Holi 2015 in Südindien

Noch in Goa geht es zunächst am Meer entlang und dann durch das Cotigao-Wildreservat nach Karnataka. Laut Kalender wird heute in Nordindien das Frühlingsfest Holi gefeiert, bei dem man sich üppig mit bunten Farben bewirft und hofft, dass sie auch wasserlöslich sind. Da dieser Brauch auch in Goa und den weiteren Süden immer mehr Freunde findet stellen uns drauf ein und tragen entsprechend „nur das Beste“. Auf der Strecke werden wir beinahe enttäuscht. Lediglich einige Jungen zeigen Farbspuren, uns zu bewerfen trauen sie sich jedoch nicht.

Bereits während des geplanten Transfers in Karnataka und am Abend am Om Beach nahe Gokarna erleben wir jedoch eine weitere uns bisher nicht bekannte Facette des Festes. Überall sind maskierte und kostümierte Kinder zu Umzügen unterwegs, die in Aussehen und Lautstärke der Musik stark an die alemannische Fassenacht erinnern. Nur sind hier weit über 30 Grad im Schatten und unsere kleinen Helden schwitzen in ihren aus viel Papier und Pappmaschee bestehenden Kostümen doch gewaltig.

Nach eindrucksvollen Momenten in der Salzlagune von Gokarna und Aussteiger-Feeling zum Sonnenuntergang am garantiert nicht drogenfreien Om Beach wartet auf dem Rückweg ins Hotel noch ein hier so nicht zu erwartendes Spektakel auf uns. Es ist gegen 21:00 Uhr, als wir bei der Durchfahrt eines Dorfes wegen einer erheblichen und lautstarken Menschenansammlung zum Halten gezwungen werden. Wir steigen vorsichtig aus und haben Mühe, das Geschehen einzuordnen. Es erscheint an diesem Ort einfach zu bizarr, völlig unerwartet. Vor uns tanzt eine Gruppe Kostümierter, allesamt Männer, im Licht der Fackeln, lautstark unterstützt von typisch südindischen Tempelmusikanten. Man könnte an eine an Holi angelehnte Prozession denken, ähnlich denen, die wir am Nachmittag mit den Kindern verfolgten, wären da nicht eine Reihe von sich wild gebärdenden Männern in Frauenkleidung. Irgendwie erinnert mich das Treiben an den Christopher Street Day zu Hause in Köln, und einige der Hauptakteure sind eindeutig Schwule. Ja, es sind Schwule hier in der indischen Provinz, die sich das gesamte Jahr über meist verleugnen müssen. Heute aber scheint ihr Festtag zu sein und sie zeigen dies mit einer Lebensfreude, die ansteckt.

Offensichtlich sind sie in der dörflichen Gemeinschaft weit eher akzeptiert, als in der Öffentlichkeit des Staates und seiner Medien. Hier wie in westlichen Metropolen ist alles perfekt organisiert, die Absperrung funktioniert, alle 10 Meter stehen neue Palmwedel als Fackeln bereit und nach dem Zug wird sofort aufgeräumt. Am Straßenrand stehen die Mädchen und Frauen des Dorfes und verfolgen halb schüchtern, halb amüsiert das Geschehen, an dem alle offensichtlich ihren Spaß haben. Wir sind ein wenig irritiert, nehmen Ihre Einladung zum Mitmachen, zum Mittanzen mal an, mal bleiben wir Zuschauer. Wir haben so viele Fragen und keiner der Anwesenden kann uns wegen der Sprachbarriere so recht helfen. Auch Josey, mein indischer Freund, kann oder will dies nicht. Er will nur eines, weg von hier, von diesem ihm überhaupt nicht geheuren Ort. Sein  Unbehagen steht ihm ins Gesicht geschrieben, wie auch seine vorgefasste Meinung zu dem, was wir gerade erleben. So fahren wir denn mit all unseren Fragen ins Hotel. Schade eigentlich. Aber für 2016 habe  ich mir Termin und Ort schon vorgemerkt. Zu vieles gilt es noch aufzuarbeiten.

Am kommenden Morgen steht die Etappe nach Murudeshwar an. Holi ist eigentlich für dieses Jahr Geschichte. Nicht aber hier im ländlichen Karnataka. Bereits bei der ersten morgendlichen Ortsdurchfahrt bemerken wir am Straßenrand Gruppen von jungen Männern, teils schon erheblich mit den typischen wasserlöslichen Farben markiert. Uns gegenüber sind sie (noch) zurückhaltend. In einer Kleinstadt, in der wir zum Frühstück halt machen, bedrängen Sie uns zunehmend. Und als dann der erste bei einer Gruppe stoppt, brechen alle Dämme. Erst ist es nur einer, bald aber sind wir alle kunterbunt mit gelbem, rotem, grünem oder blauem Pulver eingerieben. Auf unseren schweißgetränkten Gesichtern, an den Armen und auf den T-Shirts entstehen die klassischen Muster des Frühlingsfestes. Bei jeder weiteren Ortsdurchfahrt sind wir erneut Zielpunkt von Farbattacken johlender Gruppen Jugendlicher. Nur gut, daß nach den erfolgten „Belegfotos“ alles einfach wieder ab- oder auszuwaschen ist, jedenfalls das meiste… Haben wir also mit etwas Verspätung doch noch unser Holi feiern dürfen. In vielen Orten werden sie sich lange an uns erinnern, denn zum Spaß radelnde Zeitgenossen wie uns haben Sie hier eher selten, nicht nur zu Holi.

 

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