Auf nach Lakshadweep – lohnt sich das?

Was ist das nur für ein seltsamer Name? In einer der einheimischen Sprachen hier im Süden Indiens soll er für Land der Tausend Inseln stehen. Eine schöne Übertreibung, 38 sollen es sein, davon nur 10 bewohnt. Und für Ausländer zugänglich sind dann schließlich noch 4. Alle liegen sie im Indischen Ozean nördlich der Malediven 8-10 Grad nördlich des Äquator und ca. 300 km westlich der Küste des Unionsstaates Kerala. Früher nannte man sie auch die Lakkadiven. In jedem Fall sollen sie, ähnlich den Malediven, schöne Tauchgründe beherbergen, die aber bei weitem nicht so kommerziell erschlossen sind. Da ich nun schon über fünf Jahre durch Südindien radele und etwa genauso lange schon nicht mehr getaucht bin wird es Zeit, dieses Juwel quasi vor der Haustür endlich einmal aufzusuchen. Mal schauen, wofür es gut sein mag?

Im Vorfeld checken wir verschiedene Optionen, entscheiden uns aber letztlich für eine von der Tourismusbehörde Lakshadweeps mit dem schönen Namen SPORTS angebotene 5-tägige Tour mit der MS Kavaratti. Das soll die Option sein, die Interessierten wie mich bei vertretbarem Aufwand den größtmöglichen Ein- und Überblick verschafft. Ich Kreuzfahrt-Verhöhner buche also eine Mini-Kreuzfahrt vom 06.-10.12.2015, konkret einen Platz in einer doppelt zu belegenden 1.Klasse-Kabine, der hier sogenannten Diamanten-Klasse. Wenn es bei der Wahl übertriebener Titel eine Meisterschaft gäbe wären die Inder bestimmt unangefochtene Weltmeister!

Tag 1 Cochin
Auf dem Hafengelände von Willingdon Island gibt es nicht den geringsten Hinweis auf den Terminal. Man kann sich ja durchfragen, was wir dann auch tun und schliesslich vor dem imposanten doppelstöckigen weißen SPORTS-Gebäude landen.
Zunächst schickt man mich zum Abholen meiner Bordkarte in die obere Etage. Das geht reibungsloser als befürchtet. Neben der eminent wichtigen Bordkarte und einer um den Hals zu hängenden ID-Card gibt es noch eine bunte Tüte mit allerlei Nepp, den ich gleich vor Ort entsorge. Lediglich ein weißes Basecap und ein leuchtend gelbes T-Shirt mit Werbung für unseren Zielort packe ich um in meinen Rucksack. Alles erinnert mich von der Atmosphäre her an Marathon-Messen, die ich vor Jahren vor den Läufen immer gern besucht habe.
Unten beim Check-In darf ich, da ich nur Handgepäck dabei habe, an all den sich lautstark auf die Heimreise freuenden Einheimischen vorbei und bin keine halbe Stunde, nachdem ich aus dem Taxi ausgestiegen bin, schon in meiner Kabine. Bis zum planmäßigen Auslaufen sind es noch fast fünf, bis zum Mittagessen drei und bis meine Hoffnung, die Kabine für mich allein zu haben erlischt, sind es noch zwei Stunden. Dann betritt ein recht schüchterner junger Mann die Kabine. Sein Name lautet auf Shivam Kesari. Er ist 25, noch ledig und arbeitet als Ingenieur in einem Braunkohletagebau in Jharkand, dem 2001 aus dem südlichen Teil des bettelarmen Bihar hervorgegangenen jungen Unionsstaat.
Wir stellen fest, dass unser Diamantenzimmer nicht mit Schlüsseln bestückt ist. Der spindähnliche doppeltürige Schrank kann mit Vorhängeschlössern versehen werden. Ich habe gerade keines dabei. Noch sinnierend, wie ich mit dieser Herausforderung umgehe vernehme ich im Bordfunk deutlich meinen Namen und die richtige Nummer der Kabine. Wollen die mir als Ausländer vielleicht doch eine Einzelkabine anbieten? Da klopft es auch schon an der Tür und ein weiterer junger Mann bittet mich auf die Brücke.
Dort sitzen schon einige Herren von der Einreisebehörde und bitten um die Pässe der Handvoll Ausländer an Bord. Meiner scheint besonders interessant, da ich in den vergangenen Jahren reichlich Visa für Indien und einige andere Staaten mit all den dazugehörigen Stempeln gesammelt habe. Das produziert viele Fragen, die ich alle geduldig beantworte. So vergeht für mich die Zeit bis zum Mittagessen recht unterhaltsam und die Herren dürfen sich richtig wichtig fühlen. Jedenfalls schreiben sie seitenweise Bemerkungen in ihre mitgebrachten Büchlein. Dann kopieren sie jede einzelne Seite meines Passes. Schliesslich darf ich essen gehen und, wichtiger noch, die Reise auch antreten. Wie ich später erfahre, gelingt das nicht allen. Am Abend werde ich von Crew-Mitgliedern und auch Gästen freundlich kontaktiert, bin ich doch der einzige westliche Gast an Bord.
Fast pünktlich legen wir in Cochin ab. Das überhaupt nicht saubere Wasser in der Hafeneinfahrt ist saisonal zusätzlich mit Unmengen treibenden Grüns aus den Kanälen der Backwaters bedeckt. Dazwischen, ich mag es kaum glauben, tauchen immer wieder Delfine auf, die uns aus dieser Brühe in die offene See eskortieren. Für mich ein schönes Erlebnis. Inder, denen ich die Tiere zeige, brechen in wahre Ekstasen aus. Erstaunlich, dass die Tiere sich an diese belastete Umwelt angepasst haben. Denn noch mehr als der sichtbare Müll und die Ölspuren sollte der unglaubliche Lärm in dieser stark frequentierten Wasserstrasse ihre sensiblen Ortungsorgane belasten.

