Tamil Tempel Tour

Was Tausende von kulturell interessierten Indienreisenden alljährlich auf ihren organisierten Bus- oder Autoreisen durch die wie an einer Schnur aufgereihten Höhepunkten südindischer Tempelbaukunst erleben – dies wollen wir nunmehr auch dem aktiven Tourenradler zugänglich machen. Zumal die Topographie diesem Unterfangen durchaus entgegen kommt. Es ist „flach wie Holland“ und die spektakulärsten Orte befinden sich meist nah bei einander, so dass sie in Tagesetappen von 40 – 100 km angefahren werden können. Die Straßen sind inzwischen gut ausgebaut und wir rollen auf den Seitenstreifen meist entspannt voran. Wo möglich und sinnvoll weichen wir auf kleinere Straßen aus. Egal wo, müssen wir uns jedoch mit dem für uns oft lästigen Hang der Inder arrangieren, ständig die Hupe zu betätigen. Mehr dazu in einer folgenden separaten Geschichte speziell zum Radfahren.

Warum nur Chennai?

Diese Frage haben wir uns gestellt bei der Konzipierung der Reise und diese Frage stellen sich kurz nach der Ankunft sicher auch unsere Gäste. Zu erdrückend scheint die urgewaltige Dosis urbanen Südindiens, als dass man hier länger als unbedingt notwendig verweilen will. Neben den banalen logistischen Gründen, unsere nicht in jedem Fall mit dem gleichen Flieger eintreffenden Gäste persönlich zu empfangen und zur Gruppe zusammen zu führen, glauben wir getreu unserer Devise, Indien in allen seinen Facetten zu erfahren, dass kein interessierter Indienbesucher, so er denn die Chance dazu bekommt, auf diese Erfahrung verzichten sollte. Da sie sehr intensiv ist, bemessen wir sie zeitlich auch sehr kurz.

Los geht es mit einem ca. 15 km  langen Transfer vom Flughafen in den zentralen Stadtteil Mylapore, einst Gründungsort der heutigen weit verzweigten Stadt , wofür bei normalem Verkehrsaufkommen gut eine Stunde zu veranschlagen ist. In der abendlichen Rush-hour verdoppelt sich diese Zeit gerne einmal, was für den Neuankömmling zwar eine schweißtreibende, aber mit Sicherheit auch hochinteressante Einführung in den südindischen Kosmos ist. Nach der Erringung der Unabhängigkeit vom Britischen Empire 1947 wurden über Jahrzehnte die Pflege und der weitere Ausbau der Verkehrs-Infrastruktur vernachlässigt. Mit der Explosion des Individualverkehrs auf den Strassen hat man nun auf Jahre hinaus mit gigantischen Baustellen zu kämpfen. Hinzu kommen hier, wie in den meisten Metropolen Indiens der Bau von Metro-Linien sowohl unter der Erde als auch auf turmartigen Stützen. Wie die Inder mit all dem umgehen muss man erleben. Es bringt den an Ordnung gewöhnten Deutschen weit über die Grenzen dessen, was er sich soeben noch (nicht) vorstellen konnte.

Trotzdem sind wir noch immer wohlbehalten im von uns ausgewählten New Woodlands Hotel angekommen. Hier, in einer der besseren Gegenden der Stadt unweit der noch von den Briten errichteten repräsentativen Verwaltungsbauten, geht es, wenn man wie wir im Februar ankommt, unglaublich laut und farbenfroh weiter. Schuld daran ist die in der kühleren Jahreszeit nicht abreißende Kette von Hochzeiten. Es ist Wedding season. Allein in den dafür nahe unserem Hotel zur Verfügung stehenden bzw. zu diesem gehörenden Hallen fanden am Tage unserer Ankunft drei Hochzeitsempfänge statt, ein jeder mit der in Indien üblichen Anzahl von mehreren Hundert Gästen. Viele lassen sich heute standesgemäß vom eigenen Chauffeur auf dem dafür nicht vorhandenen Platz vorfahren. Zum ohrenbetäubenden Lärm der scheinbar um ihr Leben spielenden Musikanten mischt sich das Hupkonzert vor der Halle. Der Inder nimmt es mit stoischer Gelassenheit und ist ganz auf die in Vielfalt und Menge jeden vernünftigen Rahmen sprengenden kulinarischen Köstlichkeiten fixiert.

