Kuttanad – eine "Wasserwüste"?

So langsam werde ich etwas ernst genommen. Vor zwei Jahren noch war ich der Lokalausgabe der hier führenden Tageszeitung „Malayala Manorama“ einen kurzen Bericht samt Fotos unter dem Stichwort Kurioses wert, als man über mich als einen nicht mehr ganz jungen deutschen Radfahrer berichtete, der quer durch Kerala radelt, was alle nur mit einem verständnislosen Hin- und- Herwiegen des Kopfes quittierten. Immerhin werde ich jetzt zunehmend erkannt und herzlich gegrüßt.

Am letzten Wochenende durfte ich Josey zu einem Seminar in Alleppey begleiten unter der Schirmherrschaft der Indischen Regierung, konkret des Ministeriums fuer Wissenschaft und Technologie zum Thema „Trinkwassersicherheit – Hauptproblem der nachhaltigen Armutsbekämpfung“, Projekte zur Regenwassernutzung in der Gemeinde Kainakary in Kuttanad, also genau in jenem Dorf, in dem ich dank Josey meine zweite Heimat gefunden habe.

Er war ein ebenso geschätzter wie engagierter Diskussionsredner und auch ich wurde durchaus interessiert um meine Sicht auf das evidente Problem der bisher hier nicht üblichen Regenwassernutzung und zu sinnvollen Ansätzen  seiner Lösung befragt, wobei man mir hier unberechtigter Weise Kompetenz unterstellte, nur weil ich aus Deutschland komme. Dabei war ich es, der hier viel Neues lernen durfte.

Worum geht es? Zunächst wurde darauf verwiesen, dass laut einer auch von Indien unterzeichneten UN-Deklaration die Bereitstellung von ausreichend sauberem und stets verfügbarem Trinkwasser ein grundlegendes Menschenrecht darstellt. Dem gegenüber stehen besorgniserregende, ja erschütternde Fakten zur Situation in Indien. So sterben hier jährlich weiterhin 1,5 Mio. Kinder unter 5 Jahren an Krankheiten, die verunreinigtes Trinkwasser zur Ursache haben. Man schätzt seitens der Regierung, dass ca. 200 Mio. Inder keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. In den 1950er Jahren standen jedem Inder 5.000 Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr zur Verfügung. Bis zum Jahr  2050 wird sich dieser Wert, auch wegen des Wachstums der Bevölkerung auf ca. 1,3 Mrd. Menschen auf nur noch 1.200 Kubikmeter reduzieren, also etwa vierteln.

Das Leben in der Kuttanad – Region mit Kainakary als zentralem Ort ist seit ewigen Zeiten vom Leben mit und auf dem Wasser an den Seen, Flüssen, Kanälen und Lagunen geprägt. Sie ist berühmt wegen ihrer atemberaubenden Schönheit und den ca. 500 qkm umfassenden Reisfeldern, alle 0,5 – 2,5 m unter dem Meeresspiegel liegend. Da diese einen guten Teil des Jahres geflutet sind, entstand auch der  so treffende, wie verzweifelte Ausspruch: „ Wasser, Wasser überall, aber kein einziger Tropfen zum Trinken!“. Hier kommt dann alles zusammen, was Brunnen zunehmend unbrauchbar macht, die Versorgung mit sicherem Trinkwasser für Mensch und Tier gefährdet und dies in der Konsequenz letztlich verhindert, als da sind ungeklärte Abwässer, Verschmutzung durch die ungebremste Motorschifffahrt, Fragmentierung der Landflächen durch neue Strassen-, Hausbau- und touristische Projekte und vor allem die immer intensivere landwirtschaftliche Nutzung unter weiter zunehmender Verwendung von Kunstdüngern und Schädlingsbekämpfungsmitteln.

Da fast alle Dörfer unter der Trinkwasserknappheit leiden, sind die Behörden teilweise dazu übergegangen, jedem Haushalt eine Ration von 80 l alle zwei Tage zuzuweisen. Mehrfach in der Woche beobachte ich von meiner Terasse am Kanal richtiggehende Geleitzüge von 3 -4 Lastkähnen, die jeder Dutzende von 5.000 l fassenden schwarzen Wasserbehältnissen mit sich führen. Zumindest müssen die Frauen und Kinder nun nicht mehr große Strecken zu Fuß auf sich nehmen, um das kostbare Gut auf dem Kopf nach Hause zu tragen.

