Gosain Kund und Helambu

Gosain was? Helambu – nie gehört? Schade, denn es sind wunderbare Orte und Landschaften, die jede/r im Rahmen des Langtang-Treks nördlich von Kathmandu unbedingt sehen sollte. Denen, die schon dort waren, lassen sie ob ihrer einzigartigen Schönheit das Herz übergehen – mindestens. Die Mehrzahl der Langtang-Trekker aber ignoriert diesen Teil der Strecke – leider oder wohl doch zum Glück, denke ich so bei mir.

Nach dem Abzweig, der die meisten wieder hinunter nach Shyapru Besi und zurück nach Kathmandu führt, wird es auf dem von uns gewählten Pfad erneut total still, zumindest was den Zivilisationslärm angeht. Sofort aber sind wieder Languren im Bambus und all die Vögel sind viel zutraulicher. Ausländer treffen wir ab sofort keine mehr und auch die Einheimischen machen sich mehr als rar. Uns soll es recht sein. Wir wollen ins bereits vom gegenüberliegenden Hang gesichtete, wunderbar an den Berg geschmiegte  Thulo Shyapru. Dies ist der Hauptort der Tamang hier oben. Vor nicht langer Zeit, erfahre ich von Pasang, hatten auch maoistische Separatisten hier eine wichtige Kampfbasis, einschließlich einer seiner Schwestern. Den König haben sie erfolgreich verjagt. Jetzt herrscht wieder Frieden in den Bergen. So können wir also entspannt aufsteigen.

Die Entspannung jedoch, sie ist nach wenigen Metern vorbei, geht es nun doch, zumindest für mich,viel zu steil nach oben. Diesem grenzwertigen Anstieg musste aber sichtbar auch die Natur Tribut zollen. Wir laufen über mehrere großflächige Abgänge von Hängen, wofür sie in Europa gleich wieder Katastrophen-Szenarien entwickelt hätten. Da hier zum Glück niemand wohnt und mit seinem Eigentum davon betroffen ist, nimmt die Außenwelt davon keine Kenntnis. Nur der Wanderer überwindet in wachsender Ehrfurcht vor der Allmacht der Natur die eine oder andere Passage, von der er noch nicht weiß, ob sie sich gleich weiter hangabwärts verabschiedet oder doch noch, zumindest für den Moment unseres Passierens, am Ort verharrt.

Mit jedem Schritt, den wir Thulo Shyapru nach einer spektakulären Hängebrücke näher kommen, bemerke ich eine aufkommende Schwäche in mir. Da ich mit so etwas aus früheren Langstrecken-Events – leider -Erfahrung habe, weiß ich, dass ich in einen veritablen Hungerast laufe. Die letzten 500 wirklich steilen Meter im Dorf hinauf zum Hotel bewältige ich „in der Drehzahl“ stark reduziert und konzentriert. Nur dank meiner Erfahrung und Willenskraft schaffe ich es bis zur Terrasse, wo kurz darauf unser Lunch serviert wird. Zum Glück also „gehen die Lichter nicht aus“ und nach der stärkenden Nudelsuppe ist ganz schnell wieder alles im grünen Bereich. Umso mehr genieße ich die hier  unvermutete Wärme und die herrliche Aussicht von der Dachterrasse. Ich bin ein Held – mindestens! Dieses auch „Runners High“ genannte Gefühl, was sich sonst immer im Ziel von Marathons oder anderen Unvernünftigkeiten einstellt, zu spüren – es tut so gut und lässt mich alle temporären Schmerzen vergessen.

Gut so, denn der kommende Tag hält einen der spektakulärsten Abschnitte parat. Es geht immer nur bergauf und nach knapp 2.000 ausschließlich nach oben zu bewältigenden Höhenmetern wartet dann auf knapp 4.000 Metern in Laurebina eine windumtoste Herberge auf uns. Diese aber kann, wenn die Wolken es denn zulassen, Aussichten gestatten, wie sie viele wohl nur einmal im Leben, und dann eben hier erleben. Wir erleben sie, und wie! Am Nachmittag in etwas verschleierter Form noch. Aber am nächsten Morgen aus dem von mir als Erstankömmling bezogenen Raum 15 (Die!!! Empfehlung des „Lonely Planet“) habe ich vom Kissen aus den perfekten, komplett wolkenfreien Ausblick meines Lebens auf die Bergwelt des Himalaya. Worte können diese positiven Emotionen nicht wiedergeben, zumindest ich kann es nicht. Es ist schlicht zu überwältigend!

