Jenseits von Bhutan

Jenseits von Buthan Tour 2019
Jenseits von Buthan Tour 2019

Pilot-Radtour durch den Westen Von Arunachal Pradesh (März/April 2019)

Bevor wir zu unserem Mountainbike-Pilotritt in die Berge des westlichen Arunachal Pradesh in Richtung des alten tibetischen Klosters Tawang, dem nach dem Pottala in Lhasa zweitgrößten, aufbrechen treffen wir uns in der westbengalischen Metropole Calcutta, oder heute Kolkatta.

Ich nutze die frühe Anreise, um emotional Abstand zu gewinnen zu der gerade am Vortag beendeten Rad-Tour im Süden des Subkontinents. Den kurz nach mir eintreffenden Gästen werden die zwei Tage gut tun, um sich zumindest an das Klima zu gewöhnen. Auf Calcutta kann man sich nicht einstellen, es überwältigt den Erstankömmling wie den Rückkehrer in seiner erdrückenden Mischung aus Charme und Chaos, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Bestehen und Verfall, dass man nicht versuchen sollte, es zu beschreiben. Daran ist schon Günter Grass gescheitert. Der residierte einst wie wir heute im legendären Fairlawn Hotel, einer fast schon kitschigen kolonialen Oase inmitten des Gewusels nahe Chowringee und Maidan im unfassbar heruntergelebten und doch funktionierenden Zentrum des alten britischen Kolonialreiches.

Wir schauen tief und ungefiltert hinein in den bengalischen Alltag gleich nebenan im New Market und rund um die Howrahbridge mit allem, was dazu gehört. Was dazwischen liegt erwandern wir Aktivreisende zu Fuß. Den Chai am Wegesrand serviert man in Westbengalen inzwischen übrigens in kleinen Einweg-Terrakotta-Schalen, die man nach der Benutzung einfach an verschiedenen Sammelpunkten, praktisch entlang der Straßen fast überall wegwirft. Auch für das Essen gibt es aus Blättern gepresste Teller, die verrotten oder von den Kühen gefressen werden. Beides entlastet die Umwelt erheblich und sollte Vorbildwirkung für andere Unionsstaaten und auch für uns aus dem hochgradig müllproduzierenden Westen haben.

Eine Empfehlung wäre sicher auch, einmal die nur noch hier erlaubten hochrädrigen, von spindeldürren Typen gezogenen Rikschahs, die nur noch in Calcutta verkehrenden ungekühlten gelb-blauen Ambassador-Taxis oder die rumpelnde Straßenbahn – die einzige in ganz Indien – als Verkehrsmittel zu benutzen. Oder auch in eines der immer zahlreicher werdenden schmalen dreirädrigen Rikscha-Ungetüme mit einem fast nicht hörbaren Elektro-Antrieb zu steigen.

Als Kontrastpunkt zum Menschen-Chaos nahe unseres trotzdem ruhigen Hotels laufen wir später zum im südlichen Maidan gelegenen Victoria Memorial, der in weißem Marmor beeindruckenden Reminiszenz an die großen Tage des britischen Empires hier. Wir entspannen uns mit den zahlreich anwesenden Indischen Besuchern und werden sicher einige Zeit brauchen, um alles Gesehene und Erlebte einzuordnen und zu verdauen. Dieser Prozess beginnt gleich am Dienstagmorgen mit dem Weiterflug nach Gauhati, Assams Hauptstadt und dem Transfer in die quirlige Stadt Tezpur, dem Ausgangs- und Endpunkt unserer Radtour „Jenseits von Bhutan“.

Jenseits von Buthan Tour 2019
Jenseits von Buthan Tour 2019

Auch wenn wir künftig sicher nicht jedes Mal von einem hollywoodreifen gespenstisch anmutendem Sandsturm in Richtung Osten getrieben werden, so bleibt mit Sicherheit das staubige Grau, hervorgerufen durch die vielen Zementwerke östlich der Stadt. Kurz vor Tezpur überqueren wir von Süden kommend endlich auf einer endlos anmutenden Brücke den derzeit eher gemäßigten Brahmaputra und bestaunen die ingenieurtechnische Meisterleistung beim Bau der benachbarten neuen Zwillingsschwester.

