Die Western Ghats – Wo der Pfeffer wächst, und vieles andere mehr!

Seit Jahren fahre ich nun mit dem Rad kreuz und quer durch Südindien, seit mindestens zwei Jahren will ich in den von Josey erworbenen Streifen Natur besuchen, wo er versucht, dem Regenwald auf schonende Weise etwas Ertrag abzuringen. Kurz vor dem Monsun, da es anderen Ortes in Indien geradezu unerträglich heiß oder schwül oder auch meist beides ist, bin ich endlich hier oben auf etwa 1.200 m über dem Meeresspiegel in seiner „Farm“ und genieße den unglaublichen Ausblick. Die mir stolz präsentierte sehr einfach gemauerte Hütte  ist äußerst praktisch und ein echter Hingucker und Kontrastpunkt zur Landschaft. Sie bietet immerhin seinem Werkzeug, einem Schreibtisch, zwei Stühlen, einem Bett, einer Andeutung von Küche sowie, hinter einem Vorhang, dem indischen Klo Platz. Nachts sind es dann wir zwei Hartgesottene, die einen Schlaf genießen, den man sonst kaum wo findet…Jedenfalls rechne ich es mir als außerordentliche Ehre an, hier im Gegensatz zu allen Familienmitgliedern schon genächtigt zu haben.

Hinter dem „Haus“ geht es gleich in ein kleines Tal und dann sofort steil bergauf. Im unteren Bereich ist der Busch bereits gerodet und mit Kardamom bepflanzt. Alle großen Bäume und viele der kleineren sind erhalten, schließlich soll der Boden nicht erodieren und zudem sind sie als Schattenspender unersetzlich. In den letzten Tagen haben 5 Arbeiter ein kleines Wunder geschaffen. Sie haben viele Steine aus dem Hang geborgen und zu Mauern aufgetan. So werden sich durch das Zutun der Natur mit der Zeit Terrassen ergeben, die den Boden und das Wasser halten, auf denen weitere Pflanzen gedeihen können. Nach oben hin ist der Wald eine geschlossene „grüne Hölle“.

Es gehört reichlich Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie hier in gar nicht ferner Zeit die ausgebrachten Kardamom-Pflanzungen erste Erträge generieren werden. Und wie diese dann benutzt werden, um die Plantage Stück für Stück mit Pfeffer, Kaffee, Vanille und vielen tropischen Obst- und Gemüse-Sorten zu vervollständigen. Aber haben nicht alle Unternehmungen, große wie kleine, zunächst mit einer kühnen Vision begonnen? Ist mein Projekt, Radler aus Deutschland hierher zu bringen, nicht ähnlich verwegen – oder noch ein wenig mehr?

Erst einmal sitze ich auf den Resten eines abgestorbenen Baumriesen und fühle mich, ja wie eigentlich? Ein wenig wie Robinson, ein wenig wie damals als kleiner Junge, der vor 50 Jahren mit seinen Gefährten im Brandenburgischen durch die Heide gestrichen ist, Holzhütten, Bunker und andere kurzlebige Meisterwerke errichtet hat. Unwillkürlich bin ich mit meinen Gedanken bei den europäischen Siedlern, wie sie in die Tiefen des amerikanischen Kontinentes vordringen. Übertrieben? Vielleicht, allemal aber ist das, was hier gerade geschieht, vergleichbar mit der damaligen Erschließung des Westens, soweit sie uns zumindest überliefert ist. Und gewiss ist diese, die heutige, vom Respekt im Umgang mit der Natur geprägt. Vertreiben müssen wir niemanden und alle wilden Tiere sind noch immer respektierte bis gefürchtete Nachbarn. Zudem hat Josey das Land rechtmäßig erworben, keine Ureinwohner erschossen und, bevor er an die Umsetzung des geplanten Häuschens im vorderen Bereich geht, baut er zunächst einen offenen Kuhstall.