Und zwischendurch gab es am Abend noch ein Gewitter im Tal unter uns. Die Blitze waren gewaltig, wie auch der dazu gehörende Lärmpegel. Aber alles spielte sich weit unter uns ab, echt spektakulär, da wir ja nur Beobachter von oben waren. Unglaublich! Da muss ich so alt werden, um so etwas mal zu erleben. Schön, dass ich mich auf diesen beschwerlichen Weg gemacht habe.

Unten im Ort begegnen wir am Morgen vor dem Aufstieg einem freundlich grüßenden Wanderer, der sich, deutsch sprechend, von seiner Partnerin verabschiedet. Gegen Mittag treffen wir ihn kurz vor dem Tagesziel auf einer sonnigen Passhöhe bei einer Brotzeit in Chyolangpati wieder. Da ich wieder bestens bei Kräften bin und „nur“ einen Tee schlürfe, nutze ich die Zeit und gehe auf ihn zu. Simon heißt er, ist aus dem Salzburger Land (aha, schon wieder einer!) und auf dem gleichen Weg wie wir. Durch unseren kürzeren „Boxenstopp“ nehme ich ihm unbewusst sein Traumzimmer Nr. 15 in der Herberge. Sorry Simon!

Auf dem Wege vorher machen wir so etwa auf halber Strecke Rast. Die Wirtin taxiert uns lange. Dann sitzen wir gemeinsam beim Tee und sie vertraut Pasang ihren 12-jährigen Sohn an, der einen Schimmel genau an den Ort überführen soll, wohin auch wir heute wollen. Ein heller Bursche, der nicht nur mit Pferden umgehen kann, sondern auch ein wenig Englisch spricht. Auf meine Frage, warum er denn  nicht in der Schule sei, schaut er mich verständnislos an. Alle Erwachsenen wollten ihn in die Schule bringen. Er habe schon mit seinen Eltern genug Stress deswegen gehabt. Die hätten inzwischen eingesehen, dass er hier in den Bergen mit den Pferden besser aufgehoben sei.

Oben in der Herberge wartet schon ein Cousin von ihm, erst 10 Jahre alt, mit der gleichen Auffassung. Beide machen sich in der Küche ungefragt und fast unbemerkt sehr hilfreich nützlich. Später versorgen sie die Pferde, helfen irgendwo sonst noch und sind überall willkommen. Und selbst sind sie offensichtlich mit sich im Reinen. Was willst Du da als Gast sagen? Sie sind glücklich und sehnen sich mit Sicherheit nicht nach der Schule. Möge es so bleiben, auch wenn sie älter werden. Alle können ja auch im Westen nicht auf die Uni. Aber beschäftigen tut es mich mehr, als ich möchte. Allein, ich habe es zu akzeptieren.

Tage später wieder in Kathmandu werde ich Chandra und Suresh kennen lernen, zwei tolle Typen, einstmals Trekking Guides und heute in von den UN finanzierten Bildungsprojekten engagierte Manager. Von ihnen erfahre ich, dass trotz aller Anstrengungen auch in 2014 in Nepal nur 44% aller schulpflichtigen Kinder diese trotz aller Angebote und Bemühungen auch besuchen. Ich habe keinen Grund, an ihrer Aussage zu zweifeln. Das ist irgendwie bedrückend, denn für die junge Generation, egal ob in der Stadt oder auf dem Lande lebend ist die bessere Bildung ihre Versicherung für die späteren Tage. Die Zahlen werden sicher in wenigen Jahren ganz andere, noch bessere sein. Aber das Leben ist, wie es ist. Und zum Glück verbessert es sich gerade auf dem Lande in Nepal derzeit enorm. Von daher bin ich dankbar für diesen, wieder einmal authentischen Einblick und habe keinen Zweifel, dass das Bild bei künftigen Besuchen schon ein ganz anderes sein wird.