Daher rührt dann auch der bittere Spruch von der „Wasserwüste Kuttanad“. Anders als in der realen Wüste oder auf dem Ozean besteht hier nicht die Gefahr zu verdursten, sondern elend an einer der im kontaminierten Wasser lauernden Krankheiten zu verrecken. Mit Sicherheit eine ebenso fatale  Aussicht! Trotzdem sind laut einer Regierungsstudie 80% der 6.000 Familien hier im Dorf gezwungen, das verschnutzte Kanalwasser für ihre täglichen Belange und zur Versorgung ihrer Nutz- und Haustiere zu verwenden.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Backwaters von Kerala eine Region mit hohen Niederschlägen sind, haben die Behörden für das Dorf Kainakary ein Projekt „Mazha Nidhi – Regenwasser als Trinkwasserressource“ gestartet. Aus zentralen Mitteln werden Auffangvorrichtungen (Dachrinnen, Rohrleitungen und Filtersysteme) und Tanks für etwa 1.000 der am meisten betroffenen Familien bereitgestellt, um künftig das anfallende Regenwasser zu reinigen und als Trinkwasser zu nutzen. Es werden 25 junge Einwohner über einen Zeitraum von 3 Monaten in Fragen Regenwassergewinnung, Qualitätscheck und –überwachung entsprechend geschult. Diese werden dann der Gemeinde als Wassermanager zur Verfügung stehen und die Umsetzung des Projektes vorantreiben. An „guten“ Regentagen will man so künftig allein durch diese Maßnahmen 2,5 Mio. Liter Regenwasser auffangen und bereit stellen. Das Projekt ist zunächst bis 2015 angelegt, soll kontinuierlich bewertet und unter der gesamten Bevölkerung aktiv kommuniziert werden.

Ich wünsche dem Projekt und allen daran Beteiligten den größtmöglichen Erfolg. Dieser ist auch unbedingt erforderlich, um den vielen hier unbeschwert in den Kanälen spielenden Kindern eine gesunde Zukunft zu erlauben. Gerade hier in den Tropen zeigt sich die Natur sowohl von ihrer verschwenderischen, wie auch immer wieder und offensichtlich zunehmend von ihrer zerstörerischen Seite. Es ist an den Menschen, die angebotenen Ressourcen künftig besser und gleichzeitig schonender im wohlverstandenen Eigeninteresse zu nutzen.

Es ist für mich nach dem erlebten Supermonsun noch unverständlicher, dass es nach wie vor an kaum einem Haus, auch an den ganzen protzigen Neubauten, nur ganz sporadisch einmal Dachrinnen gibt. All die gewaltigen Mengen an Regenwasser werden nicht nur nicht für die Menschen genutzt, sondern richten durch Überflutungen und Unterspülungen immense Schäden an. Aber zumindest in der Kommission hat man es begriffen. Nun heißt es also, tatkräftig an die Umsetzung zu gehen. Und das ist in Indien immer noch mal eine Kategorie, die schon Generationen von engagierten und wohlwollenden Helfern, speziell aus dem akkuraten Deutschland, an die Grenzen ihrer emotionalen Belastbarkeit geführt hat, um es freundlich auszudrücken…

Auf dem Heimweg fallen mir dann zwei Reisbauern ins Auge, die völlig ungeschützt mit primitiven Spritzen stark riechende Pestizide auf ihren Parzellen versprühen, ohne über die Auswirkungen für sie selbst und ihre unmittelbare Umwelt nachzudenken. Hier haben die grossen multinationalen Chemiekonzerne – auch die deutschen – ganze Arbeit geleistet!

Der Weg wird wohl doch noch deutlich länger, als ich das während des Seminars gern glauben wollte. Schade, aber immerhin gibt es immer mehr Anfänge in die richtige Richtung. Die Jugend zu schulen und die Kommunikation als Schlüssel erkannt zu haben, getreu dem Motto „Transforming Indians to transform India!“ wird in jedem Dorf Indiens früher oder später die erhofften Früchte zeitigen, wetten dass?

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