Schon kurz nach meinem Einchecken an Bord und erneut am Abend sucht mich der leitende Ingenieur names Shashul Hameed auf. Über ihn hat Josey alle Vorabsprachen getroffen, obwohl beide sich nicht persönlich kennen. Schon ein Novum, aber da auf Lakshadweep alles in den Händen von Muslimen läuft, da es nur Muslime gibt, kann er sich zwangsläufig einmal nicht auf seinen weit verzweigten christlichen Familien-Clan stützen. Shashul ist sehr nett, kümmert sich sofort um die viel zu kalt eingestellte Klimaanlage in der Kabine und verhilft mir auch für kleines Geld zu einem Vorhängeschlößchen für meinen diamantenen Spind.
Auf Deck erklärt er mir am Abend, dass er neben seinem Job vor allem der Chef der Gewerkschaft für die Seeleute nicht nur dieses Schiffes, sondern für das gesamte Unionsterritorium Lakshadweep sei. Da horche ich auf, da ich ja eher auf Eigeninitiative stehe und jede Art von Interessenvertretung für mich auch stets etwas von Bevormundung hat, was ich persönlich zutiefst ablehne. Egal, er ist sympathisch und erzählt mir einiges zum haarsträubenden Verhalten auch seines Arbeitgebers, einer staatlichen Reederei. Schnell sind wir bei einem der Haupt-Themen, auf die ich immer wieder bei Debatten mit Indern der verschiedensten Schichten und Bildungsniveaus stoße. Es ist deren für mich nur schwer nachvollziehbare Staatsgläubigkeit. Die Regierung müsse stets dieses und jenes richten. Wenn ich dann frage, wer das denn ist, die Regierung, schaue ich oft in große fragende Augen. Meist höre ich etwas von korrupten Politikern, die alle nur in die eigene Tasche wirtschaften. Wenn ich dann vorschlage, bei sich selbst anzufangen, selbst Verantwortung zu übernehmen, sogar ein Beispiel für andere zu sein, können oder wollen sie mir oft nicht folgen. Gern zitiere ich abgewandelt Kennedy, nicht zu warten, was Indien für sie tut, sondern sich zuerst zu fragen, was sie für Indien, und damit natürlich auch für sich selbst tun können. Nach meiner Erfahrung funktionieren die Dinge dort am besten, wo der Staat sie in private engagierte Hände legt.