Zurück in die Berge. Wir sind  also angekommen in Laurebina. Ich möchte mich selbst und falls möglich auch meine Wäsche waschen. Der Verwalter zeigt auf meine Frage nach heißem Wasser auf einen von irgendwo aus den höheren Bergen kommenden Schlauch. Den in der Auslage ausgewiesenen erheblichen Preis für solar aufgeheiztes warmes Wasser könnte ich sparen, wenn ich es ihm gleich täte und das von der Sonne am Nachmittag angenehm erwärmte Wasser aus dem Schlauch nutzen würde. Gesagt und getan! Nachmittags ist es eine Wonne, die ich zur ausgiebigen Dusche – naja! – in der Wildnis nutze, trotz des Windes, der das Wasser auf der Haut gleich wieder zur eiskalten Herausforderung verwandelt. Das ist nichts jedoch gegen das Zähneputzen abends und am kommenden Morgen, wo das Wasser gefühlt gewürfelt aus dem Schlauch tritt.

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So gereinigt und neben den irritierend schönen Ausblicken aus dem Bett nun auch noch mit dem obligatorischen tibetanischen Frühstück gestärkt, ist der morgendliche Aufstieg nach Gosainkund irgendwie zu kurz. Trotz einiger Pausen für Fotos und anderes sind wir nach weniger als drei Stunden an diesem atemberaubenden, eigentlich doch unwirtlichen Ort. Zwischendurch laben wir uns an herrlich frischen wilden Erdbeeren, die jetzt gerade verschwenderisch am Wegesrand warten. Zweimal stört ein Helikopter die Ruhe. Später erfahren wir, dass es zum Glück keinen Notfall hier oben gab, oder doch? Es war ein reicher Inder, der sich nach einer Nacht hier oben mit seinem Anhang abholen ließ. Wohl eher ein sehr armer reicher Inder denke ich so bei mir.

Simon und zwei andere etwas schräge amerikanische Typen sind schon vor uns da. Ich treffe sie wenig später oberhalb des Ortes, wo wir einige nette Fotos von diesem sowohl für Hindus als auch für Buddhisten heiligen Ort machen. Die Hindus, so erzählen mir am Nachmittag witzelnd die einheimischen Tamang, Nachfahren der Mongolen, würden sich nur an drei Tagen im Jahr zu diesem auch für sie heiligen Ort begeben. Sonst seien sie dafür wohl wegen des überaus rauen Klimas nicht geeignet. Sie grinsen sich eins und ich kann nachvollziehen, warum…

Dabei gilt der Ort gerade für Hindus als heilig. In dem  den Ort prägenden und Namen gebenden Haupt-See Gosain Kund vermuten sie das Haupt Shivas. Es gibt auch eine schöne Geschichte dazu, nachzulesen für den westlichen Reisenden in vielen guten Reisenführern. Bei all dem Spott, hier der von den buddhistischen Tamang, begegne ich aber wieder einmal einer faszinierenden Mischung religiösen Brauchtums. Sie machen sich wohl lustig über ihre hinduistischen Brüder, aber sie respektieren sie. Vor dem Gosain Kund See finden sich bei einer buddhistischen Stupa auch der Dreizack Krishnas und andere typisch hinduistische Zeichen. Sie werden selbstverständlich von den Einheimischen geachtet. Tiefer unten auf dem Subkontinent habe ich mitunter über die vermeintliche Vermischung hinduistischen und christlichen Brauchtums gestutzt, wie dem für Hindus typischen, dort aber auch von Christen praktizierten reinigenden Bad auf den Stufen regionaler Flüsse oder der Rasur der Jüngsten in der Familie, was ich als Getaufter aus Europa so nicht kannte.

Kurz darauf, es ist Ende Mai und auch hier fast Hochsommer, gehe ich mutig in meine sicher kälteste Nacht. Der Abend in der Herberge ist wegen eines angetrunkenen Guides, der seine beiden holländischen Studentinnen peinlich anzumachen versucht, und eines mehr als nervigen israelischen Paares nicht gerade die Offenbarung. Nicht schön zwar, aber interessant allemal, wie das Geschäft hier so läuft. Die Gastgeber erscheinen geduldig und haben aus dem Geschehen wohl keinen Nachteil.

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Für morgens 7:00 Uhr haben wir uns mit Simon, dem seine beiden temporären Begleiter wegen gesundheitlicher oder anderer nicht so eindeutig kommunizierter Themen abhanden kamen, zum gemeinsamen Weitermarsch in Richtung Ghopte über den höchsten Punkt des Trails verabredet. Wir sind pünktlich, er ist noch pünktlicher. Auch ihm war wohl recht kalt in der vergangenen Nacht. Wer ist hier eigentlich der Preuße? Ich denke es nur und behalte es für mich. Zu schön sind die folgenden Stunden zunächst des Aufs ins Hochgebirge und anschließend des Auf und Ab durch Rhododendren-Wälder und andere Wildnis, von Pasang wieder einmal nur Jungle genannt. Hier muss und wird er, da er unseren künftigen Gästen genügen will , einiges nachlesen und seine Kompetenz auch in diesen Fragen deutlich verbessern.

