Auf nach Ladakh!

Pilot-Radtour durch den oberen indischen Himalaya (05.-22.07.2016)

 

Mit dem Norden Indiens war ich ja eigentlich fertig, dachte ich zumindest. Deshalb spielte er in den Planungen für meine Radtouren auch keine Rolle. Anfragen begeisterter ehemaliger Teilnehmer an unseren Südtouren und auch interessierter möglicher künftiger Kunden auf den Radmessen des Frühjahrs machten mich dann doch nachdenklich. Und dann gibt es da noch einen Punkt aus meinen 1980er Delhi-Tagen. Im August 1988 wollten wir Ladakh erkunden, alles war vorbereitet, die Flüge, Mietwagen und Hotels gebucht – und dann hat meine Hephathitis-Erkrankung alle Pläne zunichte gemacht. Ich habe also doch noch zumindest dieses eine Thema offen.

Schmunzelnd erinnere ich mich daran, als ich nun mit meinem Begleiter Michael im Flieger nach Delhi sitze, um gemeinsam mit ihm und unseren indischen Freunden unsere Pilot-Tour für den schwierigen Aufstieg nach Leh in Angriff zu nehmen. Zunächst landen wir in der Hauptstadt und nehmen sehr erfreut zur Kenntnis, dass nunmehr die Einreise mit dem elektronischen Touristenvisum problemlos und schnell passiert. Die separaten Schalter dafür sind überdeutlich ausgeschildert, die Mitarbeiter der Einreisebehörde zumindest an diesem Morgen bestens geschult und ausnehmend höflich.

Nach einer kurzen Pause im Hotel ganz in der Nähe des Bahnhofes von Neu Delhi machen wir uns zu Fuß auf in das pulsierende Herz der Stadt rund um den noch von den Briten angelegten Connaught-Place.

Seit meinem letzten Besuch noch im alten Jahrtausend stechen vor allem die Metro und rund um den weitläufigen Platz neue protzige Verwaltungs- und Geschäftshäuser ins Auge, sowie die überdimensionale Indien-Flagge im Zentrum des Platzes. Ansonsten ist das Gewusel in der Einkaufsstraße Janpath und all den übervollen Nebenstraßen so vertraut, als lägen nicht über 25 Jahre, sondern nur einige Tage zwischen dem heutigen und dem letzten Besuch. Neben den vertrauten TukTuks kreuzen auffällig viele ebenfalls dreirädrige, aber mit Strom betriebene Gefährte in den Straßen, die es in anderen indischen Städten im Süden (noch) nicht gibt. Auch ist die Zahl der Fahrrad-Rikschas, je näher man der Altstadt kommt, erstaunlich groß. Man spürt es an der Luft, die nicht so stark belastet zu sein scheint, wie erwartet und wie in vergleichbaren Städten.

Wann immer wir mal stehen bleiben, um uns zu orientieren, werden wir sofort von hilfsbereiten (?) Männern angesprochen. Sie helfen uns tatsächlich in vielen kleinen Fragen weiter. Wir teilen mit Ihnen in einer Gasse ein umwerfendes Curry, sie begleiten uns ein Stück des Weges, zeigen uns die gewünschten Punkte und verfolgen dabei ganz selbstverständlich, dessen muss man sich stets im Klaren sein, immer ihr eigenes geschäftliches Interesse. Da dies ausnahmslos auf sehr sympathische Art erfolgt, haben wir alle unseren Spaß. Ein Auto-Rikscha-(TukTuk)-Fahrer bringt uns gar umsonst ein Stück weit zu unserem Hotel zurück. Eine positive Überraschung folgt auf die andere…Jedoch ist hier alles knallhartes Business und jeder Gast lasse sich von der Freundlichkeit nicht einlullen. Vielleicht bin ich mit den Jahren nur noch einen Tick professioneller als alle diese Typen geworden? Also Achtung und buchen Sie hier nichts, zumindest nicht, ohne einmal drüber geschlafen zu haben!