Shashul jedoch beharrt auf seiner Sicht der Dinge und ich muss ihm Recht geben, dass es wohl grundfalsch wäre, die milliardenschweren Tatas, Birlas oder Ambanis auf diese sensiblen Inseln und deren freundliche Bewohner loszulassen. Neben den kreativen hat der Markt eben auch oft gewaltige zerstörerische Kräfte. Hier scheint es gut, dass man sie (noch) staatlich bändigt.

Tag 2 Minicoy Island
Die Nacht verläuft unspektakulär. Mein Kabinenpartner Shivam schläft still wie ein Baby. Die Klimaanlage ist nun gut eingestellt. Ein Postkarten-Sonnenaufgang über dem Meer findet ebenso wenig statt, wie am Vorabend wegen der Wolkenmassen der entsprechende Sonnenuntergang. Da unsere Kabine keine 20 Meter vom Eingang zur Messe liegt, kann ich mir kurz nach 6:00 Uhr schon den ersten suuupersüßen Tee abholen.

Womit wir bei den Zahlen sind. Das Schiff MS Kavaratti ist für 700 Passagiere und zusätzlich 200 Tonnen Güter ausgelegt. Hauptaufgabe ist die Versorgung d
er Inseln und der Transport der Einheimischen. Zur Finanzierung dessen und zur behutsamen Ankurbelung des Tourismus hat man auch 80 Doppelkabinen für Touristen auf dem 4. und 5. Deck installiert. Diese sind heute komplett belegt, wie auch der Platz weiter unten gut ausgelastet ist. Wir merken das am Morgen, als sich das Aus-Checken der Einheimischen doch arg in die Länge zieht.
Dann endlich sind wir dran. Viele der Inder sind nicht mehr die Jüngsten und die noch jung sind, sind oft etwas übergewichtig, recht unbeweglich und/oder beides. Allen gemeinsam ist, dass sie heute wohl erstmals auf offener See von ihrem Schiff in ein viel kleineres Boot steigen sollen. Hier beginnt der Begriff Langsamkeit, eine neue Dimension zu erhalten und ich beschließe, das positiv zu finden.

Irgendwann am Vormittag erreichen wir dann doch die Jetty von Minicoy Island. Kaum haben wir die Ladefläche eines der in Indien allgegenwärtigen kleinen Maruti-Transporter bestiegen, geht es in rasanter Fahrt über die wenige Kilometer lange Inselstrasse dem die Insel überragenden Leuchtturm entgegen. Obwohl es auf der Insel neben radfahrenden Mädchen und Jungen, einigen Vespas und Motorrädern nur eine Handvoll dieser Transporter gibt, hupt der Fahrer wie im dicksten Gewühl einer der indischen Megacities. Unangemessen findet das hier außer mir keiner. Schließlich haben es alle in der Fahrschule genauso gelernt. Ich schmunzele über die Inder, aber mehr noch über mich, dass ich das nach all den Jahren immer noch bemerke.
Am Leuchtturm können wir uns mit einer leckeren frischen Kokosnuss stärken. Die folgende Besteigung des alten Turmes legt einen schönen Blick auf die lang gezogene Palmen-Insel und die vorgelagerte riesige türkisfarbene Lagune frei. Von hier mache ich mich zu Fuss auf den Weg zum nahen Hotel, wo die Wassersportfreuden auf uns warten. Als Radler frage ich mich und später den zuständigen Tourismus-Manager, warum man Interessierten hier nicht ein Fahrrad anbietet. Er bedankt sich höflich für meine Anregung, aber es fehlt an Nachfrage. Ich sei der erste und werde es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben.

