Geldgeschichten …

… wenn in Indien über Nacht 87 % der Banknoten zu ungültigen Zahlungsmitteln erklärt werden …

Wie in jedem November, so treffen sich auch in 2016 wieder Radel-Enthusiasten aus Deutschland und Österreich zu unserer Tour „Zauberhafter Süden“ am ersten Wochenende dieses in Europa so tristen Monats in der sonnigen pulsierenden Metropole Bombay, um nicht nur dem heimischen Schmuddelwetter zu entfliehen, sondern um tief in die für uns unverändert so exotische Welt Südindiens einzutauchen. Noch ahnen wir nicht ansatzweise, welche besonderen Erlebnisse in diesem Jahr auf uns warten.

Wie zu Beginn einer jeden Tour tauschen wir im Garden Hotel in Bombays Süden pro Kopf eine größere Summe unserer Euros oder Dollars in indische Rupien. Das hat sich bewährt, da wir in den kommenden drei Wochen oft abseits der touristischen Hauptströme radfahren und für uns so vorteilhafte Umtauschkurse kaum wieder finden werden. Zusätzlich nehme ich schon in Bombay teilweise atemberaubende Preisentwicklungen zur Kenntnis, von denen die Eintrittspreise für Ausländer zu den Höhlen von Elephanta mich kurzzeitig sprachlos machen. Sie wurden seit unserem letzten Besuch im März einfach mal auf 500,- Rupien verdoppelt und betragen nun im Vergleich zu den 30,- Rupien, die ein Inder inzwischen zahlen muß, knapp das 17-fache des letzteren Preises. Fairer Weise muß ich sagen, dass unser Ticket umgerechnet ca. 7,50 Euro kostet, was wir andern Ortes in der Welt ohne Murren hinnehmen würden. Trotzdem. Soviel Wertschätzung für uns Ausländer hatten wir ehrlich nicht erwartet… Passender Weise gibt es auch das schön gestaltete farbige Eintritts-Ticket für diese Weltkulturerbe-Stätte, welches bei früheren Gästen ein beliebtes Souvenir wurde, nicht mehr. Die Reihe unerfreulicher Beispiele ließe sich fortsetzen. Nur gut, dass wir gut mit der indischen Währung ausgestattet sind. Wir werden sie in bisher nicht erwarteten Dimensionen benötigen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Indien abseits der touristischen Zentren weiterhin ein günstiges Reiseziel sein kann – oder auch das Gegenteil. Man hat es wie eh und je ein Stück weit selbst in der Hand.

Am Dienstag, es ist der 8. November, unternehmen wir am Strand von Colva im Süden Goas unsere erste Gewöhnungstour auf den Rädern. Es ist dies ein Tag, der wohl in die indische Geschichte eingehen wird, erklärt doch Premierminister Modi, dass mit diesem Datum alle indischen Banknoten mit den beiden größten Nennwerten von 500,- und 1.000,- Rupien ihre Gültigkeit als offizielles Zahlungsmittel verlieren. Faktisch betrifft dies wertmäßig 87% aller im Lande im Umlauf befindlichen Banknoten. Bei den meisten von uns sind es eher 100%, für die wir uns nun nichts mehr kaufen können sollen.

Gedacht ist diese urplötzliche Aktion als einzig möglicher effizienter Schritt zur Bekämpfung der im Lande grassierenden Korruption und zur Trockenlegung des wohl weltweit größten vom „Schwarzgeld“ abhängenden Wirtschaftssystemes. Politisch und ökonomisch höchst wünschenswert und lange überfällig passiert es nun Indien, seinen Bewohnern und seinen temporären Gästen, woran sich keiner vor Modi herangewagt hat. Wir wünschen ihm Glück, Durchhaltevermögen und den damit Betrauten eine möglichst professionelle Umsetzung dieser guten Absicht in die vielschichtige Realität des indischen Alltages.