Folgerichtig landen wir am Abend dann in einer kleinen als Restaurant getarnten Bar, in der pünktlich zum Servieren des Essens einige lokale Sternchen mit ihrer stark an Karaoke erinnernden Liveshow anfangen. Mit einem zufriedenen Lächeln falle ich dann wenig später auf meinem Hotelbett in einen ausgezeichneten Schlaf.

 

Der kommende Morgen – der Donnerstag nach dem Ende des Ramadan – empfängt uns heiß und schwül. Dennoch nehmen wir sehr zur Verwunderung von Personal und indischen Gästen unser Frühstück auf der Dachterrasse ein. Ein guter Einstieg in unseren heutigen Fußmarsch durch die Gassen von Alt-Delhi hin zum Roten Fort und den anderen markanten Punkten der moslemisch geprägten Altstadt. Wir verzichten weitgehend auf die Hilfe der emsigen TukTuk-Fahrer und werden belohnt mit vielen Eindrücken, wie Erwachsene und Kinder hier diesen Feiertag schon begehen oder ihn gewissenhaft vorbereiten. Wir sind hier heute die wohl einzigen westlichen Touristen und werden freundlich eingeladen, an ihrem Treiben außerhalb der frisch gereinigten und auf den Ansturm der Massen gut vorbereiteten Moscheen teilzunehmen.

Es wärmt mir das Herz, diese bestimmende Seite der herzlichen Brüderlichkeit unter den hiesigen Moslems teilen zu dürfen. Wie krass steht sie doch im Gegensatz zu den kriminellen Taten weniger Verrückter, die durch ihre mediale Omnipräsenz das Bild des Islam in der Welt derzeit leider so erfolgreich verzerren. Einzig das feuchtheiße Klima ist im Juli für alle hier eine echte Tortur. Gut nur, dass wir am frühen Abend den klimatisierten Reisebus besteigen, der uns über Nacht relativ entspannt an den Ausgangspunkt unserer Radtour ins über 2.000 Meter ü. M. hoch gelegene Manali bringt.

Wir beginnen unsere Akklimatisierung an die Höhe mit einem ausgedehnten Spaziergang durch Alt-Manali und hinunter in den Hauptort New Manali. Seit meinem letzten Besuch hier im Frühsommer 1987 hat sich so ziemlich alles verändert und einiges sicher nicht zum Guten. Wir wohnen im in seiner Ausrichtung auf junge westliche Spaß-Touristen stark an Teile Goas oder Kathmandus erinnernden und daher in seiner Identität erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbaren alten Dorfkern. Aber genau diesen Blick gönnen wir uns, sind noch in einigen der wenigen erhaltenen typischen Bauernhäuser zu Gast und beobachten dort und im Haupttempel auch die gewissenhaften Vorbereitungen für die Prozession der Hindu-Gemeinde am Abend.

Nach einer traumlosen Nacht, unterbrochen nur durch einen heftigen Monsunschauer, nehmen wir am Samstag Morgen die Mountainbikes entgegen, stimmen sie auf unsere persönlichen Bedürfnisse ab und starten unser erstes schweißtreibendes Abenteuer in der auch hier unerbittlichen Mittagssonne hinauf in das vor allem bei Indern beliebte Solang-Tal. Auch heute tummeln sich Tausende Einheimische auf einer großen Grünfläche unterhalb des Skilifts und des Hanges. Hauptattraktion neben uns, die wir unablässig fotografiert werden, sind Paragliding-Flüge, die inmitten der Massen landen. Ein unglaubliches Schauspiel, bei dem es immer wieder zu Verletzten kommt – im Westen in der Form schwer vorstellbar. Unmittelbar daneben künden gewaltige Geröllhalden von der Großbaustelle des Rotang-Tunnels, der hier irgendwann seinen Anfang nehmen und die kritischste, weil wegen des Schnees meist über 8 Monate geschlossene Passage des Manali-Leh-Highways ganzjährig für den Verkehr öffnen wird. Wir kehren von dort durch einladende Apfel-, Aprikosen- und Birnenhaine zurück nach Alt-Manali und wissen nun, dass wir bereit sind für das große Abenteuer.