Wie versprochen erwartet uns mein hiesiger Partner Roheen am nördlichen Ufer und bringt uns mit dem Boot lokaler Fischer an einen nahen Zufluss, an welchem wir tatsächlich die endemischen Ganges-Süßwasser-Delfine erspähen.

Am Abend dürfen wir die Gastfreundschaft meines Partners im Hause seiner Eltern genießen. Das lokale Essen ist vorzüglich und die Gespräche mit ihm und seinem Vater, einem ehemaligen Manager einer großen Teeplantage, überfordern uns ein Stück weit aufgrund der Menge der Informationen. Ein beeindruckender Start, der seine Fortsetzung finden wird.

Am Mittwoch-Morgen passen wir kurz die entsprechend unseren Anforderungen bereit gestellten Mountainbikes an und rollen aus dem morgendlich sehr lebendigen Tezpur anschließend problemlos in unseren ersten Etappenort, den Nameri Nationalpark, berühmt für seinen Vogel- und Fischreichtum. Auf einer nachmittäglichen Raftingtour genießen wir das im Norden bereits sichtbare Panorama des Südhimalaya und entdecken die eine oder andere Spezies nur hier lebender Vögel.

Auf einer weiteren flachen Tour gelangen wir am Donnerstag durch die ausgedehnten Teegärten schließlich ins Sapoi Tea Estate, einer privat geführten Plantage, die ca. 8.000 Menschen eine Existenz erlaubt und die der Inhaberfamilie zu nicht übersehbaren Wohlstand verholfen hat. Der Senior-Chef läßt es sich nicht nehmen, uns am Nachmittag selbst durch die Fabrik zu führen und freimütig alle unsere Fragen zu beantworten. Auch dürfen wir die verschiedenen Teequalitäten verkosten. Am Abend und am kommenden Morgen ist er erneut gemeinsam mit seiner erstaunlich vitalen 87-jährigen Mutter und seiner Frau aufmerksamer Gastgeber und sorgt dafür, dass wir alle viel zu viele der vorzüglichen vegetarischen Köstlichkeiten zu uns nehmen.

Das Bewußtsein, von einem der wohlhabendsten Menschen Assams in dessen großzügigem Haus persönlich höchst aufmerksam behandelt zu werden, ruft einige Verwirrung und auch Genugtuung in mir hervor. Schön, dass jemand der dies überhaupt nicht müßte (oder wegen seiner Stellung als Brahmane im hinduistischen Weltenverständnis wohl doch?) dies für uns europäische Radfahrer tut. Hier treten ganz grundsätzliche kulturelle Unterschiede zu Tage, die eine jede Reise nach Indien so spannend machen und die uns auch in den kommenden Tagen beschäftigen werden.

Jenseits von Buthan Tour 2019
Jenseits von Buthan Tour 2019

Weiter geht es zunächst nach Westen und dann im Ort namens Orang nach Norden in unmittelbarer Nähe der bhutanesischen Grenze endlich hinein nach Arunachal Pradesh. Mein Partner Roheen kämpft noch immer mit den zuständigen Behörden um die letzte Unterschrift für unsere Reise während uns ein freundlicher Beamter den Schlagbaum bereits passieren läßt. So können wir entspannt auf ihn warten und geben durch unsere Bestellung für ein überschaubares Mittagessen einer hiesigen Familie Anlass, sich zu beschäftigen und ein kleines Einkommen zu erwerben.

Gegen 15 Uhr erreicht Roheen uns endlich mit allen für die Weiterfahrt notwendigen Papieren, Stempeln und Unterschriften. Nach weiteren 5 ersten bergigen Kilometern schlagen wir am Rande eines Weilers direkt an einem Gebirgsbach unser erstes Camp auf und genießen die ursprüngliche Umgebung in vollen Zügen. Einem erfrischenden Eintauchen im hier noch relativ warmen Bach schließt sich ein gemütlicher Abend am Lagerfeuer an.

