Das soll Indien sein? – Da staunt der westliche Reisende

Wie überall auf der Welt, erlebt der Individualreisende auch in Indien mitunter Situationen, macht Erfahrungen, von denen der rundum betreute Pauschalreisende nicht mal ahnt, dass es so etwas geben könnte.

So sind wir bei einer unserer ersten Touren vor Jahren in einer keralischen Kleinstadt in den Bergen der Western Ghats bei der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht endlich in einer erfreulich sauberen Herberge gelandet, haben einen für uns akzeptablen Preis ausgehandelt und bitten um den Schlüssel, da verlangt der Inhaber zunächst einmal einen Vorschuss genau in der doppelten Höhe des soeben vereinbarten Preises. Uff!  
                                 
Wir kannten damals noch nicht das übliche Procedere und das Englisch des Wirtes war nicht so, dass er uns sein Anliegen plausibel hätte begründen können. Ich hatte den vereinbarten Betrag – ohne Vorschuss – gerade passend zur Hand und legte ihn auf seinen Tisch. Er wollte davon nichts wissen, wiederholte nur seinen geforderten Betrag, malte ihn immer wieder auf den Rand der vor ihm liegenden Zeitung. Und sagte: „You must pay Advance!“ – also Vorschuss oder Tschüss?
          
Ich bot ihm meine Kreditkarte an, aber die interessierte ihn nicht. Da ich „weitgereister Weltbürger“ mir seine Forderung nicht erklären konnte, schaltete ich in meiner ganz persönlichen Arroganz auf stur,  ließ mich in einen nahen Sessel fallen und die Situation eskalieren. Da war ich aber an den Falschen geraten. Der Meister verschwand laut fluchend und gab mir Zeit. Letztlich kam ich – dank Verena –  zur Besinnung und ließ ihn rufen. Er kam zurück, akzeptierte mein Angebot, den halben Zimmerpreis als Sicherheit drauf zu legen. Beide hatten wir das Gesicht gewahrt. Unter beiderseits in der Muttersprache ausgestoßenen herzlichen Flüchen und einem breiten Grinsen vollzog sich endlich die Schlüsselübergabe…

Heute erspare ich mir in ähnlichen Situationen Nerven und Zeit, weiß ich doch, dass die Differenz beim Aus-Checken anstandslos ausgehändigt wird, wobei…Wenn man wie wir oft um 5:30 Uhr morgens an sein Geld will, dann muss man schon etwas mehr Zeit einrechnen. Denn zu dieser frühen Stunde braucht man mitunter Zeit und Nerven, um mal die noch schlafenden Bediensteten zu wecken, mal irgendwelche Schlüssel zu suchen oder auch den verantwortlichen Manager aus dem Bett oder unter der Dusche hervorzuholen. Und natürlich darf der verlangte Vorschuss nicht das Doppelte des Zimmerpreises, sondern lediglich einen geringen Teil davon (z.B. 20%) betragen. Wie mir indische Freunde erklärten, begründet sich diese Forderung im leider nicht selten beobachteten Verhalten einheimischer Gäste, die Einrichtungsgegenstände oft beschädigten oder entwendeten. Änderung ist für den Individualreisenden wohl nicht in Sicht.

Grundsätzlich immer sollte man bei der Zimmersuche davon ausgehen, dass die Preis-findung, bis auf wenige staatliche Hotels der jeweiligen Tourismus-Entwicklungs-Behörden, Verhandlungssache ist. Sucht man als Individualreisender eine günstige Unterkunft, so ist es immer hilfreich, einen indischen Freund voranschicken zu können, der dies erledigt. Der dann erzielte Preis ist oft nur halb so hoch. Zumindest sollte man aber auf diese durchaus übliche Form der Abzocke selbstbewusst und laut hinweisen und ein Weggehen andeuten. Immer sollte man ohne Zeitdruck handeln und falls keine Bewegung erkennbar wird, dann ist es meist besser, aktiv das Gespräch zu beenden. Die bessere Alternative wartet vielleicht nur wenige Schritte entfernt.

