Odisha – Unbekanntes Juwel Indiens

Erfahrungen und Gedanken zur Pilot-Fahrradreise im September 2022.

Kaum zu glauben, fast genau zweieinhalb Jahre nachdem uns die Regierung Indiens wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie im März 2020 zum Abbruch aller Reiseaktivitäten und zum Verlassen des Landes zwang, sind wir wieder hier. Und wir sind wieder in Kolkata, von wo aus wir zwar nicht – wie damals geplant – in den Nordosten, dafür aber zur ewig verschobenen Pilotreise nach Odisha in den spannenden Osten des Landes aufbrechen.
Mit großem Ernst und „deutscher Gründlichkeit“ haben wir uns allen Bedenken wegen der latenten Corona-Gefahren zum Trotz an diese Reise gewagt. Wir sind vollständig geimpft, haben alle verfügbaren Informationen studiert, alle vermeintlich oder tatsächlich notwendigen Papiere dabei, als wir uns in Frankfurt am Air India Schalter zum Check-in einfinden. Tatsächlich wird dort die auf einem Formblatt der indischen Regierung ausgefüllte Corona-Selbsterklärung sowie unser Impfstatus kontrolliert. Das war es dann aber auch schon.
Im Flieger selbst und auch später im Zug oder egal wo sind wir fast immer die einzigen, die trotz ständiger Hinweise zum Maskentragen dies auch tatsächlich tun. Kontrolliert oder gar geahndet wird das (fahr)lässige Verhalten der allermeisten Inder nicht. Konsequenterweise ist dann auch bei der Einreise am Internationalen Flughafen in Delhi der der eigentlichen Passkontrolle vorgelagerte großzügige Corona/Gesundheitsbereich komplett unbesetzt. Wir marschieren einfach durch und staunen noch. Corona findet wohl anderswo in der Welt statt, nicht jedoch in Indien.
Da wir alle trotz intensiver Kontakte mit vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen über das Rückreisedatum hinaus keine Krankheitsanzeichen aufweisen muß es wohl so sein. Wir jedenfalls sind froh darüber und werden uns weiterhin verantwortlich verhalten. Mögen die Inder weiterhin gut auf ihre Art mit allen Widrigkeiten, auch mit dem Coronavirus zurecht kommen.
Nun endlich zur eigentlichen Reise. Sie beginnt mal wieder im altehrwürdigen Fairlawn Hotel im Zentrum Kolkatas. Zunächst denken wir, auf einer Baustelle gelandet zu sein, denn der Zugang zur Rezeption und zur Lobby wird mit viel manpower ausgehoben und neu gestaltet. Beim Check-in erfahren wir, dass dieses seit 1786 existierende Haus nach 2-jähriger Schließung erst seit wenigen Wochen wieder Gäste begrüßt. Ähnliches werden wir in den kommenden Wochen wiederholt hören. Leider ist das alte, koloniales Flair versprühende Serviceteam nicht mehr präsent und die jungen Bengalen im Restaurant wirken zwar freundlich, aber beliebig und teilweise überfordert, jedenfalls dem Hause nicht angemessen. Zumindest erstrahlen die Lobby nach einem Facelift im alten und die Zimmer nach der Renovierung im neuen Glanze.
Draußen empfängt uns die Stadt, als hätte es die Pandemie nie gegeben.
Das Menschengedränge rund um den nahen New Market und auch sonst überall wohin wir gehen ist es eng und dabei freundlich wie eh und je. Vielleicht sind in den Tagen vor dem wichtigsten hinduistischen Festival, der Durga Puja, sogar noch mehr Leute in der Stadt. Eigentlich reicht es, sich in den Lindsay Tower zu begeben und von oben das Spektakel zu beobachten.
Wir gehen trotzdem weiter durch den kolonial geprägten Bereich hin zum Writers Building und dann entlang der alten Jute Piers, wo harte Arbeit noch immer unter elenden Bedingungen und kriminell geringer Bezahlung stattfindet, hinunter an die Ghats des Hoogly, durch den von Menschen und Pflanzen aller Art übervollen, jetzt im Monsun schlammigen und stickigen Blumenmarkt unterhalb der Howrah Bridge. Mit Tausenden anderen strömen wir dem alle in sich aufnehmenden Bahnhof Howrah zu. Dieser Spaziergang ist intensiv, emotional belastend und nichts für Indien-Neulinge. Per rostiger Fähre und klapprigem Ambassador-Taxi gelangen in den Maidan zum Victoria Memorial. Die Umrundung dieses beeindruckenden und eigentlich nutzlosen imperialen Protzbaus im gepflegten Garten stellt den perfekten Kontrapunkt zum ersten Teil dar und damit die Verkörperung der widersprüchlichen Vielfältigkeit dieser verrückten Stadt.