Die Nacht hält einen traumhaften Sternenhimmel und die Geräusche der Wildnis für uns parat. Am kommenden Morgen sind wir alle bereit für die Berge, d.h. den ersten 25 km langen Aufstieg. Irgendwann sind wir dann oben und rollen nach einer verdienten Pause hinunter und auch wieder etwas hinauf nach Kalaktang, einem schon deutlich buddhistisch geprägten Städtchen, in welchem wir erstmals typisch tibetische Speisen wie Momos und Thukpa zum Mittag genießen dürfen. Mehr oder weniger gut erhaltene religiöse Bauwerke und erstaunlich viele geöffnete Alkoholläden in einer ansonsten fast verschlossenen Kleinstadt bestimmen für mich das Bild an diesem Samstagmittag.

Zum Camp strampeln wir dann noch 5, wohl eher 8 lange Kilometer nach oben, um im Vorhof der Plantage eines freundlichen ehem. Bankers, der hier oben Kiwis und anderes kultiviert, mit einem Tee und Gebäck empfangen zu werden. Kurz darauf dürfen wir Roheens neue Outdoor-Dusche einweihen und sind begeistert.

Zum Dinner kredenzt der Eigentümer noch einen mit nicht näher zu identifizierenden Aromen versehenen kräftigen Reisschnaps, der uns beim einsetzenden Gewittergrollen und dem unvermeidlichen Regen trotzdem gut einschlafen läßt.

Der Regen hört erst gegen Morgen auf, es hat sich merklich abgekühlt, dennoch starten wir voller Elan in den düsteren Sonntagmorgen.
Es geht ruppig bergauf und bald sind wir mitten in den tief hängenden Wolken. In einem Örtchen mit dem Namen des 14. Dalai Lama Tensing Gaon erfahren wir in einer einfachen Teestube dank eines „Stammbaumes“ und den hilfreichen Erklärungen eines unserer Mitfahrer Tobias vieles aus der Historie des Buddhismus in der Himalaya-Region. Kurz nach der Mittagspause stoppt ein einsetzendes Gewitter unseren Tatendrang. Gut so, denn die Daten von meinem regionalen Partner zum Radeln an diesem Tage sind sehr optimistisch formuliert und sicher nur bei optimalen Wetterverhältnissen halbwegs machbar. So erreichen wir am Abend nach einem spektakulären Transfer durch den Regen und die Schluchten des Himalaya die Kleinstadt Dirang und dort zumindest trockene Zimmer für uns. Unser indisches Team ist die halbe Nacht mit der Bergung eines abgerutschten Fahrzeuges beschäftigt.
Dies eröffnet uns die Möglichkeit, den Vormittag in der Stadt zu verbringen und besonders den eindrucksvollen Neubau des hiesigen buddhistischen Klosters zu erkunden. Am Nachmittag, da alle Probleme mit den Begleitfahrzeugen gelöst sind und das Wetter aufgeklart ist, fahren wir auch noch Rad. Allerdings nur eine gute Stunde in das benachbarte, vor allem bei Ornitologen wegen seiner Vielfalt endemischer Vögel sehr geschätzte Shanti-Tal. Wir übernachten in einem Zeltcamp und werden vom Betreiber am Abend in sein Haus zu einem üppigen Mal eingeladen. Dazu wird in nicht unerheblichen Mengen das in der Region populäre Reisbier Chang gereicht. Wir haben alle viel Spaß, gewinnen sehr authentische Einblicke in das Leben der hiesigen Menschen und können bestens schlafen.

Der Dienstag empfängt uns mit Kaiserwetter und wir machen uns zeitig auf den Weg. Vor uns liegt der zweitägige Aufstieg zum Sela-Pass, dem mit knapp 4.200m höchstem Punkt unserer Tour. Zunächst geht es zurück nach Dirang und nach einem kräftigen tibetischen Frühstück mit Momos und Thukpa-Nudelsuppe sind wir gut gerüstet für den ersten Teil des Aufstieges in den Weiler Senge. Auf 38 km Strecke bewältigen wir 1.750 Höhenmeter und werden bei der Ankunft von eisigen Winden, durchsetzt mit einigen Schneeflocken fast von der Straße geblasen. Anstelle des geplanten Zeltcamps eröffnet sich die Möglichkeit, in einer ziemlich verwohnten Herberge einige Zimmer zu nutzen. Der eisigen Umgebung trotzen wir mit den bewährt guten Gerichten unserer Camp-Küche und einigen wärmenden Getränken. Ganz unverhofft erleben wir dank Tobias ein weiteres Highlight buddhistischen Lebens. In unmittelbarer Nähe entdeckt er ein altes kleines Kloster und im Berg dahinter Einsiedlerhöhlen, in welchen Mönche sich zur Meditation über längere Zeiträume zurück ziehen.