Gänzlich anders jedoch sind meine Erfahrungen während unserer Erkundungstouren mit den Fahrrädern auf der Suche nach geeigneten Unterkünften für unsere Tourgäste. Da eine Zufahrt für Fahrräder ja weltweit nach wie vor unüblich ist, stoßen wir schon bei der Annäherung auf verwunderte bis despektierliche Blicke des Sicherheitspersonals oder der Pförtner. Viele haben wohl die Anweisung, solchen wie uns, den Zutritt zu verweigern. Sie trauen sich dann aber nie, einem westlichen Fahrradfahrer die Zufahrt zu untersagen.

Hier bin es dann ich, der, obwohl sichtbar verschwitzt und in Radfahrfunktionskleidung, selbstbewusst nach Eigentümer oder Managing Director fragend, die ersten Hürden überwindet. Oft stürzt uns dann ein westlich gekleideter, akkurat frisierter junger Mann entgegen, der erst mal seine Mitarbeiter gehörig zusammenstutzt und sich dann bei uns für deren Verhalten entschuldigt. Nach kurzer Darstellung unseres Geschäftsmodells und meines beruflichen Vorlebens als international erfahrener Sales Manager mit über 20 Jahren Expertise mündet so ein erstes Zusammentreffen fast immer in ein sehr konstruktives Gespräch, begleitet von nicht selten sogar ehrlichem Interesse an Typen wie uns, die tatsächlich mit Fahrrädern durch Indien fahren und vorgeben, auch noch Spaß daran zu haben. Das ist dann für manchen so weit außerhalb seiner Vorstellungskraft, wie umgekehrt die zunächst von ihm erhobenen Preiswünsche für mich. Aber die sind eh nach wenigen Minuten Makulatur und, nachdem wir oft spontan zum Essen eingeladen werden, weil wir im Vergleich zu so manchem Gegenüber doch erschreckend dünn aussehen, bin ich bisher immer mit einem für uns akzeptablen Ergebnis wieder auf’s Rad gestiegen.

Noch vor der verdienten Nachtruhe sind wir ja meist damit beschäftigt, ein entsprechendes Lokal ausfindig zu machen. Für uns oft verwirrend wird es von den Einheimischen meist Hotel(e) genannt und auf der ersten Silbe betont. Da es aber oft nicht in Englisch, sondern in Tamil oder Malayalam beschriftet ist, hilft uns immer die bunte Abbildung der Speisen auf leuchtend grünem oder rotem Hintergrund. Das ist auch vor unscheinbaren Häusern ein sicheres Indiz für unglaublich leckeres, weil frisch zubereitetes Essen.

Wer sicher sein möchte, wohlschmeckendes einheimisches Essen zu finden, der schaut zudem gern darauf, wie viele Gäste das jeweilige Lokal frequentieren, ist dies doch oft das untrügliche Zeichen, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis hier in Ordnung sein muss. Gerade hier passiert es einem aber oft das Folgende. Man setzt sich, um einen herum wuseln Scharen von Kellnern, man selbst aber wird ganz offensichtlich ignoriert. Warum nur und was tun?

Das Geheimnis heißt Token, oder Gutschein. Gäbe es diese Einrichtung nicht, würden dies Heerscharen von Geringverdienern oder gänzlich Besitzlosen als Einladung zum kostenlosen Verzehr missverstehen. So hat es mir jedenfalls ein Freund erklärt und ein auskunftsfreudiger Kassierer bestätigt.

