Eine Wanderung im Kuttanad *

*(Kuttanad ist die von der Unesco als Weltnaturerbe geschützte, unter dem Meeresspiegel liegende Region landeinwärts rund um die Stadt Alleppey – die Reiskammer Keralas)

Da wir schon die Aussaat auf dem Reisfeld am vergangenen Dienstag verpasst hatten, hält es Josey am Freitag morgen nicht mehr aus. Er muss auf sein Reisfeld, um nach dem Fortgang der Arbeiten zu schauen. Nach dem Frühstück bietet er mir an, ihn dorthin zu Fuss zu begleiten. Gern willige ich ein, findet hier doch das reale Leben der Leute statt.

Gleich in der Nachbarschaft entdecke ich ein gut erhaltenes klassisches keralisches Bauernhaus mit Wohnbereich, Speicher und Stall, welches fast vollständig aus Holz  erbaut ist. Ein Kleinod, das ich bisher irgendwie nicht wahrgenommen hatte. An der Einmündung in einen der großen Kanäle wird auf einer kleinen Werft emsig an der Fertigstellung eines weiteren Hausbootes gearbeitet. Im Moment wird aber nur heftigst gestritten. Der Eigner ist auf dem Boot und offensichtlich ganz und gar nicht mit der Ausführung der Anstricharbeiten zufrieden. Die Arbeiter ihrerseits zeigen sich durchaus selbstbewusst. Es fliegen nicht nur laute Worte, es fliegen auch Pinsel.

Dann benötigen wir zur Querung des ca. 80 m breiten Hauptkanals zumindest einmal eine Fähre. Diese nähert sich uns sehr langsam in Form eines der schmalen Kanus, die hier noch in jeder Familie für die kurzen Wege im Dorf genutzt werden. Mir gegenüber sitzen zwei Frauen, die, da sie nicht schwimmen können, total verkrampft auf dem Querbrett des unruhigen Gefährts um ihr Leben fürchten. Obwohl sie durch ihre Verkrampfung die Unruhe des Kanus nur verstärken, erreichen wir letztlich doch sicher das andere Ufer.

Vorbei geht es binnen weniger Schritte an dem, was neben der hier durch Palmen und endlose Reisfelder geprägten Landschaft so typisch fuer Kerala ist – Bildung, genossenschaftlich betriebene Landwirtschaft und ein gut funktionierendes Gesundheitswesen. Wir passieren zwei Schulen, eine davon im Verbund mit einer wunderschönen neuen Kirche. Klar, Kerala ist der Unionsstaat mit dem höchsten Bildungsniveau Indiens und das spürt man noch in jedem Dorf.  Die vielen Kinder sind unglaublich konzentriert und eifrig bei der Sache. Viele von ihnen kommen aus einfachsten Verhältnissen und werden später wesentlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als ihre Eltern – dank ihrer Bildung.

In einem unscheinbaren, etwas heruntergekommen wirkenden Gebäude kehrt Josey kurz ein. Hinterher erfahre ich, dass es sich um die Filiale einer Genossenschaftsbank handelt, die vor allem dem Zweck dient, staatliche Subventionen für den Erwerb von Saatgut, Dünger etc. an die Farmer auszuzahlen und ihnen mit vergleichsweise günstigen Krediten für den Zeitraum bis zur nächsten Ernte finanziellen Spielraum zu ermöglichen.. Hierbei handelt es sich um eine Institution, die 1957 von der damals demokratisch an die Macht gewählten ersten kommunistischen Regierung im Zuge einer Agrarreform geschaffen wurde.

Zunächst wurde Landbesitz von über 15 acres = gut 6 ha enteignet und an die bis dahin besitzlosen Landarbeiter übergeben. Seit ihrem Start als selbständige Reisbauern werden durch diese Banken ausnahmslos alle Farmer unterstützt. Auch Josey, obwohl sein Großvater als ehemaliger Großgrundbesitzer de facto 98% seines damaligen Besitzes gegen eine gewisse Entschädigung abgeben musste. Heute teilen sich gut 300 Eigentümer in einem Trust das Feld – vor der Landreform waren es nur 6. Aufgrund der gestiegenen Betriebskosten kann eine Familie von den Einkünften aus dem Reisfeld allein heute nur noch sehr schwer leben. Lange Zeit war das aber gut möglich, weshalb die kommunistische Regierung auch über 50 Jahre Kerala regieren konnte – einmalig auf der Welt.