Schön, dass uns auch der Sonntag noch zur weiteren Akklimatisierung bleibt. Wir lassen die Räder stehen und legen nochmals einen Wandertag durch die benachbarten Dörfer ein. Die Äpfel und Aprikosen hängen derzeit in voller Pracht an den Bäumen und werden den Eigentümern in diesem Jahr Top-Erträge bescheren. Wie in Manali so ist auch das auf der gegenüber liegenden Seite des das Tal dominierenden Flusses Beas das boomende Dorf Vaishisht heute von nordindischen Urlaubern übervoll. Alle wollen sie zu den wichtigen Tempeln und den jetzt in der Monsunzeit eindrucksvoll vom Berg stürzenden Wasserfällen. Keiner der Inder tut dies wie ich auf Schusters Rappen. Es ist halt chic, seinen Wagen zu zeigen, und sei es nur in unnötigen Staus.

 

Endlich. Nach drei Tagen der Akklimatisierung auf gut 2.000 Meter ü.M. Ist es am Montagmorgen so weit. Wir brechen zu sechst (zwei Inder, ein Brite und drei Deutsche) auf zu unserem Radfahrabenteuer über die höchsten befahrbaren Straßenpässe unseres Planeten. Den 56 km langen Aufstieg zur Wetterscheide zwischen d
en monsungeschwängerten fruchtbaren Hängen des Süd-Himalaya und den durch den Rotang La Pass abgeschirmten trockenen Hochebenen gehen wir respektvoll ruhig an.

 

Radtag 1 Manali-Marhi                     36 km, 1.450 HM, Camp auf 3.320 m

Kaum verlassen wir den Ort treffen wir auf eine ca. 80 Teilnehmer starke Einheit junger Bergsteiger, die sich hier unter Anleitung erfahrener Trainer Grundlagen des Alpinismus erarbeiten wollen. Es sieht alles ziemlich martialisch aus, was da am Rande der Straße so abgeht. Gut, dass es der Manali-Leh-Highway von Beginn an gut mit uns meint und wir nicht zu steil stetig an Höhe gewinnen können. Kurz vor der Abfahrt hat sich unserer homogen erscheinenden Fünfergruppe noch ein 32-jähriger Exot aus Mumbai angeschlossen. Er ist perfekt ausgerüstet, Millionärs-Sohn mit herrlich schrägen Meinungen (Inder haben keinen Biss, die sind nur Spitze im Bestechen und im Bevölkerungswachstum!), hat aber vom Radfahren wie wir es verstehen, noch nie etwas gehört. Nach ca. 5 km erkläre ich ihm, dass er am Berg durchaus auf das große Blatt verzichten kann und besser die kleineren Gänge nutze sollte.

Er tut dies und erreicht tatsächlich am späten Nachmittag nur eine Stunde nach uns den ersten Zielort nach 36 km. Er erinnert mich an das „Hummel-Prinzip“. Der hat niemand gesagt, dass sie nicht fliegen kann, also fliegt sie. Ihm hat wohl keiner gesagt, auf was er sich da einlässt, also fährt er ohne jede Vorbereitung eine Himalaya-Bergetappe. Im Gegensatz zur Hummel wird er bald aufgeben und sein Tun verfluchen…

Wir anderen sind, je höher wir kommen, immer beeindruckter von der Allmacht der sich aus den dichten Wolken gegen Abend immer wieder abzeichnenden Himalaya-Massive. Selbst der am kommenden Tag zu bezwingende Rotang-Pass zeigt sich kurz. In Marhi selbst herrscht ein regelrechtes Chaos. Die wenigen ausgebauten Camping-Plätze sind längst belegt als unsere Begleit-Crew eintrifft. So weichen wir für die Nacht auf eine Wiese aus. Bald zeigen sich die Stammnutzer. Es ist eine stattliche Rinderherde, angeführt von zwei Respekt einflößenden Bullen. Wir legen uns mit nicht nur guten Gefühlen nieder und tatsächlich ramponiert einer der Stammhalter eines unserer Außenzelte.

