Dubai, Du irritierst mich!

Es war im September 1987, als wir gemeinsam mit den Kindern auf dem Weg in die Botschaft nach Neu Delhi erstmals hier waren. Als DDR-Reisekader, ausgestattet mit 5 $ Reisegeld pro Kopf  waren wir überwältigt von der überbordenden Vielfalt des bunten Warenangebotes zunächst im Duty Free Bereich des Flughafens und besonders dann auf dem damals noch sehr authentischen und lebendigen arabischen Souk in der Altstadt von Deira. Dem bei weitem nicht immer nur grauen Alltag in Ost-Berlin enteilt, hat uns diese Vielfalt an Farben, Gerüchen und besonders die freundliche Aufdringlichkeit der Händler mit der steten Einladung, doch zumindest erst einmal für einen Tee oder Kaffee Platz zu nehmen, sprichwörtlich in die Welt von Tausend und einer Nacht versetzt. Spätere Besuche bis in die frühen 1990er Jahren haben dieses Bild eher noch verstärkt, zumal wir dann auch in der Lage waren, uns einige der dargebotenen Waren zu leisten.

Bei vielen späteren Zwischenlandungen auf dem Weg zu anderen Zielen in Asien habe ich aus der Vogelperspektive staunend das rasante Wachstum des Emirates wahrgenommen. Beim Verweilen in der für mich stets zu weit herunter gekühlten und absolut überdimensionierten Shopping malls des immer weiter wachsenden Flughafens überkamen mich mit den Jahren zunehmend Zweifel ob der Sinnhaftigkeit und Richtigkeit dieser Entwicklung.

Egal, nach vielen Jahren hatte ich vor kurzem endlich wieder den Kontakt zu meinen lieben Freunden aus den Tagen an der Botschaft in Neu Delhi, Birgit und Rainer, herstellen können. Beide haben seit 8 Jahren ihren Lebensmittelpunkt hierher verlegt, arbeiten und leben hier und sind augenscheinlich glücklich und zufrieden. Gern habe ich die Einladung angenommen, auf meinem Weg nach Kerala in Südindien mal bei Ihnen ein Stopp einzulegen.

Vom Service an Bord der Flotte von Emirates war ich schon immer angetan und bin es auch heute immer wieder. Einmalig ist dann auch das Angebot beim Verlassen des Ankunftsbereiches des Flughafens. Da bauen sich vor den hektischen Einreisenden dezent traditionell gewandete junge Araber auf  und laden jeden Gast zu einem Schluck extra starken Arabica-Kaffees sowie einer betörend süßen Kleinigkeit ein. Welch eine Geste, die auch den Unterschied zu anderen ausmacht. Leider wird dieses Angebot von vielen nicht wahrgenommen oder sogar bewusst ignoriert, da sie gedanklich schon bei ihren nächsten Aktivitäten sind. Welch eine Torheit!

Dann haben wir uns endlich wieder. Es ist fast 10 Jahre her, dass wir mit Rainer am Rande der Kölner Möbelmesse letztmalig den so ersprießlichen Gedankenaustausch gepflegt haben. Dafür ist nun viel Zeit! Und auch zum Erkunden der neuen imposanten Teile von Dubai, die bei meinem letzten Besuch, wie seit Jahrtausenden, noch Wüste oder gar Teil der Arabischen See  waren.

Beide bewohnen ein großzügiges und komfortables Appartement in einer Anlage am Ende des Stammes der Palme von Fujeira – wenn ich es mir denn richtig gemerkt habe. Ist mir aber nicht so wichtig – wichtiger scheint mir, dass es sich hierbei um  künstlich geschaffene Inseln handelt. Diese holt sich sicher irgendwann das Meer zurück. Hoffentlich nicht, solange die beiden dort noch leben!