Mir fallen noch zwei Dinge auf. Erstens bemüht sich die Stadtverwaltung nach der Vertreibung der Kühe offensichtlich erfolgreich, zumindest im Zentrum auch die Zahl der allerärmsten, auf den Bürgersteigen lebenden Bengalen zu reduzieren. Und zweitens ist im Interesse der Beschleunigung des Straßenverkehrs ein altes Original der Stadt bis auf eine Linie aus deren Bild verschwunden – die bunten Panzern gleichende Straßenbahn, die nie wirklich hält und darum das Ein- und Aussteigen für Ungeübte zu einer Mutprobe machte. Wirklich schade!
Am späten Sonntagvormittag verlassen wir sie, die Stadt der Freude, pünktlichst von Plattform 21 der erwähnten Howrah Station gen Bhubaneswar zum Start unseres Radfahrabenteuers in Odisha, dem unbekannten (hidden) Juwel Indiens. So sagt es jedenfalls die dortige Behörde zur Tourismusförderung. Wir werden es in den kommenden zwei Wochen testen.
Die Fahrt im nicht übervollen Express ist kurzweilig. Einige männliche Mitreisenden nutzen geschickt und eigensinnig die leeren Plätze, um es sich bequem zu machen, von Höflichkeit uns Ausländern gegenüber nicht die Spur. Egal, nach knapp 6 Stunden erreichen wir nach einer Fahrt durch nicht enden wollende grüne Reis-, Gemüse- und Blumenfelder und der Querung zahlreicher kleiner und mittlerer Flüsse nach einem kurzen Monsunschauer fast pünktlich Bhubaneswar.
Kaum ausgestiegen eilen uns mein Partner und für die kommenden Tage auch Tourenguide Ajay und dessen Freund Sankar entgegen. Wir erfahren ein herzliches Willkommen mit Blumenketten und typischen Oriyaschals. Nach kurzem Transfer und Check-in ins noble Empires Hotel mit märchenhaftem Dachpool treffen wir uns nur eine Stunde später in Ajays Fahrradladen und passen die fabrikneuen Räder an. Perfekter kann es wohl selbst in der Schweiz nicht laufen. Allerdings sind wir zu kaputt, um auch noch einer Einladung zum Abendessen zu folgen. Das verschieben wir und fallen alsbald nach einem kühlen Kingfisher-Bier in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Am Montagmorgen sitzen wir dann nach einem ausgiebigen indischen Frühstück mit Masala Dosa, süßem Joghurt und weiteren leckeren kleinen Happen kurz nach acht erstmals auf den Rädern zu einer lockeren Gewöhnungsrunde durch die Stadt. Ajay führt uns in der morgendlichen Rushhour über den Highway hinaus nach Udaygiri auf eine Anhöhe mit schöner Aussicht auf die von Stararchitekt Oskar Niemeyer nach der Unabhängigkeit Indiens konzipierte Neue Hauptstadt des jungen Orissa. Highlight hier oben sind neben dem Jaintempel die teilweise 2000 Jahre alten Höhlen mit kaum noch erhaltenen Steinmetzarbeiten, jedoch von immenser Bedeutung für die Hindus, die täglich sehr zahlreich hier her pilgern. Das führt auch zu einer erheblichen Population an Languren, die zum Teil sehr aufdringlich nach Essbarem fahnden.