In der Nacht geht zudem ein dramatisches Monsun-Gewitter nieder, welches unsere schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen scheint. Zum Glück saufen „nur“ das Küchenzelt und das unseres Guides ab, sorry… Auch die Bullen zeigen sich gnädig, so dass wir erleichtert das Licht des neuen Tages erblicken.

Radtag 2 Marhi – Tandi                   75 km, 1.200 HM, Camp auf 3.150 m

Nach dem reichhaltigen Frühstück gibt es kein Halten mehr. Wir wollen unbedingt die Gunst des trockenen Morgens nutzen und die nur 17 km entfernte Wetterscheide, die Sicherheit vor weiteren Monsunschauern verheißt, hinter uns lassen. Welch ein Schauspiel dürfen wir am Berg erleben. Mal haben wir unglaubliche Ausblicke, mal umhüllen uns die rasant aufsteigenden regenschweren Monsunwolken. Letztlich haben wir das Glück der Tüchtigen, bleiben von außen trocken und freuen uns auf dem ersten Pass, dem Rotang La (3.980 m) über das bisher Geleistete und mehr noch auf das Kommende. Einzig unser Crorepatty (Millionär) aus Bombay grüßt oben aus dem Begleitfahrzeug. Ihn plagen ungewohnte Schmerzen in den Beinen und im Gesäß. Er hat sich wohl noch nie in seinem Leben derart verausgabt. Morgen wird er aufgeben und sich, angeblich an der Höhenkrankheit leidend, zurück schicken lassen. Das ist gut für ihn und uns alle, da er auch sonst nur sehr Seltsames von sich gibt.

Nach einem ersten Glücksmoment auf dem Pass geht es nun über 20 km hinunter in die Ortschaft Koksar. Leider endet nach wenigen hundert Metern der Asphalt und der Weg nach unten wird zu einer echten Tortur. Erstmals muss ich an ein befreundetes Pastoren-Paar denken, die später in diesem Jahr die Tour in umgekehrter Richtung ohne Begleitfahrzeug fahren wollen. Wir treffen einige nicht mehr ganz jugendliche Briten, die diese Übung zumindest mit Gepäcktransport durchziehen. Aber nur mit der Kraft der eigenen Muskeln, selbst wenn der Herrgott kräftig hilft, das wird so leicht nicht.

Wir indes freuen uns im Ort über ein kräftiges Omelett und Tee. Nach einigem Auf und Ab geht es dann zum Feierabend brachial hinunter ab Sissu über fast 20 km Baustelle, verbunden mit bisher nicht gekannten Staubmengen, dem Camp des Tages an einem durchaus reißenden Gebirgsflüsschen entgegen. Immerhin traue ich mich hinein in die rasant fließende graue Brühe und bewerkstellige eine zumindest rudimentäre Körperpflege.

Die Nacht im Zelt ist grandios. Selten habe ich so traumlos geschlafen. Der early morning coffee, den unsere gute Seele Gopal um 06:30 ans Zelt serviert, holt mich aus einer Welt, von der ich keine Ahnung hatte, dass sie existiert.

 

Radtag 3 Tandi – Patseo                    52 km, 1.550 HM, Camp auf 3.820 m

Gleich nach dem Frühstück wartet nach nur 7 km, aber vielen bereits erklommenen Höhenmetern der Marktflecken Keylong auf uns. Hier gibt es noch einmal richtig Leben, bevor wir uns dann langsam in die überwältigende Natur verabschieden. Heute liegt kein wirklicher Pass vor uns, trotzdem machen wir im Tagesverlauf erneut weit über 1.500 Höhenmeter. Es wäre alles nicht so dramatisch, wenn uns nicht die Sonne so erbarmungslos zusetzen würde. Das haben wir hier oben so nicht mehr erwartet. Auch drei tapfere Inder nicht, die sich völlig dehydriert gar in schattige Felsspalten verziehen, und ihre Tour für heute unterbrechen. Wir fahren weiter und sind mitunter sprachlos in Anbetracht der grandiosen hochalpinen Natur. Immerhin genießen wir sie, was wir von Hunderten Motor-Bikern auf ihren Royal Enfield-Kultbikes eher nicht vermuten. Bei denen geht es um etwas anderes, wie wir am Wegesrand immer wieder erfahren. Einige dieser gefühlten Helden des Highway scheinen nach dem Kontakt mit uns echt nachzudenken, wer denn hier die Helden sind?

