Familientreffen (2)

Ein kurzfristig zustande gekommener Termin mit einem Vertreter einer Behörde, die bei uns wohl Katasteramt heißt, zur Klärung offener Begrenzungsfragen zu seiner Gewürzfarm mitten im Dschungel nahe des Ortes Udumbanchola sowie ein schulfreier Tag nur für den Distrikt Alleppey führen dazu, dass wir nicht, wie ursprünglich geplant, bei der Reisaussaat dabei sind. Dafür machen wir uns am Montagmorgen auf in die Berge. Mit dabei sind Lisa und die beiden  Töchter, die diesen Ausflug zum Shopping in einigen Spezial-Läden mit (wegen geringfügiger Mängel) zurückgewiesener indischer Exportware nahe der tamilischen Grenze nutzen wollen, da es diese in den Backwaters nicht gibt.

Oben angekommen machen wir uns mit Josey sofort an den schweisstreibenden Aufstieg hinauf auf den Gipfel des Berges, wo irgendwo im Dickicht alte Grenzsteine existieren sollen. Hier gilt es auf weniger als einem Kilometer Wegstrecke fast genau 100 Höhenmeter zu überwinden. Dazu haben seine Arbeiter aus Nordindien seit meinem letzten Besuch im Mai eine geradezu unglaubliche Arbeit geleistet und einen bereits deutliche erkennbaren und mittels Steinmauern gesicherten Serpentinen – Pfad angelegt, auf dem künftig Jeeps die Pflückerinnen hoch und die geernteten Kardamom-Kapseln herunter transportieren können. Ich bin schwer beeindruckt ob der Leistung der schmächtigen Kerlchen, die diese nur mit Muskelkraft, Macheten, Spaten, Vorschlaghämmern und Brecheisen zustande gebracht haben.

Die aufwendige Suche im Gestrüpp bringt tatsächlich zwei Grenzsteine zu Tage. Josey ist sehr erleichtert, ist der befürchtete Streit mit den Nachbarn doch bereits im Vorfeld durch den Beamten in seinem Interesse ausgeräumt. Die entsprechenden Fakten sind nun amtlich protokolliert worden. Wieder einmal klingelt sein Mobiltelefon. Dran ist sein Schwager (2.Grades), der unten im Ort sein Auto gesehen hat und darauf besteht, dass wir unbedingt bei ihm vorbeischauen, auch wenn er mit seiner Frau noch kurz in die Kirche müsse.Obwohl wir eigentlich noch vor der Dunkelheit weiter wollten, folgen wir natürlich seiner Einladung auf einen Tee.

Es dämmert bereits, als wir uns bei ihm treffen. Umgehend erfahren wir, dass er und seine Frau heute ihren 24. Hochzeitstag begehen. Sie laden uns derart nachdrücklich ein, den Abend und die Nacht bei Ihnen zu verbringen, dass wir uns dem nicht entziehen können und einwilligen – unter der Bedingung, dass wir für das Abendessen aufkommen. Gesagt, getan. Da unsere Gastgeber gern chinesisch essen bzw. das, was man hier dafür hält, machen wir uns in die nahe gelegene Kleinstadt auf und holen aus ihrem Lieblingsrestaurant die beliebten Speisen. Unter uns – kein Chinese würde diese jemals als Spezialitäten seiner Heimat erkennen. Der gebratene Reis und die Nudeln gingen vielleicht noch durch, aber die Hühnchen- und Tofu-Gerichte sind schlichtweg gute indische Curries. Egal, wir haben unseren Spass und werden alle mehr als satt.

Ich erfahre jede Menge Interessantes aus der Familienhistorie, so mache Anekdote, und auch, dass beide regelrechte Schlitzohren sind, die uns zu gerne ein Kartenspiel angeboten hätten. „Leider“ rief zwischendurch ihre Tochter aus Bangalore an und warnte uns davor, einzuwilligen. Sie hätten schon so manchen regelrecht arm gespielt! Aha, also Glücksspiel findet hier im Familienverbund auch noch statt. Dabei haben beide das finanziell wirklich nicht nötig.

Sie hat sich über die Jahre aus vielfältigen Quellen eine umfangreiche Datenbank zum hier unverändert wichtigen Thema Eheanbahnung innerhalb der christlichen Gemeinde in ganz Kerala aufgebaut. Sie nutzt dabei geschickt die uralten Konventionen, wonach der Partner unbedingt aus dem christlichen Milieu stammen muss. Wann immer besorgte Eltern nach dem passenden Gatten für ihre heiratsfähige Tochter Ausschau halten, wird sie  konsultiert und hat in vielen Fällen für die gewünschte Verbindung sorgen können. Dies wird von den erleichterten Eltern beider Seiten oft mit erheblichen Provisionen honoriert, die sie für indische Verhältnisse geradezu unglaubliche Summen verdienen lässt. Und das oft mit wenigen Anrufen, für die sie nicht mal das Haus verlassen muss und auch sonst kaum Kosten hat. Ein echtes Schlitzohr halt! Ironie der Geschichte: Ihre eigene 22-jährige Tochter hat ihr klar zu verstehen gegeben, dass sie sich von ihr niemanden empfehlen lassen wird.

Er wiederum ist seit fast 30 Jahren im Gewürzgeschäft unterwegs und hat im Zuge des Umbaus des Hauses seiner inzwischen verstorbenen Eltern vor 2 Jahren auch in eine Trocknungsanlage für den frisch geernteten Kardamom investiert. Umgeben von Plantagenbesitzern hat er in der Gegend damit ein Monopol. Alle liefern sie die frische Ware bei ihm zu einem Satz von derzeit 10 Rupien pro Kilo zur Trocknung ab. Die Anlage ist lange amortisiert und die Betriebs- und Personalkosten sind  beinahe zu vernachlässigen. Eine echte Gelddruckmaschine! Und der Chef sitzt auf seiner schönen Terasse und geniesst den Blick auf die atemberaubende Bergwelt der Ghats.

Ich selbst habe auch noch mein Gutes, denn ich darf im Gästezimmer, welches von der Trocknungsanlage beheizt wird, die in den Bergen mitunter frische Nacht trotz weit geöffneten Fensters bei wohligen Temperaturen verbringen. Am Morgen einigen wir uns dann gleich noch auf  ein neues Geschäft. Wann immer wir mit kleinen Radfahrergruppen durch die Gegend kommen, machen wir für eine Nacht bei ihm halt. Das hilft uns, da wir eh zwischen zwei größeren Orten noch nach der passenden Unterkunft suchen. Noch dazu kann man hier den gesamten Weg von der kleinen Pflanze über die grünen Früchte bis hin zum fertigen Gewürz verfolgen. Die Anlage selbst ist für den interessierten Besucher eher unspektakulär, verströmt aber einen wunderbaren Kardamomduft. Und unser Gastgeber erschließt sich wieder einmal eine weitere Einkommensquelle, ohne gross etwas dafür tun zu müssen. Win-win nennt man das wohl auf Neudeutsch, unterstrichen durch ein breites Grinsen bei ihm und bei uns.

Bereits in zwei Wochen werde ich erstmals auf dieser Basis bei ihnen vorbeischauen. Ich sehe schon das Leuchten in den Augen meiner Gäste…  Schön, dass es die Familie gibt!

 

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