Die Nacht zum Mittwoch ist eisig und nicht alle können auf 3.000 m Höhe gut schlafen.
Umso mehr überrascht uns der wolkenlose sonnige Morgen mit unglaublichen Ausblicken auf den Sela-Pass, an dessen Überquerung wir uns nach einem salzigen Buttertee gleich in der Frühe machen. Nach 3 Stunden sind wir oben und können unser Glück kaum fassen. Rundherum liegt Schnee, der See ist zugefroren und wir genießen tolle Aussichten. Noch vor dem Frühstück bringen wir an der Pass-Straße Gebetsketten an und begeben uns auf die wegen der zunächst schlechten Straßenverhältnisse und der eisigen Temperaturen anstrengende Abfahrt.

Jenseits von Buthan Tour 2019
Jenseits von Buthan Tour 2019

Kurz vor unserem Tagesziel Jang genießen wir erstmals die Aussicht auf unseren Tour-Zielort Tawang und dessen schon aus der Ferne beeindruckende tibetische Klosteranlage. Kurz hinter Jang schlagen wir direkt am Fuße eines sich spektakulär in die Tiefe stürzenden Wasserfalles unser letztes geplantes Camp während dieser Reise auf. Und da die Temperaturen hier auf gut 2.000m wieder viel angenehmer sind nutzen wir dies zur ausgiebigen Körpereinigung unter der einzigartigen Riesendusche oder im rauschenden Gebirgsbach.

Dessen „Lärm“ und der Gesang der erneut zahlreichen Vögel bringt uns schon früh auf die Füße und nach einem Tee und einer kräftigen Nudelsuppe schnell in den Sattel. Es ist recht frisch, aber trocken und so bewältigen wir den 35 km kurzen Weg nach Tawang trotz der zu bezwingenden 1.350 Höhenmeter in nur 3 Stunden. Das ist gut so, bleibt uns doch genügend Zeit für den Besuch der beeindruckenden tibetischen Klosteranlage, nach der in Lhasa der angeblich zweitgrößten und -wichtigsten.

Zudem werden wir Zeuge des Besuches eines hochrangigen Vertreters der Delhier Zentralregierung, der für die Mönche hier eher unwichtig erscheint. Wen es einmal hier hinauf verschlagen sollte dem sei unbedingt der Besuch des Klostermuseums empfohlen, welches u.a. zahlreiche Fotodokumente vom Eintreffen des Dalai Lama hier nach seiner Flucht aus Tibet 1959 zeigt.

Der auf gut 3.200 m Höhe gelegene Ort selbst ist neben dem Kloster bis auf eine große Buddha-Statue eher unspektakulär und trotz vieler Bemühungen und Deklarationen noch immer jenseits der Straßen gekennzeichnet von vollgemüllten Abhängen. Ganz im Gegensatz dazu stehen die atemberaubenden Aussichten auf die umgebenden Gebirgszüge in Richtung Bhutan, Tibet und zurück zum Sela-Pass, auch wenn es wegen der Omnipräsenz des indischen Militärs nicht ratsam ist, diese im Kontext des Ortes festzuhalten.

Am kommenden Freitagmorgen geht es nach einem gut gemeinten westlichen Frühstück aus unserem Hotel Mon Paradise per Transfer zurück, zunächst über den Sela-Pass und Dirang und dann durch einen der zahlreichen Militärkonvois hindurch in das hoch über den benachbarten Tälern gelegene Örtchen Thembang. Dieses soll über 1.000 Jahre alt sein und stellt für heutige Interessierte ein authentisches Beispiel traditioneller tibetischer Lebensweise dar. Wir schlafen in einfachen Unterkünften und werden traditionell bewirtet. Ich beschließe, im kommenden Jahr erneut zurück zu kehren und den anspruchsvollen 14 km langen Aufstieg mit dem Mountainbike zu bewältigen.