Unser Camp am Rande des Ortes ist es allein wert, den Reisepreis in die Hand zu nehmen. Eine blühende Gebirgswiese, durchzogen von kleinen Rinnsalen, eingerahmt von 5.000 – 6.000ern, dazu eine Abendsonne, die Hollywood nicht schöner einfangen könnte. Das Leben kann so schön und einfach sein, vor allem, wenn unser Küchenchef Anil sich wie jeden Abend wieder einmal selbst übertrifft…

 

Radtag 4 Patseo – Sarchu            58 km, ca. 1.450 m, Camp auf 4.250 m

Das überall sichtbare indische Militär hat die Straße in einen ausgezeichneten Zustand versetzt. Uns freut es, geht es doch vom Camp weg über 28 km hinauf zum nächsten Pass, dem Baralacha La mit 4.890 m. Nach einer letzten Möglichkeit zur Rast in der vielsagenden Zing Zing Bar, die wir aber nur zum Tee nutzen, quält sich ein voll beladener Truck an mir vorbei und behindert mich mit seinem Geschleiche und seinen Abgasen doch erheblich. Was tun? Nach einigem Hin und Her finde ich die für mich optimal Lösung. Auf der dem Auspuff abgewandten Seite finde ich einen Strick und lasse mich einige Kilometer ins Schlepptau nehmen. Irgendwann überholt uns dann mein Mitstreiter Dan und ich fühle mich fit genug, die letzten 5 km mit eigenen Kräften zu bestreiten. Oben angekommen fühlt es sich wie das an, was wir mitunter als Mondlandschaft bezeichnen, nur dass es hier wohl weniger Staub, dafür jedoch mehr Schneereste hat.

Dann geht es hinunter Richtung Sarchu, was schon etwa der halbe Weg nach Leh sein soll, jedenfalls halten dort alle Busse etc., weshalb die Zelt-Camps lausig und total überteuert sind. Außerdem verlassen wir hier den Unionsstaat Himachal Pradesh und reisen nach Jammu und Kashmir ein. Wir freuen uns über unsere soliden Mountainbikes, die die wirklich anspruchsvolle Abfahrt klaglos wegstecken. Nur gut, dass wir hier nicht in die umgekehrte Richtung hoch müssen. Entweder bekämpfen wir einen Untergrund, der mit einer Straße rein gar nichts zu tun hat, oder wir werden kurz vor dem Ziel vom Wind so stürmi
sch angeschoben, dass wir auf den Buckelpisten sogar einige Enfield-Motorräder überholen und uns den Umkehrfall lieber nicht vorstellen. Wegen der geschilderten Umstände halten wir uns in Sarchu nicht lange auf und campen 4 km weiter in einem netten Flussbogen ganz für uns allein. Das Leben kann so schön sein…

 

Radtag 5 Sarchu – Whisky Nullah              50 km, ca. 1.000 HM, Camp auf 4.750 m

Da wir alle super unterwegs sind, keinerlei Probleme mit den Höhenbedingungen haben und wegen der Zustände in Sarchu eh schon weiter gefahren sind, fällen wir einstimmig die Entscheidung, den weiteren hier geplanten Anpassungstag an die Höhe nicht zu nutzen, sondern gleich weiter in Richtung Ladakh zu fahren.