Diese stammen aus den Küchen der beiden Hotelrestaurants und gehören zu den meist gelobten der Stadt. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass wir trotz all des Trubels im von uns am Abend gewählten vegetarischen Restaurant schnell und freundlich mit der ganzen Vielfalt vegetarischer Kochkunst beglückt werden. Authentisch auf Bananenblättern und auf Metallschalen serviert wird unser Tisch schnell viel zu klein für all die aufgetischten Verlockungen. Selten habe ich in den langen Jahren seit meinem ersten Besuch hier eine so präzise Aromenabstimmung der einzelnen Gerichte erlebt. Schade, dass wir aufgrund der angebotenen Mengen vieles nur probieren können. Nun kann ich aber zumindest mutmassen, warum die Kühe auf der Straße so gesund aussehen. Wir sind nach dem langen Tag zwar geschafft, aber vom Essen total begeistert. Und den ersten Versuch des Essens mit der (reinen) rechten Hand ohne jedes Besteck gibt es für die meisten Indien-Neulinge dann auch noch.

Nach einer erholsamen Nacht in den einfachen, aber geräumigen Zimmern und einem ersten südindischen Frühstück brechen wir dann ohne weitere Umschweife – im Auto – auf nach Süden. Es gibt einen kurzen Stopp am Gandhi-Denkmal am Marina Beach und einen weiteren an der größten und durch ihr strahlendes Weiß noch beeindruckender wirkenden St. Thomas-Kirche. Hier in Strandnähe gibt es viele einfache, einfachste und solche Behausungen, die nach unserem Verständnis keine sind. Dazu im krassen Widerspruch erscheinen uns die heute am Sonntag sauber gekleideten Kinder und besonders die anmutig in ihren Saris daher schreitenden Frauen. Ein Leben in Würde und Sauberkeit scheint auch unter sehr einfachen Verhältnissen kein Ding der Unmöglichkeit.

Auf der ca. 50 km langen Fahrt nach Mahaballipuram begegnet uns dann das Indien des 21. Jahrhunderts. Früher ländliche Areale werden entlang der gesamten Strecke gnadenlos bebaut. Da gibt es im Landesinneren die ausufernde Sonderwirtschaftszone, in der neben IT-Unternehmen auch viele international bekannte Konzerne produzieren. Wo tatsächlich noch keine neuen Appartment-Silos, großzügige Hotelanlagen und Freizeitparks stehen, da sind aber zumindest die Grundstücke für die weitere Bebauung erworben und lückenlos mit überdimensionalen Werbetafeln versehen.

In spätestens 10 Jahren hat sich auch diese ehemals ländliche Idylle garantiert in suburbane Monotonie verwandelt. Filialen amerikanischer Fastfood-Ketten , einen ersten Vergnügungspark für Kinder sowie eine traurige Krokodilfarm gibt es schon.                     Es geht wohl nicht anders.

Mahaballipuram – Mutter aller Tempel

Unsere Tempeltour beginnt mit einem geradezu außerirdischen Highlight. Wenn man sich den weit über tausend Jahre alten Meisterwerken drawidischer Baukunst, vor allem der der Steinmetze, nähert, wird man ganz klein und von Ehrfurcht gepackt ob der Einmaligkeit des hier Geschaffenen. Völlig zu Recht sind die Tempelkomplexe von Mahaballipuram von der Unesco in den Rang des Weltkulturerbes erhoben worden.