Dies, so erfahren wir es auch selbst unmittelbar, ist für die kommenden Tage das Entscheidende, lebt doch die überwiegende Masse der indischen Bevölkerung nach wie vor mit einem vom Bargeld dominierten Zahlungssystem. Und dieses droht zu kollabieren und wird partiell kollabieren. Wie werden die Inder damit umgehen? Wie werden wir betroffen sein?

Es ist die eine Sache zu verkünden, dass die bisher höchst dotierten Banknoten in Geschäften, Restaurants etc. nicht mehr akzeptiert werden. Schnell aber sind auch die Eigentümer selbst in ihrer Existenz bedroht, da der lebensnotwendige Zustrom frischen Geldes nicht in der notwendigen Geschwindigkeit passiert. Zudem stellt sich heraus, dass alle Geldautomaten des Landes wegen der neuen Scheine neu kalibriert werden müssen, was vorher keinem aufgefallen war (???) und was die Rückkehr zum normalen Zahlungsverkehr um Wochen verzögern wird.

Da sitzen wir nun am Ende der Woche im wunderschönen Hoysala Village Resort Hotel nahe Hassan und der freundliche Kellner darf das von uns angebotene Geld zur Bezahlung der Rechnung nicht annehmen. Situationen wie diese passieren in diesen Tagen millionenfach. Lediglich Tankstellen, Krankenhäuser und weitere ausgewählte Bereiche dürfen auf absehbare Zeit das alte Bargeld als Zahlungsmittel akzeptieren.

Zu unserem Glück findet mein bestens vernetzter Partner Josey Möglichkeiten, auch unsere Rechnungen mit dem „schlechten“ Geld zu begleichen.

Im Gegensatz zur Mehrzahl der Inder und auch zu der vieler ausländischer Touristen gelingt es uns so binnen weniger Tage, uns des wertlos gewordenen Papiers zu entledigen. Im pulsierenden Mysore geht es für uns dann am Tage 6 nach Verkündung dieser de facto Währungsreform erstmals um den Erwerb des neuen Geldes. Erneut sind wir, da im Besitz von Euros und Dollars, gegenüber der breiten Masse in der vorteilhaften Lage, uns nicht in die Endlos-Schlangen an den Banken anstellen zu müssen. Unser vergleichsweise geringfügiges Problem sind die sich minütlich am sich bildenden grauen Finanzmarkt ändernden mehr oder weniger unvorteilhaften Wechselkurse. Egal, mit verschmerzbaren Abschlägen halten wir nach kurzer Zeit „gutes“ neues Geld in den Händen und können uns uneingeschränkt den Abenteuern unserer Radtour widmen.

Nicht so Millionen einfacher Inder, die oft viele Stunden in langen Schlangen vor den Bankfilialen zubringen, um ihr Bares im Rahmen der vorgegeben Obergrenzen umzutauschen. Die lokalen Medien berichten umfassend über den unglaublichen Gleichmut und die Geduld, mit der die meisten das Unvermeidliche angehen. Auch berichten sie von erschütternden Beispielen wie dem einer 40-Jährigen, der in der Schlange ihr gesamtes Erspartes in Höhe von ca. 200,- Euro gestohlen wurde und die sich in ihrer Verzweiflung unter einen vorbeifahrenden Bus warf.

In Anbetracht des Ausmaßes der Operation und der Mängel bei der Planung und Umsetzung stellen wir aber immer wieder fest, wie vergleichsweise wenig Unmut oder Protest sich Bahn bricht. Im Gegenteil beobachten wir, wie der „kleine Mann“ das unermüdliche Engagement der Bankangestellten schätzt, wie man in ländlichen Gebieten oder in Kommunen die Phase der Geldknappheit durch Tauschgeschäfte oder durch „Anschreiben“ überbrückt. Vielleicht muß man als aus dem westlichen Kulturkreis kommender Gast das erleben, was wir am Krishnatempel in der Stadt Guruvayoor ungläubig verfolgen. Tausende Wallfahrer warten dort in der Hitze des Tages oft bis zu 16 oder gar 18 Stunden, wie sie uns auf Nachfrage mitteilen, in unendlich langen Schlangen auf „Ihre“ Puja (Gebet). In diesem Kontext wirken die Schlangen vor den Bankfilialen dann geradezu unerheblich.

