das bestellte Uber-Taxi, so dass wir in den Genuss einer Rikscha-Fahrt in der abendlichen Rush Hour von Chennai kommen, was besonders für meine gerade angereisten Gäste ein ultimativer Einstieg in ihr Indien-Abenteuer ist. Roheen und seine japanische Frau bescheren uns dann einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben und exzellentes indisches Essen in teilweise japanischem Ambiente dazu.

Am Sonntag, 04.02. tragen wir dem Wunsch zweier Teilnehmer Rechnung und radeln direkt vom Hotel durch den Morgenverkehr nach Süden und damit die gesamte Strecke nach Mahaballipuram. Die anderen folgen unserer Empfehlung und schwingen sich erst nach ca. 25 km auf die Räder. Alle erreichen wir entspannt diesen kleinen Ort mit seinen über tausendjährigen Tempelanlagen.

Neben dem Besuch der immer wieder beeindruckenden Tempel wird mir von der diesjährigen Tour unser Kampf gegen das hiesige Bierkartell in Erinnerung bleiben. Nach einem Spaziergang am Meer lade ich Josey zu einem Bier ein, ohne vorher nach dem Preis zu fragen. Als wir dann um die Rechnung bitten haut es uns fast vom Hocker, hat sich doch der verlangte Preis seit dem letzten Besuch vor einem Jahr von 150,- auf nun 300,- Rupien (ca. 4 Euro) glatt verdoppelt. Wir weigern uns schlicht, diesen Preis zu bezahlen. Es entspinnt sich ein hartes Ringen mit Drohungen des Wirtes, die Polizei zu rufen, unserem Gelächter darüber und so manchem, was hier nicht erwähnt werden soll. Letztlich erhalten wir ein Angebot, 2 volle Flaschen zu besorgen und dem Wirt quasi rück zu erstatten. Josey ruft seinen Fahrer an, dieser besorgt in einem staatlichen Weinshop die gewünschte Ware und löst ihn damit aus der Festsetzung im Restaurant aus. Dieser Erkenntnisgewinn zahlt sich sogleich beim abendlichen Seafood-Essen in einem urigen Strandlokal aus, wo ich das Bier 20% günstiger verhandle als die anderen Touristen und auch beim Essen ordentliche Rabatte bei den allerdings kriminell hoch angesetzten Preisen für uns heraushole. Vor allem aber macht es Spaß und der tagesfrische Fisch schmeckt so, wie es halt nur in einem Fischerdorf möglich ist.

Am kommenden Morgen kommt es bei der Besichtigung der berühmten 5 Rathas erneut zu einem bisher nicht gekannten rauen Zusammenstoß mit einem Vertreter der Gilde selbst ernannter, vermeintlich staatlich geprüfter Guides. Als zunächst Josey und später ich den Gästen die Besonderheiten hier erklären, attackiert uns ein Männlein mit einem selbst gefertigten Schild mit der oben genannten Aufschrift und verlangt lautstark, dass er die Führung übernimmt oder wir ihm einen unverschämten Betrag für unser angeblich unberechtigtes Tun übergeben. Da wir ihn ignorieren wird er sogar handgreiflich und es dauert einen Moment, bis sich die Situation entspannt. Um ähnliches für den weiteren Verlauf der Reise auszuschließen, briefe ich alle Gäste nun vorab und wir schlendern scheinbar plaudernd an den Dingen vorbei, die es wert sind, erklärt zu werden. Dabei möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass wir immer im Auge haben, Einheimische fair zu behandeln und auch angemessen finanziell zu unterstützen. Aber gegen Mafia-ähnliche Drohgebärden wissen wir uns wohl zu wehren.

Dienstags, 06.02.  fahren alle bei freundlichem Rückenwind trotz der intensiven Sonne die 98 km langen Etappe nach Pondicherry komplett durch. Wir verneigen uns besonders vor Barbara und Rainer, die beide bereits tief im achten Lebensjahrzehnt stehen und gut als Vorbilder auch für viele Jüngere taugen. Mittwochs, 07.02. unternehmen wir einen uns doch nachdenklich stimmenden Besuch in die friedvolle Musterstadt Auroville. Die Ideen des aus Bengalen stammenden Kämpfers für die Unabhängigkeit Indiens vom britischen Empire, Sri Aurobindo, wonach hier Menschen aus der ganzen Welt unabhängig ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe friedvoll eine neue humanistische Gesellschaft gestalten sollen, materialisieren sich doch sehr langsam. Vieles wird noch lange ein Wunsch, wenn nicht Traum bleiben.