Dank einer nicht mit mir abgestimmten Entscheidung meines Partners genießen wir zudem das Privileg, im Mamalla Heritage Hotel in fußläufiger Nähe zu den Sehenswürdigkeiten zu wohnen. Besprochen war eigentlich eines der modernen Strandhotels ausserhalb des Ortes. Die anfängliche Skepsis bei mir und den Gästen ob dieser Wahl schlägt aber sehr schnell in ehrliche Begeisterung um, zumal auch dieses Haus über eine beinahe noch bessere Küche verfügt als das vorhergehende in Chennai, mit einem Restaurant, gelegen noch dazu auf einer abends angenehm frischen Dachterasse mit Blick auf die Umgebung und den gepflegten Swimmingpool. Aus den ordentlichen Zimmern kann man über eine  kleine  grüne Wildnis hinweg auf den am Sonntag von Einheimischen extrem frequentierten Park mit vielen in Stein gemeißelten Wunderwerken blicken. Schön, dass wir hier gleich für zwei Nächte gebucht sind.

Wir beeilen uns sofort nach dem Einchecken, die Fahrräder auf jeden Teilnehmer abzustimmen. Ferry und ich machen uns noch am Nachmittag zu einer ersten kleinen Erkundungstour auf den Weg. Wir entdecken ein total auf Touristen programmiertes Dorf mit einer urigen Strandszene und einigen tollen Seafood-Restaurants. Hier ist Indien nah und gleichzeitig doch sehr weit weg.

Am nächsten Morgen sind wir erstmals alle auf dem Rad zur Gewöhnungstour unterwegs. Alles läuft zufriedenstellend und so können wir uns ganz den touristischen Highlights widmen. Neben dem Strandtempel, den 5 aus Monoliten gehauenen Tempeln und verschiedenen Felsenreliefs werfen wir am Wendepunkt unserer morgendlichen Tour auch einen Blick in die bereits genannte Krokodilfarm, die wohl zur Belustigung von gelangweilten Stadtmenschen aus Chennai angelegt wurde. Beim Platz pro Tier könnte glatt ein westlicher industrieller Viehmastbetrieb Pate gestanden haben. Jedoch bin ich mit solchen Gedanken hier allein auf weiter Flur. Kleine und grosse Inder freuen sich nur ob des Anblickes dieser urzeitlichen Fressmaschinen.

Beim nachmittäglichen ausgedehnten Spaziergang durch den Park hinter unserem Hotel erklimmen wir auch den alten, noch in Betrieb befindlichen Leuchtturm und genießen eine spektakuläre Sicht sowohl auf die Andamanensee hinaus, als auch tief ins Landesinnere hinein. Schon am Morgen haben wir am Strand die waghalsigen Ablegemanöver der schmalen Fischerboote über die mitunter meter hohe Brandung verfolgt. Wenn sie diese erfolgreich bezwungen haben, beginnen sie ihr schweres und nicht sehr einträgliches Tagwerk immer in Sichtweite zur Küstenlinie. Neben der eigenen Erfahrung sind Sonne, Gestirne und eben der alte Leuchtturm ihre Navigationsmittel. Daher ist es gut und sicher bitter notwendig, dass er weiterhin top in Schuss gehalten wird.

Auf dem Rückweg aus dem Park werden wir Zeugen eines urplötzlichen Polizeieinsatzes. Erstmals sehe ich indische Polizisten tatsächlich rennen. Das hat seinen guten Grund. Hinter einem der vielen Felsen nehmen sie einen offensichtlich angetrunkenen Mann fest. Später erfahren wir, dass er und zwei weitere Typen eine junge Frau belästigt hatten. Diese hatte jedoch über ihr mobiles Telefon einen Notruf abgesetzt, der – erstaunlich genug hier – den sofortigen Einsatz auslöste. Das alles geschah am hellerlichten Nachmittag!

Pondi, mon amour!