Es ist eines der letzten in seinen baulichen Strukturen gut erhaltenen tibetischen Wehrdörfer und bewirbt sich um den Status eines Weltkulturerbe-Ortes. Hoffentlich kommt es nicht dazu, denn dann ist es mit der von uns so angenehm empfundenen Ursprünglichkeit definitiv vorüber. Die wird bei dem auch hier immer deutlicher spürbaren Ansturm indischer Touristen ohnehin schwer zu erhalten sein.

Im Hause unserer Gastgeber soll nach unserer Abreise ein Schamane eine Puja abhalten zur Genesung einer erkrankten Alten. Ich traue meinen Ohren kaum, habe ich das doch hier oben bei den streng gläubigen Buddhisten nicht erwartet. Letztere schlachten keine Tiere, bei den Schamanen geht es ohne Blutopfer aber nicht ab. Offensichtlich sind die Verquickungen zwischen animistischen Traditionen und buddhistischem Glauben enger und vielfältiger, als ich mir das vorstellen kann…

Als Radfahrer hätte ich mir gewünscht, dass sich hier auch jemand gefunden hätte, die viel zu große Hundepopulation auf den Straßen zu reduzieren. So führt dieses fragwürdige Verhalten dazu, dass wir mitunter höllisch auf einige Biester aufpassen müssen. Gleichzeitig begegnen uns täglich Hundekadaver auf den Straßen, die Opfer des wachsenden Straßenverkehrs wurden. Seltsame Welt.

Der zweite Teil des Rücktransfers gestaltet sich zu einem Tag voller wechselnder Eindrücke. Zunächst fahren wir auf neuer Straße hinauf zum nächsten Pass nach Bomdila und erleben neben schönen Aussichten auf das gerade verlassene Thembang dahinter nochmals die schneebedeckten Riesen aus dem gar nicht fernen Tibet. Die sich anschließende Abfahrt hinunter nach Assam bringt schlechte Straßenverhältnisse, ewige Baustellen, Wartezeiten wegen Sprengungen und Straßenräumungen und damit einher wachsenden Respekt für die hier unter für uns unvorstellbaren Bedingungen die Arbeit leistenden Frauen und Männer von BRO, der dem indischen Militär unterstellten Organisation zum Ausbau und der Instandhaltung der strategischen Straßen entlang der Grenze zu Tibet/China.

Irgendwann sind wir dann wieder im Tiefland und kurz darauf zurück im Ausgangspunkt unserer Reise, der Stadt des Feuers Tezpur. Roheen, der hier zu Hause ist, nimmt uns am Nachmittag mit zu einem Spaziergang durch die typisch indisch brodelnde Altstadt und zu einem Aussichtspunkt hinunter auf den mächtigen Brahmaputra.

Am Abend sind wir erneut bei ihm zu Hause zu Gast, um uns auch von unseren indischen Begleitern zu verabschieden. Ein letztes Mal kochen sie für uns, wir besorgen die Getränke und haben viel Spaß miteinander, auch oder weil die Timings indisch sind und meine Gäste nochmals intensiv „Indien erfahren“.

Am Sonntagmorgen läßt ein aufziehendes Gewitter und der sich anschließende Regen unseren letzten geplanten Radfahrtag buchstäblich ins Wasser fallen. So überwinden wir die 80 km hinüber zum Kaziranga Nationalpark im Begleitfahrzeug und haben unterwegs bereits das erhoffte Glück, denn wir sehen Nashörner, Elefanten, Wasserbüffel und viele weitere wilde Spezies in ihrer natürlichen Umgebung.

Nach einem Zwischenstopp an einem für Besucher angelegten Park mit Orchideen, Heilkräutern sowie einem Museum mit klassischen assamesischen Handwerkstraditionen gelangen wir am Nachmittag in unsere letzte Unterkunft, einer in einem Teegarten mitten im Nationalpark gelegenen Öko-Lodge. Genau der richtige Ort, um nach den Strapazen des Radfahrens in den Bergen zu entspannen.

