Hausboot – Quo vadis ?

(Wie weiter mit den beliebten Hausbooten in den Backwaters von Kerala?)

Vor einiger Zeit haben wir entsprechend dem vorher abgestimmten Programm einer Gruppe französischer und holländischer Radfahrer zum Ende der Tour als abschließendes Highlight die eintägige Hausboot-Tour in den Backwaters gern vermittelt. Da Josey als ehemaliger Eigner immer noch gut vernetzt in der Szene ist, bekamen sie wirklich ein tolles Boot mit gehobener Ausstattung. Trotzdem kamen sie am Folgetag recht nachdenklich, ja unzufrieden zurück. Und sie waren nicht die ersten westlichen Gäste, die eine gewisse Enttäuschung nicht verhehlten. Vor zwei  Wochen habe ich Arie Jan Laan, einen befreundeten Reiseveranstalter aus Amsterdam und Inhaber von „Heritage Travel“ bei einer Tour auf einem kleinen Boot durch die idyllischen, ganz engen Kanäle begleitet, die nicht von den Hausbooten, sehr wohl aber von den schmalen Kanus der Einheimischen befahren werden können. Er bestätigte mir, dass auch seine Kunden sich kritisch zum Thema Hausboot geäußert hätten. Er buche derzeit gar keine Hausboote.  Deswegen sei er ja hier, um nach Alternativen zu suchen.

Was ist passiert ? Dazu ist es sinnvoll, etwas zurück zu schauen. In den 1980er Jahren gab es im Indien-Tourismus neben Rajasthan, Goa und den Metropolen vor allem einen Renner – Kashmir. Und dort besonders die legendären Hausboote auf dem Dal-See bei Srinagar vor dem herrlichen Gebirgspanorama. Mit dem Aufflackern der politischen Unruhen brach der Tourismus in dieser Region fast komplett weg. Findige Tourismus-Manager wie der deutsche Kerala- und Indien-Tourismus-Pionier Hans-Jörg Hussong, Inhaber von Comtour in Essen, und sein damaliger schlitzohriger indischer Partner, der inzwischen verstorbene Babu Varghese, begannen Anfang der 1990er Jahre dieses Hausboot-Konzept auf die hier seit Urzeiten für den Reistransport genutzten Kähne zu übertragen.

So stachen alsdann die ersten Hausboote in die einmalige Kanal- und Lagunenlandschaft der Backwaters und entwickelten sich trotz vieler anfänglicher  Zweifler zu einer Mega-Erfolgsstory. Zu Beginn hatten die Boote nur eine Schlafkabine für zwei Personen, ein mehr oder weniger großes Deck und hinten die kleine Kombüse, in der die Mannschaft die klassische keralische Küche zelebrierte. Der Kahn wurde traditionell mit langen Bambusstangen lautlos durch die Idylle gestakt. Erholung pur für den gut zahlenden Gast, der oft aus Deutschland oder anderen westlichen Ländern kam, und gutes Geld für die Eigner und ihre Mannschaften.

Wie das immer so ist mit Erfolgsmodellen, alsbald wollten viele daran teilhaben.      Das Konzept wurde „weiterentwickelt“. Der Antrieb wurde wie auf den Lastkähnen bald nur noch von Dieselmotoren erledigt. Dadurch konnte man die Anzahl der Kabinen und die Größe der Boote insgesamt deutlich erhöhen. Bald waren 2-3 Kabinen Standard. Inzwischen sieht man hin und wieder wahre Hotelschiffe mit 10 oder noch mehr Kabinen, repsektive der dafür notwendigen Sonnen- und Aufenthalt-Decks, oft auch über zwei Etagen, was dazu führte, dass diese Hausboote heute nur noch die Seen und ganz großen Kanäle befahren können. Anderswo können sie wegen ihrer Höhe die vielen für sie zu niedrigen Brücken nicht passieren, was für die dort lebenden Einheimischen aber durchaus nicht  unangenehm ist.

