Nepal im Mai

Spätestens nach Ostern beginnt auf dem indischen Subkontinent die heiße Vor-Monsun-Zeit. In den 1980-er Jahren durften unsere Kinder dann immer dem schwitzenden Delhi in Richtung Süd-Himalaya ins angenehm luftige Nainital entfliehen. Letztes Jahr noch wollte ich mir selbst beweisen, was für ein toller Typ ich noch immer bin. Im April bei 42 Grad im Schatten saß ich dann in Tamil Nadu auf dem Sattel meines wohl alles ertragenden Blechrosses. Ich habe es überlebt, wiederholen werde ich es nicht.

Aber was machen mit der zur Verfügung stehenden Zeit? Ende März, ich stehe an meinem Stand auf der VELO Berlin unterm Funkturm, habe einige sehr inspirierende Gespräche zum Radeln in Indien und Besuch von lieben Weggefährten aus alten und ganz alten Tagen. Da fragt mein Freund Pasang Sherpa aus Kathmandu per mail an, ob ich denn nicht endlich mal meine lange gegebene Zusage für den Besuch in seinem Heimatdorf einlösen möchte. Das klingt, da ich zu der Zeit echt Luft habe, mehr als verlockend.

Kathmandu, Anfang Mai 2014

Ein kurzes Durchschnaufen nach der gut eintägigen Anreise – und wir treffen uns am frühen Abend ganz in der Nähe meines Hotels in Thamel, dem touristischen Herzen der Altstadt, mit Pasang in einem sicher nur Einheimischen geläufigen Lokal. Was liegt näher, als sofort das erste typisch nepalische Essen, ein Chiura set non-veg. zu genießen. Chiura sind Reisflocken, unseren Haferflocken optisch und geschmacklich zum verwechseln ähnlich. Sie thronen als Pyramide in der Mitte des Tellers. Darum gruppieren sich optisch nett in Szene gesetzt fünf überschaubare Portionen, die mit den Flocken kombiniert, sehr differenzierte Geschmackserlebnisse erzeugen. Drei sind warm – einmal scharf angebratene Büffelfleisch-Würfel, dann ein Kartoffel-Curry und ein beidseitig gebratenes Spiegelei. Der Clou für mich sind die beiden kalt servierten Erdnuss-Portionen, eine mit Limone und Chilli, die zweite mit Ingwer und Knoblauch abgestimmt. Im Ergebnis eine Explosion exotischer Aromen und satter wird man von Minute zu Minute.  Dazu ein großes Everest-Bier für einen jeden von uns beiden. Ich zahle (für beide!) den unglaublichen Betrag von 760,- nepalischen Rupien, was ca. 5 EUR ausmacht. Na dann – Gute Nacht!

Der nächste Tag ist das eigentliche entspannte Ankommen in der Hauptstadt, die sicher Peking, Hanoi und anderen asiatischen Metropolen in der Luftverschmutzung um nichts nach steht –  leider. Also bleibe ich meist im Hotel. Los geht es mit dem noch immer sehr empfehlenswerten Frühstücksbuffet und dem in Kathmandu selten sonst so guten Kaffee. Draußen am Tisch lerne ich Phil kennen, einen Engländer, der als Geologe und Bergbau-Ingenieur schon so manches Projekt, in der letzten Zeit oft den Bau von Strassen in Asien und speziell hier in Nepal begleitet hat. Er ist gerade von einer 3-Wochen-Tour ohne Begleitung durch Helambu und das Langtang-Massiv zurück und sichtlich stolz darauf, dass er das alles auch alleine geschafft hat.

Neben allen möglichen anderen Aspekten kommen wir auf unser unterschiedliches Herangehen zu sprechen. Klar könnte auch ich viele Treks ohne meinen nepalesischen Freund gehen. Aber will ich das? Neben dem für uns alle überwältigenden Erlebnis der nahen Himalaya-Riesen geht es mir doch, getreu dem Motto meiner Firma „Indien Erfahren“ um das Erleben des Landes, um das Zusammensein mit den Einheimischen. Und der Schlüssel hierfür ist in Nepal mein Freund Pasang Sherpa. Den kennen sie alle in jedem Nest, wo immer wir absteigen. Sogleich sind wir bei der Familie, sitzen in der Küche bei einem ersten Tee oder beim Dhal Bhaat. Meist bei beidem. Es ist für die Einheimischen wohl der unverzichtbare Ritus. Und ich bin immer dabei. Darauf verzichtest Du als Individual-Trekker. Oder wie ich eben nicht. Phil hat mir einige interessante Gedanken vermittelt. Mehr noch scheine ich ihn jedoch nachdenklich gemacht zu haben. Er will, bei all seiner Erfahrung, seinen nächsten Gang um den Manaslu jedenfalls in Begleitung eines Einheimischen planen. Und er wird es genießen und viele neue Eindrücke mit nach England nehmen.

