Neue Straßen – neue Wege?

Anfang dieses Monats hat die Zerstörung einer neuen Mautstelle auf einer ebenso neuen Autobahn in Mumbai durch erboste Taxi- und Autoriksha-Fahrer die innenpolitische Debatte landesweit für einige Tage beherrscht. Wie kam es dazu?

Nach der Unabhängikeit Indiens vom Britischen Empire wurde über Jahrzehnte sehr wenig, offensichtlich zu wenig in den Erhalt und den weiteren Ausbau des Straßennetzes sowohl auf nationaler als auch auf untergeordneter Ebene investiert. Mit dem stetigen Wachstum des Verkehrsaufkommens seit den 1990er Jahren, besonders aber mit dem rasanten Anstieg des Individualverkehrs nach der Jahrtausendwende hat man dieses Problem erkannt und entsprechende Pläne verabschiedet. Zu allem bisher schon Geschaffenen sollen allein in den kommenden 4 Jahren weitere 1.500 km neue nationale Autobahntrassen und über 10.000 km Staats- und Regionalstraßen kommen.

Eine wahrhaft gigantische Aufgabe, deren Finanzierung den indischen Staat bei weitem überfordert. Daher wurden verschiedene Modelle zur Finanzierung vieler neuer Strecken durch private Betreiber geprüft und entwickelt. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass die allermeisten der neuen Straßenprojekte, so wie in vielen anderen Teilen der Welt auch, durch Maut-Systeme refinanziert werden sollen. Was woanders meist funktioniert, wird hier in Indien nun mit einiger Verzögerung zu einer überaus brisanten politischen Gemengelage. Ausbrüchen wie dem in Mumbai könnten weitere, noch explosivere folgen.

Warum? Weil man die Planungen für die neuen Strecken  unter großem Zeitdruck vorangetrieben  und dabei zugelassen hat, dass ein erheblicher Teil der neuen mautpflichtigen Trassen schlicht exakt auf den Verlauf der alten unzureichenden Straßen drauf gebaut werden. Für eine gewisse Zeit werden diese zwar durchlässiger und schneller, aber das hat seinen Preis – die zu entrichtende Maut. Während in vielen Ländern neue mautpflichtige Straßen das bestehende Netz ergänzen und somit dem Nutzer die Wahl lassen, entweder schneller und teurer auf der Mautstraße voranzukommen, oder aber langsamer und ohne Mehrkosten auf der bestehenden alten Straße zu bleiben, sieht es in Indien meist so aus, dass diese Option schlichtweg nicht vorhanden ist. Wo der Nutzer vor der Modernisierung sich langsam durch den Verkehr quälte, kommt er heute vielleicht etwas schneller voran, muss aber dafür zusätzlich die Maut bezahlen. Umgehen kann er sie nicht, und das bringt viele hier – berechtigt – auf die Palme!

Eine ganz andere Frage ist es dann, wie man seinen Unmut zeigt. Ganz sicher nicht in der Form, wie es in Mumbai geschehen ist. Darin waren sich alle Kommentatoren einig. Einig war man sich aber auch darin, dass die Politik hier ganz schnell Abhilfe schaffen muss, denn sie hat zugelassen, dass mautpflichtige Strassen auf den mautfreien alten Trassen gebaut wurden. Es herrscht Konsens im Land, dass Maut künftig nur dort kassiert werden darf, wo der Nutzer auch die Möglichkeit hat, eine alternative mautfreie Strecke zu nutzen. Ausnahmen davon, wie z.B. Brücken, sind im Vorfeld der Öffentlichkeit vorzustellen. Diese Thematik wird den politisch Verantwortlichen sicher einiges Kopfzerbrechen bereiten, aber im Interesse des innenpolitischen Friedens werden viele neu errichtete Mautstationen im Lande wohl Investruinen werden. Was im übrigen noch immer besser ist, als wenn sie durch erzürnte Bürger abgebrannt werden.