Der Morgen beginnt so etwas von entspannt, dass es einiges befürchten lässt. Die ersten 25 km bis zur von Straßenbauern so getauften Whiskey-Brücke schießen förmlich am geistigen Auge vorbei. Eine Landschaft gigantischer als die andere bei kaum fühlbarer physischer Belastung? Das wird sich doch bestimmt noch ändern? Und ja, kurz hinter der erwähnten Brücke ist die Talfahrt jäh zu Ende, folgen wir doch dem Schild „Gata Loops“ nach rechts in den Berg, was 21 Spitzkehren hinauf zum Nakee La Pass auf 4.910 m verheißt. Also passen wir für die nächsten 11 Kilometer unseren Rhythmus dem der Kehren an und werden mit immer unbeschreiblicheren Ausblicken in die Wildheit dieses Teils des Himalaya belohnt. Nach einer der schönsten Frühstückspausen meines nicht mehr so ganz jungen Lebens sind es noch weitere 8 nicht mehr so serpentinöse Kilometer, ehe wir uns verschwitzt auf den Stein nieder lassen, welcher den eigentlichen Pass markiert. Erstmals haben wir die Höhe gespürt und sind sehr bedächtig nach oben geschlichen, ohne wirkliche Probleme im gesundheitlichen Sinne zu verspüren.

Von da an sind es dann nur noch einige wenige Momente in wilder Fahrt hinunter zum Camp mit dem geheimnisvollen Namen Whiskey Nullah. Der bedeutet soviel wie „Whiskey-Strom“ – nicht zu verwechseln mit der Whiskey-Brücke! – und geht auf eine weitere Legende zurück, wonach an diesem Ort vor einiger Zeit ein Truck mit eben jenem Gesöff für die Straßenbauer verunglückt sein soll und für einen kurzen Moment die reinen Himalaya-Bäche mit jenem so begehrten Teufelszeug verunreinigt haben soll. Egal, wir genießen wie an allen anderen Tagen auch heute den vorzüglichen Chai, den indischen Milchtee, welchen die Küchenjungs meist bei unserem Eintreffen schon freundlich anbieten.

 

Radtag 6 Whiskey Nullah – Tsokar Lake        77 km, 1.100 HM, Camp auf 4.835 m

Erneut werden wir heute belohnt. Der morgendliche Aufstieg zum Lachalang La Pass mit 5.065 m soll in der Vergangenheit wegen der de facto nicht vorhandenen Straße eine mörderische Übung gewesen sein. Wir hingegen können uns über den zumindest teilweise frisch geteerten Untergrund wirklich nicht beklagen. Allein die extreme Höhe zwingt uns erneut zu einem sehr geduldigen Tempo. Die folgende rasante Abfahrt in das immer enger werdende Tal hinunter nach Pang verlangt uns physisch und emotional alles ab. Es ist unbeschreiblich wild, bunt und auch nicht ungefährlich. Wir kommen alle gesund unten an, aber an Dans Rad hat die Bremse den Geist aufgegeben. Nur gut, dass er problemlos auf ein Ersatzrad wechseln kann.

Wo es hinunter geht, da geht es auch wieder hinauf. Von Pang sind das knapp 8 km zur Hochebene von Moray. Dort oben ist es wie plan geschliffen von einem Wind, wie ich ihn bisher nur aus Patagonien kannte. Zum Glück schiebt er uns die verbleibenden 35 km in Richtung Tsokar Salzsee mit einem Tempo gen Norden, das uns Trucks und auch langsame Motorräder überholen lässt. Was für eine Spaß! Das Gegenteil davon empfinden wohl zwei westliche Radler-Paare, die die komplette Outdoor-Ausrüstung auf den Rädern mitführen und sich sichtbar gegen den Wind abmühen…

Das Camp am Salzsee eröffnet uns wieder eine neue Facette dieser gigantischen Naturlandschaft. Das vermeintliche Salz schmeckt eher nach Asche. Immerhin hat es über Tausende Kilometer von den Meeresküsten weg einige Möwen hier hoch gelockt. Unglaublich! Wovon die wohl leben? Von Fischen jedenfalls nicht…

Abends wird es schnell empfindlich kalt und der Wind ist von einer derart Urgewalt, dass zwei unserer Außenzelte am kommenden Morgen sichtbare Spuren davon tragen.