Ich bin früh dran im Resort und strebe sofort der Tauchbasis zu. Dort lege ich ungefragt meine Plastikkarten, die mich als PADI-Taucher ausweisen, sowie meine beiden letzten Logbücher auf den Tisch und harre erwartungsvoll aus, bis ich an der Reihe bin. Die beiden schüchternen Einheimischen auf der anderen Seite des Tisches sagen mir, dass sie die Form des Tauchens, die ich erwarte, hier noch nicht anbieten. Vor allem haben sie kein Boot, welches mich aus der Lagune an die Tauchplätze bringen könnte.
So mache ich mich denn zu Fuss auf eine Runde zunächst durch die Lagune und später an den hereinbrechenden Wellen entlang der Dünen. Was für ein Kleinod diese Insel noch ist. Die stille Naturlandschaft von Mangrovensümpfen und Palmenhainen mit all ihren Bewohnern, sie scheint noch intakt, auch wenn die Menschen selbst hier überall ihren Plastikmüll haben liegen lassen. Und keiner denkt daran, mal eine Reinigungsaktion zu starten.

Das kleine staatliche Resort mit etwa 20 Betten steht derzeit noch komplett leer. Lediglich die Bungalows für die Mitarbeiter sind belegt. Beschäftigung ist also schon geschaffen. Geld verdient wird einmal pro Woche durch die Kreuzfahrer, wie uns heute. Wobei ich ja gerne mehr ausgegeben hätte. So aber nutze ich den Tag zum Schreiben und sitze dabei, wie die meisten meiner Altersgruppe im Liegestuhl. Vor mir die zauberhafte Lagune und einige planschende Inder. Nach dem Mittagessen geben die dunklen Wolken über der Lagune noch ein Sondergastspiel, abgerundet durch ein sich anschließendes solides Tropengewitter. Was will ich mehr?
Zwischen den großen Schiffen verirrt sich kaum mal jemand aus dem Westen hier her nach Minicoy. Möge es noch lang so bleiben. Meine erste Enttäuschung, dass ich nicht tauchen konnte ist längst überwunden. Statt der Fische beobachte ich im Paradies urlaubende Inder und alle haben wir viel Spass!

Tag 3 Kalpeni Island
Nach viel Regen in der Nacht gehen wir pünktlich am Morgen ganz nah an der Jetty vor Anker. Erneut erstreckt sich eine knapp 10 km lange Bilderbuch-Insel voller Kokospalmen, Moslems, deren Moscheen, einem Leuchtturm und einem Kokosnüsse verarbeitenden Miniunternehmen vor unseren Augen. Noch auf dem Schiff warne ich augenzwinkernd den für Kalpeni zuständigen Sports-Manager, heute ja das Geräte-Tauchen auch jenseits dessen, was die Einheimischen dafür halten, zu gewährleisten.
Der Basisleiter ist freundlich zurückhaltend. Er weist sofort einen seiner Divemaster an, mich zum „Einkleiden“ mitzunehmen. Im separaten Gebäude für das bestens gepflegte Tauchgerät und den Kompressor erhalte ich Gewissheit, dass sie hier ernsthaft und professionell an die Sache heran gehen. Ich erhalte durchweg fast neues Leih-Equipment, an der Wand hängt ein großes PADI-Zertifikat.
Dann beginnt auch hier das gleiche Procedere und die lieben Reisenden werden aufgefordert, sich an den jeweiligen Stützpunkten für ihren präferierten Zeitvertreib zu melden. So bin ich im Dive-Center nicht mehr allein, sondern von etwa 20 begeisterten Indern eingerahmt. Geködert werden sie hier, wie überall auf der Reise, mit der Garantie eines Fotos von ihrem „Tauchgang“. Dafür legen sie gerne 2.000 Rupien, ca. 30 Euro hin. Das PADI-Produkt, welches sie erwerben, nennt sich DSD, Discover Scuba Diving, und hat mit Gerätetauchen soviel zu tun, das sie die komplette Ausrüstung außer Flossen am Körper haben und von einem Guide ca. 1-3 Meter unter Wasser begleitet werden. Ein anderer hält das alles per Foto und Video fest. Letzteres läuft bereits am Nachmittag am Sammelpunkt zurück zum Schiff unter großer Anteilnahme aller. Alle interessierten indischen Touristen sind schwer begeistert und berechtigt stolz.
Ich lerne meinen Guide kennen, unterschreibe das übliche PADI-Formular und lege 3.000 Rupien für meinen Tauchgang hin. Nun könnte es losgehen. Irgendwann geht es auch los, genau ans andere Ende der Insel, wo wir ewig aufs Boot warten. Das nimmt jedoch nicht nur uns, sondern zur Verwunderung auch meines Guides alle anderen auf. Im Ergebnis warte ich eine gefühlte Ewigkeit, bis alle Gäste mit ihrer Prozedur durch sind. Ich nutze die unfreiwillige Wartezeit zum Schnorcheln, treffe die ersten alten Bekannten von Unterwasser wieder und amüsiere mich über den Zirkus, der neben mir passiert. Arme Guides, die einmal in der Woche auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Sie wünschen sich wohl etwas anderes, sind aber im Vergleich zu vielen ihrer Inselmitbewohner doch privilegiert.

