Holi, Radfahren und mehr im März 2018

Pünktlich zum 01. März reisen neun Gäste und ich als deren Guide in Bombay an, um zu unserer traditionellen Radtour über Goa bis tief in den Süden nach Kerala aufzubrechen.

Es sollte 30 Jahre für mich dauern, um es ein zweites Mal nach der überwältigenden Erfahrung in den 1980ern zum farbenfrohen Frühlingsfest der Hindus in die Metropole Maharashtras zu schaffen. Seit fünf Jahren fahren wir nun schon im März mit den Rädern entlang der Konkkan- und der Malabarküste und hatten dabei auch im ländlichen Karnataka eindrucks- und farbenvolle Erlebnisse. Aber Bombay stand in Gedanken bei mir immer über allem – nur wir waren nicht dabei.

Die Erwartungshaltung also ist zumindes bei mir entsprechend, als wir uns zu zehnt hier treffen. Die Anreise verläuft für alle relativ entspannt, lediglich Dirk muss 24 Stunden länger auf sein Gepäck warten. Unser Anreisetag fällt mit dem Vorabend des Holi-Festes zusammen. Wir erspähen bei unserem ersten Spaziergang bereits einige vorsichtig gefärbte junge Männer. Auf den Märkten in Colaba ist nicht zu übersehen, dass neben all den üblichen Ständen mit Obst, Gemüse, Fisch und allerlei Tand die, die Tüten mit bunten Farben verkaufen, deutlich hervorstechen. Auch werden im Fischerdorf selbst in der Nähe der Tempel diverse Bühnen und Schmuckelemente in Position gebracht. Alle sind sie irgendwie angespannt, die Vorfreude ist in den Gesichtern ablesbar.

Am kommenden Morgen ist es ungewöhnlich diesig. Bei der Überfahrt nach Elephanta Island ist von der sonst beeindruckenden Skyline absolut nichts zu sehen. Aus der Tageszeitung erfahren wir, dass dies kein extremes Wetterphänomen ist, sondern dass die Ursache im massenhaften Abbrennen von Feuerwerk und Böllern jeder Art durch die meist männlichen Holi-Aktivisten in der vergangenen Nacht besteht.

Da der Freitag wegen des Festes ein Feiertag ist, erleben wir bei unserer nachmittäglichen kleinen Stadtrundfahrt ein ungewöhnlich ruhiges und menschenarmes Colaba und Bankenviertel. Die erhofften wild feiernden und bis zur Unkenntlichkeit mit Farben bemalten jungen Leute finden wir dann auch, jedoch meist in Nebengassen oder Innenhöfen. Man sagt uns, dass die Wohlhabenden aus unserer Gegend sich gern aus all dem Trubel heraus hielten und dies den „einfachen Leuten“ überließen. Wir nicht. Wir stürzen uns gern ins fröhliche Getümmel, werden begeistert aufgenommen und in der Folge ob unserer deutlich sichtbaren farblichen Markierungen von ungezählten Unbekanten mit dem Ruf des Tages „Happy Holi!“ begrüßt, den wir stets laut und freundlich erwidern. Alle haben wir unseren Spaß.

 

Am Samstagmorgen zwingt uns die unchristlich frühe Abfahrtzeit unseres Zuges nach Goa zu einem morgendlichen Gewaltritt zum auch um diese Zeit immer belebten und von auf den warmen Steinfußböden meist noch schlafenden Wartenden berühmten Chhatrapati Shivaji Bahnhof. Noch vorher lerne ich, dass ich am Vorabend zum zweiten Mal Großvater geworden bin, da meine Tochter einem 4,5 kg schweren Wonneproppen das Leben geschenkt hat.

Auf dem Bahnhof dann die nächste höchst erfreuliche Überraschung. Wir werden zu einem ultramodernen Zug geleitet. Ich traue meinen Augen kaum und will zunächst gar nicht einsteigen. Nachdem mir das Personal bestätigt, dass es sich sehr wohl um unseren Zug und auch um die entsprechend vorgebuchten Sitze handelt, bitte ich meine Mitreisenden einzusteigen. Sogleich ernte ich deren Spott, da alle meine vorher gemachten Beschreibungen des bisher von uns genutzten klimatisierten Schlafwagens ad absurdum geführt werden. Nichts ist es mit den gewöhnungsbedürftigen Liegen und der seltsam riechenden Bettwäsche in den offenen, meist viel zu kalten Abteilen. Wir sitzen in einem durchaus mit den heimatlichen ICE-Zügen vergleichbaren modernen Gefährt der Indischen Eisenbahn, von dem ich bis eben nicht einmal annahm, dass so etwas bereits auf den Gleisen des Subkontinents rollen würde.

