Oh, Indian Railways!

Dieser Tage waren wir von Kerala aus wieder einmal unterwegs zur Erkundung einer weiteren Radtour von Goa nach Hampi im Norden des Unionsstaates Karnataka. Mit den guten Erinnerungen von unseren Bombay-Goa-Trips mit Konkan-Railways ausgestattet, machen wir uns an einem ruhigen Sonntag Mittag auf den Weg zum Bahnhof Alleppey. Allein vor der geplanten Ankunftszeit in Goa am kommenden Morgen um 4:00 Uhr graust es mir.

Unser SuperfastExpress Train kommt aus Trivandrum und hat auf den ersten gut 170 km „nur“ eine halbe Stunde Verspätung eingefahren. Das stimmt mich hoffnungsvoll. So ich mich erinnern kann, hoffe ich zum ersten Mal inbrünstig, dass unser Zug nicht wirklich pünktlich in den Zielbahnhof einfährt, da zu dieser Zeit keine unserer geplanten Unternehmungen starten kann. Wir machen es uns im gebuchten AC 3 Tier Abteil gemütlich, haben angenehme Gesprächspartner und viel Spaß beim Austausch unserer Reiseerfahrungen mit Indian Railways. Das Bettzeug sieht sauber aus, wie auch die Toiletten, je eine in „westlicher“ und indischer Ausführung – zumindest jetzt am Anfang unserer Reise.

Noch gibt es zwar kein WLAN in den Zügen, aber die vorhandenen Steckdosen versorgen Mobiltelefone und Tablets. Wer es wünscht, kann mit der Welt draußen kommunizieren oder sich anderweitig beschäftigen. Auch ist weiterhin seitens der indischen Eisenbahner nicht daran gedacht, die Züge mit Restaurant-Wagen auszustatten, aber das machen sie locker wett durch ihre sich permanent lautstark durch die Abteils kämpfenden Serviceleute für Chai, Kaffee, Snacks und wirkliches Essen. Es kommt die Nacht, es steht der Zug und am Morgen sind wir tatsächlich in der Nähe meiner gewünschten Ankunftszeit in Goa.                 Danke Indian Railways!

Nach drei sehr ausgefüllten Tagen schleppen wir uns mehr zum Bahnhof in Margao, Goas schönem Süden, um kurz nach 19:00 Uhr die Rückreise anzutreten. Wir freuen uns auf unsere Liegen und den erholsamen Schlaf beim eintönigen Geruckel auf den Gleisen, die noch aus der britischen Kolonialzeit stammen. Da wir bisher keine Information zum Zug erhalten haben, suchen wir auf dem Bahnhof danach und trauen unseren Augen kaum. Ohne Angabe irgendwelcher Gründe steht bei der Abfahrtzeit statt der erwarteten Angabe, wir wollen es nicht glauben, 23:00 Uhr!

Da bin ich nun schon so lange in Indien unterwegs, aber diese Gerinfügigkeit von nur 4 Stunden Verspätung, sie nervt mich gewaltig. Wir haben also viel Zeit. Ich beginne zu sinnieren, warum dem so ist und warum es Hunderte Inder um mich herum offensichtlich einfach als gegeben hinnehmen und sich einrichten. So haben sie es wohl immer getan und vielleicht ist es weise so?

Ich aber will mich nicht einrichten, jedenfalls nicht jetzt und nicht so. Was nervt mich eigentlich? Verspätete Züge gibt es auch in Deutschland und die Gründe dafür sind vielfältig und mitunter muss man es einfach akzeptieren. Ich will aber nicht akzeptieren, dass hier gar keine Information stattfindet. Schließlich haben wir unsere Tickets online gebucht und sie sind nur als e-mail auf unseren Mobiltelefonen vorhanden. Warum schaffen es die Inder nicht, die das elektronische Back up für die halbe Welt managen, warum schaffen sie es nicht, uns eine kleine SMS mit Fakten und Gründen der Verspätung zukommen zu lassen, respektive folgender Updates?