Der erste „richtige“ Radfahrtag hält sogleich den längsten Abschnitt der Tour mit knapp 100 km in die ehemalige französische Enklave Pondicherry bereit, wo wir erneut für zwei Nächte verweilen werden. Also machen wir uns nach dem zeitigen Frühstück sogleich auf den Weg und bummeln auch unterwegs nicht. Lediglich eine Kaffe/Tee/Snack-Pause gönnen wir uns. Kurz vor 12 Uhr mittags erreichen wir nach 62 km das Dorf Manakanam an einer riesigen Salzlagune, wo der Transfer für uns bereit steht. Ferry und ich beschließen, die restliche Strecke auf dem Rad zu absolvieren. Es rollt gut auf dem Seitenstreifen des meist frisch asphaltierten Highways. Am Rande der Stadt muß ich unbedingt Essen fassen, was unverhofft zu einem echten Glücksgriff gerät. Er nennt sich „green rice“, ist mit frischen Pfefferminz- und Korianderblättern sowie Butterschmalz (Ghee) veredelter gekochter Reis, schmeckt himmlisch gut und kostet für uns zwei hungrige Radler die Unsumme von weniger als einem Euro.

Entspannt radeln wir dann an der noch immer französisches Kolonialflair versprühenden Uferpromenade unserem Hotel, ebenfalls „aus der guten alten Zeit“ stammend, entgegen. Erneut überrascht uns Josey, hat er doch anstelle der Zimmer mit dem Balkon direkt zum Meer hin welche an der Hausseite gebucht, die ebenfalls die (reduzierte) Sicht zum Meer bieten. Es ist nicht wirklich ein Manko, aber halt nicht das, was wir angekündigt und die Gäste erwartet hatten. Wird nicht wieder vorkommen, hat er versprochen!

Nachdem wir schon einmal kurz intensiv Tamil Nadu geschnuppert haben, sind wir nochmals in uns bekanntere, westlich geprägte Gefilde zurück gekehrt. Alles erinnert ein wenig – die nötige Imagination vorausgesetzt – an die französische Mittelmeerküste. Zumindest das direkt am Meer gelegene französische Viertel wirkt sauberer, es gibt französische Straßennamen, die Polizisten erinnern in ihren Uniformen mehr an flics denn an ihre tamilischen Kollegen, Restaurants und Cafes versprühen europäisches Flair. Wie selbstverständlich werden auch alkoholische Getränke zum Essen gereicht. Nicht wir sind hier die, die sich auf eine weitgehend unbekannte fremde kulturelle Erfahrung begeben. Nein, es ist unser indischer Freund Josey, der nach 43 Lebensjahren sein erstes Steak ist, noch dazu mit dem richtigen Besteck dafür. Er schlägt sich ordentlich und wir haben alle unseren gemeinsamen Spaß, er auch.

Besonders gefällt uns eine architektonische Besonderheit, die wir hier erstmals registrieren. Es sind die klassischen Dachkonstruktionen aus Bambusstangen, auf denen Schichten aus geflochtenen Palmwedeln aufgebracht sind. Sie wirken auf den bunt angemalten verputzten Häusern irgenwie deplaziert, sorgen aber sowohl auf der Dachterasse als auch im Haus für ein wunderbar frisches Mikroklima. Sehr effizient, kostengünstig und naturnah. Die extrem stromfressende Klimaanlage wird glatt überflüssig und viel gemütlicher ist es noch dazu. Es wäre zu schön, wenn sich dieses Konzept auch anderswo durchsetzen würde. Wahrscheinlich ist es leider zu vernünftig, zu einfach und zu billig. Schade.

Fast alle Europäer, die nach Pondicherry kommen, zieht es auch nach Auroville, wo die Ideen und Pläne von Sri Aurobindo und seiner französischen Gattin zur Erschaffung einer universellen Stadt umgesetzt werden, die auf den Prinzipien von gegenseitiger Unterstützung, Liebe und menschlicher Gemeinschaft beruhen. Ich habe es nun schon zweimal nicht gepackt, also wird nach den begeisterten Schilderungen meiner dort gewesenen Mitradler der nächste Termin im September definitiv auch meiner, zumal es sich radfahrerisch um einen schönen Tagesausflug auf ruhigen Nebenstraßen, teilweise auf Pisten handelt. Eine schöne Abwechslung zu den bisher meist von uns befahrenen Seitenstreifen größerer Strassen, die zwar sicher, aber oft eben auch sehr laut sind wegen des ewigen Gehupes der indischen Fahrzeugführer.