Anfang der dritten Radfahr-Woche, Tag 14 nach der Verkündung Modis, erreichen wir die keralische Business-Metropole Cochin und unsere Barbestände gehen planmäßig zur Neige. Noch immer und sicher noch weitere Wochen stehen die Einheimischen geduldig vor ihren Bank-Filialen, um die notwendigen Transaktionen ihrer Cash-Guthaben „alt“ in „neu“ vorzunehmen. Inzwischen ist eine gewisse Routine eingezogen, alles läuft meist ruhig und sogar freundlich in die Richtung, die die Regierung angestrebt hat. Ich stelle mir die Situation übertragen auf Europa vor und habe so meine Zweifel, ob wir „zivilisierten“ Abendländer diese Herausforderung ähnlich meistern würden.

Ich selbst erfahre in einer Filiale der SouthIndian Bank  eine ausgesprochen zuvorkommende Behandlung, als ich meinen Wunsch nach Eintausch von Euros in Rupien hervorbringe. Wartende Inder verweisen mich an den speziell für ausländische Touris
ten eingerichteten Schalter. Nachdem eine Spanierin zufrieden den Sitz frei macht bin ich sofort an der Reihe. Ein lächelnder und – wichtiger – kompetenter Bankangestellter befragt mich nach meinen Wünschen. Nach der Vorlage meines Passes, der kopiert wird, läuft der Tausch zu einem sehr fairen, über dem des inoffiziellen Marktes liegenden Kurs, in zwei Minuten über die Bühne. Ganz so entspannt ist es für die Einheimischen noch nicht, da schlichtweg nicht genügend Bargeld zur Verfügung steht und die Limits bei der Abhebung an den Geldautomaten, so sie denn überhaupt funktionieren, den Alltag noch auf Wochen belasten werden.

Mit der einhergehenden schrittweisen Normalisierung wird denn auch der Blick wieder freier für das eigentliche Ziel dieser mutigen politischen Aktion der Modi-Regierung. Inzwischen werden zwei Dinge immer klarer. Zum einen darf der indische Finanzminister auf enorme Steuernachzahlungen hoffen, da sich viele Inder wohl entschließen, zumindest Teile ihres Schwarzgeldes anzugeben und die dann fälligen Steuern darauf nachzuzahlen. Dies wird die Zahl derer, die überhaupt Steuern zahlen, von für uns nicht vorstellbaren 3% der Bevölkerung, deutlich nach oben treiben. Zum anderen wird aber wohl der weitaus größte Teil dieses Geldes nicht zum Umtausch angemeldet. Viele Besitzer riskieren eher den Totalverlust, als dass sie sich möglichen steuerrechtlichen oder auch strafrechtlichen Verfolgungen aussetzen. Sie werden es sich leisten können oder bereits neue dunkle Wege zur Absicherung ihres „Besitzes“ gefunden haben. Klar ist aber auch, dass die wirklich ganz Großen ihr Schäfchen längst ins Trockene, d.h. In den sicheren Hafen der wichtigsten internationalen Leitwährungen gebracht haben.

Es wird spannend sein, den weiteren Fortgang dieser für das Leben in Indien einschneidendsten Maßnahme seit der Unabhängigkeit 1947 weiter zu verfolgen. Bereits in gut drei Wochen anlässlich unserer Weihnachts-Tour werden wir Gelegenheit dazu haben. Möge den Indern und auch uns als ihren Gästen nur Gutes mit dem neuen Geld widerfahren!

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