Seine drei  Kühe und deren Kälber haben einen einzigen Zweck. Mit ihrem Dung wird jetzt schon und künftig noch mehr die ausschließlich natürliche (organic) Düngung der Plantage gewährleistet. Sie halten den Bewuchs knapp, werden weder gemolken noch irgendwann geschlachtet – wahrhaft glückliche Kühe. Zu ihnen werden wir künftig auch im Rahmen unserer Touren zurückkehren. Daher wird hier demnächst ein Bungalow mit vorerst zwei Räumen errichtet mit einer genialen Aussicht auf die bis zu 2.600 m  hohen Züge der Western Ghats in Richtung des Teeanbaugebietes von Munnar. Diese Aussicht erarbeiten wir uns aber besonders auf den letzten zwei Kilometern mehr als redlich. Das ist echtes Mountain-Bike-Terrain.

Bei den Rodungsarbeiten am Hang ist ein toller eiförmiger Fels freigelegt worden. Auf dem werden wir uns künftig sonnen, und neben der Wahnsinnsaussicht Tee, Kaffee und anderes genießen. Gleich nebenan ruft ein uralter Urwaldriese förmlich danach, mit Seilen oder einer anderen schonenden Treppen- und Terrassenkonstruktion erobert zu werden. Auf diesen Blick aus der Vogelperspektive freuen wir uns schon heute.

Dabei und bei den geplanten Wanderungen durch den Regenwald werden wir dann neben den mitunter ohrenbetäubenden Geräuschen des Waldes, einer ungeahnten Vielfalt von blühenden Bäumen und Sträuchern und den darin lebenden Vögeln und Insekten auch feststellen, dass die Erschließung der Region nicht immer so behutsam erfolgte, wie das derzeit hier passiert. Seit den Tagen der britischen Kolonialverwaltung bis in die jüngere Vergangenheit wurde hier erbarmungslos gerodet. Viele Hänge in der Ferne präsentieren sich kahl. Sie sind zwar meist grün, jedoch fehlen die Bäume! Soweit mir bekannt gibt es hier kaum noch relevanten Holzeinschlag, dafür aber durchaus Aufforstungen. Es scheint also ein Umdenken und das entsprechende Handeln einzusetzen.

Natürlich ist es immer wieder ein toller Anblick, wenn man aus dem Wald herausradelt und einen dieses unvergleichliche Grün der Teesträucher an den Hängen der Berge empfängt. Das hat schon etwas und ist durchaus mit dem Grün der von Menschenhand errichteten Reisterrassen auf Bali oder anderswo in Asien zu vergleichen. Allerdings sieht man wegen der fehlenden Bäume durchaus Spuren der Erosion. Zwischen dem Grün gibt es oft auch viele Brauntöne, man sieht – wie fast überall auf der Welt – Arbeiter, die massiv Pestizide ausbringen und rund um Munnar ist es mir leider noch nicht gelungen, eine Einladung in ein Tea Estate zwecks Führung sowohl durch die Plantagen, als auch die Fabriken zu erhalten. Schade eigentlich, denn es gibt viel zu sehen und auch beste Qualitäten grünen und schwarzen Tees zu genießen. Zum Glück darf man den Tee aber kaufen, was der wahre Teefreund sicher nicht unterlassen wird.

Mit angeboten werden in den lokalen Läden auch immer die gleich in der unmittelbaren Nachbarschaft angebauten Gewürze und Kaffee und selbstgeschöpfte Schokolade etc. Zumindest den Kaffee und die wichtigsten Gewürze der Region wie Kardamom und Pfeffer sehen wir garantiert schon während unserer Radtouren, und sei es zur Trocknung auf der Straße. Je nach Saison erleben wir die Blüte oder auch die Ernte, wobei letztere immer zu interessanten Gesprächen mit den Erzeugern oder den Pflückerinnen führt. Grund genug dafür gibt es, da wir ja in Deutschland, aber auch den benachbarten europäischen Regionen in Sachen Kardamom noch echte Entwicklungsländer sind, wir mit diesem wunderbaren Gewürz nur zu Weihnachten bzw. im Glühwein etwas anfangen können. Für das Auge, wie auch den Fotoapparat sind diese Kulturen nicht weniger lukrativ als der Tee. Inzwischen bieten viele Erzeuger auch Führungen an, wo wir neben den Hauptprodukten dann auch die ganze Vielfalt dessen, was wir von zu Hause nur aus dem Gewürzregal kennen, mal am Baum oder Strauch sehen bzw. als Wurzel in der Erde.