Und wie es rollt. Wir starten fast pünktlich und erreichen Goa nach nur 8,5 h. Erneut machen sich meine Gäste einen Spaß daraus, mir meine angekündigte Fahrzeit von 14-16 h vorzuhalten. Das nehme ich in Anbetracht der frühen Ankunft in Goa aber gern in Kauf. Zumal wir dadurch sogar noch einen ungeplanten Abstecher nach Alt Goa machen können, was bisher meist nicht möglich war.

Unbedingt erwähnen muß ich die bisher ungekannten Maßstäbe in puncto Service und Sauberkeit im Zug. Wir erhalten neben Wasser, Tee und Frühstück auch noch ein üppiges überaus leckeres Mittagessen. Schade nur, dass die automatisch schließenden Türen nichts mehr vom alten Feeling des in der geöffneten Tür Fahrens zulassen. Auch die vielen fliegenden Händler haben keinen Zugang mehr zu uns. Etwas melancholisch muss ich feststellen, dass auch hier die Zukunft begonnen hat. Toll und irgendwie aber auch schade.

Am Sonntagmorgen ist es endlich so weit. Die Räder warten auf uns und werden schnell individuell angepasst. Die meisten von ihnen sind fabrikneu und machen uns hoffentlich in den kommenden 3 Wochen vor allem Freude. Allerdings hat Josey trotz der angekündigten Trekking-Bikes wieder Mountainbikes, nun jedoch mit 29 Zoll Laufrädern und 27-Gangschaltung erworben. Es gab wohl zu viel Kritik an den im Vorjahr neu erworbenen Rädern, besonders an deren in bergigem Terrain ungeeigneter Übersetzung. Ich hätte mich gefreut, in die finale Kaufentscheidung einbezogen zu werden. Nun ja, so ist er halt, mein meist zuverlässiger Partner Josey.

Da die Gezeiten unser erstes Highlight, das Radeln am bei Ebbe zementharten Strand, erst am späten Nachmittag ermöglichen, disponieren wir um und unternehmen am Morgen erstmals ein entspanntes Einrollen in nördliche Richtung, gekrönt von einer Umkehr-Erfrischungs-Pause am einsamen Strand.

Der späte Start zur eigentlichen Tagesetappe beschert uns tolles Licht und auf dem Rückweg radeln wir in die sich in die arabische See verabschiedende Sonne hinein. Es entstehen einige fast schon kitschig schöne Radler-Fotos. Als ob das nicht reichen würde arrangiert mein alter Freund Johnny direkt am Strand abends ein nur von Kerzen und Dirks Stirnlampe beleuchtetes Seafood- und Fisch-Dinner vom Feinsten. Wir beenden es erst, als die einsetzende Flut warm unsere Füße umspült…

Nur Josey jammert ob des Sandes und des Salzes, was in erheblichen Mengen auch an den schönen neuen Rädern klebt und trotz intensiven Bemühens nicht vollständig entfernt werden kann. Probleme mit den Schaltungen sind für die kommende Tage wohl nicht auszuschließen, sagt er. Er wird leider ein Stück weit recht behalten.

Montag ist Werktag und auf unserem Weg nach Palolem müssen wir nach einem Original Indischen Frühstück am Straßenrand bei einigen zu bezwingenden giftigen Anstiegen auch wirklich schwer in die Pedalen treten. Alle tun dies bewundernswert und so erreichen wir unsere urige Bleibe für die kommende Nacht bereits in der Mittagsstunde. Schön so, zählt doch an diesem paradiesischen Flecken jede Minute doppelt. Auch wenn wir am ersten richtigen Radfahrtag eine solide Teamleistung hingelegt haben, so ist es mir ein Bedürfnis, unserem Senior Harald ein Riesenkompliment auszusprechen. Kaum ein anderer, der seinen 80. Geburtstag schon in Sicht hat, wird zu dieser Leistung in der Lage sein, die auch uns Jüngeren so leicht nicht gefallen ist. Super!