Am Donnerstag, 08.02. starten wir früh und frühstücken wie üblich bestens südindisch im Molloch Cuddalore. Am Wegesrand bestaunen wir die Künste der Spinner, Weber, und Seilmacher, die aus den Fasern der Kokosnuss Stricke, Seile, Läufer, Matten, Abtreter und anderes herstellen. Nebenan sind es versierte Tischler, die von Hand ku
nstvolle Tür- und Fensterrahmen mit landestypischen Gravuren erzeugen. Aufgrund des unverhältnismäßigen Verkehrsaufkommens, das selbst mich ob des überlauten Gehupes und der Abgase erheblich nervt, werden wir auf diesem Abschnitt künftig teilweise eine andere Strecke näher am Meer entlang fahren und einen Vorschlag von Frank einbauen. Wir machen einen kurzen Abstecher in die Mangrovensümpfe von Killai. Am späten Nachmittag dann werden wir im Nataraja-Tempel von Chidambaram  Zeugen einer beeindruckende Performance im klassischen indischen Tempeltanz. Hier im Shiva als Weltgott des Tanzes gewidmeten Tempel vereinen sich Umgebung und die Leistung der Solistin zu einem ergreifenden Erlebnis, für welches wir sehr dankbar sind.

Ab Freitag, 09.02. sind wir endgültig im ländlichen Indien angekommen, der Verkehr wird bis auf einige Ortsdurchfahrten erträglich und am Wegesrand gibt es immer wieder viel zu sehen, also Gründe für interessante Pausen. Mal sind es monumentale Prozessionswagen der vielen beeindruckenden Tempel, die geschmückt werden für bevorstehende Tempelfestivals, mal Frauen, die aus den Wedeln der Kokospalmen überdimensionale Fächer flechten, welche als Dachbedeckungen oder Sichtschutz benötigt werden. Oder wir dürfen die nicht ganz ungefährlichen Aktivitäten durchs Land ziehender Schmiede bestaunen, die die Bauern mit neuem landwirtschaftlichem Gerät ausstatten oder verschlissenes reparieren. Nahe Kumbakonam erhalten wir nach einem morgendlichen Tempelbesuch Einblicke in die Seidenweberei, konkret in die Herstellung von Saris und Seidenschals. Letztere, erklärt uns der Eigentümer eines kleinen Familienbetriebes stolz, werden von 9-10-jährigen Mädchen hergestellt als Schritt auf dem Wege zu einer späteren Sari-Weberin. Kritische Gedanken an Kinderarbeit verschwenden Sie hier keine, zumal alle auch zur Schule gehen. Ein wenig werde ich an meine Kindheit auf dem Bauernhof erinnert. Ich durfte auch beizeiten mit anpacken und war stolz darauf. Die ideologische Debatte im Westen zu diesem Thema verstört mich immer wieder. Hier in Südindien wird sie komplett nicht verstanden.

In den Zielorten sind es neben dem allgegenwärtigen Müll und dem oft ohrenbetäubenden Lärm vor allem die teils über tausendjährigen Tempel mit ihren oft filigranen Skulpturen und Malereien, die uns beeindrucken. Oft kommt es zu herzlichen Gesprächen mit Einheimischen, immer wieder werden wir gebeten, uns für gemeinsame Erinnerungsfotos zur Verfügung zu stellen. Ein Wunsch, dem wir stets gern nachkommen. In Thanjavur nehmen wir uns am Sonntag, 11.02. den ganzen Tag Zeit,um neben dem beeindruckenden, einmal nicht bunt bemalten Brihadeshvari-Tempel auch den langsam verfallenden historischen Palast und die ihn umgebende Altstadt zu besuchen. In der noch immer prächtigen Empfangshalle des Maharajas kann man eine sehr plastische Vorstellung davon erhalten, wie eingeschüchtert Besucher aus der ländlichen Umgebung ob der Größe und Pracht reagiert haben müssen. Welch einen Kontrast stellt dann der Gang durch die engen schmutzigen und schmerzhaft lauten Gassen der Altstadt dar. Zum Glück haben wir am Nachmittag viel Zeit zur Muße, ehe es am Montag weiter ins Land der berühmten Kaufmannsgilde der Chettiars geht.

