Feiertagstour

Die für uns Deutschen liebsten Feiertage Weihnachten und Ostern sind für die meisten mit nicht unerheblicher Völlerei verbunden. Andere haben weder mit den Feiertagen als solchen und auch mit dem unverhältnismäßigen Fressen nichts am Hut. Sie suchen nach Alternativen, um all dem zu entkommen, sich selbst etwas Gutes zu tun und dabei auch Neues zu erfahren. So wurde es uns Anfang des letzten Jahres auf den von uns besuchten Radreisende-Messen immer wieder kund getan, verbunden mit der Bitte, ob wir nicht genau für diese Zeiträume ein interessantes Angebot entwickeln könnten. Klar können wir das.

Umgehend haben wir eine zweiwöchige Tour entwickelt, die alle Highlights des südlichsten indischen Unionsstaates Kerala in eine schöne, dazu auch anspruchsvolle Runde einbettet. Zu Weihnachten 2014 waren wir sofort ausgebucht und auch zu Ostern 2015 haben wir in kleiner Gruppe wieder die knapp 600 km im Sattel bewältigt, auch wenn es Anfang April schon gut warm, ja gegen Mittag oft fast unerträglich heiß wird. Wir haben also schon erste Erfahrungen gesammelt und entsprechende Optimierungen vorgenommen.

Was also erleben wir in Indiens tropischem Süden an den Tagen, an denen viele zu Hause eher zum Faulsein neigen?

Zunächst einen 8.000 km langen Flug über die Golfregion in die brodelnde Wirtschaftsmetropole Cochin, genauer in deren koloniales, heute ihr touristisches Herz Fort Cochin.

Speziell zu Ostern ist es für die, die es zeitlich ermöglichen können, durchaus überlegenswert, einen oder mehrere Tage früher anzureisen. Dann können wir uns in den nahen Backwaters oder direkt am Strand in aller Ruhe auf die tropischen Temperaturen  einstellen. Unabhängig davon lassen wir es hier ruhig angehen. Zuviel gibt es zu sehen in der durch koloniale Einflüsse geprägten Altstadt mitsamt des Hafens.

Unmittelbar nach der Ankunft am Samstagmorgen im zentral gelegenen Fort Abode Hotel können wir die Fahrräder übernehmen und zu einer ersten Erkundungstour in die Stadt aufbrechen. Oder wir entspannen erst einmal und begeben uns am späten Nachmittag zu Fuß an den Strand und genießen den Sonnenuntergang bei den nicht nur als Fotomotiv beeindruckenden chinesischen Fischernetzen. In jedem Fall treffen wir uns am Abend zum Begrüßungsessen in einem Seafood-Restaurant direkt an der Hafeneinfahrt.

Am Sonntag schwingen wir uns nach dem Frühstück zu einer ersten Gewöhnungstour in die Sättel. Es geht auf der ruhigen Küstenstraße Richtung Süden durch malerische Fischerdörfer durch die Backwaters direkt zu einer kleinen Bucht. Hier machen wir Rast und können uns auch erstmals in die Fluten des hier ungewöhnlich warmen Indischen Ozeans fallen lassen. Am Sonntagmorgen staunen wir in dieser überwiegend von Christen bewohnten Gegend über die Vielzahl meist noch neuer Kirchen, die heute zum Gottesdienst aus allen Nähten zu platzen scheinen. Welch ein Unterschied zum Abendland!

Auf dem Rückweg wagen wir uns, da es ja Sonntag ist, ein kurzes Stück durch die Straßen im Geschäftsviertel Mattancherry, um eine kleine Idee davon zu erhalten, was hier unter der Woche so abgeht. Die Runde ermöglicht es, unterschiedliche Distanzen zu fahren. Max. sind wir 56 km unterwegs auf komplett flachen und inzwischen gut asphaltierten Straßen.

Abends wartet mit dem Besuch einer Kathakali-Tanzshow ein erstes kulturelles Highlight auf uns. Hervorgegangen aus den Darbietungen bei Tempelfesten werden hier Heldenepen aus den wichtigen hinduistischen Schriften, wie Mahabharatha oder Ramayana, in Tanzform ausschließlich mit Gestik und Mimik dargestellt. Alle Rollen werden von aufwändig geschminkten männlichen Tänzern verkörpert. Diese werden begleitet von einer kleinen Musikantengruppe auf klassischen indischen Instrumenten und einem Erzähler. Eine oft inspirierende, mitunter auch verwirrende Erfahrung, die Sie sich nicht entgehen lassen werden.