Entschädigung für die Mühen des Vormittags sind dann entspanntes Strandleben am Palolem Beach und das für die meisten doch ungewohnte Erlebnis der einfachen Strandhütten mit neben dem Meeresrauschen vielen weiteren Geräuschen und Gerüchen. Indien ist auch hier wieder eine komprimierte Erfahrung für alle Sinne.

Der Dienstag führt uns nach dem Frühstück im vegetarischen Udupi-Lokal über Nebenstraßen zunächst am Meer entlang und später durch das Cortigao Wildlife Reserve. Vor der größten Hitze des Tages erreichen wir Karwar und versuchen erstmals den südindischen vegetarischen Mittagsklassiker „Veg. Thali“ – der eine mehr, der andere weniger. Mir
schmeckt’s wie immer vorzüglich.

Anstrengend wird dann am Nachmittag der wegen der Bauarbeiten zur Erweiterung der Küstenstraße notwendige Transfer. Unsere indischen Partner vollbringen hier eine kleine logistische Meisterleistung, in dem sie in ihren Kleinbus uns 10 Radler, unsere Fahrräder und auf dem Dach unser Gepäck unterbringen. Das ist, freundlich ausgedrückt, eine erste intensive, im wahrsten Sinne komprimierte Erfahrung indischer Gebräuche. Ich bin während des gesamten Transfers im engen Körperkontakt zu meinem Nachbarn Franz, Luft zum Atmen besorge ich mir, in dem ich das Fenster weit öffne und meinen Kopf in den Fahrtwind strecke. Als ich die für uns schwer zu akzeptierende Enge moniere reagieren meine Inder mit Unverständnis. Jeder Gast hat doch einen eigenen Sitzplatz, was also ist unser Problem? Als ich es zu erklären versuche spüre ich einmal mehr, wie weit wir doch in unseren Ansprüchen in diesen Fragen voneinander entfernt sind. Für meine größer gewachsenen Gäste werden die Transfers also zu einer echten Herausforderung, die wir aber mit zunehmender Erfahrung und kürzer werdenden Strecken bald ruhig ertragen.

Mit etwas Abstand möchte ich hinzufügen, dass die zunächst schwer zu akzeptierende Situation bei mir und auch einigen Gästen das Nachdenken darüber angeregt hat, wieviel vermeintlich unverzichtbaren Komforts in gewissen Lebenssituationen, z.B. bei unseren Transfers wirklich nötig ist. Für die Asiaten gelten da wohl andere Maßstäbe als im Westen. Ich maße mir nicht an zu befinden, wer hier zu kritisieren wäre.

Am Rande des Weges gibt es beim Stopp in der Salzlagune von Gokarna sehr authentische Einblicke in das harte Geschäft der Salzgewinnung und am Abend in Murudeshwar im Garten unseres Hotels die bizarre Situation, dass den versammelten Kellnern das Verfolgen einer TV-Übertragung von einem Cricket-Match wichtiger ist, als uns zu bedienen. Erst als ich demonstrativ den Beamer ausschalte widmen sie sich für kurze Zeit murrend ihrer Aufgabe, uns zu bedienen. Incredible India!

Nach einem weiteren morgendlichen Transfer machen wir uns am Mittwoch auf den Weg ins Landesinnere. Alle bewältigen wir die welligen 48 km bis an den Fuß der Western Ghats. Von hier an stellen wir es den Gästen frei, den Aufstieg nach Agumbe im Begleitbus oder auf dem Rad zu absolvieren. Welch eine Überraschung für mich, als Silke mich bittet, die Stecke zu Fuß in Angriff nehmen zu dürfen. Ich willige ein, sie läuft sofort los und tatsächlich treffen wir uns erst am vereinbarten Treffpunkt auf dem Berg. Sie hat es gemacht und ich habe wieder etwas dazu gelernt.

Wir anderen schaffen es auch, jedoch leiden wir dort, wo es keinen Schatten gibt, doch erheblich unter der Mittagssonne. Dafür gibt es dann im über 120-jährigen kühlen Herrenhaus neben einem vorzüglichen lokalen Mittagessen die Möglichkeit, sich ein Stündchen aufs Ohr zu hauen, bevor es nach Sringeri weiter geht. Alle nutzen das und rollen dann gut erholt im Express-Tempo zum Zielort.

