„Power Cut!“ oder „Der Strom ist weg!“

Wer wie ich im April nach Tamil Nadu fliegt, begegnet garantiert noch am Tage seiner Ankunft diesem Aufschrei. Der setzt immer dann ein, wenn gerade mal wieder der Strom ausfällt oder auch planmäßig abgeschaltet wird.

Das Phänomen kenne ich noch aus meinem ersten Aufenthalt in Nordindien in den 1980er Jahren. Seit dem hat Indien ja die bekannt rasante wirtschaftliche Entwicklung vollzogen und zu den alten Energieproblemen kamen viele neue hinzu, die besonders im südindischen Boom-Land Tamil Nadu zu kulminieren scheinen. Trauriger Spitzenreiter während unserer Tour war die alte Herrscher-Metropole Thanjavore mit 13 – 14 Stunden Stromabschaltung pro Tag!

Ist es bei uns die ewige Debatte übers Wetter, so dreht sich hier in den besonders heißen Monaten April und Mai alles um das Thema Stromversorgung. Im Gegensatz zu uns temperamentvollen Deutschen tragen die Tamilen die Situation aber mit einer fast schon fatalistischen Demut. Offensichtlich schlummern im Glauben an die ungezählten hinduistischen Gottheiten enorme inspirative Kräfte zum Umgang mit scheinbar unvermeidlichen, ausweglosen Situationen. Jedenfalls habe ich keinen getroffen, der sich darüber noch groß erregt hätte. Man wartet halt geduldig, bis der Ventilator sich wieder dreht, das Licht wieder da ist und aus dem TV-Gerät wieder der Schmalz aus Mollywood (Kosename für die in Madras/heute Chennai produzierten Tamil-Schinken) tropft.

Debatten über die Energiesituation finden für den westlichen Reisenden kaum mal wahrnehmbar statt, obwohl es unter den Einheimischen das vielleicht brennendste Thema ist. In Kerala wird es noch getoppt von der Sicherheit der noch von den Briten errichteten und inzwischen teilweise lebensbedrohenden, weil nicht genügend erhaltenen Dämme, die ja auch für die Energieerzeugung nötig sind.
 
Ist ja auch vermintes Gelände, seit sich die indische Regierung so stark auf den Ausbau der Kernenergie festgelegt hat. Gerade als Deutscher hört man in privater Runde aber schon mal kritische Töne. Vor allem wird angeregt, einen Teil der immensen Mittel für den Bau neuer AKW auch in Tamil Nadu wie in ganz Indien besser in die Förderung der Solarenergie umzuleiten. Kaum ein Ort auf dem Planeten kommt auf die Anzahl von Sonnenstunden, die in den tamilischen Ebenen gemessen werden. Auch gebe es für jeden Laien sofort erkennbare und auch umsetzbare Energie-Einsparpotenziale, die in einer Offenheit aufgelistet werden, dass es einem bald die Schamesröte ins Gesicht treibt.

Die Gastfreundschaft gebietet es, hier zu schweigen. Auch die gerade gemachten Erfahrungen bringen mich nicht von meiner Überzeugung ab, dass diese alte und reiche Kultur in der Lage ist und sein wird, mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, vor allem der Lösung des Energie- und des Müllproblems letztlich erfolgreich umzugehen! Vielleicht oder notwendiger Weise lässt sich die Lösung beider sinnvoll verbinden?

Leave a Reply