Ruhetag

Das gab es noch nicht! Auf unserer diesjährigen Tour von Manali nach Leh durch die absoluten Höhen des nordindischen Himalaya planen wir erstmals einen Ruhetag ein. Im Vorjahr haben wir die Option zugunsten eines weiteren Tages in Ladakhs Metropole verworfen und sind ohne den geplanten Tag zur weiteren Anpassung an die Höhe weiter gefahren, ohne das als Manko zu empfinden.

Nun haben wir im August 2017 erneut die Strapazen des knapp 30 km langen Aufstieges auf den Baralacha La (4.890m) und die sich anschließende halsbrecherische Abfahrt hinunter nach Sarchu an der Grenze der indischen Unionsstaaten Himachal Pradesh und Jammu & Kashmir hinter uns und sind uns so etwas von einig, dass wir uns alle auf diesen Tag freuen. Warum nur?

Seit dem Start in Manali sind erst vier Tage vergangen, die ersten beiden leider auch mit den befürchteten Regenschauern am Rotang-Pass. Und der meist gut, mitunter sogar frisch asphaltierte Weg von Patseo auf den Baralacha La gelang in morgendlicher Frische allen, ohne ans absolute Limit gehen zu müssen. Bei zwei Durchfahrten angeschwollener Bäche haben wir uns nasse Füße geholt und einen hat es auch mal kurz vom Rad geholt, aber alles schien im grünen Bereich. Nach einer wunderbaren Mittagspause fiel es mir sichtlich nicht leicht, mich wieder vom Lager zu erheben, welches eines der hier üblichen Zelte für uns gewährte. Der weitere Weg nach Sarchu ist vom Untergrund her weiterhin eine Herausforderung. Es geht zwar meist bergab, aber es bleibt für Mensch und Material eine Tortur, vor allem wenn man wie wir, sich mit einem Militärkonvoi um die befahrbaren Teile der Piste „duelliert“. Erst als der Kommandeur für alle Uniformierten eine Pinkelpause befiehlt ist für uns das Inhalieren ungeahnter Staub- und Diesel-Feinstaubmengen beendet. Ich glaube ja am Ende des Tages, dass es diese Dröhnung ist, die uns den Zahn gezogen hat und die uns alle so sehnsüchtig den Ruhetag herbei sehnen lässt.

Die letzten Höhenmeter vor dem Check-Post an der Grenze zu Jammu & Kashmir und auch die Wasserpassage sind eine weitere kleine Marter. Schön, dass wir noch relativ früh am Tage im schönsten Sonnenschein das schon sichtbare Camp erreichen. Snacks und Tee, von unserer umwerfenden Crew sofort angeboten, sind ein Balsam und das anschließende Nickerchen ist Pflicht für alle…

Guten Morgen und willkommen in einen verdienten Tag der Ruhe für Muskeln, Sehnen und was noch immer, viel mehr aber wohl für die ob der intensiven Eindrücke sich im permanenten Ausnahmezustand befindlichen Sinne.

Überraschender Weise geht auch heute im Osten wieder kurz nach 6:00 Uhr eine Sonne auf, die wir uns nicht besser wünschen könnten. Wir hören schon das geschäftige Treiben im Küchenzelt und freuen uns auf den Morgentee, da reibe ich mir beim Öffnen des Zeltes mal kurz die Augen.

Vor mir steht James, 35, Sohn unseres anderen bestens austrainierten australischen Begleiters Mark, übervoll eingeschmiert mit Sonnenschutz, im perfekten Jogger-Outfit mit Sonnenbrille und Trinkflasche, willens jetzt sofort einen der weit über uns liegenden, mit Gebetsflaggen geschmückten Felszacken als „Morning workout“ zu erklimmen. Gesagt, getan. Der Typ macht sich tatsächlich im Laufschritt im morgendlichen Schatten des Hanges an das Erklimmen des Gipfels. Nach einer knappen Stunde, noch vor dem geplanten Frühstück, erkennen wir seine Konturen und die ihn umgebende Staubwolken im Geröllhang vor uns. Kaum später ist er lächelnd wieder unter uns und nach einer kurzen Erfrischung im Bach sitzt er grinsend mit uns am Frühstückstisch.