Unsere eigentliche Tour starten wir am Montagmorgen nach einem kurzen Transfer ca. 25 km vor den Toren der Stadt. Schnell fesselt uns das zunehmend wellige Hinterland. Es wird ländlich, wir rollen durch ausgedehnte Kautschuk- und Ananas-Plantagen.  Besonders zu Ostern wird es lecker, wenn wir am Wegesrand von den Farmern vollreife Ananasfrüchte direkt vom Feld kaufen können. Unser Tagesziel ist das Soma Birds Lagoon Resort inmitten des Vogelreservates von Thattekad. Wir erreichen es nach gut 55 km Fahrt, auf der wir auch die ersten spürbaren Höhenmeter sammeln. In dieser Idylle werden wir die nächsten zwei Nächte inmitten der stillen, lauten Natur verbringen, landestypisches Essen geniessen und im weiten Areal einiges über die hiesige Flora und Fauna erfahren. Auch ein Bad in der Lagune oder im mit Karpfen besetzten Natur-Pool ist möglich.

Wir befinden uns am Fuße der Höhenzüge der Western Ghats in den feuchten Niederungen  entlang eines der wichtigsten Flüsse Keralas, des auch einem höher gelegenen Wildreservat den Namen gebenden Periyar-Flusses. Wahrscheinlich werden wir nur einen Bruchteil der hier lebenden Vögel sehen. Dennoch stellt das Radeln am Rande des Regenwaldes durch die Dörfer der Kakao- und Kautschukbauern eine reizvolle Erfahrung dar. Immer wieder weisen mehr oder weniger frische Kotballen darauf hin, wie nah wir den eigentlichen Herren des Waldes, den hier zahlreichen wilden Elefanten kommen können. Tagsüber, wenn wir dort radeln, sind sie tief im Wald. Laut den Dorfjungen, die uns oft begleiten, kommen sie meist in der Abenddämmerung hinunter zum Fluss, um ihren Durst zu stillen. Es sind sehr kluge und scheue Tiere, die jede Begegnung mit dem Menschen zu vermeiden suchen.

Am Mittwochmorgen – bei der Weihnachtstour am Heiligabend – gilt es dann. Es geht hinauf in die Berge, genauer ins Zentrum des Teeanbaus in Südindien nach Munnar. Vor uns liegen knapp 80 km, deren Würze sich aus den zu überwindenden gut 1.600 Höhenmetern speist. Neben den spektakulären Aussichten wird hier auch jeder Teilnehmer viel Zeit damit verbringen, sich selbst zu studieren, da drei Viertel der Strecke Steigungen sind. Keiner sollte sich hier zuviel zumuten. Unser Begleitfahrzeug ist immer in der Nähe und sicher eine Option, wenn es zu schwer werden sollte. Da die Stadt Munnar selbst ein aus den Nähten platzender, aber weitgehend unspektakulärer Ort ist, hat mein Partner Josey 12 km außerhalb an der Grenze zwischen den faszinierenden Teeplantagen und dem Regenwald für uns Unterkünfte im Gästehaus einer Plantage gebucht. Zu Weihnachten ist es dort oben abends mindestens frisch. Alle scharen sich daher nach den Erlebnissen des Tages gern ums Lagerfeuer. Schön, dass wir auch hier wieder für zwei Nächte verweilen.

Nach einem radfreien Tag mit Ausflügen und Wanderungen in die atem(be)raubende Umgebung geht es am Freitag erneut zur Sache. Am Morgen passieren wir zunächst die Welt der Teeplantagen, um später dann in das Zentrum des Gewürz-, besonders des Kardamom-Anbaus einzutauchen. Gegen Mittag erreichen wir auf dem Kamm der Western Ghats die Grenze zum benachbarten Staat Tamil Nadu. Vom Kontollpunkt abwärts folgen wir einer nunmehr komplett asphaltierten 28 km langen grandiosen Abfahrt ins Örtchen Bodi, um nach einer weiteren Stunde in Theni die Räder abzustellen und ein verdientes „Schmutzbier“ zu genießen. Schließlich haben wir knapp 100 km mit über 1.000 Höhenmetern nach oben und ca. 2.000 HM nach unten in die tamilische Ebene in den Beinen. Kurz danach bringt uns ein ca. einstündiger Transfer in die alte Metropole Madurai.

Welch ein Kontrast! Nach Tagen inmitten von Wäldern und Plantagen mit Tausenden verschiedener Grüntöne empfängt uns hier die sympathische, wenn auch etwas heruntergekommene über 2.500 Jahre alte „Seele Tamil Nadus“ mit ihrer hitzigen, lärmenden und alles andere als sauberen Altstadt. Vom Royal Court Hotel, unserer komfortablen Oase aus erleben wir sie, ihre Einwohner und Gäste und vor allem den beeindruckenden Sri Meenakshi-Tempel. Er, der größte und wichtigste unter mehr als 5.000 südindischen Hindu-Tempeln ist es, der alle anzieht, egal ob Einheimische, wallfahrende Gläubige aus dem ganzen Land oder einfache Touristen wie uns.