Erstmals wählen wir am Montag, 13.02. wegen der Erweiterung der direkten Verbindung über Pudukottai den längeren Weg ins Chettinad über untergeordnete Straßen etwas östlicher. Wir werden belohnt mit weniger Verkehr, viel buntem ländlichen Treiben und meist ordentlichem Untergrund. Auch meint die Sonne es wieder gut mit uns. Sie versteckt sich über weite Strecken hinter Wolken. So kommen wir nach gut sieben erlebnisreichen Stunden und gut 100 km Fahrt nicht zu kaputt im Land der Chettiars an. Nach etwas Erholung gönnen wir uns am Abend ein typisches Dinner der berühmten hiesigen Küche in durchaus würdigem Ambiente eines wieder aufgemöbelten ehemaligen Herrenhauses, welches die Extravaganz vergangener Tage erahnen lässt. Auch entdecken Frank und Peter einen zwar etwas abseits gelegenen, aber zum Hotel gehörenden kleinen Swimmingpool, dessen Existenz mir bisher unbekannt war.

Bevor wir nach Madurai weiter radeln, lassen wir es am Dienstag, 14.02. gemächlicher angehen und besuchen in der näheren Umgebung die berühmten Fliesenmanufakturen und das altehrwürdige Fort von Thirumayam. Nach einer gemütlichen Runde im Ochsenkarren vorbei an den verfallenden Schönheiten des Ortes erfahren wir am Abend bei einem zwar kulinarisch nur bedingt überzeugenden Dinner im Innenhof des Chetinnad Mansion sehr authentisch die Atmosphäre der Superreichen von vor 100 Jahren – einmalig!

Am Mittwochmorgen, 14.02. sind es nach einem kräftigen Frühstück Dutzende prachtvoller Pfauen, die auf unserem Weg nach Madurai quasi Spalier stehen. Später wird es deutlich wärmer als in den Vortagen. Trotzdem rollen wir alle gut durch den Vormittag, drei von uns sogar durch die Glut am Mittag und mit der Verkehrswalze bis zum Royal Fort Hotel in die Altstadt von Madurai. Abends genießen wir vom Dach des Hotels Supreme neben den leckeren vegetarischen Versuchungen den immer wieder beeindruckenden Blick auf den Sri Meenakshi Tempel. Diesem und der brodelnden Altstadt widmen wir zunächst gemeinsam, später jeder auf seine Weise den gesamten Donnerstag.

Drei von uns, die bis hier her komplett durchgefahren sind, schließen am Freitagmorgen, 16.02. erstmals Bekanntschaft mit unserem Begleitbus, da es die Strecke bis Theni (ca. 80 km) per Transfer zu überbrücken gilt. In den wärmer werdenden Tag hinein machen wir uns dann auf den Weg ins Cumbum-Tal. Dieser ist erneut gesäumt von endlosen Reis- und Gemüsefeldern, die in den unglaublichsten Grüntönen leuchten. Am Ende des Tales mit seinen hier in der Gegend sehr geschätzten Weingärten erreichen wir „die Wand“ nach Kumily, in der wir alle leiden. Vor allem sind es die hohen Temperaturen, die uns zu schaffen machen. Aber außer unserem Senior Rainer, der vernünftiger Weise Maß hält und sich ein Stück weit hoch fahren lässt, bewältigen alle diese Herausforderung. Ich ziehe meinen Hut vor allem vor unseren beiden ihrer Jugend doch lange entwachsenen Damen.

Für den Samstag, 17.02. haben wir eine Mischung aus Radeln und Erkenntnisgewinn im Angebot. Nach kurzem Warmfahren im kühlen Morgen werden wir von Mr. Abraham in seiner Farm mitgenommen auf einen so unterhaltsamen wie lehrreichen Spaziergang durch die Welt der Gewürze, tropischen Blumen und Kräuter. Wenig später nur, aber einige hundert Meter höher stoppen wir erneut, nun in einer Teeplantage und folgen mit großem Interesse der Einführung in die Herstellung dieses wundervollen Getränkes am dafür bestens geeigneten Ort, einer noch nach Methoden und mit Maschinen aus der Zeit des britischen Empires arbeitenden Teemanufaktur. Nach einer traumhaften 20 km langen Abfahrt hinunter in die Welt der Kautschukplantagen und einem weiteren Transfer erreichen wir am Abend die berühmten Backwaters von Kerala und werden für die Strapazen des Tages mit einem fast kitschig schönen Sonnenuntergang über dem See vor unserem Hotel belohnt.