Den nächsten Stopp legen wir im Museum für Kunsthandwerk ein, welches uns auf einige Erlebnisse der Tour bestens vorbereitet. Während wir durch die Räume wandeln setzt ein Monsunregen ein. Da Ajay und unsere beiden Damen ihren Regenschutz nicht dabei haben erklären wir uns solidarisch und rollen ungeschützt durch den angenehm warmen Regen. Im alten Ortskern der Stadt rollen wir durch enge Gassen hin zu den wichtigsten Tempeln der Stadt. Neben den Bauwerken ist es besonders das farbenfrohe und laute Beieinander der Gläubigen bei ihren Gebeten und dem Verzehr geweihter Speisen. Inmitten des Gedränges uns mit den Rädern voranzukämpfen ist schon ein sehr spezielles Erlebnis, das anderen Touristen so kaum vergönnt ist. Wegen des Regens verzichten wir auf weitere Stationen und sind am Nachmittag nach etwa 30km wieder im Radshop. In der Nachbarschaft treffen wir uns am Abend in einem bei Einheimischen beliebten Restaurant und werden von Ajay in die leckere Oriyaküche eingeführt. Das ist auch für mich wieder eine neue Nuance in der Vielfalt der Kulinarik des Subkontinents.
Am Dienstagmorgen verlassen wir Bhubaneswar in Richtung Pipili und weiter an die Küste nach Konark. Zunächst jedoch holen wir den Besuch der Shanti Stupa, einem buddhistischen Tempel nach und erproben erstmals unsere Kletterfähigkeiten. Kurz vor Pipili, dem Zentrum für textile Applikationen im traditionellen Oriyadesign, erwartet uns eine Überraschung in Form einer Abordnung lokaler Politiker und Medienvertreter. Wir werden sehr herzlich mit den typischen Applikationen, Blumenketten und frischen Kokosnüssen begrüßt. Alsdann folgen Gespräche und Interviews für die Medien. Dabei erfahren wir, dass wir seit dem Ausbruch der Pandemie die erste kleine Gruppe ausländischer Touristen sind, die sich wieder nach Odisha traut. Daher also der Trubel. Sie setzen überall große Hoffnungen in die Wiederbelebung des Tourismus nach zwei Jahren kompletter Ruhe, anders als in Deutschland ohne staatliche Hilfsprogramme. Die Westbengalen, besonders aus Kolkata, haben die Region schon wiederentdeckt. Neben den Tempeln sind es die Strände um Puri, die sie anziehen. Mögen Ihnen viele weitere In- und Ausländer folgen.
Wir erreichen den berühmten Sonnentempel von Konark nach gut 60km in der Mittagshitze und verzichten im Gegensatz zu den vielen Indern auf dessen Umrundung. Nach einem üppigen Lunch radeln wir lieber direkt ans Meer zum nahen Lotus Bay Eco Resort. Ein herrlicher Ort der Ruhe, der auf sanfte Art zum Entspannen einlädt. Meine liebe Frau muß unbedingt im hier sehr rauen Meer baden und entsteigt der „Waschmaschine“ mit Unmengen Sand im Badeanzug und einer kräftigen Schürfung am Bein.
Zum Glück hält sie das nicht vom weiteren Radeln ab und so erreichen wir am Mittwoch nach nur 35km schnell unser nächstes Highlight Puri, die Stadt des großen Tempels für Lord Jagannath, die alljährlich im Juli zum großen Rath Yatra Festival einlädt, dem bis zu 1 Million Pilger beiwohnen. Aber auch heute ist die Szenerie um den Tempel mit einer nicht abreißen wollenden Schar an Pilgern sehr beeindruckend. Genauso am Strand, der übervoll mit Gästen ist. Die wenigsten trauen sich ins Wasser. Man sitzt in langen Stuhlreihen, beobachtet das Meer und genießt die frische Brise. Auf andere Art ist Puri für die Mittelschicht aus Westbengalen das, was Mallorca für viele Deutsche ist – nur ohne Saufen, dafür mit Tempelbesuchen.
Am Nachmittag besuchen wir ein nahegelegenes Dorf, welches berühmt für seine Künstlerkolonie ist. Wir werden Zeuge der alten Kunst des Beschreibens von Palmblättern und verschiedener Formen der Malerei. Besonders beeindruckt die Bescheidenheit und Dankbarkeit der Meister, auch wenn wir nur Kleinigkeiten erwerben. Auch hier sind wir die ersten Ausländer seit März 2020.