Das, und wie gut es uns aus dem Westen wirklich geht, wird mir wieder einmal klar, als mich später am Nachmittag ein freundlicher junger Kokosnssverkäufer nach meinem Glauben fragt. Als ich ihm sage, dass ich an mich selbst glaube, aus jedem Tag das Beste machen möchte und bereit bin, am Ende eines jeden schönen Tages Abschied von dieser Welt zu nehmen, widerspricht er mir heftig. Es könne doch nicht sein, dass ich nur an dieses eine kurze Leben glaube. Da sei doch viel mehr. Nach dem Tod gehe es doch weiter. Man könne wiedergeboren werden und müsse entsprechend leben. Wahrscheinlich ist es diese Denkweise, die sie ihr relativ überschaubares Leben im Paradies ertragen läßt. Bisher zumindest ertragen sie es, aber durch die Vernetzung der modernen Welt werden bei den Jüngeren auch hier neue Ansprüche geweckt.

Zum Tauchen geht es dann irgendwann auch noch. Aufgrund des Wetters müssen wir zwar zur sandigeren Lagunenseite ausweichen, aber für mich als „Refresher“ nach einer längeren Pause ist das sanft in die Tiefe fallende Riff geradezu optimal. Offensichtlich nicht nur für mich, entpuppt es sich doch als Ruhestation für Schildkröten. Mindestens sechs sehen wir, zwei begleiten uns einige Zeit. Alle bekannten Riff-Fische sind da. Es ist ein Fest für einen Sporttaucher und ich schütte Unmengen an Glückshormonen aus, ganz wie ein Anfänger.

Tag 4 Kavaratti Island
Der Morgen beschert
uns an Deck den ersten wirklich spektakulären Sonnenaufgang. Als neben mir auf dem Sonnendeck ein recht ranghohes Crew-Mitglied ganz lässig seinen eben geleerten Kaffeebecher ins Meer trudeln lässt, bricht es aus mir heraus, mein Unverständnis über diese vermeintliche Gedankenlosigkeit. Ich bitte ihn, zukünftig nie wieder einfach etwas ins Meer zu werfen. Als er lapidar entgegnet, dass es doch nur Papier sei, frage ich ihn unter dem Gelächter einiger anderer Gäste, warum er seinen Kaffee dann nicht aus der Zeitung trinke. Da ist sehr wohl Plaste drin, höre ich mich sagen, und etwas lauter werdend frage ich die mich umgebenden Gäste, warum sie nur immer ihre Umgebung so zumüllen müßten, egal wo sie seien. Plötzlich sind alle um mich herum sehr still und betroffen. Allein mir fehlt der Glaube, dass ich etwas bewirke. Warum sagt keiner etwas, wo ist mein Freund Abhishek Kumar Sharma mit seiner Kampagne „Swatch Bharat – Clean India“?