Nach kurzem Stopp auf dem höchsten Punkt des Tages bei Surya Kund (4.610 m) sind wir schnell in Phedi. Neben dem obligatorischen Tee-Stopp sind es die Trümmer eines 1992 hier gegen den Fels geprallten Jets der Thai Airways, die uns hier in den Bann ziehen. Als Vielflieger kommen einem an diesem Ort so seltsame Gedanken, wie der, wann man selbst wohl mal dran sei? Die Pause fällt kürzer aus als sonst und schnell geht es weiter.

Wir wandern anschließend noch mehrere Stunden, ohne noch wesentlich an Höhe zu verlieren. Aber die Natur verändert sich, sie wird deutlich grüner. Es sind zunächst die phantastischen Rhododendren-Wälder, durch die wir wieder einmal gehen. Später kommen die Himalaya-Kiefern, verschiedene Bambus-Arten und Wacholder-Bäume ganz erheblicher Größe hinzu. Und im unteren, kleineren Bereich vieles andere mehr. Im Ergebnis ergibt all dies, besonders beim Blick in die Täler eine bisher so nicht wahrzunehmende alpine Stimmung von Hochalmen, umsäumt von grünen Wäldern. Die bisher prägenden Terassenfelder sind heute nicht sichtbar. Ein seltsam berührender Tag.

In Ghopte (3.430 m) landen wir in einem herrlich einfachen Guest House schon mitten in den Nachsaison Blues. Die so sympathisch einfachen, wie geschäftstüchtigen Gastgeber verpacken draußen schon Pflanzen und anderes und hämmern den ganzen Nachmittag an der Süd- und der Westseite der Herberge herum. Genau von hier wird in den nächsten Tagen der Monsun mit aller Macht aufschlagen und für die folgenden drei Monate jedes Geschäft zum Erliegen bringen.

Auf dem Wege habe ich einen sehr inspirierenden Gedankenaustausch mit Simon. Der Typ ist erst 25 Jahre alt, trägt aber schon eine Lebensklugheit, ja Weisheit in sich, die ich selbst erst viel später erworben habe. Chapeau! Hoffentlich habe ich ihn nicht zu sehr zugetextet während unserer mehrstündigen Wanderung? Lustiger Weise stellen wir irgendwann fest, dass das Alter von Simon und Pasang in der Summe genau das meinige ergibt. Vielleicht harmonieren wir deshalb so gut?

Später dann treffen in der Herberge noch einige relativ junge Israelis und ein 3er-Trupp nepalesischer WWF-Mitarbeiter ein. Die Israelis erweisen sich erneut als recht unsensibel und egoistisch. Sie bestehen ohne jeden Kompromiss auf ihre ja auch von uns anderen durchaus akzeptierten Regeln der Lebensmittelzubereitung. Das ist fast immer machbar und wird von den Einheimischen ermöglicht, selbst wenn sie es nicht nachvollziehen können.Warum aber, so frage ich mich, sind selbst junge Menschen, die sich ob der angebotenen Gastfreundschaft doch dankbar zeigen sollten, nur so intolerant? Offensichtlich hängt das mit Dingen in ihrem Land zusammen, die wir nicht bewerten können. Auch von den überaus gastfreundlichen Nepalis, so wurde es mir vielfach bestätigt, werden sie als rechthaberisch und arrogant wahrgenommen. Oft wird ihnen der Zutritt aufgrund vorangegangener Erfahrungen verwehrt. Schade für beide Seiten!

Dafür lerne ich die Ursprünglichkeit der wohl gebildeten, aber doch noch herrlich authentischen nepalesischen Regierungsreisenden im Verschlag gleich neben dem meinem akustisch so etwas von kennen, dass ich es nicht im Detail beschreiben werde. Abends habe ich den Vorsprung des nicht genossenen „local wine“, der mich ruhig einschlafen lässt. In der Nacht poltern sie angetrunken auf dem Weg zur benötigten Toilette herum. Morgens ab etwa 4:00 Uhr werden sie wach und lassen daran auch alle anderen in ihrer Umgebung ungerührt in der Lautstärke deutscher Autobahnen teilhaben. Alle Geräusche und Ausdünstungen ihres Körpers teilen sich der nur durch ein dünnes Brett geteilten Umgebung mit.