Am Donnerstag starten wir bei sonnigem Wetter Richtung Chilika See und erreichen nach gut 50km die Fähre in Satapada. Für die halbstündige Überfahrt im offenen Boot sollten sich künftige Teilnehmer besser gegen die Sonne schützen, als wir es taten. Nach dem Lunch radeln wir teilweise im Regen durch eine endlose Lagunenlandschaft mit vielen Garnelen- und Fischzuchtbetrieben. Auch stoppen wir wieder bei Handwerkern, wie Töpfern und Schmieden, die noch traditionell, also ohne Strom arbeiten. Kurz vor dem Zielort Rambha warten die ersten kleinen Anstiege auf uns. Wir erreichen das Dorf und die dortige etwas herunter gekommene staatliche Herberge nach 120km kurz vor Einbruch der Dämmerung und genießen das verdiente Bier noch vor dem Duschen.
Am kommenden Morgen saugen wir die beinahe mystische Atmosphäre am Seeufer in uns auf, bevor wir uns nach dem Frühstück von Ajay überreden lassen, den eigentlich als Transfer geplanten 70km Abschnitt über den Highway ins Bird Sanctuary Mangalajodi mit dem Rad zu fahren. Dabei gilt es bei geringem Verkehr zunächst einige sich hinziehende Anstiege zu bewältigen. Da es keine Schatten spendenden Bäume gibt macht mir die Hitze zunehmend zu schaffen. Nach der Ankunft im Mangalajodi Bird Resort steht für mich fest, dass wir diese Übung nicht wiederholen werden.
Umso beeindruckender wird dann am späten Nachmittag die zweistündige Bootsfahrt durch die flachen Wasser des Sees, der mit üppigem Grün bedeckt ist, auf dem während des Winters Millionen von Zugvögeln von nördlich des Himalaya brüten und ihren Nachwuchs aufziehen. Aber auch jetzt, nur mit den einheimischen Vögeln und den Wasserbüffeln ist die Ruhe, die wir vom gestakten Boot aus erleben überwältigend.
Am Samstag verlassen wir die Küstenregion und fahren gen Westen tief hinein ins zunächst noch weitgehend flache Vorland der Berge der Eastern Ghats. Nach 108km auf meist schattigen Nebenstraßen durch landwirtschaftlich genutzte Flächen und viele Dörfer erreichen wir am Nachmittag das Satkosia Sands Wildlife Resort am malerischen Ufer des Mahanadi-Flusses mitten im gleichnamigen Wildreservat. Die Stimmung und die Aussicht von der großzügigen Terasse unserer Cottage rechtfertigen die 18km, die wir dafür mehr fahren mußten, allemal. Was für ein nachhaltiges Erlebnis!
Der nicht so engmaschigen Infrastruktur und dem notwendigen Rückweg aus dem Reservat geschuldet ergibt das am Sonntag die längste Etappe der Tour mit ca. 125km nach Phulbani. Es wird zunehmend wellig und in unserem Falle auch immer wärmer. Bis zum Lunch gegen 13 Uhr haben wir bereits gut 85 fordernde Kilometer absolviert. Nach der Stärkung und einer ausgiebigen Pause biegen wir dann links in einen 13km langen Anstieg in die Ghats ein. Besonders die letzten 4km sind eine echte Herausforderung. Heute sollte jeder genau in sich hinein hören und im Zweifelsfall zwischendurch oder abschließend ins Begleitfahrzeug steigen. Von der Passhöhe sind es dann noch 26 oft abschüssige Kilometer zum Hotel, wo es gut rollt und die schnell abgespult sind. Phulbani ist eine unspektakuläre indische Kleinstadt, die Abends aber gutes streetfood für die bietet, die es mögen.
Am Montag rollen wir fast den gesamten Weg auf welligem Terrain ohne wirklich schwere Anstiege durch das schattige Grün der Wälder. Lediglich kurz vor dem 76km entfernten Zielort Balliguda passieren wir Baustellen wegen Straßenerweiterungsarbeiten. Die Stadt ist aus Sicht ausländischer Augen ähnlich der vorhergehenden. Allerdings gibt es in Hotelnähe einen intensiv besuchten Hanuman Tempel, der bei unserem Aufenthalt kurz vor dem wichtigen Durga Puja Festival wie die gesamte Einkaufsstraße davor bunt geschmückt wurde.
