Vorspiel

(Oder Aufgalopp oder…)

Nicht der Name ist hier entscheidend, sondern das (seltsame?) Tun, welches wir uns in den ersten feucht-heißen Augusttagen des Jahres 2017 in der indischen Metropole Neu-Delhi und kurz darauf am regentriefenden Südrand des gewaltigen Himalaya auferlegen.

Wir, einige Radfahr-Besessene aus Deutschland, haben es uns in den Kopf gesetzt, in diesem Sommer über die höchsten derzeit per Rad passierbaren Pässe auf diesem schönen Planeten Erde zu fahren. Dazu treffen wir uns (leider nicht alle!) zunächst in der indischen Kapitale, jedoch nur, um schnellstmöglich weiter an den Rand des Himalaya ins jeden Naturliebhaber auf’s Neue beeindruckenden Kullu-Tal mit seinem touristischen Hauptort Manali zu gelangen.

Delhi sollte man zu dieser Jahreszeit wegen des Monsuns als Europäer besser meiden. Egal, wir halten kurz und intensiv inne in dieser meinen alten Liebe. Nur wenige Stunden nach der Ankunft der meisten Gäste bewegen wir uns zunächst auf Schusters Rappen durch das brodelnde Viertel Pahar Ganj in unmittelbarer Nähe der New Delhi Junction, des wohl wichtigsten Bahnhofes Nordindiens. Keiner meiner Gäste wäre freiwillig hier her gegangen. Später gestehen sie mir, dass es nach der ersten Überwindung, sich in die Massen zu trauen, eine unglaubliche Erfahrung gewesen sei.

Eigentlich will ich mit allen heute zum Connaught-Place, dem noch von den Briten großzügig gestalteten kommerziellen Zentrums der Stadt. Kurzerhand entschließe ich mich, für uns zwei Fahrrad-Rikschahs zu mieten. In den Gesichtern meiner Gäste ist förmlich lesbar, dass das doch nicht gehe. Wir „fitten“ Europäer könnten uns doch nicht von diesen ausgemergelten Gestalten chauffieren lassen. Diese wiederum laden uns mit freundlichen Aufforderungen ein, unsere Zweifel zu überwinden. Letztlich ordne ich mehr oder weniger an, wer wo einsteigt. Während der kurzen, an Reizen gewiss nicht armen Tour akzeptieren alle, dass es eine echte „win-win-Situation“ ist. Wir überbrücken ein für uns langweiliges Stück und verschaffen Einheimischen ein kleines Einkommen.

Der Spaziergang rund um den Connaught-Place ist für mich so öde, wie er es schon vor 30 Jahren war, die Penetranz der Händler unverändert nervig. Die Damen in der Gruppe sehen das natürlich zumindest genau entgegengesetzt – naja.  Auch da hat sich absolut nichts geändert. Es hatte schon Gründe, dass wir damals unsere Frauen für Stunden zum Shopping abgesetzt und später wieder abgeholt haben. Schön, dass die anderen in der Gruppe schnell meinem Angebot folgen und wir nach einigem Feilschen Tuk-Tuks besteigen, um noch etwas von der erneut den Briten geschuldeten Großzügigkeit Neu-Delhis genießen zu können. Wir fahren zunächst hinauf zum Sitz des indischen Präsidenten, dem Rashtrapathi Bhavan und dann hinunter auf der Magistrale Rajpath bis hin zum India Gate. Das atmet imperiale Größe und ist die perfekte kontextuelle Basis für unser Erlebnis am kommenden Morgen, der Radtour durch die engen Gassen Alt-Delhis (siehe separaten Blog „Kulturschock garantiert!“).

Nach der emotional  alle in den Grenzbereich treibenden Radtour gönnen wir uns noch etwas Ruhe und werden dann überpünktlich aufgefordert, unseren Kleinbus in Richtung Himalaya zu besteigen. Alles ist perfekt organisiert von meinen Partnern Jogi und Pinku in Manali. Da wollen wir bis zum nächsten Morgen hin. Zunächst geht erst einmal gar nichts. Der Weg hinaus aus New Delhi über viele Baustellen ist ein Erlebnis für sich. Wenig später bestaunen wir die wohl größte Müllkippe, die wir jemals im Leben zu Gesicht bekamen. Ich würde es nicht erwähnen, wenn es sich nicht zusätzlich auch um den Lebensraum von wohl Hunderten Menschen und Rinder handeln würde. Die leben und überleben da inmitten von den stinkenden, oft wohl giftigen Resten unserer „humanen“ Gesellschaft, unglaublich.

Der Transfer indes läuft perfekt. Besser hätten es Schwaben auch nicht hinbekommen… Nach Chandighar beginnt es zu regnen, aber das hatten wir ja erwartet. Morgens gegen 06:00 Uhr sind wir schon am Ziel in Manali am Fuße des Himalayas. Es regnet in Strömen und wir verabschieden uns bis gegen Mittag aufs Zimmer. Als wir uns zum späten Frühstück treffen, zwingt uns die aggressive Sonne auf gut 2.000 m auf der Terasse in den Schatten bzw. zum intensiven Sonnencremen.