Dieser Zorn rührt auch noch aus einer anderen Quelle, den Spritpreisen. Früher eingepreiste staatliche Subventionen bei Diesel z.B. werden stufenweise zurück gefahren. In der Folge haben diese sensiblen Preise heute in Indien etwa ein Drittel bis die Hälfte dessen erreicht, was der deutsche Autofahrer dafür verauslagen muss. Und dies vor dem Hintergrund eines meist deutlich geringeren Einkommens. Da Durchschnittswerte hier nicht wirklich weiter helfen, ist es sicher eher untertrieben, wenn man unterstellt, dass der hiesige Autofahrer im Vergleich zum deutschen mindestens den doppelten, wenn nicht gar einen weit größeren Teil seines verfügbaren Einkommens für sein „hoiligs Blechle“ ausgibt. Ein echter Luxus, dieses Autofahren in Indien, auch ohne Maut!

Warum lasse ich mich als Radfahrer und bekennender Nicht-Autonutzer so ausführlich zu diesem Thema aus? Weil auch wir Radfahrer auf unseren Touren von den massiven Baumassnahmen auf Indiens Strassen betroffen sind. Meistens positiv, denn da, wo wir uns beim letzten Mal noch über Holperpisten quälten, freuen wir uns immer wieder über frisch asphaltierte Strecken, die das Vorankommen doch um vieles angenehmer machen. Aber gerade in der vergangenen Woche hat auch uns das oben beschriebene Phänomen betroffen.

Auf dem Weg ins Chettinad hört derzeit etwa 8 km hinter der Stadt Pudukottai die von alten Bäumen gesäumte Landstraße auf und wir müssen die kommenden 25 km in der prallen Sonne auf dem herrlich rollenden Seitenstreifen des nagelneuen National Highway abspulen. Es geht zwar super voran und ist in Anbetracht der wenigen an uns  vorbei rauschenden Fahrzeuge auch nicht wirklich schlimm, aber schön ist was anderes. Das Flair ist dahin, der Kontakt zu den Einheimischen unterbunden. Wir haben uns gefühlt wie im Reisebus…Die neue Mautstelle haben wir dann auch passiert. Die ist zwar fertiggestellt, aber nach den Geschehnissen von Mumbai nutzt man sie (vorerst) nicht und läßt nicht nur uns, sondern den kompletten Verkehr ohne Zahlung passieren.

Am kommenden Tag erleben wir dann auf dem weiteren Weg in Richtung Madurai bis nach Mellur auf knapp 70 km die andere, für uns angenehme Seite der Medaille. Durch die – derzeit kostenfreie -Nutzungsmöglichkeit des Highways nach seiner Indienststellung „fehlen“ auf unserer Landstrasse all die sonstigen Störenfriede wie Trucks und Busse etc. Wir geniessen diesen herrlichen Radeltag, oft unter schattenspenden Bäumen und durch idyllische Dörfer fahrend, so richtig! Wer weiss, wie es beim nächsten Mal sein wird. Wir sollten in diesem Land getreu dem Slogan der hiesigen Tourismusbehörde „Incredible India!“ immer auf alles vorbereitet sein. Manchmal ist es ja was Gutes!

Übrigens treiben die Bemühungen zur Beschleunigung des Straßenverkehrs und besonders zur Verbesserung der Durchlassfähigkeit in von uns mit dem Rad nicht befahrenen Metropolregionen gar eigenartige Blüten. So hat man z.B. in der Hauptstadt Delhi eine Task force eingerichtet, die die streunenden „Heiligen Kühe“ einfangen und ausserhalb der Stadt aussetzen soll. Wie durch ein Wunder sind sie am kommenden Tag meist alle wieder mit den bekannten Wirkungen im Stadtbild präsent. Es gibt da wohl eine durchaus clevere Gegenkraft. Alles erinnert ein wenig an das Duell von Hase und Igel…

Wirklich ernst machen auch die Stadtväter von Kolkatta (Calcutta). Die haben doch allen Ernstes die Radfahrer als die Schuldigen am Verkehrskollaps der Stadt ausgemacht und sie nun per Dekret aus vielen Teilen der Stadt und von fast allen Straßen ausserhalb der Wohngebiete gegen Androhung einer saftigen Strafe verbannt. Dies schreibe ich vor allem all meinen wackeren Freunden vom ADFC ins Buch, die den oft so frustrierenden Kampf für bessere Chancen für uns Radfahrer zu Hause in Deutschland führen.  Denkt künftig bei Euch mitunter trostlos erscheinenden Situationen immer an Calcutta. Es könnte auch noch schlimmer kommen!

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