Vom Flughafen geht es auf der auch nach 20 Uhr von für meinen Geschmack meist überdimensionierten Fahrzeugen dicht befahrenen vielspurigen Autobahn eigentlich sehr entspannt in Richtung des kleinen Pardieses meiner Gastgeber. Unsere ersten Gespräche im Auto  werden nur hin und wieder von einigen wilden Fluchen von Rainer unterbrochen. Er regt sich aus meiner indisch geprägten Sicht über Banalitäten auf. Er war halt lange nicht mehr als aktiver Verkehrsteilnehmer in dem Land unterwegs, das uns vor über einem Vierteljahrhundert zusammengeführt hat und das uns prägte, wie nichts davor. Für mich füge ich hinzu – und wie nichts danach.

Beim Befahren der künstlich aus dem Meer gewachsenen Palme und an den darauf gebauten Hotels und Appartementhäusern wird mir doch sehr beklommen. Alles wirkt überdimensioniert,  ja bisweilen gigantisch. Mir kommen erste ungute Gedanken an ähnliche Versuche in einer der schwärzesten Perioden unserer eigenen Geschichte. Leider steht diese in diesem Teil der Welt wohl noch immer hoch im Kurs, obwohl wir alle wissen, wie es geendet hat.

Das Appartement selbst ist – für Dubai wohl selbstverständlich – großzügig, fast luxuriös geschnitten und ebenso sind es die verwendeten Materialien. Hinzu kommt Birgits Talent, allem eine sehr individuelle Note zu verleihen. Mithin eine zeitgenössische Oase zum Wohlfühlen in dieser mich mehr abschreckenden als anziehenden Umgebung. Die seit einer Ewigkeit hier lebenden Beduinen wussten schon, warum sie ihre schützenden Oasen nur sehr ungern verlassen haben. Wir tun es ihnen gleich und nutzen die uns zur Verfügung stehende Zeit zu herrlich langen Gesprächen zu allen erdenklichen Themen. Einfach schön.

Am nächsten Tag, es ist Samstag, der auch als Samstag in Dubai begangen wird, begleite ich Birgit auf einer kleinen Tour zu Ihrer Arbeitsstelle. Den Weg nutzen wir, um an einigen der in den letzten Jahren entstandenen markanten architektonischen Highlights Pausen einzulegen. Auffällig ist, wie sehr sich die Herrscherfamilie bemüht, neben den meist arg mit Staub belegten Dattelpalmen weiteres Grün in die Stadt zu bringen. Von Rainer erfahre ich, welche Mengen Wasser hierzu nötig sind und auch bereitgestellt werden. Dies vollzieht sich mit Hilfe Monstern gleichender gigantischer Entsalzungsanlagen. Diese produzieren zwar quasi als Nebeneffekt günstig Strom, aber der verbleibende Restschlamm wird wohl ungefiltert wieder dem Meer zugeführt und stellt – zumindest langfristig – eine ernst zu nehmende Umweltbelastung dar.