Als ich „Langschläfer“ kurz nach 6:00 Uhr im Gemeinschaftsraum zum Frühstück erscheine, brechen die 3 Nepalis gerade auf. An der Wand haben sie diverse Poster des WWF hinterlassen. Gut eigentlich, wäre dem nicht eine bis gerade noch hängende Deutschland-Fahne einer früheren Truppe zum Opfer gefallen. Aber so ist das halt draußen in der Wildnis… Wir kommen ja zurück und werden dann unsererseits für Korrekturen sorgen ;).

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Der Weitermarsch nach Thadepati Banjyang ist eines der tollsten Naturerlebnisse auf dem Wege, wenn man denn die Augen dafür hat. Aufgrund der Höhe durchwandern wir hier noch blühende Rhododendren-Wälder, um dann tiefer in den ewigen Nebelwald mit seinen stark bemosten Kiefern und Hunderten von Orchideen und Pilzen an den Baumstämmen herab zu steigen.

Simon verabschiedet sich hier von uns. Wir bestellen einen Tee. Da wir uns hier auf dem Bergkamm befinden und von den aufsteigenden Wolken gerade richtig eingepackt werden, frage ich Pasang, was er vom weiteren Abstieg ins nächste Dorf halte. Hier oben ist es doch eher abweisend. Er willigt ein, und so folgen wir Simon mit ca. 30 min. Rückstand auf einem traumhaften Abstieg ins Tal. Entgegen kommt uns niemand und auch auf dem Weg nach unten werden wir erst kurz vor unserem neuen Ziel Melamchigaon von Trägern an die Seite gebeten.

Nun wäre es möglich, unseren auf 18 Tage ausgelegten Trek um einen Tag zu verkürzen. Den gewonnenen Tag möchte ich gern in den folgenden „Indigenous Peoples Trail“ investieren. Nach kurzem Nachdenken willigt Pasang ein. Nur müssten wir dann am darauf folgenden Tag eine etwas weitere Etappe bis Sermathang marschieren. Da das kein Problem sein sollte verständigen wir uns darauf.

Auf dem weiteren Weg liegt unvermittelt eine Schafherde. Seitlich erblicken wir den Schäfer, der soeben ein Schaf mit einer Handschere von seiner Wolle befreit. Ich, der ich noch TV-Bilder von wilden Wettbewerben in Neuseeland im Kopf habe, frage ihn, wie lange er denn für ein Schaf benötige. Etwa eine Stunde, so seine Antwort. Pro Schaf ernte er knapp ein Kilogramm Wolle. An besseren Tagen erhalte er dafür vielleicht 250 ,- nepalesische Rupien, also etwa 2,- Euro. Das alles sei zwar mühsam, ja, aber für ihn immer noch lukrativ!

Über eine abermals beeindruckend wiegende Hängebrücke nähern wir uns Melamchigaon. Bis hier herauf fährt inzwischen sogar ein Bus. Wir beziehen eine einfache Herberge und ich genieße seit Tagen wieder einmal eine heiße Dusche. Gegenüber dreschen sie wie im Mittelalter mittels Dreschflegel Getreide aus. Die Kartoffeln blühen vielversprechend in lila und weiß und die Bauern holen immer mehr Getreide auf ihren Schultern ein. Im Gasthaus erklären mir die Frauen selbstbewusst lächelnd, dass sie den überwiegenden Teil des Getreides zum Schnaps Brennen benötigten. Ihrer sei der beste in Nepal und mein einziger Test während der Tour kann sie nicht ernsthaft widerlegen. Das klare Zeug ist erstaunlich rein, mild und erlaubt dem, der es möchte, Geschmacksnuancen in Richtung…zu erkennen.

