Zu Besuch bei "Guru Swami"

Den kennen Sie nicht? Woher auch, handelt es sich doch um eine Wortschöpfung eines unserer Teilnehmer, als wir 2013 erstmals bei diesem ungewöhnlichen und wahrhaft auffälligen Typen halt machten. In der Endphase unserer Tour „Zauberhafter Süden“ fahren wir aus der Tempelstadt Guruvayur kommend über die Cochin nördlich vorgelagerte Insel Vypin in die keralische  Businessmetropole. Fern jeder touristischen oder anderen Infrastruktur gibt es dort direkt in den Dünen am Indischen Ozean einige Hütten, die außer elektrischem Strom und einer Süßwasserleitung – immerhin – über keinen weiteren Komfort verfügen. Genau dort residiert nebst seiner Mutter, einigen Bediensteten und mitunter einigen Gästen unser schillernder Held.

Selten bin ich einem dermaßen in sich ruhenden, scheinbar über allen weltlichen Dingen stehenden Menschen, wie Swami es ist, begegnet. Er ist Anfang vierzig und hat den Großteil seines bisherigen Lebens dem Studium der alten hinduistischen Schriften gewidmet. Eine Universität hat er nie von innen gesehen. Von seinem Vater und anderen Meistern sei er mit den Prinzipien einer ayurvedischen Lebensweise einschließlich aller gängigen Methoden der ayurvedischen Heilbehandlung vertraut gemacht und auch zum Yoga-Lehrer ausgebildet worden. Ganz unbescheiden bezeichnet er sich heute als den führenden indischen Spezialisten in Fragen der ayurvedischen Heilung und als den sicher besten Yoga-Lehrer der Gegenwart. So, so.

Neben seinen Worten und Ratschlägen ist es zunächst seine äußere Erscheinung, die den Besucher auf geradezu magische Art für ihn einnimmt. Alles wird bestimmt durch den gewinnenden Blick seiner braunen Augen. Beim Lächeln und Reden offenbaren sich makellos angeordnete blendend weiße Zähne. Sein immer freundliches gepflegtes Gesicht wird kontrapunktiert von einem seit Jahrzehnten nicht gekürzten Filz aus Haupt- und Barthaar. Wie unter Seinesgleichen üblich ist beim öffentlichen Auftritt ein leuchtend orangefarbener Dhoti – das Beinkleid südindischer Männer – sein einziges Kleidungsstück, ergänzt nur durch einige hölzerne Ketten am Hals und an den feingliedrigen Handgelenken.

Die Räumlichkeiten, in denen er residiert und Gäste empfängt, erscheinen uns westlichen Zufallsankömmlingen arg unaufgeräumt, ja schmutzig. Der nicht versiegende Strom Ratsuchender aus ganz Südindien scheint sich daran nicht zu stören. Seine Reinheit ist eine andere, für uns aus dem Westen nicht gleich als solche erkennbare. Was für die Inder zählt, ist der Rat des Meisters. Dem lauschen sie gebannt, ja fast schon ehrfürchtig.

Da wir dank unseres indischen Freundes Josey bis hierher vorgedrungen sind und seine Räumlichkeiten auch zum Umziehen und Duschen mittels Eimer und Schöpfbecher nach dem Meeresbad benutzt haben, wollen wir uns dafür persönlich bedanken und erhalten außer der Reihe die Ehre einer mehr als halbstündigen Audienz.

Als er hört, dass ich Deutscher bin runzelt  er die Stirn. Er entgegnet, dass ich erstaunlich wenig von dem, was Deutsche seiner Meinung nach auszeichne verströme. Er vermisse in mir diese sonst stets spürbare Anspannung, dieses Getriebensein, diesen Hang zum Perfektionismus, den er mit den Deutschen und – es bleibt sein Geheimnis – mit dem Namen Hitler in Verbindung bringt. In seinen Augen sind die westlichen Touristen höchst bedauernswerte Wesen, immer getrieben, Neues zu erleben, weil sie selbst wohl nicht über die nötige innere Orientierung verfügten. Westler sind in seinem Heim nur dann willkommen, wenn sie bereit seien, zumindest eine Zeit lang loszulassen und sich unter seiner Anleitung auf die Reise zu ihrem wirklichen Ich zu begeben.

Uns gegenüber bleibt er trotzdem freundlich, schließlich leisten wir durch unsere dreiwöchige Radtour in der Hitze Südindiens eine Wallfahrt ganz anderer Art, die er zwar kritisch sehe, die aber auch Gutes bewirken könne – wenn wir es denn nicht mit den körperlichen Strapazen übertrieben. Seine Skepsis uns und unserem Tun gegenüber aber verheimlicht er nicht. Wir suchten halt immer das Extreme, den besonderen Kick. Dies stehe im kompletten Widerspruch zu den hinduistischen Lehren.