Später begeben wir uns nach Deira an den Creek in die Gegend, die bis vor wenigen Jahren das eigentliche Dubai war. Tatsächlich erkenne ich einige alte Marktstraßen wieder, die neben den schon immer dort gehandelten Waren viel auf die große Touristenschar abzielenden Nepp im Angebot halten. Irgendwie ist all dem die Seele abhanden gekommen. Schade. Dafür führt mich Birgit zielgerichtet in eine weitere kleine Gasse, in welcher sich heute die zum Museum umfunktionierte 1. Jungenschule des Emirates befindet. Diese wurde erst in den 1950er Jahren gegründet. Die Exponate und schwarz weiß-Fotografien vermitteln einen Eindruck, als sei diese mindestens 200 Jahre früher gegründet worden. Allein an diesem Kleinod kann man ermessen, welchen gewaltigen Sprung quasi aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert Dubai besonders in den letzten 20 Jahren vollzogen hat. Ein Besuch sei jedem interessierten Dubai-Touristen dringend ans Herz gelegt. Zumal sich in direkter Nachbarschaft ein überschaubares Heritage Hotel befindet, welches mit seiner Lobby, dem typischen Innenhof und den wenigen geschmackvoll ausgestatteten Zimmern das Flair einer längst vergangenen Zeit Arabiens verströmt. Wahre Dubai Liebhaber werden es all den modernen Luxus-Herbergen vorziehen.  Diese sind trotz aller Bemühtheit weltweit austauschbarer Einheitsbrei – hier jedoch erleben Sie arabisches Flair, so wie ich es bisher nur aus Stonetown auf Sansibar kenne.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Creek schleppt mich Birgit noch in die von ihr so geliebte indische Gasse. Da ich einen erheblichen Teil des Jahres in Indien lebe, ist meine Sicht auf diesen Ort subjektiv anders, aber wohl nicht maßgeblich. Jedenfalls wirkt sie, wie fast alles in dieser Stadt, sehr auf Touristen ausgelegt. Inder habe ich dort kaum gesehen, obwohl es Hunderttausende von ihnen in der Stadt gibt. Die kaufen mit Sicherheit an anderen, uns nichtbekannten Orten ein. Und das ist auch gut so! Dabei lohnt sich ein Bummel auf dieser Seite durchaus. Wenn man nur ein wenig von den touristischen Hauptrouten abweicht, lässt sich noch das eine oder andere architektonische Kleinod finden. So haben meine Gastgeber und ich dort eine frisch restaurierte Moschee bestaunt, die auch sie noch nicht kannten…

Mit dem Sonnenuntergang haben wir uns dann dorthin aufgemacht, wo sich derzeit wohl die meisten Besucher der Stadt einfinden – rund um das mit unvorstellbaren 828m derzeit höchste Gebäude der Stadt (und weltweit), das eigentlich Burj Dubai heißen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich gern denen überlasse, die mit der Stadt diesen Wahnsinn teilen. In unmittelbarer Nachbarschaft tummeln sich weitere Bauten, für die nur Superlative reichen, sowie eine der größten Malls des Planeten mit einem Aquarium, von dem ich nur hoffe, dass die Außenwände nicht irgendwann mal bersten. Wäre ein toller Stoff für einen Hollywood-Katastrophen-Film. Als passioniertem Taucher tun mir die dort eingepferchten Haie, Rochen und alle weiteren Schwarmfische leid. Sie alle zeigen ein völlig artfremdes apathisches Verhalten. Aber das ist wohl der Kompromiss, zu dem alle derartigen Einrichtungen gezwungen sind, um ihren Besuchern die Artenvielfalt unseres Planeten nahe zu bringen. Und in vielen asiatischen Zoos ist das Bild noch viel deprimierender, was aber nicht als Entschuldigung herhalten darf.

In einer zwischen der Riesen Mall und dem Riesenturm künstlich angelegten Lagune findet abends alle 30 Minuten eine beeindruckende Sound und Light Show statt, die das Spiel der Fontänen phantasievoll unterstützt. Trotz aller Vorbehalte, die ich gegen die Erschaffung dieser ökologisch höchst bedenklichen Traumwelten und von Hochhäusern am falschen Ort hege, gestehe ich gern ein, dass von all dem auch auf mich eine große Faszination ausgeht. Dies ist ja wohl auch das Kalkül der Betreiber, um zumindest einen Teil der exorbitanten Kosten durch die Besucher aus aller Welt wieder einzuspielen.

Wenn man kann, sollte man Dubai nicht verlassen, bevor man nicht auch das atemberaubende Umland im Norden oder weiter im Süden im Oman besucht hat. Dies wäre gerade für mich als Naturliebhaber bestimmt der weitaus spannendste Teil des Besuches geworden. Leider blieb dazu dieses Mal nicht die Zeit. Dafür habe ich ein weiteres „Muss“ erleben dürfen – eine Bootsfahrt in den Sonnenuntergang auf einer Dau in der Marina von Dubai.