Der Besuch in Auroville selbst ist bei unseren Teilnehmern durchaus widersprüchlich angekommen. Einst als Zukunftsstadt für 50.000 Bewohner geplant, versuchen heute gerade mal 1.200 irgendwie weltfremde Weltenverbesserer die Tücken des realen Lebens in den Griff zu bekommen. Die angestrebte Harmonie wird wie im richtgen Leben auch dort bei weitem nicht immer erreicht. Besucher sind nur willkommen, wenn sie sich ernsthaft einbringen wollen, möglichst länger als nur einen Tag. Immerhin hat man nunmehr mit mehrjähriger Verspätung das spirituelle Zentrum, den Manadir, fertig gestellt. Es zu besuchen wird einem nicht leicht gemacht. Mehr dazu nach meinem eigenen Besuch bei der kommenden Tour.

Tempel, Tempel, Tempel

Wir verlassen Pondicherry am frühen Morgen und tauchen sogleich bei unserem ersten Stopp in Cuddalore ganz tief in Tamil Nadu ein. Die Intensität der sinnlichen Wahrnehmungen sowohl radelnd auf der Straße als auch im „Restaurant“ sind echte Herausforderungen, deren Verarbeitung für alle Gäste sicher einige Zeit – auch noch nach der Reise – in Anspruch nehmen wird. Aber das ist es dann auch alle mal wert.

Durch das ländliche Tamil Nadu geht es zunächst nach Chidambaram, wo der großartige Komplex des Nataraja-Tempels Shiva als Herrn des Welttanzes gewidmet ist. Auf dem Wege dorthin treffen wir zuerst Seilmacher, die aus der Faser der Kokosnuss zunächst Fäden spinnen, aus denen dann Seile und weitere Endprodukte enstehen. Unweit davon sind es traditionelle Kesselschmiede, die aus verschiedenen Metallen ausschließlich in Handarbeit große Kessel für die Aufbewahrung und den Transport von Wasser und anderen Flüssigkeiten schmieden. Beides ist sehr eindrucksvoll, sind derartige Handwerke doch in Europa gar nicht oder kaum noch erlebbar.

Nachdem wir in Mahaballipuram vor allem die Bauwerke und die Meisterschaft ihrer Erbauer bestaunten, erleben wir ab hier zunehmend die spirituelle Dimension, die tiefe Gläubigkeit der Hindus, die wenn möglich mindestens einmal am Tage „ihren Tempel“ besuchen, oder – noch eindrucksvoller – die Scharen von Pilgern, die erhebliche Entbehrungen auf sich nehmen, um an diesen geweihten Orten ihren Gottheiten nah zu sein. Es ist durchaus ein Privileg, wenn man, wie wir in Chidambaram bei der Feuerprozession oder später in Madurai beim vom Priester und heiligen Tieren, wie dem Stier und dem Elefanten, angeführten Ritual der mehrmaligen Umrundung des großen Shiva-Schreins in den Tempeln unter den Gläubigen weilen und mit ihnen die für sie so wichtigen Pujas (Gebete, Andachten) teilen darf. Es ist durchaus eine Besonderheit dieser Tour, dass wir in einigen Tempeln Zutritt auch zu den sonst oft nur Hindus vorbehaltenen innersten Bereichen erhalten. Die Tempel öffnen meist vor dem Sonnenaufgang, spätestens ab 6:00 Uhr bis 12:00 Uhr und dann wieder ab 16:00 Uhr bis max. 22:00 Uhr. In der Mittagspause kann man im touristisch besonders interessanten Sri Meenakshi-Tempel in Madurai Eintrittskarten zum sonst untersagten Fotografieren erwerben.