Zusätzlich sollte man hier am Nachmittag die Möglichkeit eines Besuchs in einem nahe gelegenen Stammesdorf wahrnehmen. Wir treffen auf Frauen, die im Gesicht stark tätowiert sind und an Ohren und Nase teilweise erheblichen Silberschmuck tragen. Ihre Lehmhäuser bieten ein angenehmes Klima. Obwohl es inzwischen auch Strom gibt läuft vieles autark. Eigentlich benötige man ihn nur zur abendlichen Beleuchtung und das sei zweischneidig, da es neben Vorteilen auch zur Verkürzung der Nacht führe, erklärt uns ein alter Mitbewohner.
Der Weg in den nächsten 170km entfernten Ort mit einer akzeptablen Übernachtungsmöglichkeit ist ohne teilweisen Transfer nicht machbar. Trotzdem sollte man früh aufbrechen, um möglichst viele Kilometer in den grünen Wäldern auf welliger Strecke zu bewältigen. Möglich sind entweder 55km oder knapp 90km. Zwischendurch ist nur Natur, vielleicht mal einige Häuser und eine Gelegenheit für einen Tee. Darauf folgt der Transfer ins industriell geprägte Rayagada.
Von dort geht es am Mittwoch auf einer traumhaften, aber anspruchsvollen und schweißtreibenden Strecke durch den Wald ins 55km entfernte Laxmipur. Hier essen wir zu Mittag und verstauen die Räder zum Transfer ins gut 65km entfernte Koraput. Dazwischen liegt ein Bauxittagebau und anschließend viele landwirtschaftlich genutzte Flächen. Wir sehen zwischendurch Nutztiere aller Art, einige Farmer, kaum aber mal ein Ansiedlung. Wir sind mitten im Gebiet verschiedener Stämme. Das zeigt sich dann auch in Koraput, das mit seinen Kolonialwarengeschäften völlig auf die Bedürfnisse der umliegend lebenden Farmer abgestimmt ist. Als Tourist kommt man sich hier fehl am Platze vor. Erstaunlicherweise übernachten wir in einem freundlichen, sauberen und professionell geführten Hotel.
Am letzten regulären Radeltag am Donnerstag von Koraput ins Desia Eco Camp (60km) geht es nach dem Verlassen der Hauptstraße noch tiefer ins Stammesland der Eastern Ghats mit einem spektakulären Abschnitt entlang des Upper Tombat Damm und einigen abgeschiedenen Dörfern, gekrönt von einem schweißtreibenden Aufstieg aus dem Flusstal über den Bergrücken, welcher dem Damm Halt gibt. Ab Lamtaput sind es dann noch 13km ins Camp, dem Zielort unserer Tour. Da wir donnerstags ankommen fahren wir im Auto gleich weiter in ein Nachbardorf, um dem Treiben auf dem Wochenmakt vieler aus den Waldgebieten kommender Stammesangehöriger beizuwohnen. Was für uns exotisch anmutet ist für viele von ihnen wichtiger Waren- und Informationsaustausch. Viel läuft hier noch ohne Geld, viele, die nur ihrer Stammessprache, nicht aber des hier geläufigen Oriya mächtig sind, können sich erstmals ein Konto einrichten. Hier treffen wirklich unterschiedliche Welten und Zeiten aufeinander. Und für uns gibt es noch dazu unvergleichliche Fotos von Menschen, die den Aborigines im fernen Australien von der Physiognomie her näher erscheinen als ihren indischen Nachbarn.
So geht es am Freitag, unserem letzten Tourtag, weiter. Wer möchte, relaxt im Camp. Wir unternehmen jedoch auch eine letzte ruhige 20km lange Tour hin zu zwei benachbarten Dörfern, um die Lebensweise weiterer Stämme hautnah erleben zu dürfen. Im zweiten leben einige Töpfer, die ihr Handwerk noch auf einer archaisch anmutenden Töpferscheibe, besser Töpferrad, ausschließlich mit Muskelkraft und Geschick verrichten. Wer noch nicht genug hat kann noch zu einem schönen Wasserfall 25km weiterradeln. Es macht aber auch Spaß, einer Gruppe junger Frauen beim Nähenlernen oder das Küchenteam im Camp beim Zubereiten lokaler Köstlichkeiten zu beobachten.