Da dies kein touristischer, sondern vielmehr ein hinduistischer Pilgerort ist, stellt die Beschaffung des verdienten Feierabendbieres hier eine gewisse Herausforderung dar. Gemeinsam mit Jakob lösen wir auch diese Aufgabe und treffen uns am Abend auf dem Balkon unseres Zimmers zum nicht öffentlichen Verzehr des leckeren, „British Empire“ genannten Gebräus. Alle genießen wir offensichtlich diese für uns reiferen Semester nicht mehr alltägliche klandestine Zusammenkunft.

Auf dem weiteren Weg nach Hassan sind es einmal mehr die betörend nach Jasmin duftenden Kaffeeblüten, die jetzt im März unsere Sinne schier betäuben. Plantagenkaffee und vorher noch frisch gepresster Rohrzuckersaft mit Ingwer und Limetten sind weitere kulinarische Highlights, bevor wir dann für zwei Tage von den Speisen und anderen Annehmlichkeiten des Hoysala Village Resorts nicht genug bekommen können.

Nach dem Besuch des Tempels von Halebid am Freitag fordern unsere Gäste unsere ganze Flexibilität. Die einen wollen schnellstmöglich mit dem Bus zurück zum Hotel, eine zweite Gruppe radelnd möglichst Hassan umfahren und eine dritte eben genau ins Herz dieses Mollochs hineinradeln. Trotz eines ersten „Platten“ bei Josey bekommen wir das hin. Die drei, die mit mir einen Teil des Nachmittages in Hassan verbringen, genießen jede Minute und haben bei der Rückkehr ins Hotel strahlende Augen. Danke Ute, Joachim und John!

Zeitig geht es nach dem kräftigenden Frühstück am Samstag weiter dem Magneten Mysore entgegen. Der Großteil der Gruppe scheint so angezogen und durch die leicht abfallende Strecke so motiviert, dass es für viele kein Halten gibt und die Gruppe augenblicklich zerreißt. Zuviel Spaß macht den meisten heute das zügige Radeln. Schön, dass alle zeitweilig Enteilten sich an die Briefings halten und wir ohne „Verluste“ am Nachmittag in der Stadt der Maharajas eintreffen. Beim abendlichen Spaziergang durch die brodelnde Stadt und einige ihrer Märkte und Geschäftsstraßen können die meisten nicht verheimlichen, wie beeindruckt sie sind. Gut so!

Am Sonntagmorgen soll es wie üblich mit Rikschas oder den Rädern hinauf auf den Chamundi Hill gehen. Silke ist es erneut, die vorschlägt, den im Reiseführer erwähnten Auf- und Abstieg zu Fuß über die für Hindus auch spirituell bedeutsame Treppe anzugehen. Schnell findet sich eine große Mehrheit für diese Idee und so erlebe ich bei meinem 12. Aufstieg wieder einmal eine Premiere, die es in sich hat. Für uns gut Trainierte ist der Weg zu Fuß weniger fordernd als für die meisten anderen, die es wagen. Es ist vor allem das Erlebnis, die Hindus bei ihrem rituellen Verhalten auf der Treppe und am Rande zu beobachten und mit ihnen ins Gespräch kommen zu können. Hier eröffnet sich uns eine ganz andere neue Dimension des Indien Erfahrens. Ich werde es künftigen Gästen sehr ans Herz legen, diese Form zu wählen.

Erstmals sind wir am Sonntagabend in Mysore und kommen somit in den Genuss der einstündigen Beleuchtung des Palastes von 19 – 20 Uhr. Was für ein erneut farbenfrohes Spektakel, dem Tausende Zuschauer begeistert beiwohnen. Für uns ist es neben dem Dinner auf der Dachterasse unseres nächst dem Palast gelegenen Hotels der passende emotionale Abschluss eines an neuen Eindrücken überreichen Tages.

