Was essen wir denn heute – und wo kaufen wir es ein ?

Wie überall auf der Welt wird sich diese Frage natürlich auch in den Familien hier in Kerala, wie in ganz Indien, täglich gestellt. Und wie seit ewigen Zeiten obliegt es in der übergroßen Mehrheit der Haushalte unverändert den Frauen, dafür zu sorgen, dass möglichst zu drei Mahlzeiten am Tage frisch zubereitetes Essen, meist auch noch warm, auf den Tisch (oder in die Lunch box für die Kinder in der Schule und den Mann im Büro) kommt.

Natürlich gibt es im modernen Indien auch zunehmend erwerbstätige Frauen. Oft kocht hier dann die Mutter, Schwiegermutter oder Haushaltshilfe. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind „westliche“ Lebensmuster eher auf die Megacities und regionalen Zentren beschränkt, wo die großen Malls wie Pilze aus dem Boden sprießen und auch der Außer-Haus-Verzehr boomt. Aber selbst in den grossen Malls spielt der Lebensmitteleinkauf eher eine untergeordnete Rolle. Frische Lebensmittel gar wie Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse fristen hier (noch) ein Stiefmütterchendasein.  Oft sind die Malls regelrechte Erlebniswelten besonders für die Jüngeren, wenn sie es sich denn leisten können.

Eingekauft werden Lebensmittel auch heute weiterhin sehr kleinteilig und nach Produktgruppen differenziert vom vorbeikommenden Händler, in kleinen Läden oder auf dem Markt, wenn es um frische Produkte geht. Nach wie vor wird kaum etwas aufbewahrt. Es wird also dreimal täglich warm gekocht und eben täglich frisch eingekauft, außer vielleicht haltbare Produkte wie Reis, Hülsenfrüchte, Mehl, Zucker, Salz, Öl, Gewürze etc. Den Einkauf übernehmen – zumindest teilweise – auch schon mal die Männer, wozu sie aber eine klare Anweisung zu den zu erwerbenden Produkten und zum Preis bzw. zum finanziellen Spielraum erhalten.

Als begeisterter Hobbykoch ist es seit meinen Delhier Tagen in den 1980er Jahren meine große Leidenschaft, frische Lebensmittel auf den Märkten, die es in beinahe jedem Dorf und in jeder Stadt sowieso und dann gleich mehrfach gibt, zu kosten und zu kaufen.

Bei Obst macht das hier in den Tropen richtig Spass, da es ganzjährig eine unglaubliche Auswahl und Vielfalt von Produkten aus der unmittelbaren Umgebung gibt. Einzige Einschränkung sind die – eigentlich nicht vorhandenen – hygienischen Mindeststandards, die einen vernünftiger Weise vom Kosten von z.B. Weintrauben dringend abhalten sollten. Dafür gibt es eine große Vielfalt unterschiedlichster Bananen, Kokosnüsse und Zitrusfrüchte, saisonal Mangos, Papayas, Ananas, diverser Melonenarten und vielem mehr, die man selbst oder mit fachkundiger Hilfe von der Schale befreien und dann bedenkenlos bis zum Abwinken genießen kann. Viele Früchte sind deutlich kleiner als bei uns im Supermarkt, manche wie z.B. die Papayas auch deutlich größer, immer schmecken sie jedoch viel intensiver und authentischer nach der eigentlichen Frucht. Wir werden vieles von dem, was Sie schon kennen, und noch mehr von dem, was Sie bestimmt so noch nicht kennen, probieren und auch kaufen – Versprochen!

Beim Gemüse wird es dann schon schwieriger, weil es neben den bekannten Basisprodukten (Zwiebeln, Knoblauch, Chillies, Ingwer, Kartoffeln, Bohnen, Gurken, Möhren, Tomaten etc.) vieles zu entdecken gibt, was wir in Europa nicht nutzen oder gar nicht kennen, was aber für die hiesige Vielzahl unglaublich leckerer vegetarischer Currygerichte unverzichtbar ist – allen voran die allgegenwärtigen Curryblätter, die an einem Strauch wachsen und immer in kleinen Bündeln angeboten werden. Gerade in den Bergen der Western Ghats wird anstelle von Reis oft die Maniokwurzel angebaut und zu leckeren Gerichten verarbeitet (Kappa – bitte merken!). Diverse Spinat- und andere Blattgemüse sowie Kräuter in allen Formen, Farben und Geruchsnuancen können einen schon ratlos machen. Daher verlassen wir uns in dieser Sektion immer auf unsere kompetenten einheimischen Begleiter.