Am Sonntag, 18.02. nehmen wir uns viel Zeit, um mit den Rädern zuerst auf den Deichen hautnah das Leben der Einheimischen in Ihrer für uns paradiesisch erscheinenden Umgebung zu teilen. Später geht es dann am Arabischen Meer bei den Fischern zurück über Alleppey ins Hotel. Vorher jedoch „zwinge“ ich meine Gäste, einen lokalen Toddy-Shop zu besuchen und den nur hier erhältlichen berühmten leicht alkoholischen Trank der kleinen Leute zu probieren. Dieser vergorene Palmsaft ist für alle nicht nur ein neues Geschmackserlebnis, sondern viel mehr ist es die Umgebung, das keinen deutschen Hygienestandards standhaltende Ambiente, was diesen Moment so authentisch, so einzigartig macht. Abgerundet wird dieser intensive Tag dann vom Abendessen im über 100-jährigem Haus meines Partners Josey, wo wir in stilvoller Umgebung weitere bisher ungekannte Spezialitäten der hiesigen vegetarischen und Fisch-Küche kennenlernen.

Auch entspannt sich ein i
ntensives Gespräch über das Thema Liebes- oder arrangierte Heiraten, das Zusammenleben zwischen Mann und Frau und generell den Wert der Familie für den Einzelnen und die hier noch sehr traditionelle Macho-Gesellschaft. Offensichtlich gelangen einige von uns an diesem Abend zu wirklich neuen, auch bedrückenden Erkenntnissen zum Schicksal der Frauen. Zumindest tun sie sich schwer, das Gehörte zu akzeptieren. Aber wir haben ja noch Zeit für weitere Gespräche und manchmal brauchen so schwerwiegende Themen einfach auch nur Zeit zur persönlichen Verarbeitung.

Nach diesem ereignisreichen Sonntag folgt ab Montag, 19.02. die verdiente Entspannung. Wir radeln am Morgen wenige Kilometer zur Boat Jetty (Anlegestelle) in Alleppey und begeben uns in einem von der staatlichen Tourismusbehörde gestellten Boot auf eine 84 km Tour durch die verschiedenen Landschaften der Backwaters nach Kollam. Heute müssen wir nicht auf den Verkehr achten und können uns ganz dem Geschehen am Rande der Kanäle hingeben. Alle sind wir begeistert von der Mittagspause. Binnen 20 Minuten wird für alle Gäste und die Crew in einem kleinen Lokal am Ufer ein leckeres vegetarisches Essen auf Bananenblättern serviert. Wer möchte, kann noch einen frittierten Fisch dazu nehmen. Abschließend gibt es neben dem obligatorischen Wasser noch einen Tee oder Kaffee. Super Essen, rasanter Service und fast keinen Abwasch und Abfälle. Das haben die meisten von uns so noch nicht erlebt. Kollam empfängt uns am Abend mit der üblichen Hektik Es ist noch immer eher schmuddelig. Angenehm empfinden wir die nachlassende Hitze jetzt am Abend und unser freundliches zentral gelegenes Hotel Nani. Deren vegetarische Küche und besonders ihr Original südindischer Kaffee im viel zu kalten Restaurant sind so beeindruckend wie der Service hilflos und überfordert ist.

Zurück ans Meer heißt es am Dienstag, 20.02. Wir radeln nur kurze, aber eindrucksvolle 25 Kilometer meist direkt am Meer oder am Brackwasser oder zwischen beiden entlang. Es macht einfach nur Spaß und noch am späten Vormittag checken wir ins Radhjani 5th Season Hotel am Varkala Cliff ein. Es ist dies ein durchaus stilvoller Individueller Rückzugsort in einem ruhigen Garten nahe der etablierten Touristen-Meile. Ab hier kann sich jede/r auf seine Art entspannen. Natürlich ruft der schöne Strand mit seinen spektakulären Wellen. Und weiter geht es am Mittwoch, 21.02. zunächst erneut am Meer entlang dem nicht minder berühmten Kovalam Beach entgegen. Lediglich die letzten 10 km sind echt beschwerlich, bewegen wir uns doch auf teils erheblich ansteigendem Untergrund. Dieser ist entweder noch Baustelle, oder der bereits teilweise fertig gestellte neue Highway von Trivandrum nach Süden.

Durch unseren frühen Start erreichen wir das Sagara Beach Hotel, den diesjährigen Endpunkt unserer Radfahraktivitäten schon gegen Mittag. Nunmehr ist Relaxen angesagt, wofür der Ort und auch unser Hotel beste Möglichkeiten bieten. Joseys Idee, zum Abschluss noch einmal in ein „tolles“ Hotel zu bieten, kommt leider bei unseren Radfahrern überhaupt nicht an. Da es in diesem großen Hause noch vermeintlich bessere als die von uns gebuchten, weil mit Meerblick ausgestattete Zimmer gibt, werden am Ende genau diese auch von uns erwartet. Damit hatten wir ehrlich nicht gerechnet und müssen uns eingestehen, dass wir da etwas blauäugig an der menschlichen Psyche vorbei agiert haben. So sehen wir denn am Ende statt in strahlende Augen in betrübte Gesichter. Schade! Immerhin upgraden Elizabeth und Frank ihr Zimmer auf eigene Rechnung und haben, da sie zwei Tage länger bleiben, sicher die für sie richtige Entscheidung getroffen.