Bloß gut, denke ich so bei mir, dass wir diese verrückte Phase hinter uns haben und es nun deutlich ruhiger angehen lassen. 1990 im Frühsommer war es, als wir mit damals noch kleinen Kindern auf dem Weg aus dem überwältigenden Darjeeling per Jeep unterwegs waren ins noch schönere Sikkim im indischen Osthimalaya. Station auf etwa halbem Wege machten wir in einem Städtchen namens Kalimphong. Gegen Mittag, kaum hatten wir unser traumhaft gelegenes Hotel „Silver Oaks“ bezogen, erspähte mein Weib Verena den imposanten Berg gegenüber des Balkons und legte verbindlich für alle fest: „Da gehen wir am Nachmittag rauf!“ Das entpuppte sich in Höhen zwischen 2.000 – 3.000m Höhe als veritable Übung. Wir alle waren total geschafft und froh, dass wir am Abend nach etwa 6 h Marsch wieder im Hotel waren.

Heute sind wir bald 30 Jahre älter, um einiges vernünftiger und freuen uns über einen strahlend blauen Morgen und das wie immer viel zu üppige Frühstück, welches Anil und seine Helfer kredenzen. Verena folgt vorher noch einer Einladung von Sarah, unserer sympathischen Co-Tourleiterin zu einer morgendlichen Yoga-Ertüchtigung. Ich zumindest bin nicht erstaunt über die Fähigkeiten, die da beide zeigen. Dann nutzen wir nach Tagen der begrenzten Körperhygiene die Bereitstellung heißen Wassers aus der Küche alle gern zur erweiterten „Fell-Pflege“, einige zur Entfernung allzu üppigen Gesichtshaares etc.

Da wir eine Gruppe Aktiv-Reisender sind wundert es mich nicht, dass wir nach der eher als lästigen Pflicht empfundenen Wäsche unserer verschwitzten Klamotten sofort wieder daran denken, uns vom Camp weg auf Erkundungstour zu begeben. Die Räder bleiben heute stehen, werden später jedoch zumindest an den wichtigen Komponenten der notwendigen Pflege unterzogen. Wir hingegen begeben uns als Solisten oder in kleinen Gruppen auf Wanderschaft in die grandiose Landschaft hier oberhalb der 4.000 m Grenze. Ein jeder kann so individuell das bisher so intensiv Erlebte beginnen zu verarbeiten.

Wir mit Verena lassen uns viel Zeit bei einer Wanderung durch das nahe Flussbett. Die Natur ist rau, aber bei genauem Hinschauen unglaublich farb- und geruchsintensiv. Wir begegnen frei herum laufenden Pferden, Herden von Ziegen, Schafen und Mischprodukten von beiden, die hier offensichtlich genug zu fressen finden. Unmengen uns teils unbekannter Vögel kommen uns immer wieder erstaunlich nahe. Tatsächlich finden sich in den eng an den Boden geschmiegten Sträuchern nicht nur grell gelb und rötlich leuchtende, sonder auch sehr intensiv schmeckende Beeren, eine Art Sanddorn, die mir im Selbstversuch sehr gut bekommen. Selbstvergessen bleiben wir viel zu lange in der hochalpinen Sonne und büßen dafür mit einem bösen Sonnenbrand auf den nicht geschützten Unterlippen.

Trotzdem, alle genießen wir den Tag. Das, was ab dem noch fernen , aber kommenden Morgen mit den 21 Loops von Gata, dem Nakee La und, und und kommt, ist weit weg. Wir sind prächtig erholt und freuen uns auf die nächsten strapaziösen Tage hinauf nach Leh!

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