Später klären wir den groben Ablauf für die nächsten 30 Tage. Pasang übernimmt für mich die üblichen „lästigen“ Themen wie TIMS-Card, Genehmigungen für dies und das, meine Bus-Tickets etc. Für mich bleibt das Packen meines Rucksackes für die nächsten knapp 3 Wochen. Der Schlafsack ist bei 7 Nächten in Höhen von mehr als 3.500 Metern gesetzt. Zur Kleidung habe ich Pasangs Empfehlung im Ohr. Sie deckt sich erstaunlich mit der, die ich meinen Radfahrgästen immer mit auf den Weg gebe. Hier wie dort ist sie eine minimalistische, die in der Praxis dann gern zumindest gedoppelt wird. Nur – das Mehrgepäck meiner Radler landet im Begleitfahrzeug, meines trage ich den gesamten Weg auf meinen Schultern! Egal, am Ende sind es dann 12 kg, die ich mit mir vereinbare. Hinzu kommen die Fotoausrüstung und das Wasser. Ich bin ja schließlich – nicht nur – zum Spaß hier!

Busfahrt 

Wir wollen aus dem stickigen Kathmandu schnellstmöglich an den luftigen Ausgangspunkt für unsere erste Trekking-Etappe. Er nennt sich Shyapru Besi und ist ca. 130 km von Kathmandu entfernt. Die Chinesen haben unlängst zugesagt, von Tibet aus einen neuen Highway, wohl den ersten, der diesen Namen in Nepal auch verdient, zu bauen. Das könnte dann, mit allen sich daraus ergebenden Folgen, die wichtigste Straßenverbindung zwischen Tibet und Nepal, wenn man es größer, quasi mit den Augen der Chinesen sieht, zwischen dem Reich der Mitte und dem Indischen Subkontinent werden. Noch aber sind wir nicht so weit. Zum Glück auch. Wir sind geplante 8-10 spannende Stunden unterwegs, wofür man vielleicht in wenigen Jahren wie in den „fortschrittlichen“ Staaten dann nur noch zwei benötigen wird. Bleibt die Frage, ob das dann nur wegen des Zeitgewinns wirklich ein Fortschritt sein wird. Möge es jeder für sich beantworten.

Da ich nicht in Eile bin und mich schon auf dem Weg in die Berge auf den Kontakt mit den Einheimischen freue, wählen wir natürlich den „local bus“. Dieser wird an jeder Stelle halten, wo er dazu aufgefordert wird und alles und jeden mitnehmen, wozu er in der Lage ist. Klar gibt es auch verschiedene andere Möglichkeiten, dem Schmutz und der Hitze Kathmandus zu entfliehen.

Viele Inder und Russen bevorzugen in der zunehmenden Hitze der Nachsaison den Helikopter. Das ist zwar ökologisch und finanziell pervers, aber jucken tun sie die paar Tausend US-Dollar pro Flugstunde nicht. Und allein, dies zeigen zu können, verschafft ihnen offensichtlich eine derartige Befriedigung, dass sie mir schon deswegen Leid tun.

Zwischen den beiden beschriebenen Enden der Skala gibt es in dem auf Tourismus ausgerichteten Nepal 2014 ein beachtliches Spektrum für westliche Börsen bezahlbarer Alternativen. Viele bevorzugen allrad-getriebene Jeeps. In der Abstufung zum „local bus“ folgen verschiedene Modelle der auch in Kathmandu operierenden Kleinbusse von Toyota und anderen asiatischen Herstellern. Und dann gibt es weitere robuste indische TATA-Busse, die als Express-Variante aber nur unwesentlich schneller sind, als wir in unserem Gebirgs-Kamel.