 

Radtag 7 Tsokar Lake – Rumtse             65 km, 950 HM, Camp auf 4.260m

Was nutzt das fettige Masala-Omelett, wenn Du nicht Radfahren darfst? Bevor wir das schwarze Asphalt-Band erreichen, zwingt uns die Topographie zu einer Schiebe-Einlage hinauf zu diesem. Erstmals sind wir am kühlen Morgen schweißgebadet und das Herz funktioniert in einem Pulsbereich, den wir zum Glück nicht messen. Kurz danach rollen wir auf dem Highway nach Leh, den 20 km entfernten Tanglang La Pass (5.360 m) vor Augen scheinbar entspannt in den Vormittag. Die Steigung ist fast unmerklich, aber die Höhe zwingt uns zu einem Rhythmus, welchen wir nur kopfschüttelnd akzeptieren. Allein, es geht uns gut, wir kommen – langsam – voran und selbst die mit Verbrennungsmotoren ausgestatteten Trucks quälen sich jenseits der 5.000 m-Marke nur mühevoll an uns vorbei. Die Besonderheit dieses zweithöchsten befahrbaren Passes der Erde besteht halt darin, dass wir als Radfahrer „das ganze Elend“ stundenlang vor Augen haben á la Mt. Ventoux. Aber irgendwann ist es dann vorbei, auch wenn ich mich wieder ein kleines Stück habe ziehen lassen. Egal, alle haben wir es erstaunlich frisch nach ganz, ganz, ganz oben in den uns begrüßenden leichten Schneefall gebracht!

Frühere „Helden“ mußten sofort weiter, um der Kälte und dem Wind auszuweichen. Wir genießen in einer vor kurzem eröffneten Rundhütte Tee, Lunchpaket und – wer möchte – eine heiße Nudelsuppe.

Dann geht es hinunter nach Ladakh, wofür wir uns nun seit einer Woche schinden. Die Straße verfügt über einen frischen Belag und wir über die Ruhe, nur nicht zu schnell durch die selbst im Juli noch von Altschnee-Kanten gesäumten Geröllfelder hinab zu rollen. Unsere Youngster verkneifen sich 10 km Freude und schießen statt dessen auf einem ca. 800 m langen „Killer-Downhill“ zu dem Punkt, wo wir uns zum Glück alle wieder gesund vereinen.

Im Dorf Rumtse kündet neben dem Namen auch die Architektur und mehr noch das Auftreten der Einheimischen davon, dass wir endgültig im buddhistisch geprägten Ladakh angekommen sind. Eine Bäuerin überlässt uns ihre Wiese als Campground und spendiert außerdem noch einen jungen selbst erschaffenen leicht alkoholischen Trunk – das brühmt berüchtigte Chang-Bier. Selten habe ich besser geschlafen als in dieser Nacht kurz vor dem Vollmond.

 

Radtag 8 Rumtse – Leh              84 km, 950 HM, Hotel auf 3.500 m

Noch immer will die Straße bergab. Wir folgen ihr vom Start weg auf gut 30 km bereitwillig bis zum Städtchen Upshi am Ufer des in vielerlei Hinsicht bedeutsamen, hier noch unscheinbaren Flusses Indus. Schließlich erhielten die östlich des Flusses Ansässigen vor einiger Zeit von einem gewissen Alexander (dem Großen) den in der westlichen Welt bekannten Namen „Inder“. Ein letztes Mal durchlaufen wir hier die mehr oder weniger professionellen Registraturen der indischen Behörden. Sie sind immer korrekt und freundlich, auch wir sind immer korrekt und freundlich. Im Ergebnis ist es die erhofft entspannte und sichere Reise im nicht ganz so entspannten Norden Indiens. Danke dafür an alle, die dies ermöglicht haben!

