Bootsrennen zur Nehru Trophy 2014 – Karneval der Backwaters

Um dieses Highlight im Leben der Menschen im tiefen Süden Indiens zu erleben, sind wir wieder in Kerala, erstmals mitten im Monsun. Dazu hat uns mein Freund Josey ganz speziell eingeladen. Aber worum geht es eigentlich?

Vergleichbar mit der Winterpause in der Landwirtschaft in den nördlichen Ländern sind die Reisbauern in den Backwaters von Kerala seit Jahrhunderten in der Monsunzeit von der Natur zu einer Phase der relativen Ruhe gezwungen. Durch die Lage am Wasser hat sich zwangsläufig auch die Fähigkeit, ja Kunstfertigkeit im Bau verschiedener Boote entwickelt. Neben den Kettu Vallams, den breitbauchigen Booten vornehmlich zum Transport von Reis und Baustoffen, die auch den Rumpf der heutigen Hausboote bilden, wurde eine Vielzahl von sehr wendigen Schmalbooten verschiedener Größe entwickelt. Das Größte unter ihnen ist das Chundan Vallam, das sog. Schlangenboot, weil es sich im Auge der Betrachter einer großen Schlange gleich anmutig durch die Kanäle zu winden scheint. Mit diesen schnellen Kriegskanus führten die feudalen regionalen Herrscher bis in die jüngere Vergangenheit so manche blutige Schlacht gegeneinander.

Geblieben sind bis heute die schlanken Boote, die von bis zu 100 Paddlern, meist 4 Steuerleuten und ebenso vielen Rhythmusgebern schnell, elegant und von lautstarken Gesängen unterstützt durch die Kanäle getrieben werden. Bis auf die an die weltbekannten Haka-Rituale der Maori auf Neuseeland  erinnernden martialischen Gesänge auf dem Boot, Vanchipattu genannt, ist der kriegerische Charakter von einst heute ausschließlich dem sportlichen Wettstreit gewichen.

In den verschiedensten Bootsklassen (ab 10 Paddlern) bis hin zur Königsklasse der Schlangenboote wird alljährlich eine Vielzahl von Wettbewerben auf verschiedenen Seen und Kanälen ausgetragen. Das prestigeträchtigste unter Ihnen ist das Rennen um die Nehru Trophy in Alleppey. Es wird in Erinnerung an den Besuch des ersten Premierministers des unabhängigen Indien im Jahre 1952 in der Region auf eben einem solchen Boot durchgeführt.

Es ist – trotz des in ganz Indien allmächtigen Cricket – das sportliche und touristische Highlight der Region, wird live im Fernsehen auf mehreren Kanälen übertragen und von Zehntausenden an der Strecke enthusiastisch begleitet. Die Siegerboote kommen in eine Halle des Ruhmes. In diesem Jahr reist erneut der Vizepräsident der Indischen Union zur 62. Auflage des Rennens an, um den Pokal zu überreichen. Mein Partner Josey hat als Team-Kapitän das von ihm gecoachte Boot bereits dreimal zum Sieg geführt. Er ist eine Institution hier und hat mit seinem Team auch in 2014 wieder Großes vor.

Das geht wohl nur über ein akribische Vorbereitung und mit ganzer Hingabe. So berichtet mir Lisa, seine Frau, dass die ihm sonst über alles gehende Familie für ihren Gatten in der Zeit der finalen Vorbereitung auf das Rennen der Rennen, welches am 2. Samstag im August jeden Jahres stattfindet, nicht zu existieren scheint. Auch uns ignoriert er weitestgehend, obwohl er uns doch persönlich dazu eingeladen hat. Würde ich ihn nicht besser kennen, so müsste ich aus dieser groben Unhöflichkeit wohl Konsequenzen ziehen…;) Bei ihm, wie bei vielen weiteren jungen und nicht mehr ganz so jungen Männern aus der Umgebung sind es die Begeisterung und die fast schon fanatische Fokussierung alles Persönlichen auf den möglichen Gewinn der Trophy. In den letzten 4-6 Wochen vor dem Rennen leben alle in einem Vorbereitungscamp, quasi vom normalen Alltag abgeschottet.

