Habe ich einen Stich? – Über die Urkraft der Sonne

Pondicherry

Aus dem ewigen europäischen Winter 2013 im April-heißen Chennai angekommen, versuche ich Josey für einen weiteren Tag der Anpassung an diesen heftigen Klimawechsel für mich zu begeistern. Mich als „unkaputtbaren“ Langstrecken-Radler in Erinnerung habend, bezeichnet er meine Bitte schlichtweg als Zeitverschwendung. Unvernünftiger Weise willige ich ein und wir radeln „die lächerlichen 65 km“ bereits am ersten Tag durch die besonders aggressive April-Sonne zur ungünstigsten Tageszeit (11:00 – 16:00 Uhr). Klar bin ich im Gesicht, an Händen und Beinen wie üblich mit Lichtschutzfaktor 30 versorgt, klar trinken wir jeder mehr als 4 Liter Wasser und machen in der Mittagszeit eine gut einstündige Pause. Einen besonderen Hut oder anderen Kopfschutz trage ich wegen meiner ausgeprägten Mähne, wie sonst auch immer, natürlich nicht. Josey hingegen vermummt sich als vergleichsweise heller Einheimischer mit den von mir bereitgestellten Utensilien (Verenas Andenhut und mein Buff-Alleskönner) beinahe komplett. Lediglich seine Handoberflächen sind der Sonne ausgesetzt. Und genau die verbrennt er sich dann auch kräftig, da indische Männer ja Sonnenschutzcreme nicht kennen (wollen?).

Am nächsten Morgen starten wir um 6:00 Uhr zum mit 99 km längsten Tagesabschnitt in Richtung Pondicherry. Von Anbeginn an schwitze ich wie schon am Vortag ungewöhnlich stark. Bereits nach 30 km bin ich noch am vergleichsweise frischen frühen Morgen eigentlich platt. Unsere Pausen werden zunehmend ausgedehnter und die Strecken dazwischen immer kürzer. Ab Km 50 kämpfe ich mich buchstäblich von Kilometer zu Kilometer. Ich habe zunächst in den Waden einsetzende Krämpfe, die sich über beide Beine ausdehnen und später auch den Rücken und die Arme erreichen. Das Auf- und Absteigen wird unter den ungewohnten Krämpfen zur Tortur und selbst die Liegepausen am Straßenrand bringen keine wirkliche Erholung mehr. Mit größter Willensanstrengung erreiche ich die Salzlagune von Manakkam bei km 65. Es geht keinen Meter mehr weiter, mir wird schwindelig und ich bin nahe am Kreislaufkollaps. Unter dem dörflichen Banyan-Baum lasse ich mich nieder und werde von besorgten Einheimischen beobachtet und schließlich mit Tee versorgt.

Nur dank meiner Erfahrung aus vielen Marathon- und Ultra-Marathonläufen kann ich mit der Situation umgehen. Josey besorgt einen Kleintransporter, der uns und die Räder ans eigentliche Tagesziel in die ehemalige französische Kolonie Pondicherry bringt. Ich bin total dehydriert und liege im Hotel sofort flach. Josey mixt mir in die 1-Liter-Wasserflasche 4 kleine Zitronen und einen Teelöffel Salz. Neben viel weiterem Wasser trinke ich diesen Cocktail – trotz Widerwillens – brav bis zum Abend aus. Appetit habe ich gar keinen, Essen geht überhaupt nicht. (Spätere Konsultationen bei Ärzten ergeben, dass ich mich in eine durchaus lebensgefährliche Situation begeben, jedoch diese auch recht vernünftig gemeistert hatte.)

Wir beschließen, den nächsten Tag in Pondicherry zu bleiben, kaum etwas zu machen und mich zu beobachten. Ich schwitze weiterhin unglaublich, gegen Abend kann ich erstmals wieder etwas Festes essen. Am darauffolgenden Tag fahren wir planmäßig gut 70 km nach Chidambaram. Ich bin noch lange nicht der Alte, spüre aber die Kräfte in mich zurückkehren. Auch der Appetit ist wieder da. Endlich!

Warum schildere ich das Erlebte so ausführlich?

Weil ich einen jeden von Ihnen, der künftig mit uns auf Tour gehen wird, sensibilisieren möchte für die Gefahr, die von der Sonne ausgehen kann. Darüber hinaus ist das natürlich auch für jeden anderen Reisenden, der in die Tropen aufbricht, von Bedeutung.