Tee, Kaffee und Gewürze prägen die Region der Western Ghats nicht nur optisch. Sie haben einen durchaus sichtbaren Wohlstand für die Menschen gebracht. Die meisten Arbeiter wohnen in zwar einfachen, aber herzeigbaren Häusern, viele fest angestellte Teepflückerinnen mit ihren Familien auch in Siedlungen, die zum Estate gehören. Wer über eine eigene Farm oder Plantage verfügt, zeigt dies wie früher die Briten für ihre Verwalter heute meist auch über seinen Wohnsitz.

Am Beispiel vom Kardamom sei hier mal eine aktuelle Kalkulation für das Frühjahr 2013 gegeben, ähnlich darstellbar für Tee, Kaffee, andere Gewürze und sicher auch für andere Anbaugebiete in Indien, wahrscheinlich auch weit darüber hinaus.

Der Strauch wird einmal angelegt und liefert nach etwa 3 Jahren für einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten, wie Tee, Kaffee und viele andere Gewürze auch, jährlich  eine Ernte, ca. 600 kg je acre (ca. 0,4 ha). Ein Erzeuger verkauft seine Rohware derzeit für ca. 750 Indische Rupien (knapp 10 EUR) pro Kilogramm, wovon er ca. 30% für seine laufenden Kosten benötigt. Jede Pflanzung wird im 3., spätestens 4. Jahr profitabel. Danach haben die Besitzer zunehmend schönere Häuser, größere Autos, können ihre Töchter gut verheiraten, heute eher noch (vorher) gut ausbilden und, nicht hoch genug einzuschätzen – sie haben relativ viel Freizeit.

Zum relativierenden Vergleich: Als „Großverwender“ musste ich kurz vor meiner Abreise Kardamom in Deutschland nachkaufen. Nach Preisvergleichen habe ich in einem in Deutschland als günstig geltenden Kaufland-Supermarkt in meiner Nähe im Gewürzregal eine Packung von 20g für 3,19 EUR aufgestöbert. Der hochgerechnete Kilopreis beträgt demnach 159,50 EUR.  Zur Erinnerung: Der einheimische Erzeuger ist bis zu unserem Gespräch über dieses Thema hoch zufrieden mit den von ihm erzielten knapp 10,- EUR/kg. Er, übrigens Joseys schon erwähnter Schwager seines Schwagers, hat im Anschluss sehr nachdenklich gewirkt in seinem Palästchen. Glücklich sah er nicht aus, obwohl er in seiner Region ein kleiner König ist.

Clevere Handelsleute haben schon vor Jahrhunderten den Wert der Gewürze weit über den vom Gold gestellt. Offensichtlich ist das schweigsame Gewürzmonopol, welches unter den dem Verbraucher bekannten verschiedenen Namen in Deutschland heute diese Luxusgüter vertreibt, in seiner Verschlagenheit den Traditionen seiner Vorfahren verpflichtet, ja es hat noch kräftig hinzu gelernt. Auch wenn es nicht  gesetzeswidrig und damit strafbar ist; die Regeln des Anstandes sind bei allen zu unterstellenden Kosten zwischen den beiden genannten Beträgen weit überschritten. Aber das hat den „ehrbaren Kaufmann“ zu Zeiten der Fugger und der Hanse nicht gestört und das stört ihn heute wohl noch viel weniger.

Da sitze ich hier im Paradies und komme so auf Gedanken….

Wohin Radfahren einen wie mich wohl noch so hinführen mag? Egal, morgen geht es erst einmal hinunter in die heiße Ebene der Tamilen. Die rackern redlich, besuchen inbrünstig ihre sagenhaften Tempel und haben ihre offensichtliche Freude am Leben. Reich werden sie dabei nicht – aber es scheint Schlimmeres zu geben.

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