Erst wenn man den Token für das Gericht seiner Wahl beim Kassierer, meist direkt am Eingang, erworben hat und damit sichtbar wedelt, erfährt man die Aufmerksamkeit der dienstbaren Geister. Oft in einem Tempo und einer Nachdrücklichkeit, welches einem sowohl den Atem, als auch den Appetit verschlagen kann. Nachdem man sich erfrischt, die Hände gewaschen und Platz genommen hat, reicht einem meist von der Seite jemand ein Bananenblatt auf den Tisch. Das auf dem Tisch bereit stehende Wasser sollte man besser nicht trinken, wohl aber damit das Bananenblatt bespritzen und abstreichen. Am besten, man beobachtet immer die Einheimischen. Ungefragt werden dann zunächst Reis, je nach Gericht Sambar, verschiedene Chutneys, Curries und Pickles und andere Speisen relativ schmerzfrei auf das Bananenblatt geknallt. Dies wiederholt sich solange, bis man abwinkt. Extras wie Fisch oder Hühnchen werden auf einem kleinen Teller beigestellt. Die oft schmächtigen Einheimischen verzehren am Tisch in kürzester Zeit unglaubliche Mengen an Reis und Curries. Von Genuss keine Spur, obwohl das Essen immer lecker ist. Im Gegenteil, mir passiert es immer wieder, dass sich einer aus dem Tischreiniger-Team drohend vor mir aufbaut, mich mit größtem Unverständnis verfolgt, unausgesprochen fragend, warum ich denn so langsam esse und wann ich denn endlich fertig bin, damit er für die nächsten Hungrigen den Tisch abwischen kann. Zum
anschließenden Händewaschen nimmt man dann das benutzte Bananenblatt mit und wirft es in die bereit stehende Tonne. Oft steht schon eine Kuh dahinter, die sich auf ihre Mahlzeit freut. Zumindest hier funktioniert sie noch, die althergebrachte Entsorgung der Essensreste.

Und auch, wenn man sich als guter Tourist in eine der vielen Sehenswürdigkeiten begibt, wartet Indien mit einem Aha-Erlebnis für den Ausländer auf, das ich in der Form sonst nirgendwo auf der Welt hatte – oder ich habe es nicht bemerkt? Beim Besuch z.B. aller von der UNESCO als Weltkulturerbe geschützten Tempel, wie denen von Mahaballipuram gibt es eine nicht nachvollziehbare Spreizung der Eintrittspreise. Inder zahlen 10, Ausländer hingegen 250 indische Rupien, worauf auch noch überdeutlich am Schalter hingewiesen wird.

Auch wenn es für einen aus dem Westen Kommenden nicht wirklich viel Geld ist (knapp 4 EUR), so hinterlässt diese auch bei den indischen Verantwortlichen durchaus umstrittene Regelung einen unguten Nachgeschmack. Man fühlt sich irgendwie nicht willkommen, hat nur den Faktor 1:25 im Kopf, vergisst aber den Wechselkurs von z.B. Euro zur Rupie von derzeit 1:75 und das eigentliche Highlight betrachtet man dann (leider) anders.
 
Es ist ja durchaus üblich und allemal gerechtfertigt, dass man für die Pflege und Erhaltung des umfangreichen kulturellen Erbes einen angemessenen Eintritt bezahlt. Egal, ob es sich um von der UNESCO in den Rang eines Weltkulturerbes erhobene Stätten handelt oder nicht. Und ja, die unzählbar vielen Stätten des reichhaltigen und vielfältigen Erbes auf dem Subkontinent brauchen jede nur mögliche Unterstützung. Verglichen mit anderen Plätzen auf der Welt, müsste der Betrag eher noch deutlich erhöht werden. Nur die aktuelle Form der Umsetzung ist – vorsichtig formuliert – sehr unglücklich und der Sache, zumindest in den Augen vieler von mir kontaktierter Ausländer, eher abträglich. Es besteht hier dringender Änderungsbedarf, um gerade den ausländischen Besuchern zu signalisieren: „Wir freuen uns auf Sie!“

Liebe indische Regierungsbeamte, finden Sie schnellstmöglich eine andere Lösung, um ausländische Gäste angemessen an der Erhaltung der uns ebenso wie Ihnen am Herzen liegenden Stätten des kulturellen Erbes zu beteiligen. Seien Sie mutig, verlangen Sie einen angemessenen Preis, der durchaus auch über dem heute für Ausländer ausgelobten Preis liegen kann – aber stellen Sie es nicht so ungeschickt dar! Es sollte beim heutigen technologischen Standard gerade in Indien unproblematisch sein, Eintrittspreise mittels Kreditkarte in der jeweiligen Landeswährung des Gastes abzubuchen. Wer die Eintrittspreise in vergleichbaren Stätten des Westens im Kopf hat und dann auf sein vergleichsweise günstiges indisches Ticket schaut, wird mit großer Freude und ohne jede Ablenkung die dargebotenen Schätze genießen. Und die indische Staatskasse würde ebenfalls massiv profitieren. Eine klassische win-win-Situation. Es ist an Ihnen, diese, zu nutzen!

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