Der kommende Abschnitt bis Karu ist ekelig anstrengend wegen zweier „Hügel“, des sich heute gegen uns wendenden Windes und nicht endender Militärkasernen zu beiden Seiten des Weges. Dort, in diesem Garnisionsnest, tanken wir Kraft in Form eines wunderbaren Tees und fortan fliegen wir förmlich in Gruppenformation weiter zum Kloster Tikse. Leider war ich schon in Tibet, leider bin ich oft in lamaistischen Klöstern in Nepal. Aus Respekt vor den hier mit Füßen getretenen Traditionen erspare ich mir we
itere Kommentare zu dem, was die Mönche hier lustig auf dem Altar der Tourismus-Industrie opfern. Den meisten nichts ahnenden westlichen Gästen gefällt es und die Mönche haben ihre sicheren Einnahmen. Win – Win also und ich verschwinde schnellstmöglich und mache mich mit meinen Gefährten auf den am Ende dann doch noch anstrengenden finalen Aufstieg in die Altstadt von Leh.

Gar nicht so spät am Tage kommen wir dann auch an im „Jigmet Hotel &Guesthouse“, einer wahren Ikone in der nicht gerade sauberen Altstadt. Besonders der Garten mit verschiedenen Obstbäumen und mich an die Kindheit erinnernden Gemüse- und Kräuterbeeten nimmt mich gefangen.

Wir sind in Leh! Wir haben alle fünf die gesamte Strecke auf dem Rad bewältigt!

Am Abend gibt es im nahen Tibetan Kitchen Restaurant die entsprechende Würdigung und nicht nur ein Kingfisher-Bier nach den Tagen der Entbehrung. Endlich können wir „Eisenmänner“ nun zugeben, wie sehr uns der Hintern und was sonst noch alles weh tut. Herrlich!

Die eigentliche Tour ist geschafft, aber natürlich ist Leh zu interessant, als dass wir hier nicht tiefer in die Stadt und das Leben der Leute eindringen wollen. Derzeit sind sie fleißig dabei, die Innenstadt zu pflastern und damit noch freundlicher, nicht nur für die Touristen, zu machen. Man muss nicht überall hin, aber den alten und den nicht so ganz alten Palast über der Stadt, der noch dazu sehr an den Potala-Palast in Lhasa erinnert, den sollte man schon besuchen. Wir tun dies nach einem ausgedehnten Frühstück am kommenden Morgen, beginnen jedoch mit dem Aufstieg zur Ende des 20. Jahrhunderts von den Japanern gestifteten Shanti-Stupa. Von dort genießen wir einen schönen Ausblick auf die Stadt und das unweit gelegene Stok-Massiv mit dem Aktiv-Urlauber zur Besteigung einladenden Gipfel des Stok Kangri (6.180 m).

Im Anschluss laufen wir im Norden der Stadt durch wohlhabendere Viertel und gelangen auf Schleichpfaden zu den Palästen und später in die Altstadt. Das ist sehr intensiv und mehr muss es eigentlich nicht sein nach dem, was wir in den Knochen haben.

Trotzdem stimmen wir am Abend unsere Räder erneut ab, um am folgenden Morgen noch einen weiteren, vorerst letzten Akt auf dem Rad anzugehen. Den Aufstieg nämlich auf den knapp 40 km entfernten, derzeit höchsten befahrbaren Pass der Welt, zum Khardung La Pass auf 5.602 m. Meine Eindrücke hierzu kann jeder Interessierte im gesonderten Blog „Mit dem Mountainbike auf den höchsten Pass der Welt!“ nachlesen.

Für mich geht diese Pilot-Tour, auf der mich Sarah und Michael bewundernswert unterstützt haben mit vielen positiven Eindrücken zu Ende. Sicher werden wir in 2017 mit einigen interessierten Freunden hierher zurück kehren. Unschlüssig bin ich noch, was ich Freunden mitteilen soll, die diese Tour auf eigene Faust in entgegen gesetzter Richtung fahren wollen. Das ist zwar nicht unmöglich, aber noch um einiges härter, als das, was wir gerade voller Stolz abhaken.

Egal, nichts ist unmöglich! Und. Wir sind 2017 wieder zurück. Versprochen!

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