Am Abend in der Wohnküche gibt es wie üblich unendliche Debatten zu „Gott und der Welt“. Gut und schön so, aber zu einem Punkt erfahre ich wirklich Neues. Das hiesige Tourismus-Ministerium habe wohl soeben ein lange diskutiertes Gesetz verabschiedet, wonach ab der kommenden Saison (01.10.2014) Ausländer nicht mehr als Individual-Trekker unterwegs sein dürften, sondern nur noch in Begleitung eines einheimischen Guides oder Trägers. Für mich kein Problem, da ich schon immer nur so gewandert bin. Für viele ausländische Gäste wohl doch, obwohl die Kosten für einen Träger oder Guide ( 10 – 30 EUR pro Tag) nicht zu hoch erscheinen. Auch verschwinden immer wieder mal individuell trekkende Ausländer, die nicht aufgefunden werden könnten. Die Gründe dafür also scheinen plausibel und sollten für beide Seiten in Zukunft vor allem Gutes bewirken.

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Aufgrund der beschlossenen Verkürzung wird die Etappe nach Shermatang ein lange. Sie wird vor allem, was von Anfang zu spüren ist, die grünste. Wir sind fas ausschließlich im Wald oder im Feld. Im Unterschied zu den vergangenen Tagen bewegen wir uns teilweise auf Pisten, auf denen bei gutem Wetter auch Busse fahren sollen. Ich mag es kaum glauben, will es aber ab morgen lernen.

Helambu ist eine weitere einzigartige Region mit einer eigenen Sprache und Klöstern in jedem Dorf. Dazwischen beeindrucken die Nebelwälder mit unglaublichen Grüntönen und vielen Blumen, die es so oder ähnlich auch in Europa gibt.

Nachdem sich der morgendliche Nebel verzogen hat wird es zunehmend heiß. Kein Wunder, dass wir auf dem Wege einige beeindruckende Reptilien treffen, die sich auf Felsvorsprüngen wärmen. Unter ihnen ist auch eine knapp 2 Meter lange dunkelgraue Schlange, die selbst Pasang kurzzeitig nervös macht.

Nach der prächtigen mittäglichen Hanf-Nudelsuppe verdunkelt sich der gerade noch gleißend helle Himmel rasant. Laut Pasang benötigen wir ca. 2,5 h bis ans Tagesziel. Aufgrund der immer dramatischer wirkenden Wolken am Himmel, des zunehmenden Grollens und der damit einhergehenden Ungewissheit beschleunigen wir unseren Schritt doch erheblich. Nach knapp der Hälfte der geplanten Zeit erreichen wir unser Domizil für die kommende Nacht. Unmittelbar danach entlädt sich ein Tropengewitter mit allem, was wohl dazu gehört. Ich beobachte es entspannt von meinem Bett aus. Verdient Schwein gehabt!

Da es draußen wenig gemütlich ist, folgen wir der Einladung unserer Gastgeberin in ihrer „gute Stube“. Die ist es für hiesige Verhältnisse allemal. Die Wände sind von lackiertem Kirschholz, die Fußböden solide und die rundum an den Wänden stehenden Möbel zeigen Unmengen mehr oder weniger benötigten stilvollen Hausrat aus früheren und heutigen Tagen. Augenzwinkernd gibt die Dame später zu, dass vieles doch nur noch der Dekoration diene. Aber beeindruckend, da gebe ich ihr gern recht, ist es allemal. Und wohl fühlen wir uns rund um den flachen Tisch auf den Sitzkissen am wärmenden Feuer alle.

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Der Tag zurück ins Kathmandu-Tal beginnt weit vor 6:00 Uhr mit einem ersten Weckruf, nicht dem des Hahnes, sondern dem vom unweit unserer Herberge geparkten Bus. Die Abfahrt ist für 7:00 Uhr avisiert. In regelmäßigen Intervallen werden alle Reiselustigen ab sofort darauf aufmerksam gemacht, ja viele erst einmal geweckt. Damit auch ja keiner den einzigen Bus des Tages hinunter ins Tal und dann weiter nach Kathmandu verpassen möge. Dies setzt sich zumindest die ersten zwei Stunden bis hinunter nach Timbu so fort.

In der Zwischenzeit bleibt auf der Rumpeltour hinunter ins Tal Zeit für alle möglichen Gedanken und Beobachtungen. Meine gelten zunächst unserem Fahrer-Team. Es sind drei verwegene junge Kerle, Milchgesichter wohl eher noch und alle zusammen kaum älter als ich selbst. Auf den ersten Metern der Piste, für die off road mit Sicherheit eine zu harmlose Bezeichnung wäre, dröhnt aus den Boxen angemessener indischer Heavy Metal. Ich wusste gar nicht, dass es das hier gibt. Es ist aber die idealtypische musikalische Untermalung für diesen wilden Ritt hinunter ins 1.000 m tiefer gelegene Tal. Zu Fuß wären wir nur unwesentlich langsamer gewesen. Anstelle schmerzender Sehnen und Bänder klagen wir nun über unsere Kniegelenke und den Rücken.