Es geht uns ganz bewusst nicht darum, mit dem Reiseführer in der Hand auch noch die letzte Nuance bei der Erschaffung dieses oder jenes Schreins, einer Säule oder der spezifischen Darstellung einer Gottheit herauszufinden. Das macht auch kein Inder, nicht mal der gläubige Hindu. Es interessiert sie auch nicht wirklich, wie mir Freunde zu verstehen gaben. Aus dem Universum ihrer Millionen Gottheiten sind den meisten – wie uns auch – nur die allerwichtigsten geläufig. Neben dem Bekenntnis zu ihrem ganz persönlich ausgewählten Gott interessiert sie die in Epen wie dem Mahabharatha u.a. beschriebene unendliche Welt ihrer Götter nur insofern, als das der ewige Kampf zwischen Gut und Böse möglichst unterhaltsam ist und natürlich ein gutes Ende nehmen muss. Im übrigen sind die großflächigen Areale um die Tempel gesuchte Plätze für ein Familien-Picknick oder das Treffen von Freunden. Außerhalb der Mauern fehlt es dafür oft an geeigneten Lokalitäten. Dafür brodelt das Leben hier, rund um die Eingangsbereiche mit den unvermeidlichen Aufbewahrungsstellen für das Fußwerk der stets barfüßigen Tempelbesucher umso intensiver. Jedem Reisenden sei empfohlen, hier mit wachen Sinnen zu verweilen. Indischer ist Indien nirgendwo, zumal im Süden.

Eine Besonderheit der tamilischen Tempel sind die Eingangstore zu den Tempelanlagen. Diese Gopurams genannten Türme sind meist die höchsten Bauwerke der Orte, weshalb wir sie schon bei der Annäherung an unser jeweiliges Tagesziel erblicken. Sie sind reich verziert mit Abbildungen der Götter und Szenen aus den verschiedenen Epen. Alles ist meist sehr farbenfroh. Nur wenige, dafür aber sehr bedeutende Tempelanlagen, wie die des Brihadishwara-Tempels in Thanjavore oder der nahe Kumbakonam am Morgen von uns aufgesuchte Airateshwara-Tempel kommen komplett ohne Anstrich aus. Dafür strahlt der ausschließlich verwendete gelbliche Granit besonders im Morgen- oder im Abendlicht eine ganz eigene, geradezu magische Faszination aus. Einen nicht nur optischen Kontrast setzen die aus schwarzem Stein gefertigte größte Statue von Shivas Reittier, dem Stier Nandi und die beeindrucke Aneinanderreihung von Shiva Lingams in einer Säulenhalle entlang einer der Tempelmauern in Thanjavore. Dieses Symbol findet sich sonst meist solitär im Innersten des Haupttempels oder in Seitenschreinen.

Von der ehemaligen Bedeutung der heute eher unscheinbaren und auf uns Europäer schmutzig wirkenden Stadt Kumbakonam künden ihre insgesamt 18 Gopurams. Pilger zieht es alle 12 Jahre (demnächst wieder 2016) in die Stadt, um im Heiligsten der Stadt, dem Mahamkham-Becken nahe dem von den Chola-Königen im 12. Jahrhundert erbauten Nageshwara-Tempel ein rituelles Bad zu nehmen, da man glaubt, dass es zu diesem Zeitpunkt mit Ganges-Wasser gefüllt sei. Der Tempel selbst ist Shiva in Gestalt des Schlangenkönigs Nagaraja geweiht. Der benachbarte Sarangapani-Tempel ist Vishnu geweiht, verfügt über das mit gut 50 Metern höchste Gopuram (Tor) der Stadt und beherbergt derzeit mehr als 30 „heilige“ Kühe und deren Nachwuchs. Entsprechend riecht es auch im Tempel. Futterspenden gegen beeindruckende und auch dekorative Spendenquittungen sind unter Besuchern sehr beliebt.

