Dry Day – nur eine indische Lösung?

Alkohol wird wohl überall auf der Welt getrunken. Mitunter wird er auch gesoffen, besonders dort oder dann, wenn es offizielle Verbote oder Einschränkungen gibt.

Radeltag Nr. 4 unserer 2015er März-Tour von Goa nach Kerala fällt auf Holi, den Feiertag, an welchem sie in Indiens Norden den „Winter“ mit bunten Farben austreiben. Bei der Ankunft in unserem Hotel in Murudeshwar freuen wir uns auf zwei Dinge. Erstens auf die Dusche, um den Staub der Strasse, unseren Schweiß und das bunte Holi-Farbengemisch von unseren Körpern zu waschen. Und zweitens auf das kühle Bier aus der Hotel-Bar, um uns von innen zu erfrischen. Auf letzteres müssen wir schweren Herzens verzichten, da uns lapidar mitgeteilt wird, dass wegen des Feiertages in der Stadt ein sogenannter Dry Day angeordnet wurde. Die Hotel-Bar sei versiegelt und alle staatlichen Schnaps-Läden geschlossen. Nichts zu machen! Wer es denn glaubt…

Erinnerungen werden wach. Bei unserer ersten großen Tour 2011 in Kerala teilt uns Josey zwei Tage vor der anstehenden Wahl zur Legislative Assembly, vergleichbar mit Landtagswahlen in Deutschland, mit, dass im gesamten Unionsstaat für den Tag vor der Wahl und den Wahltag selbst alle Bars und staatlichen Alkohol-Verkaufsstellen geschlossen bleiben. Dies sei eine traditionelle und bewährte Massnahme, um den Ablauf der Wahlen nicht zu gefährden und eine möglichst hohe Wahlbeteiligung aller dazu Berechtigten zu gewährleisten. Aha!

Zum einen finden Wahlen in Indien immer an einem Wochentag statt, was einen zusätzlichen freien Tag bedeutet und schon deshalb motivierend für die Stimmabgabe wirken sollte. Zum anderen nutzt dies ein erheblicher Teil der männlichen Bevölkerung jedoch auch zum exzessiven Saufen. Um dies zu verhindern und die öffentliche Sicherheit an einem politisch so aufgeladenen Tag nicht zusätzlich zu belasten hat man sich schon in den frühen Tagen des unabhängigen Indien nicht anders zu helfen gewusst, als den Hahn kurzzeitig zuzudrehen. Dabei ist es bis heute geblieben. Und das Problem wird nicht geringer.

Wenige Tage nach Holi treffen wir in der Stadt mit dem wohl beeindruckendsten Maharaja-Palast Indiens, in Mysore ein. Die Zufahrtstrassen und viele Tempel und andere öffentliche Orte erstrahlen in leuchtend orangen Wimpelketten. Auf Nachfrage erfahren wir, dass ein wichtiges Treffen der aktuellen nationalen Regierungspartei BJP ansteht und…dass für die gesamte Stadt ein Dry Day angeordnet wurde. Die Begründung liest sich wie die oben aufgeführte zu den Wahlen. Ähnliches gilt für die besonders in Kerala beliebten Generalstreiks, die von den dort starken Kommunisten im Vorfeld der nächsten Wahlen 2016 immer häufiger ausgerufen werden.

Wir haben auch wieder einige Bayern im aktuellen Team und die stellen amüsiert Vergleiche an zur politischen und anderen (Un)Kultur im Freistaat. Das wäre ja mal eine Innovation, den politischen Aschermittwoch und viele ähnliche Veranstaltungen der CSU in den Bierzelten ohne dieses Grundnahrungsmittel der Bajuwaren ablaufen zu lassen. Die Revolution wäre vorprogrammiert! Undenkbar! Bei uns ist Saufen eben eine unverzichtbare, wenn auch mitunter unschöne Seite unserer Kultur. Genauso scheint es hier derzeit undenkbar, von der üblichen Verbots-Praxis Abstand zu nehmen.

Hier, wie an vielen Plätzen in der Welt, sucht man seit Jahren nach akzeptablen Wegen des Lebens mit der für den Staat schon aus steuertechnischen Gründen unverzichtbaren Droge. In Kerala haben sie es im vergangenen Jahr mit einer halbherzigen Prohibition versucht. Diese wurde natürlich umgehend auf teilweise kuriose Weise ausgehebelt. So wurde Bier in vielen Lokalen,  die ihre Lizens verloren hatten, in Teepötten oder mit Alufolie umwickelten Gläsern als z.B. „Special Tea“ verkauft. Und die sofort einsetzende heftige Lobbyarbeit von Hoteliers und Restaurantbetreibern hat in der nicht nur für Indien unglaublich kurzen Zeit von 6 Monaten zur nicht nur für uns westliche Touristen höchst begrüßenswerten erneuten Freigabe von Bier und Wein, nicht jedoch von hochprozentigen Spirituosen in vielen Lokalen geführt.

So weit, so gut. Oder auch nicht. Das Problem des zunehmenden Alkoholismus im männlichen Teil der Gesellschaft bleibt einstweilen ungelöst. Es wird nur in andere Bereiche verlagert. Die bereits bisher bedrückenden Bilder von in Gattern gezwängten dürren schmutzigen Männern mit glasigen Augen vor den wenigen staatlichen Monopolverkaufsstellen, sie nehmen an Schärfe noch zu, weil es den hochprozentigen Stoff offiziell nur noch hier gibt. Die Kassierer dort sind sicher aus mehreren guten Gründen in sehr soliden Käfigen vor den sich vor Ihnen drängenden Kunden geschützt.

Allen aus dem Westen sei unabhängig von unseren diesbezüglichen Beobachtungen empfohlen, auch weiterhin in dieses atemberaubende Land zu kommen und Indien getreu unserem Motto in allen seinen Facetten zu erfahren. Beim Dry Day am 1. eines jeden Monats unmittelbar nach den Lohn- und Gehaltsauszahlungen und zu bestimmten weiteren Anlässen wird es sicher bleiben. Noch meine Großmutter hätte es in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts begrüßt, wenn es im Deutschland jener Tage eine ähnliche Regelung gegeben hätte.Viel Kummer wäre den Müttern damals erspart geblieben. Hoffentlich mildert es auch den Kummer so mancher indischen Frau und Mutter dieser Tage.

Nehmen Sie also auch diese nicht immer schöne Seite des hiesigen Lebens als eine von vielen Erfahrungen, die Sie hier machen werden, positiv an. Vielleicht ist es ja auch eine Anregung für den westlich zivilisierten Menschen, mal Pausen beim Konsum im allgemeinen sowie beim Trinken im besonderen einzulegen?

Leave a Reply