Falls es denn eine erzählbare Geschichte dieser ehemaligen Wüstenregion gäbe, diese aber geopfert wurde für ein gewaltiges Bauprojekt von unzähligen viel zu hohen Appartement- und Hotelbauten, dann kann man anstelle der fehlenden Vergangenheit hier zumindest das überwältigende Heute bestaunen und den Leistungen der Architekten und der Hunderttausenden Bauarbeiter vom indischen Subkontinent Tribut zollen. Ich fühle mich an den New York Marathon oder den von Tokio erinnert. Da sind wir auch durch unglaubliche Häuserschluchten gelaufen. Aber die Stadtteile hatten eine Historie mit vielen Geschichten, eine Aura.

Hier wirkt alles künstlich, getrieben offensichtlich vom Wunsch, der Welt zu zeigen, was ein arabischer Herrscher der Welt bieten kann. Ich stelle mir die Frage, was diesen reichen, armen Mann wohl treibt? Ganz offensichtlich geht ihm jegliches Selbstbewusstsein ab, da er Kraft seines Reichtums sein Volk und uns alle mit derart fragwürdigen Projekten glaubt beglücken zu  müssen. Er erinnert mich an einen einsamen großen Jungen, der mittels immer größerer Geschenke Freunde gewinnen will. Am Ende ist er noch einsamer als zuvor und man wird ihm die alles andere als positiven Auswirkungen seines Tuns vorhalten. Denn was wichtiger als die prächtigen Bauten ist, wäre eine wirkliche Integration der vielen verschiedenen Nationalitäten, denen die unglaublichen Fortschritte in seinem Land vorrangig zu verdanken sind. Diese aber, die Verschmelzung der arabischen Welt mit der westlichen oder asiatischen mit allen sich daraus für die Menschen ergebenden möglichen Konsequenzen wird bewusst vermieden. So bleiben die prächtigen Appartements für viele ex Pats doch nur goldene Käfige auf Zeit. Nicht zu reden von den Arbeitskräften vom indischen Subkontinent, die in ihrer Mehrheit trotz aller vermeintlichen Vorteile in Dubai nur zweierlei wollen – viel Geld verdienen, um sich und ihren Familien in der Heimat eine bessere Zukunft zu garantieren und dann schnellstmöglich wieder nach Hause. Selbst die prächtigsten Fassaden können eben keine sozialen Bindungen ersetzen.

Mag sein, ich bin zu hart, zu einseitig in meinem Urteil. Es ist wohl der Tatsache meiner intensiven Einbindung in den Familienverbund sowohl zu Hause in Deutschland und auch hier in Kerala geschuldet. Hier in „Gottes eigenem Land“ leben wir materiell um vieles bescheidener, haben jedoch alles Wesentliche zum Leben, vor allem viele Freunde und  Freude am Umgang innerhalb der hier noch intakten (Familien-)Gemeinschaft.

Diese erleben auch meine Gäste, weshalb ich ernsthaft erwäge, bei künftigen Touren hin und wieder den von mir gewählten Stopp in Dubai auch meinen Gästen anzubieten. So können sie die ohne Zweifel beeindruckende Szenerie Dubais kennenlernen, die so ganz anders ist als das hiesige Erlebnis. Beides kann sich sicher wunderbar ergänzen und den Blick dafür schärfen, unter welch vorteilhaften Bedingungen wir in Deutschland heute leben können. Es ist gut, sich dies hin und wieder bewusst zu machen. Viele auf der Welt, sowohl in den Emiraten, in Indien und anderswo  auf der Welt beneiden uns zu Recht darum.

Meine Gedanken zu diesem faszinierenden, mich etwas verwirrenden Emirat Dubai sind nicht komplett ohne ein von Herzen kommendes Danke an meine Gastgeber Birgit und Rainer, auch fuer die abschliessende antspannte Daufahrt entlang der protzigen Dubai Marina hinein in einen arabischen Bilderbuch-Sonnenuntergang. Unvergesslich!

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