Bei einem Schulfreund, der seit vielen Jahren als erfolgreicher Unternehmer in Kuweit lebt, kommt hinzu, für dieses Rennen alljährlich als Sponsor ein für viele Inder unvorstellbares Vermögen bereit zu stellen. Man spricht in diesem Jahr von etwa zwei Crore oder zwanzig Millionen Indische Rupien (ca. 250.000,- Euro) nur für dieses eine Rennen.  Insgesamt nehmen 16 Boote teil. Alle erhalten sie einen mehr oder weniger hohen Betrag von ihm, Joseys Boot wie immer den üppigsten. Darüber hinaus werden keine Preisgelder ausgeschüttet. Es geht komplett um den Ruhm und die Ehre, für die Nachfahren in der Liste der Sieger zu stehen! Noch.

Etwa zwei Wochen vor dem Rennen ist die Rekrutierung von ca. 150 Paddlern und damit eine erste Trainingsphase in kleineren Booten von jeweils 30-70 Paddlern abgeschlossen. Es erfolgt eine Selektion der Besten, die in die Königsklasse aufsteigen. Die anderen werden ebenfalls Rennen fahren, jedoch in kleineren, nicht annähernd so prestigeträchtigen Booten. Da gilt es einigen Zoff, besonders unter den nicht im großen Boot zum Zuge kommenden Jungstars, auszubalancieren. Nur gut, dass viele von Ihnen derzeit bei der Indian Navy Dienst tun und ihr Vorgesetzter einer der Co-Chefs im Boot ist. Da wird es schon mal laut oder es droht als Extrem-Szenario einfach Knast.

Am Renntag selbst ist es eher aussichtslos ist, einen guten Platz für die Vor- und Final-Läufe in Alleppey zu erhalten. Wir nutzen das Privileg unserer Nähe zu einem Favoritenboot und sind am Finaltag wie auch vorher schon bei den abschließenden Trainingsfahrten auf einem der großen Kanäle in unmittelbarer Zielnähe in der allerersten Reihe des VIP-Bereiches hautnah dabei. Hier vermittelt sich die ganze Wucht der Boote, die doch so elegant daher kommen, in beeindruckender Weise. Zumal die immergrüne Natur eine spektakuläre Kulisse bildet und der rhythmische Gesang der Krieger/Paddler und die lautstarken Anfeuerungen der Cheer Leader eine wunderbar dynamische, aber überhaupt nicht kriegerische Symbiose bilden.

Das eigentliche Erlebnis aber sind die Massen, die alle Boote gleichermaßen und vor allem sich selbst während der 6 Stunden rund um die Strecke lautstark, enthusiastisch und vor allem fröhlich feiern. So ähnlich war es sicher vor wenigen Wochen bei der Fußball-WM in Brasilien auch. Ein Erlebnis, welches Dich begleiten wird und dass Du sicher nie vergessen wirst.

Im Finale muss sich das von Josey geführte Boot wegen eines missglückten Startes am Ende knapp den Konkurrenten aus seinem Heimatdorf geschlagen geben. Für uns ist es trotzdem großer Sport und eine tolle Unterhaltung. Natürlich sind die mit so großen Hoffnungen gestarteten ersten Verlierer im Moment am Boden. Aber sie werden aufstehen, wenn sie denn wahre Champions sind, und es im kommenden Jahr erneut versuchen. Das ist ja das Schöne im Sport, auch in diesem speziellen hier.

Später, wieder zurück in Kainakary, Joseys Heimatdorf und Ort der diesjährigen Trophy-Gewinner, spielen sich unglaubliche Szenen ab. Die ganze Gemeinde scheint in der Samstagnacht auf den Beinen. Mit Motorrädern und Auto-Rikschas veranstalten sie laut hupend, singend, wohl mehr brüllend und auf jede erdenkliche Art Krach machend einen sich mehrfach wiederholenden Korso durch die weitläufige Gemeinde. Unglaublich, welche Lebensfreude sich hier vermittelt in dem doch gerade in den Monsunfluten untergegangenen Landstrich. Das ist noch einmal eine andere, viel authentischere Qualität im Vergleich zu den Möchte-Gern-Autokorsos auf den Ringen in Köln und anderswo im fernen Deutschland nach so manchem Fußballspiel!

Alles in allem ist es nicht nur eine lohnende, sondern sehr unterhaltsame und bunte Erfahrung. Jeder, der einmal einen Aufenthalt in Südindien plant, sollte sich das zweite August-Wochenende vormerken. Authentischer und farbenfroher wird es zu anderen Zeitpunkten nicht mehr. Nicht umsonst bezeichnen viele Einheimische diesen Tag als ihren Karneval auf dem Wasser und liegen damit genau richtig.

Leave a Reply