Ganz in der Nachbarschaft folgt dann immer eines der absoluten highlights auf den hiesigen Märkten – die überwältigende  Auswahl frischer, hier produzierter Gewürze!  Womit beginnen? Da Chillies in jeder Form beim Gemüse verkauft werden, wohl mit dem unglaublich frischen Pfeffer und dann kommt schon der Stolz der hiesigen Gewürzbauern  – Kardamom. Der wird in Deutschland außer in der Weihnachtsbäckerei kaum eingesetzt. Welch grobe Missachtung seiner Talente. Meine Gäste werden hierzu viele neue Einsatzmöglichkeiten kennen lernen. Betörend frisch sind hier auch Zimt, Muskatnuss, Nelken, Anis, Vanille , Gelbwurz (Kurkuma) und manch anderes mehr. Sicher nimmt jeder von Ihnen, wie die meisten Europäer, mindestens seinen geschätzten Jahresbedarf mit nach Hause. Und das ist auch gut so, weil es vergleichsweise supergünstig und auch legal ist.

Dann sollte man nicht achtlos an den bei uns kaum bekannten Kaffee- und Teequalitäten aus den Western Ghats vorbei gehen. Das sind keine langweiligen Einheitsmischungen großer Markenfirmen, sondern immer Unikate aus den hiesigen Plantagen, die oft eine große Vielfalt an Aromen verströmen und schon so manchen Kenner überrascht haben. Allerdings sollte man beim schwarzen Tee nicht zur billigen indischen Massenware für die vielen Teestände greifen. Diese wird industriell geerntet und im finalen Produkt (Tea dust) sind oft weniger Blätter als Stängel fein vermahlen enthalten. Aus den hier geernteten Kakao-Bohnen werden in den Bergen auch akzeptable handgeschöpfte Schokoladen angeboten. Allerdings ist das Segment feinherb oder zartbitter mit Kakaoanteilen von über 40% bisher noch kaum besetzt.

Zurück zu den frischen Produkten. Milch wird morgens oft ins Haus geliefert oder man erwirbt sie an speziellen Sammel-/Verkaufshäuschen. Mitunter gibt es dort auch Curd/Naturjoghurt. Üblicherweise wird der aber von den Hausfrauen zu Hause selbst täglich frisch angesetzt und zum Kochen/Essen verwandt – unglaublich lecker! Dann gibt es noch Butter und von der Firma Amul einen streichfähigen Käse, womit sich das Segment der Milchfrischprodukte dann auch schon verabschiedet.

Weiter geht es zu Fisch und Seafood. Hier sind wir durch die Lage am Indischen Ozean einerseits und dem Fischreichtum der Backwaters andereseits privilegiert wie wenige andere Regionen auf dem Erdball. Dies spiegelt sich natürlich im Speiseplan wider, denn mindestens einmal am Tage steht tagesfrischer Fisch, meist in Form eines Currys, in jeder Familie darauf.  Idealerweise erwirbt man ihn gleich am Morgen am Strand von den hereinkommenden Fischern. In den Backwaters hat jede Familie mindestens ein Netz, mit welchem man mit 2-3 Würfen schnell eine Mahlzeit aufwerten kann. Jedes Familienmitglied, das laufen kann, also von 1 – 100 Jahren,  hat eine höchst einfache Angel, mit der es seinen Beitrag zum gesunden Essen in der Familie leistet. Besonders die Omas zeichnen sich hierbei aus…

Daneben werden Frischfisch und Seafood natürlich auch auf den örtlichen Märkten angeboten. Das aber ist eine eher  traurige Angelegenheit ohne jegliche Kühlung und stets unter den Augen einer sehr lauten und noch aggressiveren Schar von Krähen, immer auf dem Sprung, sich einen Leckerbissen zu holen (Hitchcock lässt grüßen). Wegen der tropischen Temperaturen entwickelt sich auf diesem Teil des Marktes immer eine Geruchsnote, die nichts für empfindliche Nasen ist. Sensible Naturschützer sollten besser ebenfalls diesen Bereich meiden, da neben wirklichen Prachtexemplaren auch ganze Kinderstuben von Haien, Rochen und anderen großen Räubern ausgelegt sind. Spricht man Fischer oder Fischhändler daraufhin an, reagieren sie meist gereizt und verweisen darauf, dass das halt die Reste dessen seien, was ihnen die mit Hightech-Trawlern ausgestatteten wirklichen Räuber aus Japan und China hier vor ihrer heimatlichen Küste übrig lassen würden. Unrecht haben sie nicht.

