Krank geworden – wie geht`s weiter?

Wir Radfahrer sind zwar aktive Leute, viel an der frischen Luft und ernähren uns auch vernünftiger als die Masse unserer Mitmenschen. Trotzdem kommt es gerade auf Indien-Touren unter diesen für den gemeinen Europäer doch eher ungewohnten klimatischen und mitunter auch hygienischen Bedingungen vor, dass man sich mal mit dem einen oder anderen gesundheitlichen Problem herumschlagen muss.

Weder will, noch darf ich als Laie hier Ratschläge geben, die nur einem ausgebildeten Mediziner zustehen. Aber darüber berichten, was wir auf vielen Tausend Rad-Kilometern in Indiens Süden diesbezüglich schon erlebt haben und wie wir damit umgegangen sind, das darf ich wohl. Vielleicht hilft es so manchem Interessierten bei seinen Überlegungen?

Nicht länger aufhalten möchte ich mich mit den scheinbar unvermeidlichen Durchfall – Erkrankungen. Diese treffen uns in den Tropen trotz offensichtlichen Einhaltens all dessen, was man selbst tun kann, immer wieder. Mit den entsprechenden Mitteln behandelt verschwinden die akuten Symptome meist so schnell, wie sie auch kamen. Meist sind aber 1-2 Tage im stets präsenten Begleitfahrzeug unvermeidlich, ehe man wieder voll bei Kräften ist und ohne Einschränkungen mit der Gruppe mit strampeln kann. Vielleicht ist es für den Leser eine gewisse Beruhigung, dass bei unseren Touren der letzten zwei Jahre meine indischen Partner, ob Josey oder verschiedene Fahrer deutlich mehr mit ihrem Verdauungstrakt zu tun hatten, als wir Europäer.

Wie zu Hause auch, verliert man mal eine Zahnfüllung, Krone oder ähnliches. Auf dem Weg nach Alleppey passierte es, dass sowohl Josey als auch eine Teilnehmerin sich mit diesem Thema konfrontiert sahen. So vereinbarte er umgehend einen Termin für beide bei einem örtlichen privaten Zahnarzt. Dieser leitet seit über 30 Jahren seine Praxis im kanadischen Vancouver und wann immer er zu Hause in Kerala ist, versorgt er Patienten in seiner hiesigen Praxis, die meist von einem angestellten Kollegen geführt wird. Die Standards sind hier wie in allen größeren Orten im Süden durchaus denen der westlichen Welt ebenbürtig – sagen Leute, die dies besser beurteilen können als ich. Viele ältere Europäer nutzen daher einen langen Winteraufenthalt zur Komplettsanierung ihrer Zähne. Neben dem hohen fachlichen Niveau sind es die vergleichsweise überschaubaren Kosten, die sie dazu inspirieren. Wobei ich mich erinnere, dass Josey für die Wiederherstellung eines Schneidezahnes mit 1.000,- Rupies (12,50 Euro) dabei war und die Dame für den vergleichsweise simplen Ersatz ihrer Füllung vom gleichen Betrag ausging, jedoch vom Chef glatt um das Doppelte gebeten wurde. Sie bekam den Betrag später anstandslos von ihrer Auslands-Krankenversicherung erstattet. Die waren wohl sehr erleichtert ob des für sie eher geringfügigen Betrages.

Wer viel radelt, fällt meist irgendwann leider auch mal hin. Oft geht es glimpflich aus. Unlängst übersah eine Teilnehmerin eine dieser ekligen eingebauten Wellen in den Asphalt (Speed breaker) und schlug böse auf. Trotz Protestes ihrerseits brachten wir sie sofort mit dem Begleitbus in die nächstgelegene Unfall-Notaufnahme. Hier wurde sie binnen einer Stunde professionell untersucht, die Wunden gereinigt und erstversorgt. Auch sie musste einen Tag im Begleitfahrzeug Platz nehmen, um nach dem folgenden Ruhetag dann wieder mit dabei zu sein. Übrigens betrugen die Kosten in der Klinik umgerechnet weniger als einen Euro, weshalb sie sich trotz anfänglicher heftiger Gegenwehr auch überzeugen ließ, diesen Bagatellbetrag nicht übernehmen zu müssen.

