Weihnachten in Kerala 2016

Den Ferien in Deutschland und dem Interesse radelnder Pädagogen geschuldet, treffen wir uns 2016 tatsächlich erst am Heiligabend in Fort Cochin tief im tropischen Süden des indischen Subkontinents zu unserer schon traditionellen Jahresend-Radel-Tour durch alle Landschaften, die diese Region zu bieten hat.

Wichtiger noch. In diesem Jahr verzichten wir nach teils ernüchternden Erfahrungen in vermeintlich tollen Hotels auf zwei davon und vertrauen wieder auf  langjährige Partner, die in ihren Privathäusern sog. Homestays, individuelle Zimmer mit der Möglichkeit der differenzierten Einbindung in das Familienleben nach den Wünschen  interessierter Reisender anbieten.

Sina, eine früher anreisende Teilnehmerin fragt mich noch im Taxi auf dem Weg vom Flughafen zum ersten Domizil im Hause meines Partners nach No-Go’s, also Themen, die sie gegenüber den Einheimischen besser nicht offensiv ansprechen sollte. Ich empfehle ihr, solche wie die der arrangierten Ehen, der Situation der Frauen in der Ehe und in der Familie ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern besser mit größter Vorsicht anzugehen. Zumindest hier im ländlichen und traditionell konservativ geprägten Kerala kann Zurückhaltung diesbezüglich ein guter Ratgeber sein.

Am nächsten Abend sitzt sie mit Lisa, der Gattin meines Partners, zusammen und erfährt von ihr Details zu deren eigener nicht unkomplizierter Situation, die sie mir über die vielen Jahre vorenthalten hat, obwohl sie mich gern als ihren „älteren Bruder“ bezeichnet. Aha, Frau spricht wohl lieber zu Frau, zumindest in diesen Themen.

Am 23.12. treffen wir als kleine Vorhut bei meiner langjährigen Freundin Usha in deren bei vielen Travellern beliebten Homestay Casa Mia in Fort Cochin ein. Sofort nach der herzlichen Begrüßung teilt sie mir kategorisch, jeden Widerspruch ausschließend mit, dass ich und alle Mitglieder meiner Gruppe am Heiligabend von ihr zum Essen im familiären Kreis eingeladen seien. Wer möchte, könne anschließend mit ihr die Mitternachtsmesse in der wichtigsten Kirche Keralas, der prächtig geschmückten und sicher wieder total überfüllten Basilica Santa Cruz besuchen.

Natürlich sind wir am Heiligen Abend alle gern bei ihrer Familie am Tisch. Eingeladen hat sie uns zu 20:00 Uhr. Wir als gute Deutsche sind nicht unpünktlich und zunächst allein und unsere Gastgeberin noch mitten in den Vorbereitungen in der Küche. Da wird mir schlagartig klar, was ich schon vor dreißig Jahren in Delhi gelernt, was ich aber über die Jahre irgendwie verdrängt hatte. Natürlich erwartet ein indischer Gastgeber, dass man bei einer Einladung zu 20:00 Uhr eher kurz vor neun, oder noch deutlich später erscheint. Usha, geübt im Umgang mit Ausländern, nimmt es gelassen und bewirtet uns mit weihnachtlichem Pflaumenkuchen, leckeren Getränken, darunter auch einem bei den Damen sehr beliebten süffigen Pflaumenlikör. Nach und nach treffen weitere Familienmitglieder und Freunde ein. Irgendwann wird dann ohne jeden Pomp das Essen serviert. Es ist für uns vegetarisch, lecker wie immer, aber nichts wirklich Besonderes. Warum auch, wenn die Curries tagtäglich hier schon eine Klasse für sich sind. Geschenke werden keine ausgetauscht, weder am Abend, noch am kommenden Weihnachtsmorgen. Was zählt, ist das Zusammensein in  der Familie und mit Freunden sowie der spätere gemeinsame Kirchgang.

Oder doch nicht ganz? Als unser verspätet eintreffender letzter Gast Martin den Raum unter erleichterten Ausrufen betritt, werden wir, kaum dass er einige Bissen zu sich genommen hat, in einen Nebenraum gebeten. Dieser dient an diesem Abend als „Herrenzimmer“ und die versammelten Herrlichkeiten geben sich dem ansonsten verpönten Genuss von gutem Cognac und anderen die Zungen inspirierenden oder bald doch lähmenden Getränken hin. Wir sind mittendrin in einem sehr unterhaltsamen und facettenreichen Abend, an den wir uns sicher noch lange erinnern werden.

 

Zur Frühstückszeit an den beiden folgenden Morgen fällt es Usha sympathisch schwer, das vereinbarte Zeitfenster nur annähernd einzuhalten. Aber die auf den Tisch kommenden landestypischer Köstlichkeiten und die sich entwickelnden Gespräche sind das Warten mehr als wert.