Da die Zahl der genehmigten Hausboote allein rund um Alleppey, dem Tor zu den Backwaters, auf über 1.400 angestiegen ist, ähnelt das Bild auf den „highways“ in der jetzt wieder beginnenden Hauptsaison manchmal dem auf deutschen Autobahnen. Besonders hektisch wird es am Abend, wenn entlang der Dörfer an den Ufern die Liegeplätze für die Nacht angesteuert werden, sowie bei der Aus- und Wieder- Einfahrt in den Hafen, wo es mitunter zu regelrechten Staus kommt.

Auch die Ausstattung der Boote hat sich natürlich entwickelt. Klimaanlagen sind inzwischen die Norm, wie auch riesige Flachbildschirme, von denen rund um die Uhr Bollywood-Schinken in Kinolautstärke die zunehmend nordindische Klientel erfreuen. Unter die Hotelboote mischen sich seit einiger Zeit auch immer mehr Partykähne ohne Schlafkabinen. Der Ballermann zieht wohl gerade von Mallorca gen Südosten. Von Idylle kann schon lange keine Rede mehr sein. Im Gegenteil, die Umweltbelastung durch die Dieselmotoren und diverse einfach in die Kanäle verklappte Abfälle aus den Bordküchen und Schiffstoiletten sind besorgniserregend. Hinzu kommt oft ohrenbetäubender Lärm bis tief in die Nacht für die geplagten Einheimischen, die gegen einige Rupien die Liegeplätze vor ihren Grundstücken bereit stellen.

Ein von den eigentlichen Pionieren wie Hussong und anderen westlichen Veranstaltern angeregtes Innehalten oder gar die vorsichtige Rückbesinnung auf die ursprüngliche Idee findet bei den indischen Verantwortlichen bislang kein Gehör. Im Gegenteil, überall in unserer Nachbarschaft wird an neuen Booten gearbeitet.Da die durchaus zu beobachtende Abkehr der bisherigen Hauptklientel durch den starken Aufschwung im innerindischen Tourismus und auch durch Scharen russischer Touristen offensichtlich mehr als ausgeglichen wird, erfeuen sie sich an den immer noch und immer weiter wachsenden Besucherzahlen.

Die oben dargestellte Sichtweise auf die Problematik wird von den offiziellen Stellen so nicht geteilt und das Thema einer behutsameren und vor allem nachhaltigen Entwicklung des Hausboot – Tourismus wird wohl leider erst dann die Oberhand gewinnen, wenn die Schattenseiten der derzeitigen Entwicklung noch klarer sichtbar werden.

Wie reagieren wir nun darauf ? Zunächst indem wir die Lage nicht schön reden und unseren Gästen vorab unsere ehrliche Meinung kundtun und deren Erwartungshaltung auf ein realistisches Mass reduzieren, um weitere Enttäuschungen  von vornherein auszuschließen. Dazu dienen auch diese Zeilen.

Vor allem aber sehen wir uns als Aktiv-Reiseveranstalter in der Pflicht, unseren Kunden unserer Philosophie entsprechend ein authentisches Erlebnis der Backwaters zu vermitteln, wie es die Hausboote in ihrer heutigen Form nicht mehr können. Konkret bevorzugen wir das Entdecken dieser weltweit weiterhin einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft bei geführten Kanutouren, Wanderungen oder auch radfahrend. Dabei erreichen wir eben jene Bereiche, die den anderen vorenthalten bleiben, ohne die Natur zu schädigen und treffen die Einheimischen dort, wo sie leben und arbeiten. Dank Josey, der viele von ihnen persönlich kennt, sind wir keine störenden Eindringlinge, sondern gern gesehene und freundlich begrüßte Gäste. Und für unsere eigene Fitness und unser Wohlbefinden tun wir auch noch etwas.

Vielleicht schaffen wir ja gerade den nächsten Trend zurück zum stillen Verweilen in diesem zunehmend bedrohten, aber noch immer einzigartigen Paradies und seinen freundlichen Menschen ?

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