Gestern morgen teilte mir Josey kurz mit, dass sie für die Nacht einen Gast erwarteten, irgendeinen Amerikaner. Gegen 3 Uhr nachmittags sollte er kommen. Tatsächlich wurde es dann Abend, ehe ich beim Eintreten ins Esszimmer eines dunkelhäutigen Hünen, noch dazu in der grünen OP-Kleidung eines Chirurgen, gewahr wurde. Er stellte sich zunächst als Greg vor. Im anschliessenden Gespräch wurde dann schnell klar, dass es sich bei ihm offenbar um eine anerkannte medizinische Kapazität handelt, gebürtig aus Antigua in der Karibik, aber seit Studientagen in den verschiedensten Orten in Texas beheimatet, seit vielen Jahren schon in Dallas.
Auf seine ungewöhnliche Kluft angesprochen, teilt er lächelnd mit, dass ihm ein Kollege diese mal für insektenschwangere Abende in den Tropen empfohlen habe. Da er davon mehr als genug besitze, trage er seit vielen Jahren in dieser Klimazone dieses praktische Stück. Es habe sich immer wieder bewährt. Dies auch als Tipp für deutsche Mediziner, falls das nicht gegen irgendwelche Vorschriften in Deutschland verstoßen sollte? Er scheint sich darin zu gefallen und könnte, trotz Urlaubes, gut gerade von einer selbstlosen Schicht in einem indischen Hospital kommen – als typisches Beispiel für einen hard working american man!
Die Einladung, Lisas köstlichen Chicken Curry auf der Parotha, dem traditionellen Fladenbrot, mit der Hand zu essen, schlägt er höflich aus und quält sich lieber, die Sachen mit dem heute extra für ihn bereit gestellten Besteck zu lösen. Wir haben alle unseren Spass dabei, er selbst natuerlich auch.
Als alle typischen small talk Themen abgearbeitet sind, will er von mir wissen, was ich denn von dieser derzeit so hoch gespielten NSA-Sache halte. In Amerika sähen sie das, wie er selbst auch, sehr entspannt. Es spionierten doch alle, jeder gegen jeden, also was soll die ganze Aufregung ? Er habe nichts zu verbergen, ihm sei herzlich egal, was irgendwelche Dienste über ihn so speicherten.
In diesem letzten Punkt gebe ich ihm gerne recht, da ich es, wie offensichtlich etwa 75% aller Deutschen, genauso sehe. Allerdings, wenn es um das Abhören des Mobiltelefons einer befreundeten Regierungschefin geht, und das über mehr als ein Jahrzehnt, dann kommen da bei Leuten mit gesundem Menschenverstand so verschiedene Fragen auf, entgegne ich ihm. Mal abgesehen davon, was die deutschen „Schlapphüte“ so alles unternehmen, um unser Land mit Informationen zu versorgen, sollte es doch unter Freunden gewisse Grenzen geben, die man nicht überschreitet, auch wenn es technisch machbar ist.
Aber ethische und moralische Bedenken haben die Kollegen dieser Dienste wohl noch selten und dass sie damit vor allem ihr Land und ihren Präsidenten bloss stellen, sehen sie wohl auch nicht oder es interessiert sie schlichtweg nicht ? Jedenfalls habe ich ganz erhebliche Zweifel, dass es sich bei den Mitarbeitern dieser Abhördienste um die besten Männer und Frauen Amerikas handeln soll, wie einer der Behörden-Chefs auf einer Pressekonferenz glaubhaft machen wollte.
Im Gegenteil, nach 09/11 scheint mir ganz Amerika, vor allem aber die politische und militärische Elite, von einer Paranoia erfasst, die viele Masstäbe in eine ungute Richtung verschoben hat. Es ist an der Zeit, gerade bei diesen sensiblen Fragen wieder Mass und Mitte zu finden. Es schmerzt mich zu sehen, wie sich Amerika durch viele außen- und sicherheitspolitisch höchst fragwürdige Entscheidungen nicht nur in der arabischen Welt und in vielen Entwicklungsländern weiter Feinde schafft, sondern – berechtigt – zunehmend auch bei vielen Menschen in Deutschland kritisch gesehen wird. Unsere folgende recht detaillierte Debatte zu Thema Ansehen Amerikas in der Welt erspare ich dem Leser und überlasse es gern seiner/ihrer persönlichen Bewertung.
Grundsätzlich aber traue ich den Amerikanern die notwendigen Korrekturen zu. Zum einen ist es der von mir so geschätzte, typisch amerikanische Pragmatismus, zum anderen die Macht des Faktischen, vor allem der irrigen Kosten, die sie dahin bringen wird. Sicher bin ich mir aber in dem Punkt, dass es nicht Militärs und Sicherheitsleute sein werden, die Amerika auf diesen schmerzhaften, aber unausweichlichen Weg führen werden.
Dazu erzähle ich Greg, 61, dann noch eine Episode aus meinen Delhier Tagen als junger Ostblock-Diplomat, die ihn sowohl erheitert, als auch nachdenklich stimmt. Wir befanden uns ja in den 1980ern noch mitten im kalten Krieg, es gab noch zwei offensichtliche Supermächte und besonders die jungen diplomatischen Mitarbeiter, wie ich damals einer war, waren für die jeweils andere Seite höchst wichtige Zielobjekte der entsprechenden Aufklärungsdienste. Leider überboten sich gerade die Mitarbeiter der beiden „Großen“ an Stümperhaftigkeit und Plumpheit. Sollte es der mich seinerzeit bearbeitende CIA-Mann Lance H. und andere Typen seines Kalibers geschafft haben, noch immer nicht gefeuert zu sein, dann sollte einem echt bange werden um die in Amerika mit der Sicherheit befassten Behörden…
Dann gibt es noch einen herrlichen Strong Kerala Coffee von Lisa und wir verabschieden uns in die schwüle tropische Nacht. Zumindest hier in Kerala klappt es mit der deutsch-amerikanischen Freundschaft und da wir ein paar Ebenen höher von einer klugen Kanzlerin und einem mitunter ebenbürtigen Präsidenten vertreten werden, sind Greg und ich auch für das Große und Ganze zuversichtlich.
Später sinniere ich noch, wie sich die Dinge im 20. Jahrhundert wohl entwickelt hätten, wenn der eine oder andere politisch Verantwortliche eine Frau gewesen wäre. Die sind nicht nur die vorsichtigeren Autofahrerinnen…Wahrscheinlich wäre der Menschheit viel Leid erspart geblieben!
Seien wir froh, dass wir unsere Angie haben und drücken die Daumen, dass sie nicht die Einzige an entscheidender Stelle bleibt in diesem Zirkus Weltpolitik.