Wir sitzen hier meist bei Temperaturen um oder deutlich über 30 Grad im Sattel. Dem tragen wir als Veranstalter Rechnung, indem wir stets in der Morgenfrische aufbrechen, um noch vor der größten Hitze des Tages am Ziel zu sein. Zwischendurch reichen wir beständig Wasser, Obst und Snacks. Wir bleiben stets zusammen, um uns jederzeit gegenseitig unterstützen zu können. Sollte sich jemand den Temperaturen oder dem Tagesprofil nicht gewachsen fühlen, sollte er/sie unbedingt ins Begleitfahrzeug steigen. Es gilt jene Erfahrung zu vermeiden, die bisher nur ich, jedoch keiner unserer Teilnehmer gemacht hat, nämlich sich unter diesen Bedingungen zu viel zuzumuten und in eine ernsthafte Dehydrierung oder gar in einen Hitzschlag hinein zu fahren. Sollten wir Anzeichen dafür bei Teilnehmern erkennen, so werden wir sie unbedingt temporär „aus dem Rennen“ nehmen. Hier ist falscher Ehrgeiz völlig unangebracht, weil im Zweifel lebensbedrohlich. Umso mehr ist der selbstverantwortliche und behutsame Umgang mit den eigenen Kräften gefordert. So habe ich denn als Guide bei der März-Tour nach kurzem Nachdenken die Gruppe einen Tag lang ausschließlich vom Bus aus betreut, was sicher gut für uns alle war.

Wir unterziehen uns tagtäglich auf den Rädern einer mal moderaten, mal erheblichen körperlichen Belastung, bei der wir stets kräftig schwitzen. So weit, so gut. Im Hotel angekommen empfehlen wir allen Teilnehmern, die Klimaanlagen besser nicht zu nutzen. Die direkte Verbindung dieser beiden Faktoren führt immer wieder zu lästigem und dabei hier in den Tropen völlig unnötigem Schnupfen. Eigentlich wissen wir es, trotzdem sind laufende Nasen leider an der Tagesordnung und diese verbreiten sich dann natürlich in der Gruppe.

Ein bisher einmaliges Phänomen ist mir selbst widerfahren. Nach dem Schweiß und dem Schmutz des Tages machte bei mir unter der Dusche das linke Ohr dicht. Wohlmeinende weibliche Tipgeberinnen rieten mir zum Wattestäbchen, um den Schmutz behutsam zu entfernen. Da ich selbiges aber gewöhnlich nicht nutze und der Selbstreinigungskraft der Natur vertraue, habe ich zwar einen Teil des Schmutzes entfernen können, aber gleichzeitig das Ohr richtiggehend versiegelt. Und weil wir Deutschen gründlich sind, schaffte ich selbiges auch auf der anderen Seite. Der Arztbesuch war also, obwohl ich zum Glück schmerzfrei war, unvermeidlich. Der HNO-Arzt musste bei meiner Story schmunzeln und gab mir Tropfen, die den Ohrenschmalz binnen Wochenfrist aufweichen sollten. Und tatsächlich, einer seiner Kollege entfernte dann schmerzfrei eine unerwartet große Menge Schmalz aus meinen beiden Ohren und verhalf mir für kleines Geld wieder zum uneingeschränkten Hören im wunderbar lauten indischen Alltag. Nie habe ich ihn so genossen. Nie wieder werde ich Ohrstäbchen benutzen. Niemals vorher war mir die Leistung dieses Sinnesorganes für die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt so bewußt!

Als bisheriges Fazit möchte ich feststellen: Auch wenn es im Süden Indiens heißer, lauter und oft auch etwas schmutziger als in Deutschland ist, so kann sich jeder Reisende unter Zuhilfenahme des gesunden Menschenverstandes und des schon in der Kindheit erlernten Hygiene 1×1 hier sehr entspannt wohl fühlen. Für den Fall, dass einmal ärztliche Hilfe oder Medikamente notwendig werden, kann dies an jedem Ort der von uns befahrenen Strecken schnell und in hoher Qualität angeboten werden. Die südlichen indischen Unionsstaaten verfügen für die medizinische Grundversorgung über eine bemerkenswert gut ausgebaute Infrastruktur.

Hinzu kommt ein flächendeckendes Netz der hier beheimateten ayurvedischen Medizin, die in jedem Dorf verfügbar ist und wegen der sich ganze Heerscharen westlicher Touristen in den Flieger setzen, um vom Jahrtausende alten Wissen und den Behandlungsmethoden hiesiger Spezialisten zu profitieren. Aber das ist ein anderes Thema. Vielleicht eines für eine weitere separate Geschichte….

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