Zum Glück treffe ich einen ebenfalls nicht gerade glücklichen jungen indischen Tourismus-Manager aus Delhi, der meine Gedanken teilt. Wir tauschen uns aus und beschließen, uns mit unseren Fragen an den Bahnhofsvorsteher zu wenden. Wir finden ihn in einem Respekt einflößenden Büro eine Etage über dem Chaos auf dem Bahnsteig. Kein anderer gestrandeter Passagier ist hier zu sehen, alle scheinen sie ihr Schicksal als solches zu akzeptieren. Wir nicht, deswegen erlauben wir uns, den jovialen Endfünfziger bei der Verfolgung eines Cricket-Matches zu stören.

Zunächst ist es an meinem indischen Leidensgenossen, unser Unverständnis, ja Befremden über die fehlende Kommunikation seitens Indian Railways zu formulieren. Mehr nicht. Unser Gegenüber scheint alllein schon unsere Anwesenheit für eine Beleidigung seiner selbst zu halten und faltet den jungen Mann auf Hindi wohl regelrecht zusammen. Nun aber möchte ich nicht länger nur dabeisein und bitte ihn höflich, mir als Gast seines schönen Landes doch bitte in Englisch auf unsere Fragen zu antworten.

Er denkt kurz nach und erklärt dann geschraubt alle möglichen und unmöglichen Ursachen für die Zugverspätung. Das wollten wir ja gar nicht wissen. Uns geht es doch darum, die Servicequalität der indischen Bahn in diesem und in anderen Punkten zu verbessern. Er hört sich unsere konstruktiv gemeinten und freundlich vorgetragenen Fragen und Lösungsvorschläge mehr gequält an, bedankt sich und verspricht, sie in den entsprechenden Gremien vorzubringen, da sie ja genau in die Richtung gehen, in der man eh schon arbeite -wirklich? Sein Telefon klingelt wie auf Wunsch und überfreundlich erklärt er das Gespräch für beendet und wir sind wieder draußen. Und wir sind uns sicher, dass er überhaupt nichts unternehmen wird!

Da Goa, anders alle anderen indischen Unionsstaaten, noch die Trinkkultur der ehemaligen Kolonialherren bewahrt hat, können wir unseren Unmut und die überschüssige Zeit wenigstens bei einem kühlen Bier in einem nahen Pub vertreiben. Tatsächlich wird es dann 1:10 Uhr am nächsten Morgen, ehe sich unser SuperFast Express mit 6 Stunden Verspätung in Bewegung setzt. Unser Ziel Ernakulam erreichen wir statt morgens um 10:00 Uhr pünktlich zu Beginn der abendlichen Rush Hour kurz nach 17:00 Uhr. Von hier quälen wir uns mit dem Bus weiter zu Josey nach Hause.

Wir kommen ziemlich genau 27 Stunden, nachdem wir unser schönes Strandhotel in Palolem verlassen hatten, bei ihm an. Zum Vergleich. Wenn ich aus Deutschland über die Vereinigten Arabischen Emirate nach Indien fliege benötige ich von Tür zu Tür 20 Stunden…

Noch während der Fahrt regen wir daher gegenüber dem sehr wichtig tuenden Zugleiter an, ob man bei Indian Railways nicht wenigstens an eine Umbenennung des Zuges von SuperFast Express in irgend etwas Glaubhafteres denken sollte. Denn zu den ungezählten Stopps auf freier Strecke gesellten sich auch gefühlt Hunderte geplante in jedem kleinen Nest. Das ist ja durchaus ein großes Verdienst von Indian Railways, so viele Orte miteinander zu verbinden, nur konterkariert es halt das SuperFast Express-Konzept und lässt es zu einer dreisten Marketinglüge verkommen. Verstanden hat auch er uns nicht.

Und so fährt sie nun weiter, die gute alte Indian Railways, meist nicht ganz pünktlich zwar, aber irgendwie doch meist zuverlässig und unschlagbar kostengünstig. Noch dazu rühmt sie sich, der größte Arbeitgeber auf dem Subkontinent zu sein.

Ich aber frage mich ernsthaft, warum ich mich kurzfristig so wichtig genommen habe und denen, die es sicher wissen und auch nicht schlecht machen, warum ich denen nun die Welt erklären wollte? Was sind schon die paar Stunden Verspätung? Man sollte sie akzeptieren. Die meisten verschlafen sie einfach. In meinem Fall hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und bin mir nicht sicher, ob nicht auch ich besser geschlafen hätte…

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