Nach einem entspannten Einrollen am ersten Weihnachtstag am Meer entlang geht es am nächsten Morgen per Transfer vor die Tore der Stadt und von dort in den nahen Regenwald, genauer in den Jungle Bird Homestay einer weiteren langjährigen guten Bekannten ins Vogelreservat von Thattekad. Zwei Abende bleiben wir bei ihr, zweimal feiern wir Geburtstag. Zunächst den ihrer Enkelin und dann den meines Partners Josey. An beiden Abenden sind wir eine große Familie, genießen die vorzüglichen Curries, singen gemeinsam die üblichen Lieder zum Ehrentag, vollziehen unter großem Gelächter das den Deutschen so nicht geläufige Anschneiden der Geburtstagstorte und haben nach den Erlebnissen des Tages im Dschungel auch an den Abenden viel Spaß miteinander.

Die leuchtenden Augen unserer Gäste sind für Josey und mich eine erneute Bestätigung, dass wir mit unserer Idee des intensiven Erlebens seiner Heimat und ihrer Bewohner in deren familiär geführten Unterkünften richtig liegen. Immer wieder werden wir auch am Wege gefeiert, oft in Gespräche verwickelt. Die Freundlichkeit der Menschen hier sei wirklich einmalig, hören wir immer wieder von unseren radfahrenden Gästen.

Sind sie vor allem von der spontanen Freundlichkeit fasziniert, die ihnen von völlig unbekannten Indern entgegen gebracht wird, so möchte ich noch zwei sehr persönliche Begebenheiten hinzufügen. Zum einen wird mir die tiefe wortlose Herzlichkeit von Joseys Vater in Erinnerung bleiben, mit der er Verena, die mich nach zwei Jahren wieder einmal begleitet, begrüßt. Auch läßt er es sich nicht nehmen, uns am Abreisetag morgens um 3:00 Uhr persönlich zu verabschieden. Er spricht kein Englisch, aber durch seine Blicke und Gesten vermittelt er seine ursprüngliche Herzlichkeit, die uns von neuem mit tiefer Dankbarkeit erfüllt.

Zum anderen ist es das Wiedersehen mit Lisa’s inzwischen 87 Jahre alten Vater. Er hat im letzten Jahr einige gesundheitliche Probleme überwinden müssen und strahlt nun wieder eine geistige, aber auch körperliche Vitalität aus, die mir das Herz wärmt. Die Umarmung zur Begrüßung gerät so fest und innig, dass ich unsere gegenseitige Wertschätzung nur schwer in Worte fassen kann. Warum auch? Meine Begleiter sind ebenso ergriffen von seiner schlichten Persönlichkeit und dem Charme seines über 120 Jahre alten wunderschönen Hauses an einem malerischen Kanal in den Backwaters. Hier machte in der Vergangenheit gern der Erstbesteiger des Mount Everest und spätere High Commissioner (Botschafter) von Neuseeland in Indien, Sir Edmund Hillary Urlaub. Schön, dass auch wir hier sein dürfen und Joseph mein väterlicher Freund ist. Möge er mindestens 100 Jahre werden!

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Was fällt mir sonst am Rande unserer Tour ins Auge in diesen bewegten  ersten Tagen des neuen Jahres 2017?

Zunächst scheint sich der „kleine Mann“ mit der typisch indischen Art der Umsetzung der Einführung neuer Banknoten arrangiert zu haben. Es gab wohl im November und Dezember Einbrüche im Geschäftsleben. Umsturzversuche gab es keine. Da, wo Aufregung war, hat sie sich gelegt mit Ausnahme der dazu verpflichteten frustrierten Oppositionspolitiker und eines Teiles der Medien. Deutlich wie nie vorher spürt man den Einstieg in den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Das heißt für uns hier und da auch Abschied nehmen vom Feilschen auf den Märkten, da die Preise in den Kassen elektronisch hinterlegt sind. Bis vor einigen Wochen hätte ich Haus und Hof darauf verwettet, dass ich es nicht mehr erlebe, dass der Obst- und Gemüsehändler mit einer integrierten Waage, die gleichzeitig seine Kasse ist, arbeitet und ich selbst bei ihm bargeldlos zahlen muss. Incredible India!

Und es wird sauberer in Indien. Modis Swatch Bharat oder
Clean India Initiative trägt immer neue Früchte. Allerorten erspähe ich Container zur getrennten Erfassung und dem späterem Recycling von Papier, Plaste, Glas und Metallen. In vielen Kommunen wird durch die Stadtverwaltung großflächig ein Plastik-Bann verkündet. Viele Händler bieten im Gegensatz zu Deutschland schon lange keine Plastetüten mehr an. Rund um den Sri Meenakshi Tempel in Madurai stehen mobile Toilettenwagen, die wir allerdings nicht getestet haben. Zumindest bin ich in diesen Tagen, wie so oft in der Vergangenheit, in keine Haufen menschlicher Exkremente getreten…

Und ja, radgefahren sind wir natürlich auch und das nicht schlecht, insgesamt kommen wir auf über 700 km. Auch sind wir dabei gut 5.000 Meter den Berg hinauf gestrampelt. Wem dieses Paket zusagt, der merke sich den Jahreswechsel 2017/18 vor. Näheres dazu auf meiner Website. Seien Sie dabei!

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