Montags starten wir 5:59 zum kurzen Transfer aus Mysore aufs Land. Klar, dass meine Gäste pünktlich sind. Aber auch unser indisches Team funktioniert völlig „unindisch“. Kurz nach sieben radeln wir in den frischen Morgen und werden schon nach wenigen Kilometern von einer sich formierenden Hochzeitsgesellschaft angehalten und zum Frühstück eingeladen. Wir verfolgen ein Weilchen das sich vor unseren Augen vollziehende farbenfrohe Schauspiel und sind uns doch nicht sicher, wann es denn ins Essen übergehen wird. So radeln wir weiter zum geplanten Frühstück ins Städtchen Chamrajnagar. Hier wird gerade die innerstädtische Infrastruktur grundlegend instand gesetzt. Straßen werden verbreitert, doch das Leben geht unverdrossen seinen Lauf, derzeit nur noch etwas staubiger als sonst, weshalb ständig Wasserwagen unterwegs sind und zumindest temporär für etwas roten Schlamm sorgen, bevor die unerbittliche Sonne alles wieder zu Staub verwandelt. Für alle, die sich trauen gibt’s hier erneut ein exzellentes vegetarisches Frühstück.

Das Radfahren ist heute unspektakulär, es rollt gut und bald müssen wir am Eingang zum Bandipur Wildreservat unsere Räder in den Bus packen, da die lokale Regierung uns wegen der Population an Wildelefanten seit einiger Zeit vom Rad zwingt. Das ist sicher nicht grundlos, wie uns wenig später drei unweit der Straße äsende Elefantendamen bewußt machen. Allerdings scheinen wir Ihnen herzlich egal zu sein, zeigt doch zumindest eine von ihnen demonstrativ ihr imposantes Hinterteil in unsere Richtung. Noch vor 14:00 Uhr kommen wir im Nest Inn Hotel in Masinagudi an und genießen sofort die ruhige, entspannte Atmosphäre hier. Irgendwie sind wir alle ruhebedürftig, aber nur ein wenig. Bereits am sp
äten Nachmittag machen wir uns per Jeep oder zu Fuß auf zu den hier unvermeidlichen Wildbeobachtungen.

Keiner wird dieses Mal enttäuscht, alle bekommen die wilden Elefanten und manch andere Spezies zu sehen. Ich genieße wieder die geradezu mystische Stimmung und die Stimmen des Regenwaldes am Fluss östlich vom Dorf. Über die Leistungen der ahnungslosen Jungen aus dem Hotelrestaurant sollte ich eigentlich eine gesonderte Story verfassen, ziehe es aber vor, es bei dieser Erwähnung zu belassen. Letztlich sind wir alle satt geworden, geschmeckt hat das meiste auch, nur bedurfte es eben des energischen Intervenierens durch Josey und mich, um zu diesem Ergebnis zu kommen.

Am Dienstag unternimmt das Gros der Gruppe einen wunderbar entspannten Ausflug durch das Habitat der wilden Tiere hin zum Aufstieg nach Ooty. Dort gibt es zur Zeit ein neues Restaurant, welches sich in Ausstattung und Service deutlich von anderen in dieser Gegend abhebt. Wir buchen sogleich auch das Dinner bei ihnen und verleben einen entspannten Abend. Nicht so entspannt ist das, was die drei berichten, die den kompletten Aufstieg nach Ooty wagen. Auf dem Rückweg vom Pass werden sie am Forest Checkpost am Weiterfahren gehindert mit der Begründung, dass dies zu gefährlich für Radfahrer sei. Franz ignoriert den Posten einfach und kommt wieder gut im Hotel als Erster der Gipfelstürmer an. Mittels Jeep gelingt es Josey und den anderen beiden dann auch, diese neue Hürde zu meistern. Für die Zukunft werden wir uns eine Alternative einfallen lassen, vielleicht verzichten wir ganz auf Masinagudi und fahren künftig über die Kodagu-Region nach Kerala.

In der Nacht zum Mittwoch läßt mich eine offensichtliche Magenverstimmung kaum zur Ruhe kommen. Ich steige an den kommenden zwei Tagen zwar auf’s Rad und führe die Gruppe durch den Vormittag und bis zum Hotel. Aber die spannenden Punkte wie den Besuch der alten Gummimanufaktur oder des ayurvedischen Kräutergartens in Kottakkal muß ich Josey überlassen. Ich liege derweil im Hotelzimmer im Bett und schwitze meine Indisposition aus. Indische Freunde versorgen mich mit frischem Kokossaft, meine Tochter mit einem neuen Bild meines nun 12-tägigen Enkels. Den Rest überlasse ich wie immer meinem Körper. Der wird es schon richten.