Es gehe dem Hindu in allen Lebensbereichen und -situationen immer darum, Extremes zu vermeiden, weit entfernte Pole miteinander zu verbinden, wenn immer möglich die „goldene Mitte“ zu finden und sich nicht von irgendwelchen Moden beeinflussen zu lassen. Er belegt dies mit verschiedenen Beispielen. Natürlich kommen die Lehrmedizin und Pharmazie dabei auch ihr Fett weg, beschäftigten sie sich doch zu sehr mit den Symptomen, passten sich Moden an, seien marktorientiert und damit patientenunfreundlich und, und, und…Vieles von dem betrifft uns nicht, also lassen wir es unwidersprochen, auch wenn wir ihm nicht folgen können oder wollen.

In einem Punkt jedoch, mit dem sich schon um des eigenen Wohlbefindens willen   auch jeder medizinische Laie beschäftigen muss, erfahren wir tatsächlich Interessantes. Es geht um das Verständnis von Reinlichkeit oder Hygiene, welches in unserer Welt weit von dem abweicht, wie es in Swamis hinduistisch geprägter Welt gelebt wird. Laut dem Meister hat sich die westliche Zivilisation – wohl in bester Absicht – inzwischen in weiten Teilen in ihrem „Desinfektionsperfektionismus“ in eine übersterile Gesellschaft verwandelt, deren Mitglieder, also wir selbst, nicht länger in der Lage seien, für normale Lebenssituationen genügend körpereigene Abwehrstoffe zu entwickeln. Wir seien zu sehr auf nur äußerliche Sauberkeit und Reinlichkeit fixiert und erleiden deshalb oft in nicht unserem Reinheitsideal entsprechenden Räumen, wie hier in Indien die bekannten Probleme.

Wichtiger aber sei es, so Swami, in der Welt wie sie ist, die wahren Quellen der Gesundheit, also auch der Hygiene zu kennen und zu nutzen. Dies seien vor allen die unbegrenzte Vielzahl in der Natur vorhandener Lösungen zur Säuberung durch vor allem in Pflanzen enthaltenen Stoffen. Er bringt eine Reihe von provokanten Beispielen, mit denen er uns wohl schocken will? Zunächst sollen wir glauben, dass in vielen Regionen Indiens Menschen, die entweder auf Mülldeponien leben oder zur Reinigung von Latrinen barfuß in diesen arbeiteten, ohne dass sie Haut- oder andere Krankheiten davon tragen. Ihr starkes Immunsystem schütze sie davor. Auch sei das Wasser der in unseren westlichen Augen total verseuchten Flüsse Indiens, wie dem für Hindus heiligen Ganges für diese unproblematisch, ja sie könnten ohne Konsequenzen für ihre Gesundheit daraus trinken. Zumindest den letzten Punkt teilen wir definitiv nicht mit ihm!

Dazu fällt mir immer wieder eine Episode aus meinen Delhier Tagen aus dem Sommer 1988 ein. Exakt zeitgleich erkrankten damals zehn Personen an Gelbsucht, die sich vorher wie so oft im Presseklub der Hauptstadt zu einem Lunch getroffen hatten. Unter ihnen waren sechs Inder und einschließlich meiner Person vier Europäer. Später erfuhren wir, dass verunreinigtes Wasser bei der Herstellung der von uns in den Getränken verwendeten Eiswürfel die Ursache unserer Erkrankung war. Den Hindus in unserer so fröhlichen Runde half ihr starker Glaube damals jedenfalls nicht. Ihre Augäpfel waren in jenen Tagen genauso zitronengelb wie die von uns Europäern. Allerdings waren sie nach nur kurzer Unterbrechung wieder Jünger der Droge Whisky. Ich meide sie seitdem.

Vieles andere jedoch von dem, was Swami sagt, klingt durchaus plausibel und auch für uns erstrebenswert. So sehen wir beim Verlassen seines kleinen Reiches das offensichtliche Durcheinander in seinen Behandlungs- und Lagerräumen etwas relaxter. Mensch und Tier scheinen sich dort wohl zu fühlen, sind entspannt im Umgang miteinander und alle erfreuen sie sich bester Gesundheit.

Auch wir haben bei unserer Tour wieder einmal erfahren, dass es an den Straßen und in den vielen sicher nicht den europäischen Standards entsprechenden Küchen  Südindiens völlig unproblematisch ist, sich gesund und lecker zu ernähren. Stets wird frisch, meist vor unseren Augen gekocht. Das angebotene Wasser war stets abgekocht, meist mit pflanzlichen Desinfektionsstoffen gereinigt. Keiner von uns Europäern musste sich, im Gegensatz zu unseren einheimischen Betreuern, ernsthaft mit Magen/Darm- oder anderen Problemen herumschlagen.

Im kommenden November sind wir wieder auf Tour im „Zauberhaften Süden“ Indiens und sicher auch bei Swami. Wer es ermöglichen kann, sollte sich diese Erfahrung nicht entgehen lassen!

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