Die Krönung der hinduistischen Tempel erwartet uns mit dem Sri Meenakshi-Tempel zweifellos in Madurai, der 2500 Jahre alten Metropole und wie von ihren Einwohnern behauptet, der Seele Südindiens. Auch wenn die beiden Hauptheiligtümer Meenakshi- und Sundareshvara (Shiva)-Schrein Nicht-Hindus nicht zugänglich sind, so ist der Besuch dieser beeindruckenden Anlage für alle Besucher ein Muss. Wir können in den Hallen und Gängen ein authentisches Bild der tiefen Gläubigkeit der Pilger erhalten und uns anschließend auf den Stufen am Teich der goldenen Lotos entspannen und das emsige Treiben rundherum verfolgen. Auf dem Weg zum Osttor empfiehlt sich in der Halle der 1000 Säulen ein Besuch des Temple Art Museum.

Auch außerhalb des Tempels verströmt Madurai ein eigenes Flair. Innerhalb der von den Briten geschliffenen Stadtmauern, die heute den äußeren Altstadtring bilden, ist der Autoverkehr untersagt, was es dem Besucher einfacher macht, durch die ungezählten Stände und Geschäfte zu schlendern. Dafür muss man umso mehr auf die Flut von Tuk Tuks und Motorrädern achten. Gut, dass wir auch hier für zwei Nächte verweilen. Abends genießen wir dann in einem der einladenden Dachterrassen-Restaurants in unserem Hotel oder ganz in der Nähe unser Dinner, gepaart mit einem tollen Blick auf Altstadt, Tempel und einem erfrischenden Kingfisher-Bier.

Leben wie die Chettiars

Auf dem Weg nach Madurai ist die Landschaft zunehmend von bizarren Granitfelsen und zahlreichen Steinbrüchen zu deren Abbau geprägt. Dennoch darf der Reisende eine weitere Perle Südindiens nicht, wie der neue Highway es tut, links liegen lassen. Es wäre schade, denn unvermittelt tut sich im Dörflichen hier eine nicht vermutete Welt des Reichtums und des Luxus auf. Es sind die Paläste des miteinander verschwägerten Clans der Chettiar-Kaufleute. Diese gaben der Region und der hier entwickelten Küche den Namen  – Chettinad. Grund genug für uns, im Ergebnis der Pilottour, künftig hier länger zu verweilen.

Nach dem Lärm und dem Staub der Strasse erwartet uns für zwei Nächte in der gepflegten Gartenanlage des Hotels Chettinad Court Idylle pur. Auf den fröhlichen Lärm des Tages aus der benachbarten Schule folgt die unglaublich stille Nacht, die lediglich von den beeindruckenden Rufen der in den Feldern stolzierenden Pfauenhähne nach ihren Hennen unterbrochen wird.

Vorher tuckeln wir mit dem Ochsengespann durch den verschlafenen Ort Kanadukathan, besuchen den prunkvollsten der alten Kaufmannspaläste aus der Zeit um 1900. Abends probieren wir nach Tagen der Fleischabstinenz Lamm- und andere Fleischgerichte der viel gerühmten Chettinad-Küche.

Auch zwei kurze Radausflüge stehen auf dem Programm. Einer führt uns auf das auf einem riesigen Granitfelsen thronende Fort von Thirumayam, welches einem schweißtreibenden Aufstieg eine tolle Panoramasicht in die Umgebung folgen lässt. Ein zweiter führt uns in eine Manufaktur, in der in kompletter Handarbeit die in der Region gerühmten, nicht gebrannten Ornament-Fliesen entstehen. Diese zieren nicht nur die benachbarten Paläste, sondern auch viele wichtigen Bauten der Gegenwart Südindiens, angefangen von Hotels, über öffentliche Gebäude bis hin zu Privathäusern.                     Sie sind wie die Region – etwas ganz Spezielles.

Überzeugen Sie sich davon und kommen Sie mit uns – das nächste Mal im September 2014.

 

 

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