Ein allerletztes Highlight stellt der Transfer zum Internationalen Flughafen in Vishakhapatnam dar. Grundsätzlich sollte der Rückflug am späten Nachmittag oder am Abend geplant werden, da wir vom Desia Eco Camp dorthin 6h einplanen und diese für die gut 200km lange Strecke durch die Berge um Araku hinunter in die Ebene und weiter durch den Molloch Vishakhapatnam auch benötigen. Das ist gut angelegte Zeit, ermöglicht sie doch Stopps an spektakulären Aussichtspunkten und zum Kaffee- und Gewürzeinkauf, zum Testen lokaler Snacks sowie des aromatischen Plantagenkaffees. Auf das beängstigende Monsungewitter, welches uns kurz vor dem Airport wegen seiner Naturgewalt, den in kürzester Zeit nieder gehenden Regenmassen und der daraus resultierenden Überflutung der Straßen in echte Angst versetzte, sollten zukünftige Teilnehmer gut verzichten können.
Alle, die uns künftig bei diesem Abenteuer begleiten wollen müssen sich darauf einstellen, dass es in dieser abgelegenen Gegend nur sehr sporadisch ein Netz für Mobilfunk gibt. Ein zumeist sehr langsames Internet steht abends in den Hotels zur Verfügung. Ausnahme ist das abschließende Desia Eco Camp, indem es an den letzten beiden Tourtagen einen kompletten Kommunkationsentzug zu meistern gilt. Eine großartige Chance, all die Eindrücke zu verarbeiten und mit sich selbst im Reinen zu sein, bevor es über den Airport wieder zurück ins ach so moderne Leben geht.
Wettermäßig sollte während unserer Tour in der 2. Septemberhälfte der Monsun eigentlich zu Ende gehen. Aber zu jahreszeitlichen Wetterprognosen lässt sich unter dem Hinweis „climate change“ kaum noch jemand verleiten. Wir jedenfalls waren auch auf Regen eingestellt, hatten den aber nur beim Einrollen in Bhubaneswar. Und da war er angenehm warm, so dass wir auf die Regenponchos während der gesamten Tour verzichtet haben. Abends jedoch kam es fast täglich zu kräftigen Monsungewittern. Falls wir die Tour künftig über Weihnachten und den Jahreswechsel fahren sollte es trocken und tagsüber sonnig sein. Aber…
Bis auf das Satkosia Sands Hotel im Wildreservat am Mahanadi River ist es überall unproblematisch abends ein Bier zu trinken oder zu besorgen. Dort besteht ca. 18km vor dem Hotel die letzte Möglichkeit zum Einkauf.
Wermutstropfen für Kaffegenießer. Die in den letzten 10 Jahren stark expandierende und auch am Rande unserer Radetappen gut vertretene Kaffeehaus-Kette Coffee Day, die einzige, die italienischen Kaffeegenuss zu europäischen Preisen anbot, mußte in der Corona-Zeit Konkurs anmelden. Der Inhaber beging Selbstmord, seine geschäftstüchtige Witwe führt in den großen Ballungsräumen wenige profitable Filialen fort. Schade für uns, die wir meist abseits dieser Räume radeln.
Im September 2022 spielte wie schon zu Beginn erwähnt, egal wo wir hinkamen, das Thema Corona keine wirkliche Rolle mehr. Wir hoffen, dass es so bleibt und es zu keinen erneuten Rückschlägen kommt. Selbst werden wir uns verantwortlich verhalten und bestmöglich schützen.

Unter dem Strich haben wir eine an vielfältigen Eindrücken schwer zu toppende Reise hinter uns gebracht. Wir werden einige Zeit benötigen, um alles Erlebte einzuordnen und emotional zu verdauen.
Radfahrerisch kommen, wenn man möchte und kann, ca. 800 km zusammen, begleitet von einer stattlichen Anzahl an zehrenden Klettereinlagen. Trotz des reichhaltigen Essens haben wir alle unsere Reserven angegriffen und gut Gewicht verloren.
Diese Zeilen mögen eine große Ermutigung für alle Wollenden, noch Unentschlossenen sein, sich an dieses Abenteuer zu wagen. Ajay mit seinem Team und wir werden alles irgend machbare tun, Ihre Träume in dieser noch unbekannten Region Indiens wahr werden zu lassen.

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