Wir jedenfalls werden bei der kommenden Tour wieder zu unserem bewährten Prinzip zurück kehren, also zu einer kleinen sympathischen Anlage in der zweiten Reihe, zwar ohne Meerblick, dafür ohne Hektik im Frühstücksrestaurant, Dauerbeschallung und Strandtrubel. Diese Option hat allen ja zwei Tagen vorher super gefallen.

Am Donnerstag, 22.02. machen wir uns im Bus auf an die Südspitze des Subkontinents, einen für die meisten Inder heiligen Ort, der für sie Beginn und Ende des Territoriums ihrer großen Nation verkörpert, wo am Zusammentreffen dreier Meere nach seiner Ermordung die Asche Mahatma Gandhis verstreut wurde, wo die von Shiva verschmähte, dem Ort ihren Namen gebende Göttin Kanyakumari ihren Sitz hat. Ein Ort von großer Symbolkraft und spiritueller Bedeutung, für den viele Einheimische erhebliche Strapazen auf sich nehmen, ein Ort auch von wachsender Bedeutung für den innerindischen Tourismus. Wir erwischen einen vergleichsweise besucherarmen Tag, müssen für die Überfahrt mit dem Boot auf die vorgelagerten Felsen des Vivekanada-Memorials und der Thiruvalluvar-Statue überhaupt nicht warten und erhalten für einen kleinen Obulus von einem seit über dreißig Jahren davon lebenden indischen Original eine nicht notwendige, aber durchaus sympathische Führung durch die zu Ehren Gandhis errichtete Gedenkstätte an diesem spektakulären Ort.

Am Abend vereinen wir uns alle letztmals während dieser Tour in einem netten Gartenlokal zu einem leckeren Seafood-Dinner. Unter dem Strich war es für alle eine gelungene Tour. Wir hatten, was in all den Jahren wohl noch nie vorkam, nach über 900 km keinen einzigen Platten zu verzeichnen und auch sonst nur Kleinigkeiten an den Rädern zu korrigieren. Alle blieben von Unfällen und ernsthaften Erkrankungen verschont und auch bei den Unterkünften gab es zwar die eine oder andere Überraschung für mich, aber in der Gesamtheit haben wir unsere Gäste wohl eher positiv überrascht, denn enttäuscht.

Das Essen ist bei einer jeden Reise, besonders aber in diesem an Eindrücken und Reizen überreichen Südindien einer der Schlüssel, mit dem man sich diese andere, noch dazu so exotische Welt erschließen kann und sollte. Noch konkreter geht es um die richtige Vermischung der einzelnen Zutaten eines jeden, hier meist vegetarischen Gerichtes – am besten mit der (reinen) rechten Hand, so wie die Einheimischen es tun. Der Reis oder das Brot allein sind für sich oft enttäuschend fade, die Curries hingegen überfordern den Gaumen schlicht mit ihrer für den Europäer zu intensiven Vielfalt an Aromen, von der Schärfe nicht zu reden. Erst durch das richtige Kombinieren entwickeln sich jene unvergleichlichen Glücksmomente, die so manchen haben süchtig werden lassen nach dieser noch dazu meist sehr gesunden Kost. Mit dem Besteck ist dies nur höchst rudimentär machbar. Leider ist es den Teilnehmern dieser Reise trotz einiger vielversprechender Versuche nicht wirklich gelungen, sich diesen neuen Kosmos zu erschließen. Allen künftigen Gästen sei hier mehr Mut und Durchhaltevermögen empfohlen.

Wahrscheinlich habe ich während der Tour mal wieder viel zu viel geredet. Liebe nun ehemalige Gäste, dies geschah in bester Absicht, Euch mit einem Maximum an Information über dieses von mir so geschätzte unglaubliche Indien auszustatten. Möge sich alles bei Euch in den kommenden Tagen und Monaten zu einem vielschichtigen, im Grunde positiven Bild über das Land und die Menschen, welche wir treffen durften, formen. Das wäre der Lohn, der für mich zählt!

 

 

Radfahrtage:                      14-15

Gefahrene Rad-km:          ca. 850-900

Höhenmeter:                     ca. 1.500, verteilt auf 2 Tage, sonst flach

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