Zunächst benötigt jeder von uns eine gewisse Adaptionszeit an das hiesige tropische Klima. Wir haben darauf bei der Planung unserer Touren bereits Rücksicht genommen und werden vielleicht noch weitere Puffer einbauen, ehe wir richtig loslegen. In den von mir als Testphase benutzten heißen Monaten April und Mai bieten wir planmäßig keine Touren an. Sollten wir dennoch zu maßgeschneiderten Varianten aufbrechen, so nur nach einer ausgedehnten Adaptionsphase.
 
Zu meinem Erschöpfungszustand, wie oben beschrieben, sollte es schon deshalb nicht kommen, weil wir immer, zu jedem Zeitpunkt der Tour, ein Begleitfahrzeug nahe an den Radlern haben. Dieses transportiert zunächst das komplette Gepäck, versorgt uns immer mit Getränken, Obst und Snacks und wird jeden, der nur in die Nähe einer größeren Erschöpfung gerät, wenn es denn sein muss, (auch gegen seinen Willen) aufnehmen und zum jeweiligen Tagesziel bringen. Nicht zuletzt ist es im wohlverstandenen Eigeninteresse eines jeden Teilnehmers, wenn wir Sie mit den frühen Vögeln aus den Zimmern bitten und uns mit dem ersten Morgengrauen in den Sattel schwingen. So gehen wir, genau wie die Einheimischen, der größten Hitze des Tages aus dem Wege, nutzen die heiße Zeit dann bereits zur Regeneration und können am späten Nachmittag und Abend gut erholt zu neuen Erkundungen aufbrechen.

Darüber hinaus sollte klar sein, dass jeder Teilnehmer für ausreichenden persönlichen Schutz sorgt. Neben der obligatorischen Sonnencreme, mindestens mit LS-Faktor 30, sollten Funktionskleidungsstücke genutzt werden, die zumindest zu Beginn Arme und Beine ganz bedecken. Offensichtlich – warum war mir das bisher nicht klar? – verdient unser Kopf besondere Aufmerksamkeit. Neben einer guten Sonnenbrille sollte eine Art Tropenhut oder Base Cap mit entsprechendem Nackenschutz benutzt werden. Reduzieren kann man mit wachsender Anpassung alle hier genannten Vorkehrungen je nach individueller Veranlagung.

Wichtig ist bei der Tour vor allen die regelmäßige und rechtzeitige Flüssigkeitsaufnahme. Erfahrungsgemäß verbrauchen wir pro Radetappe 4-5 Liter Wasser pro Teilnehmer. Wer bei Hitze zu Krämpfen neigt, sollte eventuell von zu Hause Magnesium-Tabletten mitführen und diese täglich einsetzen. Leckerer und völlig ausreichend sind aber die salzigen Lassi- und Fresh Lime Soda-Varianten, die wir am Rande des Weges immer wieder zu uns nehmen können.

Nicht immer können wir in den Hotels und homestays Zimmer mit Klimaanlage garantieren. Während Radaktivreisen, wie den unseren ist es sogar sinnvoller, darauf zu verzichten, um eventuellen Erkältungen vorzubeugen. Sollte man in den nur mit Ventilator ausgestatteten Zimmern zu stark schwitzen, so hat sich während unserer letzten heißen Tour das folgend in einem Hotel aus der Not der nicht verfügbaren Handtücher geborene Mitte bestens bewährt. Man duscht sich kalt ab und begibt sich ohne Abtrocknen in die Nähe des Ventilators, der diesen Job dann erledigt. Dies erfrischt total und kann beliebig oft wiederholt werden – zumindest, wenn nicht gerade wieder mal der Strom ausgefallen ist. Bitte unbedingt jeden Tropfen kalten Wassers aktiv nutzen, da dies u.U. sehr schnell sehr heiß wird wegen des auf dem Dach befindlichen schwarzen Tanks, der jedes schnelle Gegensteuern unmöglich macht…

Wenn Sie sich nur ungefähr an  die hier gegebenen Tipps halten, werden Sie definitiv nicht in die Nähe der oben beschriebenen Stress-Situation kommen und mit großem Spaß ihre Tour durch Südindien abfahren und genießen können!

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