An den Ausfallstraßen aus den Städten kann man meist abends auf dem Heimweg an vielen Ständen noch gute Ware erwerben. Hier, wie bei den per Fahr- oder Motorrad noch in das letzte Dorf reisenden Fischhändlern liegt die Ware wenigstens meist auf einer Eisschicht in isolierenden Styroporboxen.

Im Kuttanad wechseln sich die Fischstände an den Strassen mit solchen ab, wo die in den abgeernteten Reisfeldern auf optimales Schlachtgewicht gebrachten Enten zu Tausenden lebend angeboten werden. Auf Wunsch werden sie in Windeseile abgestochen, abgebrüht, gerupft, ausgenommen und auch noch portioniert. Vom lebenden Tier zum küchenfertigen in weniger als 5 Minuten. Man muss es gesehen haben, um es zu glauben. Nicht auszudenken, dass hier etwa die industriellen Schlachtbetriebe im fernen Europa noch etwas in Fragen Effizienz lernen koennen? Als Zugabe kann man für eine Delikatesse der Region (Egg curry) die dafür notwendigen Enteneier erwerben. Ein echtes Hammer-Gericht, nach dessen Genuss man sicherheitshalber zwei Stunden lang auf jegliche körperliche Aktivität verzichten sollte, da alles verfügbare Blut im Verdauungstrakt benötigt wird.

Womit wir denn beim Fleisch wären, was hier in der Heimat der gesunden vegetarischen Küche eine (leider) immer größere Rolle auf den Speiseplänen spielt. Fahren wir also fort mit den gefiederten Leidensgenossen der Enten – den Hühnern. Auch in Indien ist ihr Fleisch mit weitem Abstand das beliebteste. Viele in den Dörfern halten ihre eigene kleine Schar. Darüber hinaus bilden sie auf vielen Märkten ein zwar anders stinkendes, jedoch nicht minder trostloses Pendant zur schon beschriebenen Endstation für das Meeresgetier. Das rührt vor allem daher, dass sie hier ihre letzten erbärmlichen Lebensstunden unter besser nicht zu beschreibenden Bedingungen verbringen und dann auf ähnlich rabiatem Wege wie ihre schnatternden Verwandten zur Küchenfertigkeit gebracht werden. Unabhängig davon erfreut sich dieses Fleisch stark wachsender Beliebtheit bei jung und alt, sodass ich mittlerweile jeden Morgen vom traurigen Gekrächze dieser Viehcher geweckt werde, da sich direkt vor Joseys Haus ein Umschlagplatz von den grossen, per LKW ausgeführten Sammeltransporten auf die schon wartenden Händler/Schlächter mit ihren Kanus etabliert hat. Von hier geht es dann zu den diversen Verkaufspunkten in der Umgebung, wo sich dann der schon beschriebene finale Akt vom gerade noch etwas lebenden Huhn zum beliebten Hühnerfleisch vollzieht. Guten Appettit!

Die – auch preisliche – Krone der Fleischfresslust stellt auch hier das Rindfleisch dar, allerdings vorerst meist nur am Wochenende. Für die zentralen Bereiche Keralas findet dazu nahe der Stadt Mundakayam jeweils am Donnerstag morgen ab 6:00 Uhr eine Rinderauktion statt. Hierzu reisen ausschliesslich Züchter aus dem nahen Tamil Nadu mit ihren langhörnigen Zebu-Rindern an und verkaufen diese bis zum Mittag an die keralischen Schlächter. Diese verbringen die erworbenen Tiere an ihre jeweiligen Bestimmungsorte, schlachten sie am Freitag und verkaufen das Fleisch bis zum Samstag an provisorischen temporären Verkaufsständen, die der Bevölkerung irgendwie bekannt sind. All dies vollzieht sich unter freiem Himmel bei den hier ständig vorherrschenden Temperaturen von über 30 Grad in unübersehbarer Gesellschaft von Hundertschaften von Fliegen und anderen hungrigen Insekten. Verarbeitet und gegessen werden die entsprechenden Curries dann am Samstag und Sonntag mit grossem Genuss…

In der muslimischen Glaubensgemeinschaft vollziehen sich entsprechend den religiösen Vorschriften  zusätzlich noch ähnliche Prozeduren beim Schlachten von Lämmern, Ziegen und Wasserbüffeln. Bei meinen Samstagmorgen-Radrunden fallen mir am Straßenrand immer wieder mal kurzzeitig aufgebaute Verkaufsstände für Schweinefleisch auf. Es gibt also wohl quer durch die religiösen Gemeinschaften einen Bedarf – wer auch immer dies dann verzehrt…