Am Montagmorgen sitzen wir bereits vor 6:00 Uhr auf dem Rücken einer reifen Elefantendame, die uns und ihren Jüngsten behutsam durchs hohe Gras und morastige Wiesen führt. Tatsächlich bringt sie uns mehrfach ganz nahe an verschiedene Nashörner, mal zu einem Single, dann zu einer Kuh mit einjährigem Kalb und abschließend noch zu einer Gruppe. Nach dem Frühstück und nochmals am Nachmittag wartet dann ein Jeep auf uns. Der geschulte Fahrer zeigt uns bei diesen Safaris neben den Rhinos Elefanten, wilde Wasserbüffel, Rot- und Schwarzwild, einen Leguan und viele der hier lebenden Vögel. Erstmals kann ich Pelikane beim Fischen aus dem Schwebeflug beobachten.

Jenseits von Buthan Tour 2019
Jenseits von Buthan Tour 2019

Neben der Garantie, hier Nashörner aus nächster Nähe zu beobachten ist es vor allem deren Habitat, die üppigen, mal mehr, mal weniger überfluteten Graslandschaften südlich des Brahmaputra vor dem Hintergrund sanfter grüner Berge, welches mich hoffen lässt, dass alle hier lebenden wilden Spezies eine gesicherte Zukunft haben. Zumal auch die Menschen, die sonst eher nur an sich denken, den hier quer durch den Park gehenden wichtigen Ost-West-Highway weiter nördlich des Flusses neu planen und so den besonders in der Nacht störenden Verkehr im Sinne der Tiere stark reduzieren werden.

Was bleibt nun nach gut zwei Wochen Tour, was nehmen wir mit nach Hause?
Auf dem Rückweg zum Flughafen von Gauhati erneut von einem kräftigen Vor-Monsun-Gewitter begleitet, ist es zunächst die Gewißheit, dass jeder Reisende, vor allem jeder radfahrende in dieser Region zwischen Meerespiegel und 4.200 m Höhe im Himalaya auf alle zu Hause in Deutschland bekannten Wetterbedingungen – vom schönsten Sonnenschein über peitschenden Regen bis hin zu eisigen Schneestürmen – innerhalb dieser 2 Wochen vorbereitet sein muß. Wobei wir nichts erzwingen und bei schwierigem Wetter immer der Mitfährt im Begleitfahrzeug dem Vorrang geben.

Die Tour ist spektakulär, abwechslungsreich und radfahrerisch anspruchsvoll. Wir sitzen geplant, so das Wetter es zuläßt, 10 Tage im Sattel und absolvieren dabei max. 600 km, wohl eher aber etwas weniger. Dafür werden die, die keinen Berg auslassen, auf unterschiedlichstem, meist jedoch gut asphaltiertem Untergrund mindestens 8.000, eher wohl über 10.000 Höhenmeter erklimmen. Voraussetzung dafür sind neben dem eigenen Vermögen die zuverlässigen, bestens gepflegten MTBs der Marken Scott und Cube mit 26 und 29 Zoll-Laufrädern, die Roheen zur Verfügung stellt und unser lokaler Guide Ahondoa vom Stamm der Idu Mishmi, ein gerade 20-jährigem MTB-Genie, keine 1,60 m klein und kaum 40kg leicht, der neben seinen radfahrerischen Fertigkeiten vor allem als kompetenter Mechaniker überzeugt.

Eingerahmt von den Extremerfahrungen Calcutta und Kaziranga erleben wir in den Bergen des Südost-Himalaya eine für Indien atypische buddhistische Kultur, die sich trotz aller Bedrängnis durch die hinduistische Mehrheitsgesellschaft und die an der Grenze zu China/Tibet aufgeblähten militärischen Strukturen hier ihre Authentizität und Eigenständigkeit zu bewahren sucht. Vielleicht folgen wir künftig der Anregung eines der einheimischen Teammitglieder und hängen an diese Tour noch eine weitere Schleife durch seinen etwas südlicher gelegenen und stärker christlich geprägten Heimatstaat Meghalaya an und erschließen uns damit nach Assam und Arunachal Pradesh eine weitere kulturelle Facette der hier so genannten 7 Schwestern ( der mit Manipur, Nagaland, Mizoram und Tripura zusammen 7 Unionsstaaten im Nordosten Indiens).

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