Für den Nachmittag lade ich alle Interessierten zu einem ersten Spaziergang in den kaum noch erkenntlichen alten Dorfkern ein. Das finden alle so gut, dass sie meine geplante Runde deutlich erweitern. Unversehens befinden wir uns in den wunderbaren Apfelplantagen oberhalb des Ortes und genießen auch einige der leckeren, gerade an der Schwelle zur Reife befindlichen Früchte. Anstelle der von mir beabsichtigten halben Stunde sind wir dann nach fast drei Stunden wieder zurück und verzichten auf  Abstieg in den Marktflecken Neu-Manali. Wir haben genug gesehen und erlebt und ich werde es bei künftigen Reisen wieder so empfehlen, auch wenn ich erst dazu gezwungen werden musste…

Am nächsten Morgen (endlich) können wir auf die Räder. Jogi hat für diese Tour extra neue Mountain-Bikes gekauft. Er ist zwar nicht vollständig zufrieden mit dem, was geliefert wurde, wir dafür umso mehr. Wir passen die fabrikneuen Räder also an, montieren Pedalen, Sättel, Lenkergriffe, Halterungen für Taschen und begeben uns entspannt auf unsere Gewöhnungstour ins Solang-Valley. Es geht sofort kräftig nach oben und mein Eindruck, dass meine Gäste suuuperfit sind bestätigt sich eindrucksvoll.

An einem Bach, der die alte Brücke weggespült hat, machen wir Halt. Sarah, unsere sympathische, aber unerbittliche Lady Guide fordert uns auf umzukehren und durch das gerade passierte Dorf hinab zu fahren. Nach kurzem Bedauern muss ich zugeben, dass die Durchfahrt durch das Dorf ein echtes Erlebnis und ein Zugewinn ist. Und noch ein zweiter fällt mir auf. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Anzahl der nordindischen Touristen auf ein Minimum reduziert – wie angenehm.

Noch haben wir einen weiteren Tag zum Eingewöhnen, einen Sonntag, den wir unterschiedlich nutzen. Verena und ich beschließen, die Räder nochmals zu schonen. Wir machen uns auf eine Wandertour zunächst durch die wunderbaren Apfel- und Gemüsegärten der Einheimischen und queren dann den wilden Beas-Fluss. Alsdann geht es hinauf in den Berg zum der Göttin Joghini gewidmeten Wasserfall. Der Weg ist schweißtreibend und birgt immer wieder umwerfende Blicke zurück ins Tal. Der Wasserfall selbst ist jetzt in der Monsunzeit voller Kraft, unten beim Aufprall immer ein breites kühlendes Gischtband versprühend. Er ist mindestens spektakulär, seine Querung in der Gischt durchaus eine Herausforderung!

Wir wagen es. Wir schaffen es auch – bis auf eine meiner Trekking-Sandalen, die ich in den Fluten einbüße. Die zweite werfe ich ihr dann gleich hinterher. Kurz darauf gibt es an einem kleine Felsen noch eine wacklige Situation für Verena, die in einem Bluterguss für die nächsten Tage mündet.

Nach einer kurzen Pause machen wir uns an den Abstieg, der sich als die eigentliche Herausforderung erweist. Es geht recht steil nach unten und unter den Nadelbäumen fehlt meist jeglicher Bewuchs, so dass wir über weite Strecken wie auf Schmierseife ins Tal gleiten. Egal, uns passiert nichts und bei der ersten Gelegenheit im wegen seiner heißen Quellen berühmten Ort Vaishisht ordern wir den lange überfälligen Chai.

Hier, im touristisch geprägten und von vielen lauffaulen Indern in ihren Blechkisten heimgesuchten Ort falle ich als Barfüßer erstmals auf. Der gesamte Rückweg vom Wasserfall zum Hotel dauert gut zwei Stunden und meine Füße halten dank der Gewöhnung – ich laufe in der warmen Jahreszeit immer und überall (fast) nur ohne Schuhwerk – problemlos durch. Viele bestens ausgerüstete westliche und indische Urlauber oder Backpacker stieren förmlich auf mich. Sarah, die uns mit dem Rad überholt, bezeichnet mich als einen der wohl letzten hippies, an die ich hier wohl so manchen erinnere. Zumindest
schauen viele aus der inzwischen überwiegenden nächsten Generation so. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen…

Abends genießen wir eine weiteres – vorerst letztes Mal – wunderbare tibetische Suppen und Momos gleich um die Ecke bei der freundlichen Tensing und fühlen uns nun bestens vorbereitet auf das, was wir ab morgen angehen wollen – den Aufstieg zum Rotang La (3.980 m) und weiter nach Leh. Mehr dazu in weiteren Blogs.

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