Wichtiger Hinweis 2024

Radfahren in Indien 2024

Wichtiger Hinweis

„Cycle is a poor man’s transport, hobby of a rich man and medical activity of the Old“
(Radfahren ist das Transportmittel der Armen, Hobby der Reichen und medizinische Aktivität der Alten)

Liebe Indien-Radler,

Soweit die vielsagende offiziell geäußerte, die Frauen komplett außen vor lassende Meinung der Cycling Federation of India, der vermeintlichen Interessenvertretung der Radfahrer Indiens. Radfahren in Indien, wie soll das nur gehen? Zugegeben, diese Fragestellung ist in Anbetracht der Größe, Unterschiedlichkeit und Vielseitigkeit der Bedingungen für Indien genauso wenig pauschal zu beantworten wie für jedes europäische Land oder China oder etwa das Emirat Dubai.

Trotzdem, seit bald vier Jahrzehnten sind wir auf den für uns die Welt bedeutenden Fahrrädern regelmäßig in den verschiedensten Gegenden des Subkontinents unterwegs und noch immer überzeugt, dass es sich wie auch im heimatlichen Europa lohnt, daran festzuhalten.

Obwohl. Es gibt wichtige Unterschiede und Radfahrer kommen bei der Planung und Gestaltung der künftigen Verkehrsinfrastruktur nicht wirklich vor. Indien ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein dynamisches Land im Aufbruch in eine nach westlichen Wohlstandstandards strebende moderne Gesellschaft. Viel schnelleres mobiles Internet als im fernen Europa ist für jeden jungen Inder in fast jedem Zipfel des Landes selbstverständlich. Die persönliche Mobilität von Millionen Indern nimmt von Jahr zu Jahr rasant zu. Entsprechend wird nun mit einiger Verzögerung, dafür aber nun umso rigoroser die entsprechende Infrastruktur geschaffen in Form neuer Flughäfen, des rasanten Ausbaus des Bahnnetzes, sowohl des lokalen mit neuen Metro- und Vorortnetzen als auch der nationalen Fernbahnverbindungen.  Vor allem aber werden überall im Lande neue, größere und schnellere Straßen gebaut und alte erweitert.

Das Ganze geschieht ohne langwierige ideologische Debatten. Scheinbar alle Inder begrüßen die Erweiterung alter Straßen, selbst wenn dafür das eigene Haus zurück gebaut werden muss, wenn alte Schatten spendende Bäume zu Tausenden gefällt werden und der zunehmende und schneller werdende Verkehr direkt durch den eigenen Ort am eigenen Haus vorbeiführt. Viele nennen bereits ein Motorrad, gar einen Kleinwagen ihr Eigen oder träumen davon, diesen bald zu besitzen. Ohne bessere Anbindung an das Straßennetz geht auch hier nichts.

Und doch sind wir nicht in Europa, wo versucht wird, jedem Verkehrsteilnehmer regulatorisch seinen Platz zuzuweisen, den er unbedingt einzuhalten hat, und seien es überdimensionierte Radwege in chronisch mit Autos verstopften Innenstädten. In Indien regiert (noch) der gesunde Menschenverstand, wonach (die von uns nicht genutzten vielspurigen Schnellstraßen ausgenommen) jeder Teilnehmer den zur Verfügung stehenden Verkehrsraum unter Respektierung der Interessen der anderen maximal zu seinem Vorankommen zu nutzen versucht. Vereinfacht gesagt gilt das Prinzip, Groß (Trucks, Busse, Elefanten. Kühe) vor Schnell (PKWs, Motorräder etc.) vor dem Rest, zu welchem auch wir Radler neben Händlern, Fußgängern, Behinderten und, und, und relativ weit oben gehören. Farbliche Kennzeichnungen von Spurführungen oder Zebrastreifen werden ignoriert. Zunehmend werden Ampelsystem eingeführt und diese auch meist respektiert.

Dies zu den Bedingungen vor Ort für unser Tun. Zudem sollte ein/e jede/r am Radeln in Indien Interessierte aufgrund der geschilderten Bedingungen und des meist subtropischen oder im Himalaya bald alpinen Klimas zumindest bei guter Gesundheit und das Radfahren an mehreren aufeinander folgenden, auch hügligen bis bergigen oder (für Holländer und Norddeutsche) gegenwindigen Ganztagesabschnitten gewöhnt sein. Kurz, wir freuen uns unabhängig vom Alter auf körperlich und mental fitte Typen.

10 Tage Monsun
10 Tage Monsun

Wo fahren wir nun Rad bzw. wo nicht?

Zunächst meiden wir radfahrerisch die bevölkerungs- und verkehrsreichen Megacities mit der Ausnahme der Hauptstadt Neu-Delhi. Hier empfehlen wir allen Teilnehmern unbedingt die morgendliche Runde mit unseren Freunden von Delhi by cycle auf robusten Holländer-Rädern durch das gerade erwachende Old Delhi. Bereits der Rückweg gegen 10:00 Uhr ist für einige eine Herausforderung, für die meisten ein durch ein Dauerlächeln gekrönter Spaß, später geht dort auf dem Rad nichts mehr. Das ist beeindruckend, mehr eine emotionale als eine körperliche Herausforderung, einfach unvergesslich!

Im bevölkerungsreichsten Land unseres Planeten ist es illusorisch zu erwarten, irgendwo außerhalb des von uns befahrenen südlichen Himalayas oder der Wüsten Rajasthans/Gujarats auf einsamen Pfaden radeln zu können. Stets werden wir meist freundliche und an der Begegnung mit uns interessierte Einheimische treffen, besonders bei Ortsdurchfahrten oder an Schulen und Tempeln. In Assam entlang des Brahmaputra und der endlosen Teeplantagen bilden wir am Morgen oder am Nachmittag einen kleinen Teil des hier noch existierenden Hunderttausende umfassenden stets laut kommunizierenden Radlervolkes, die in der Linken den Lenker ihres Hercules- oder Atlas-Rades führen und in der Rechten den Sonnen- oder Regenschirm.

Aufgrund der bereits beschriebenen Infrastrukturentwicklung überprüfen und verändern wir ständig den Verlauf unserer täglichen Radelabschnitte. Wir meiden die überall entstehenden vielspurigen Highways und versuchen, auf den von uns gesuchten kleinen und mittleren Landstraßen möglichst „ruhige“ Passagen anbieten zu können. Wir schaffen das oft, wie mit dem Einrollen direkt am Strand von Goa, beim Durchfahren von Wildreservaten und in vielen ländlichen Gebieten. Allerdings sehen wir uns gerade im Süden Indiens in Kerala und Tamil Nadu aufgrund der für die Einheimischen erfreulichen Wohlstandsentwicklung mit einem ungebremsten Wachstum des Individualverkehrs und der daraus resultierenden größeren Verkehrsdichte auch auf den von uns befahrenen Straßen konfrontiert. Da dies neben erheblichen Abgasmengen noch dazu indisch laut passiert ist es für die meisten Europäer zumindest gewöhnungsbedürftig. Wir können diesem Phänomen nicht immer ausweichen und weisen hier und bei den vorabendlichen Briefings darauf hin.

Wem all das einmal zu viel wird, dem steht jederzeit unser stets präsentes Begleitfahrzeug zum Einstieg zur Verfügung.  Eigentlich war es als Angebot gedacht, um Momente/Phasen körperlicher Schwäche oder des temporären Unwohlseins zu überbrücken. Inzwischen nutzen wir es auch immer öfter, um für uns Radfahrer infrastrukturelle No-Gos zu überbrücken.

Frank Richter
Indien Erfahren Radreisen