Bereits um 8:00 Uhr erreichen wir die Tauchbasis. Tatsächlich werde ich sofort vom Chef selbst begrüßt und noch vor allen Tauchschülern verlasse ich einzeln betreut in einem kleinen Schnellboot die Lagune zur „Wall of Wonders“ und nach der obligaten zwei-stündigen Oberflächenpause zum „Turtles Nest“. Beide Tauchplätze sind durch die nahe Lagune wieder relativ versandet, aber voll mit maritimem Leben. In der Wand befinden sich einige kleine Höhlen und aus dem Blau kommen hin und wieder große Markrelen herangeschossen. Ständig begleiten uns noch junge, aber schon stattliche Napoleon-Fische, immer wieder stören wir beängstigend aussehende Riesenmuränen beim Zähneputzen. Natürlich sind alle typischen Riff-Fische da, wobei einige Zackenbarsche zu kapitaler Größe gewachsen sind. Die malediventypischen Fledermausfische fühlen sich hier genauso wohl wie dort. Und natürlich begleiten uns besonders auf dem zweiten Tauchgang wieder mehrere Schildkröten. Mein Guide dokumentiert sowohl meinen Vorbeiflug an der Wand als auch eine Begegnung mit einer älteren Schildkrötendame. Unter dem Strich hat es sich heute gelohnt und in den Augen vieler Mitreisender bin ich wohl etwas Besonderes, nur weil ich mich in die offene See gewagt habe. Zwar verpasse ich wieder einen Teil des offiziellen Programms, aber ich verschmerze es locker, da es in ein kleines Aquarium und ein meereskundliches Museum geht. Nichts im Vergleich zu dem, was ich erleben durfte.
Der Nachmittag in der Lagune ist so, dass man locker einen neuen Rum-Werbespot im Moslem-Paradies drehen könnte. Die Bilder würden es locker hergeben. Keine Ahnung, was die meist im Schatten hockenden Einheimischen dazu sagen würden. Im Resort kontaktiert mich eine junge Inderin, die deutsch lernt und die ab März in Deutschland ihre medizinische Ausbildung fortsetzen und abschließen möchte. Sie heißt Vibha, ist 29 und aus Bombay, westlich unverkrampft und löchert mich auf sympathische Art mit allen ihren Fragen. Wir erregen erhebliche Aufmerksamkeit unter den uns beäugenden Einheimischen. Sie ist strandgemäß relativ knapp bekleidet und ist mit mir altem Sack, der ich locker ihr Vater sein könnte, ohne Scheu – und weitere männliche Begleitung – fast eine Stunde intensiv am Debattieren. All die Blicke durchlöchern uns förmlich und sie fragt sich und mich, ob ihr das in Deutschland nicht auch so ergehen wird. Ich verneine das heftig und sie bestätigt, dass auch alle von ihr befragten in Deutschland lebenden Inder sich so wie ich geäußert hätten. Ein wenig scheint sie beruhigt. Nebenbei verfolgen wir auch den einzigen schönen, zuweilen von dramatischen Wolkenkonstrukten begleiteten Sonnenuntergang unserer vier Abende an Bord.

Langsam wird es Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen. Dieses fällt, wie ich aus vielen geführten Gesprächen weiß, unterschiedlich aus. Da sind auf der einen Seite einige im Ausland lebende, wie auch andere weit gereiste Inder, die sich trotz der paradiesischen Natur auf das Ende der Reise freuen, weil doch viele vermeintliche Versprechen aus dem Prospekt nicht so umgesetzt wurden, wie sie es erhofft hatten. Sie hadern mit der Unbedarftheit einiger der uns begleitenden Tourismusmanager. Diese waren oft noch nie außerhalb Indiens, viele sind gut versorgte ehemalige Militärangehörige, die nicht die geringste Ahnung von westlichen Vorstellungen in Fragen Service und Zuverlässigkeit haben.
Und dann ist da noch – mindestens – eine weitere Gruppe. Viele von denen sind Regierungsbeamte oder Leute, die irgendwie vom bürokratischen Filz des Landes profitieren, einschließlich Angehöriger von Militär und Ähnlichem samt ihrer Familien. Diese Reisenden haben meist über einen Veranstalter gebucht, verfügen über einen gewissen Korpsgeist und arbeiten sich begeistert an den vorgeschlagenen Programm-Punkten ab. Sie sind die überwältigende Mehrheit und ihnen werden in den kommenden Jahren sicher Millionen weiterer erholungsuchender Inder folgen. Schöne Aussichten für die hiesige Tourismusindustrie.