Ab Freitagmorgen fühle ich mich wieder bei Kräften und wir starten um 7:00 Uhr in einen noch kühlen Morgen unseren Weg hinunter nach Gurvayoor, dem Meer entgegen. Meine Gäste weisen mich darauf hin und ich nehme es nun auch selbst wahr, dass entlang der Straßen in Kerala kaum noch unbebaute Flächen anzutreffen sind. Überall wird gebaut und oft, um seinen neuen Wohlstand zu zeigen, recht überdimensioniert. Wie im ganzen Land, so herrscht auch in Kerala auf knapper Fläche bei rasant wachsender Bevölkerung eine steigende Nachfrage nach Wohnungen. Mal sehen, wohin das noch führt, zumal nicht wenige der neuen „Paläste“ leer stehen, da sie als Alterswohnsitze von in den Golfstaaten gutes Geld verdienenden Indern angelegt sind.

Zunächst bewältigen wir noch einige Wellen, aber nach dem leckeren und kräftigen Frühstück, für einige von uns Idiyappam (Reisnudelfladen) mit Erbsencurry und Chutney, für andere Frittierte Bananen oder ein herzhaften Fruchtkuchen, geht es nur noch flach durch das pulsierende ländliche Kerala. Dies ist zunächst noch stark muslimisch geprägt und so werden wir Zeuge zahlreicher Schlachtungen und Fleischverkaufsstände ohne jegliche Kühlung. Aber am heutigen muslimischen Wochenende ist das alles bis zum Abend in aromatische Gerichte verwandelt und sicher längst gegessen.

Kurz vor der Stadt müssen wir heute auf den Besuch des Elefanten-Camps verzichten, da dieses wegen Problemen mit einem der der Tiere kurzzeitig geschlossen bleibt. Wahrscheinlich ist es auch besser so, denn oft blieb in der Vergangenheit ein schaler Geschmack ob der Behandlung der stolzen Tiere bei uns zurück. Ich möchte auch nicht wirklich wissen, wie sie die Situation mit dem „Problemtier“ im Camp gelöst haben.

Das Treiben rund um den Tempel der Stadt und die tiefe Spiritualität der Gläubigen sind so beeindruckend wie eh und je, nur sind es heute deutlich weniger als sonst. Dies macht aber auch konzentriertere und individuellere Wahrnehmungen für uns möglich. Und beim Dinner im „Brahmin Restaurant “ sind wir dann mitten unter ihnen und genießen – meist mit großem Genuss – ihre vegetarischen Klassiker gemeinsam in urtypischer Umgebung.

Samstag ruft Fort Cochin, allerdings müssen wir bis dorthin 86 km bewältigen bei teils brutalem Sonnenschein. Zum Glück bietet unsere Strecke nahe am Meer viel Schatten und auch viel weniger Verkehr als an den Vortagen. Nach einem kurzen Abstecher in die dem Apostel Thomas geweihte Kirche von Azhikode erreichen wir unser Strandhotel am Cherai Beach gegen Mittag und können so der größten Hitze des Tages entweichen. Kurz vor Fort Cochin werden wir noch auf eine kleine Probe gestellt. Da die Autofähre derzeit modernisiert wird müssen wir auf eine temporär im Einsatz befindliche Personenfähre umsteigen. Wir erledigen den kurzen Transfer ins nahe Hotel dann wie Lastenträger, nur unser Fahrer Vishnu muss mit unseren Rädern einen langen Umweg über das zu dieser Stunde staugeplagte Ernakulam antreten. Aber alles geht gut und am Abend trinken wir ein verdientes Kingfisher-Bier im offenen Seafood-Lokal direkt an der Hafeneinfahrt. Es war schön anstrengend heute und wir werden gut in den Sonntag hinein schlafen, garantiert!

Der (Sonntag) kann dann nach einer morgendlichen Einführung durch mich von allen individuell genutzt werden, ehe für alle Gäste am frühen Abend mit der Kathakkali-Tanzdarbietung ein weiterer Höhepunkt für die an indischer Kultur Interessierten ansteht. Für mich gibt es heute das lange herbei gesehnte Wiedersehen mit Usha und Ihrer Familie. Alle freuen wir uns, teilen das Essen und bringen uns auf den neuesten Stand in persönlichen und familiären Angelegenheiten.