Nach zwei Nächten geht es wieder zurück nach Theni zu unseren Rädern und von dort durchs fruchtbare Cumbum-Tal erneut an den Fuß der Berge und zurück nach Kerala. Es heißt, dass die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben. In unserem Fall ist es ein 7 km langer und 550 m Höhenmeter umfassender Anstieg hinauf in unseren nächsten Etappenort Kumily und in das zum Projekt Tiger gehörende Wildreservat am Periyar-Stausee. Letzteres ist das wohl bekannteste und besten vermarktete in Südindien. Daher ist Kumily auch ein Zentrum des innerindischen Tourismus mit der entsprechenden Infrastruktur und Unmengen lärmender einheimischer Touristen. Trotzdem lohnt der Aufenthalt hier oben. Zum einen wegen der durch kompetente Ranger in kleinen Gruppen geführten Wanderungen durch Teile des Reservates und zum anderen wegen der Möglichkeit, die hier oben wachsenden Gewürze und Kaffeesorten bei einer weiteren Führung kennenzulernen und einzukaufen. Für beides haben wir am „Radruhetag“ alle Zeit und genießen sie.

Schließlich machen wir auf unserem weiteren Weg hinunter in die Backwaters einen informativen und auch unterhaltsamen Stopp in einer Teemanufaktur, einschließlich der Verkostung edelster Schwarz- und Grüntees und der Möglichkeit, sich damit einzudecken. An diesem Tage folgt auf die Mühen der Berge eine wunderbare 20 km lange Abfahrt, in deren Verlauf die Temperatur um mindestens 10 Grad zulegt. Daher steigen wir bei der Ostertour, wieder im Reich der Kautschukplantagen angekommen, spätestens im Ort Kanjirappalli ins Begleitfahrzeug zum Transfer in unseren Zielort Kainakary. Zur Weiterfahrt wird es am Nachmittag hier schlichtweg zu heiß.

Anders während der Weihnachtstour. Auch hier empfehlen wir zwar allen Teilnehmern nach der Abfahrt den angebotenen Transfer zu nutzen.  Aber die im Dezember angenehmen Temperaturen und die einladende wellige Streckenführung lassen die meisten Radlerherzen höher schlagen und nicht an einen Platz im Begleitbus denken. Ergebnis: Bei der Erstauflage 2014 haben fast alle die gesamte Strecke von 136 km auf den Rädern zurückgelegt und einen unvergesslichen Radfahrtag erlebt.

Auf die Anstrengungen der Rundtour folgen zum Ausklang Tage der Entspannung in den Backwaters und am Strand von Marari Beach. Ein Highlight während der Weihnachtstour wird in jedem Fall das BBQ im Garten unseres Partners Josey zu Silvester. Zunächst bereiten wir unter fachkundiger Anleitung seiner Frau Lisa einige südindische Curries zu. Zum Jahresabschluß-Dinner  gibt es dann diese, kombiniert mit Würstchen, leckerem Grillfleisch und aus der Heimat bekannten Begleitern zum Grillfest. Letztes Jahr hat die starke bayerische Fraktion in unserer Truppe einen feinen Kartoffelsalat gezaubert, den es in dieser Perfektion sicher ganz, ganz selten so nah am Äquator gibt. So genießen wir denn die laue Nacht ins Neue Jahr hinein.

Wenn wir wieder wach sind wartet die Erkundung der auf diesem Planeten einmaligen Kulturlandschaft der Backwaters auf uns. Wir steigen dazu erneut auf die Räder und rollen gemächlich über die Deiche, teilweise direkt durch die privaten Bereiche der Anlieger. Keinen stört es, alle empfangen sie uns freundlich. Auch das eine angenehme Erfahrung, die so in der westlichen Welt kaum noch zu machen ist. Gleiches wiederholt sich, wenn wir im kleinen Boot langsam durch die Kanäle schippern, dort wo die Armada der Hausboote nicht hinkommt. Unser Bootsführer führt die unter uns, die es sich zutrauen, gern in die Kunst des hier verbreiteten Wurf-Netz-Fischens ein.

Es sei jedem künftigen Gast ausdrücklich empfohlen, an diese Tour noch einige Tage dranzuhängen. Es gibt eine Reihe interessanter und entspannter Radeltouren zwischen der Küste des Indischen Ozeans und dem größten Binnensee Keralas, dem Vembanad-See, zu entdecken. Und einige abschließende Tage direkt am nahezu menschenleeren Strand sind ein sicher bezahlbarer Luxus.

Sollten auch Sie zu denen gehören, die an den Feiertagen fern der Heimat etwas erleben wollen, so sei Ihnen unsere Tour ausdrücklich empfohlen. Seien Sie dabei!

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