Auch wenn der Lebensmittel-Einkauf hier um einiges aufwendiger ist als in der uns bekannten Discount- und Supermarkt-Landschaft, so gibt es zumindest hier in Kerala Nahrungsmittel für alle. Meist sind sie noch authentisch und kommen überwiegend aus der näheren Umgebung. Verarbeitete Lebensmittel sind immer noch die Ausnahme, aber stark im Kommen. Viele Menschen essen inzwischen  zu viel und vor allem das Falsche bei zu wenig Bewegung mit allen aus den westlichen Wohlstandsgesellschaften nur zu gut bekannten gefährlichen Konsequenzen für die Gesundheit.

Was wird nun aus den beschriebenen Lebensmitteln zubereitet? Zu allererst und fast ausschliesslich Currygerichte, die morgens mit Spezialitäten aus fermentiertem Reismehl und geriebener frischer Kokosnuss wie Dosa, Idli, Appam, Idiappam, mittags als sogenannte meals oder Thali mit Bergen von Reis, Chutneys und Pickles und am Abend oft mit verschiedenen Fladenbroten wie Chappatti,  Roti, Parotha oder Poori stets ohne Besteck mit der sauberen rechten Hand zu sich genommen werden.

Solange es um vegetarische Gerichte geht, ist die hiesige Kochkunst sicher schwer zu toppen. Seit Jahrhunderten wird aus dem opulenten Angebot der Natur eine schier endlose Zahl schmackhafter und gesunder Gerichte gezaubert, getragen oft von den dem Land den Namen gebenden Kokospalmen bzw. dem Inhalt der Kokosnuss und der unvermeidlichen Portion Reis, egal in welcher Form. Einfach nur köstlich!

Auch bei Fischgerichten kann man als Gast nichts wirklich falsch machen. Viele sind, auch wieder wegen des Einsatzes frischer Kokosmilch oder –raspel im vergleichsweise milden Curry unwiderstehlich und bestens bekömmlich. In acht nehmen sollte man sich jedoch vor dem roten Fischcurry, der auf den Hauptzutaten Chillipulver und Tamarinden (zur Säuerung) aufbaut und für die meisten westlichen Gäste ob seiner Schärfe wohl ungenießbar sein wird. Leider werden die Fische, die Mittags zu den Thalis angeboten werden, oft vorher bis zur Unkenntlich- und Geschmacklosigkeit (über)frittiert.

Letzteres Phänomen ist leider auch bei den Rindfleisch Curries oft der Fall. Generell sprengt die qualitative Spannbreite der angebotenen Fleischgerichte mitunter mein Vorstellungsvermögen. Während Rindfleisch Curries oft nichtssagend, weil verkocht sind, kann man bei Huhn selten etwas falsch machen. Das haben sie einfach drauf. Nur für Freunde des puren Fleischgenusses wird es hier meist schwierig. Da jegliches Fleisch ausnahmslos als Curry angeboten wird, muss man zunächst die dominante Sosse beherrschen, um an seinen Liebling zu gelangen. Das ist dann meist nicht so einfach, aber vielleicht werden ja auch Sie hier zum Curry-Liebhaber?

Auch wenn die Inder nicht die in der westlichen Welt verbreitete Menüabfolge von Vorspeise/Suppe, Hauptspeise und Nachtisch kennen, so sind sie doch grosse Liebhaber von Speiseeis und süßen „Bomben“. Allerdings werden die meist am Nachmittag zum Tee oder Kaffee gereicht. Wir Rad fahrenden Zeitgenossen werden bei unseren zahlreichen Stopps an klassischen Tea stalls oder den immer mehr in Mode kommenden Bakery stores mit angeschlossenem Cafe zum unvermeidlichen Milchtee oder –kaffee neben den herzhaften Snacks wie Vadas, Samozas und Pakoras natürlich auch all die süßen Klassiker probieren, angefangen von leckeren frisch frittierten Bananen und endend vielleicht mit Gulab Jamun oder anderen ultrasüßen Kreationen aus Nüssen, Honig und jaggery (Zuckerrohrmelasse).    Als Radtourenfahrer haben wir ja den unschätzbaren Vorteil, dass wir bei den Kalorien nur darauf achten müssen, immer genug zu uns zu nehmen…

Warum gibt es eigentlich noch nicht mehr Rad fahrende Genießer, respektive genießende Radfahrer hier im indischen Süden – aber auch generell ?

 

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