Und es geht so weiter. Am Montag nimmt mich Joseys Familie nach einem trotz der hohen Temperaturen und dem verspäteten Start in Fort Cochin – bis auf eine durch mich in Alleppey verursachte Situation – entspannten Radtag sofort in Beschlag, geht es doch darum vom 104-jährigen Haus der Familie in der bekannten Form Abschied zu nehmen. Unmittelbar nach unserer Abreise werden die Bauarbeiten beginnen, um es wegen des Absinkens der Umgebung und des steigenden Meeresspiegels um ca. zwei Meter anzuheben, was einer Operation am offen Herzen oder einer Reise ins Ungewisse gleicht. Alle hoffen auf einen guten Ausgang dieser lange hinaus geschobenen, aber letztlich unvermeidbaren Maßnahme, wissen aber auch um die Risiken. Keiner der Nachbarn hat dies bisher in dieser Dimension gewagt. Andere Betroffene haben die Häuser aufgegeben und anderswo neu gebaut…

Meine Gäste erfahren derweil Indien in den Backwaters auf eigene Faust. Mal sehen, was sie morgen so zu berichten haben? Alle zeigen sich am nächsten Morgen gut erholt und voller Tatendrang. Bis auf Franz, der wieder auf eigener Schiene fährt, begleiten mich alle zur morgendlichen Tour über die Deiche hin zum Nachbardorf Nedumudi mit seinem Marktplatz und besonders der Öl-, Gewürz- und Reismühle dort. Berührt sind alle von einem kurzen Besuch bei den Eltern von Joseys Frau Lisa. Ihr altes Haus, umgeben von einem parkähnlichen Grundstück direkt an einem der großen Kanäle ist so einfach nicht beschrieben. Ich höre Worte wie Idyll oder Paradies. Das ist wohl nahe dran an der Realität. Im krassen Gegensatz dazu müssen meine Gäste die Lebensumstände vieler Frauen hier empfinden, die ich Ihnen am Beispiel von Lisa mit deren ausdrücklicher Billigung schildern darf. So erfahren alle wieder ein Stück Indien, welches so leicht nicht zu verdauen sein wird.

Im Anschluss verfolgen alle gespannt Lisa’s Einführung  in das Zubereiten einiger vegetarischer Köstlichkeiten der Region. Diese werden gleich im Anschluss mit für die meisten größtem Genuss verzehrt. Gleiches wiederholt sich am Abend beim traditionellen Abschieds-Dinner, n
ur dass es nun noch eine Spezialität, Fisch gedünstet im Bananenblatt mit Kappa ( Maniokbrei) zu meistern gilt. Beides mundet vorzüglich, ergänzt noch durch Paysam, die klassische süße Abrundung einer jeden Festtafel hier. Letztlich sind alle voll des Lobes über Lisa’s Kochkünste und begeben sich, nach dem Abfassen wohlwollender Kommentare in ihrem Gästebuch, zufrieden zurück ins Hotel.

Am Mittwochmorgen nehme ich alle auf eine letzte Runde auf dem Rad mit durch die Backwaters. Zunächst erleben wir das morgendliche Auschecken aus den Hausbooten an einem der großen Kanäle. Bald aber sind wir in der ländlichen Stille angekommen und können entspannt dem Rhythmus der Einheimischen folgen. Mal sind es Tausende junger aufgeregter Entlein, die unseren Weg auf dem Deich passieren, mal werden wir Zeuge eines rituellen Reisbrei-Kochens in einem Dorftempel oder wir finden uns unter freundlichen Krabbenpulerinnen wider. Es bleibt bis zum Schluss aufregend, was wir auf unseren Wegen erleben, die sonst kaum ein Tourist hier geht oder fährt.

Es ist das unglaubliche, sich rasant ändernde Süd-Indien, welches wir in den vergangenen drei Wochen auf Joseys zuverlässigen Rädern in vielen seiner uns emotional und physisch oft fordernden Facetten erfahren durften. Seien wir dankbar dafür und nehmen das eine oder andere mit in unseren künftigen Alltag.

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