Auf dem schmalen Streifen zwischen Kanal und Reisfeld direkt hinter, oft auch auf den Deichen befinden sich die kleinen Häuser der Reisbauern, die wichtigsten Geschäfte, Räumlichkeiten für die medizinische Grundversorgung und Toddy-shops, was ich etwas später noch einmal aufgreife

Wir biegen vom Hauptdeich seitlich in Richtung Reisfelder ab und sofort wird das verheerende Ausmass der durch den Jahrhundertmonsun hervorgerufenen Überschwemmungen sichtbar. Obwohl die Deiche durch Sandsäcke überall künstlich erhöht wurden, konnten sie doch den Fluten nicht standhalten. Die meisten Häuser zeigen durch an den Aussenwänden eingetrocknetes Braun den Pegelstand an, der über mehr als zwei Monate hier herrschte. Oft ist es mehr als ein Meter, den die Gebäude unter Wasser standen. Es wirkt auf mich bedrückend. Zugleich beeindruckt mich aber die geradezu fröhliche Energie, mit der nun alle am Aufräumen, Reparieren und Neuaufbau sind. Von Resignation keine Spur, obwohl es keine staatlichen Hilfsprogramme, Zahlungen von Versicherungen oder ähnliches gibt!

Endlich sind wir am Reisfeld. Obwohl seit der Aussaat erst drei Tage vergangen sind, legt sich bereits ein deutlich erkennbarer grünlicher Flaum über das Feld. Der Farmer neben mir lächelt zufrieden. In etwa vier Monaten wird er wieder eine hoffentlich mindestens gute Ernte einfahren. Seinerseits ist alles getan. Nun sollte auch die Natur das Ihrige zum Gelingen beitragen. In der prallen Sonne des späten Vormittags kommt nun das Highlight des Tages für mich – die Barfuß-Durchwanderung des gut einen Kilometer langen Feldes durch den immens fruchtbaren und lebendigen Schlammboden. Meist sinken wir nur bis an die Knöchel, an einigen kleinen Rinnsalen aber auch schon mal bis fast an die Knie ein. Dieses Peeling für die Füße ist für mich immer wieder ein besonderer Genuss. Da kannst Du jede Wattwanderung vergessen, dieser feine lehmige Schlamm ist eine Qualität für sich. Alle meine Gäste haben die Möglichkeit, sich davon selbst zu überzeugen.

Dann geht es zurück. Wir kehren noch bei einem der vier Pumpenwärter des Feldes ein. Auch diese lebenswichtige Einrichtung für die Bewirtschaftung war über Wochen nicht verfügbar, läuft nun aber wieder wie ein Schweizer Uhrwerk.

Wenige Meter weiter zieht Josey mich in eine nicht sehr einladend wirkende Hütte. Ich ahne es, wir sind im Toddyshop. Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, auf einer der Bänke schläft ein Landarbeiter (wohl seinen Morgenrausch aus). Weitere strömen so kurz vor dem Mittag hier herein und fassen eine ca. 600ml Flasche mit dem milchigen Gebräu und ein Glas ab. Wir zumindest teilen uns eine Flasche und brauchen doch viel mehr Zeit als die Kollegen, die auf dem Weg an den Mittagstisch hier kurzen Prozess machen und meist nach einer Minute wieder verschwunden sind.

Dabei sollte man diesem Getränk ruhig etwas mehr Aufmerksamkeit widmen. Es hat es verdient. In den USA soll es im diesjährigen Weihnachtsgeschäft ein sehr erfolgreiches Kochbuch geben, in welchem ein Sternekoch, der letztes Jahr durch Kerala gereist ist, Rezepte unter Verwendung dieses vergorenen Palmsaftes entwickelt hat. Viele Deutsche haben in den vergangenen Wochen sicher wieder den noch jungen trüben Weinansatz namens Federweißer konsumiert. Vielleicht lässt sich Toddy noch am ehesten damit vergleichen. Nur ist der Geschmack, da es sich ja um den mehr oder weniger stark vergorenen Saft aus den oberen Trieben der Kokospalme handelt, natürlich sehr spezifisch durch die Kokosnote geprägt, ergänzt durch eine durchaus angenehme Säure. Wenn er länger als zwei Tage steht, wird er zunehmend klarer, der Alkoholgehalt steigt merklich, es bildet sich ein weißer Bodensatz – kurz, er wird zu einer echten Waffe! Obwohl wir uns die Flasche teilen, sind wir anschließend doch leicht benommen. Nicht übel, für 70 Rupien (weniger als einen Euro) machen sich so zwei erwachsene Kerle leicht beschwippst auf den Heimweg durch die Mittagsglut.

Mein Begleiter zieht es denn auch vor, anstelle des geplanten knapp einstündigen Rückmarsches auf eines der in kurzen Intervallen verkehrenden Linienboote zu warten. So können wir uns sogar noch vor dem Mittagessen von den Strapazen des Morgens mit einem kurzen Nickerchen erholen…

 

 

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