Die Fahrt selbst gäbe sicher Stoff für mehr als ein Buch. Alle geläufigen Klischees wären leicht zu bedienen. Also bescheide ich mich auf einige den westlichen Fahrgast immer wieder beeindruckende Momente. Beim morgendlichen Einsteigen an der Ringstraße von Kathmandu stutze ich kurz. Obwohl erfahren im Gebrauch lokaler Transportmittel bin ich überrascht, dass im Gang des noch leeren Busses bis auf die reguläre Sitzhöhe Reissäcke gestapelt sind. Um zu unseren Plätzen zu gelangen hangeln wir also über dieses kostbare Gut für die Bergregionen, ohne es zu sehr zu belasten. Der untere Laderaum ist natürlich ebenfalls bereits mehr als gut gefüllt mit diversen weiter oben in der Landschaft benötigten Gütern. Im Verlauf der Tour gibt es über den gesamten Tag hinweg eine reges Ein- und Ausladen von Säcken, Tonnen, Kisten und lebendem Vieh, meist Hühnern oder Ziegen. Was auf dem stets gut besetzten Dach des Busses an Warenumschlag erfolgt, kann ich nur erahnen. Es ist gewiss nicht unerheblich, gemessen an den Standzeiten, die wir hier und dort haben.

Vor und nach den bekannten Polizei-Kontrollstellen – allein auf unserer heutigen Strecke sind es deren 7 – ist es immer besonders unruhig im und auf dem Bus, da ja offiziell keiner auf dem Dach befördert werden darf und auch im Gastraum irgendwelche Regeln zu herrschen scheinen. Jedenfalls steigen immer ganze Dorfverbände vom oder aus dem Bus, wandern an der Kontrollstelle vorbei und springen hinter der nächsten Kurve wieder auf das Gefährt. So ist dem Gesetz genüge getan und die Polizisten, die es ohne Uniform genauso handhaben,  haben nichts zu beanstanden. Alle kommen samt ihrer Bagage dorthin, wo sie es wollen.

Die Straße selbst ist besser als von mir befürchtet. Diese hier ist oft sogar erstaunlich gut asphaltiert. Lediglich an 2-3 Stellen ist sie nach Erdrutschen jeweils über mehrere hundert Meter nur mit viel gutem Willen eben noch als Piste, mitnichten aber als Straße in unserem Sinne erkennbar. Nach dem Beseitigen der größten Brocken und dem Auffüllen der schlimmsten Löcher ist sie zumindest passierbar. Also wird gefahren. Da ich einen Fensterplatz links habe eröffnen sich mir an einigen Stellen im umfassendsten Sinne Blicke in den Abgrund. Da gleichzeitig die Jungs vom Schaffner-Team wie kleine Äffchen bei rumpelnder Fahrt außen am Fenster vorbei kraxeln, scheint zumindest aus ihrer Sicht alles im grünen Bereich zu sein. Und ja, viele Einheimische verschlafen große Teile dieser atemberaubendenTour einfach.

Als wir nach der Distrikt-Hauptstadt Dhunche auf den letzten 15 km nochmals gut 800 Höhenmeter abgeben und wieder das Flussbett des Trishuli Nadi erreichen, fallen mir wieder die Worte von Phil zur Straßenführung in Nepal ein. Wann immer ausländische, meist chinesische, britische und einheimische Spezialisten bei der Erschließung neuer Routen über die optimale Wegführung beraten, gebe es ein seltsam anmutendes Szenario. Zunächst seien es die Ingenieure, die die fachlich sinnvollste und auch kostentechnisch plausibelste Route, die meist entlang von Flüssen in deren Tälern verläuft, erarbeiten und den lokalen und zentralen Entscheidungsträgern vorlegen. Diese Vorschläge seien noch in keinem einzigen Fall so umgesetzt worden, weil die Anwohner meist auf den Bergen wohnen und durch ihre Vertreter immer auch die Anbindung der Siedlungen an die Busnetze durchgesetzt haben. Daher quälen sich die Busse oft über abenteuerliche Pässe in luftiger Höhe, um dann an zentralen Punkten wieder in den Tälern zu enden und von dort erneut in die Wolken aufzubrechen und immer so weiter. Also, viel erlebt heute und einiges gelernt noch dazu, auch wenn die Kontakte zu den Einheimischen während der Reise eher sporadisch bleiben. Egal, endlich kann es losgehen mit dem Trek hinauf in die Bergwelt des Himalaya und den hier lebenden Menschen. Mehr dazu in den folgenden Geschichten zu den einzelnen Trekking-Etappen.

 

 

 

 

 

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