Tag 5 zurück nach Cochin
Unser „Dampfer“ macht seit dem Abend gehörig Fahrt. Am Morgen ist das gesamte Deck mit einem salzigen Film überzogen, der durch das Spray permanent erneuert wird. Und endlich erlebe ich mit einigen wenigen anderen einen Bilderbuch-Sonnenaufgang. Die oft herbei gesehnte, mitunter auch verfluchte Heizung unseres Planeten, heute Morgen erhebt sie sich majestätisch direkt aus dem Meer. Als ob das noch nicht reicht wird sie in den ersten Minuten des neuen Tages von einer bizarren Wolkenformation gekrönt, die an das beeindruckende Tor eines japanischen Zen-Schreins erinnert.
Erneut lerne ich nach Leuten aus Delhi, Bangalore, Bombay, Pune, Gujarat, Gauhati, Leh und anderen Plätzen einen sehr interessanten Gesprächspartner kennen. Es ist ein junger Koran-Lehrer, der von Kavaratti für 3 Wochen zu seiner Familie nach Kottakkal in Kerala fährt. Da ich erst vor wenigen Tagen in der Mutterstadt der klassischen Ayurveda-Heilkunst war, ergibt sich ein spannendes langes Gespräch. Die Muslims, die ich hier treffe sind allesamt beeindruckende, zutiefst friedfertige Menschen. Für sie sind die, die im Mittleren Osten derzeit Schuld auf sich laden, indem sie anderen Leid zu fügen oder gar töten, keine Muslime. Dies hätten sie durch ihr Tun verwirkt. Überhaupt halte ich mich viel im unteren Bereich des Schiffes auf, dort wo die Einheimischen die Überfahrt zum Festland verbringen. Leider spricht kaum eine/r englisch, so dass die immer freundlichen Kontaktaufnahmen meist oberflächlich bleiben müssen.

Nach dem Frühstück bemüht sich das Management, die Touristen auf dem Sonnendeck zu einem Gruppenfoto zu vereinen. Irgendwie hält sich das Interesse lange in bescheidenen Grenzen, und irgendwie klappt es dann doch wie immer in diesem faszinierenden Land am Ende mit den gewünschten eindrucksvollen Gruppenfotos – Incredible India!
Viele der Leute, die ich in den letzten Tagen kennenlernen durfte bitten um meine Visitenkarte. Ich trage mich in verschiedene Listen ein und bin mir sicher, dass ich von den meisten nie wieder etwas hören werde, aber das ist wohl eher international. Neben anderen treffe ich auch Shashul auf ein vorerst letztes Gespräch. Er stellt mir den in Alleppey arbeitenden Manager von Lakshadweep Tourism vor und gemeinsam entwickeln wir Ideen, um auf Basis dieser eindrucksvollen Kurzreise ein auch für westliche Gäste, mehrheitlich wohl Tauch-Touristen, interessantes Reiseprogramm für diese bisher außerhalb Indiens weitgehend unbekannte Perle zu entwickeln.

Denn, und damit zurück zu meiner Eingangsfrage – ja, die uns zugänglichen Inseln Lakshadweeps sind es unbedingt wert, bereist und besonders betaucht zu werden! Sie und besonders ihre Bewohner sind noch bemerkenswert unperfekt im westlichen Sinne und halten uns mit ihrer umwerfenden Freundlichkeit immer wieder einen Spiegel vor. Kommen Sie her, solange es noch so ist und falls Sie das aushalten. Es lohnt sich!

Leave a Reply