Weiter geht es dann zunächst am Fluss entlang- mehr haltend, denn fahrend, nach Melamchi Bazaar. Wir sind hier zunächst der Schulbus und dann wieder der Lastenesel. Draußen zeigt sich die Helambu-Region von ihrer attraktivsten Seite. Die Landschaft lebt in üppigem Grün. Dominant sind die Reisterrassen. Hinzu kommen Bananen-, Ananas- und Papaya-Stauden, alle nur erdenklichen weiteren Obst- und Gemüsesorten, Kaffee und etwas traurig ausschauende Kardamom-Pflanzen.

Kurz danach weitet sich das Tal, ansatzweise wird die Piste schon einmal zur Straße. Der Last-Verkehr nimmt sofort deutlich zu. Im Fluss-Tal werden Baustoffe gewonnen. Unübersehbar ist auch die Zunahme an nicht mehr so bescheidenen Wohnhäusern. Die Nähe zu Kathmandu wird sichtbar. Trotzdem ist es noch immer angenehm ruhig in der Gegend. Die in der Sonne auf der Strasse dösenden Hunde stehen wegen der wenigen vorbeikommenden lautstark hupenden Busse oder Trucks eher nicht auf. Überfahren werden sie nicht, wir dafür werden entsprechend bewegt.

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Die mit weitem Abstand beeindruckendste Erfahrung dieser Tour sind jedoch die Frauen in der Region. Selten habe ich sie so selbstbewusst wie hier erlebt. Unabhängig von der Region oder auch Religion habe ich sie in Asien oft als das sich bewusst zurücknehmende, lieber nicht zu stark wahrzunehmende Geschlecht erlebt, welches dem (Ehe)mann den Vortritt zu lassen gelernt hat.  Daher kann ich nicht anders, als einige Beispiele vom Wegesrand aufzuführen, die belegen, dass es hier wirklich anders ist.

Da ist zuerst die zahnlose Alte mit drei im Vergleich zu ihrer eingefallenen Gestalt riesigen Getreidesäcken. Lautstark und selbstverständlich weist sie die Schaffner an, diese nach ihren Wünschen auf dem Dach des Busses zu verstauen und ihr später wieder dort abzuladen, wo sie es benötigt. Es wird genauso ausgeführt. Keiner meckert und der Bus wartet, bis die Dame zu frieden ist. Bei älteren Herren läuft das wesentlich respektloser und mitnichten immer nach den Wünschen dieser ab. Auch habe ich Alte Weiber erlebt, die sich weigerten zu bezahlen. Sie haben sich immer gegen die Grünlinge vom Bus-Team durchgesetzt!

Frauen gehen nicht zu einem vorgeschriebenen Haltepunkt. Mit einer minimalen Geste deuten sie an, das sie gern mitfahren wollen und erwarten, dass der Bus genau so hält, dass sie samt ihres Gepäckes, ihrer Kinder oder was es noch geben kann, einsteigen können. Niemals rennen sie einem Bus hinterher oder entgegen! Das machen nur Männer.

Wir halten vor einem „Beauty-Salon“. Drinnen sitzt eine Dame, die andeutet, dass sie mit muss. Die Beendigung ihrer Sitzung dauert noch „einen Moment“. Alle warten wir gefühlte 5 Minuten und keiner murrt. Wir fahren vielleicht 20 Meter weiter, da stürzt ein Mann auf die Strasse, sich noch die Kleidungsstücke richtend. Hinter ihm schreitet eine Frau zufrieden lächelnd aus dem Haus an den Straßenrand, ohne sich groß um ihre äußere Erscheinung zu kümmern. Wer es denn sehen kann, dem zeigt sie es ganz entspannt. Vor weniger noch als einer Minute war er tief in ihr und wird es nach seiner Rückkehr sicher bald wieder sein!

Allesamt Momente, aufgelesen aus dem Busfenster auf dem Rückweg nach Kathmandu. Schon sind wir am tatsächlich so genannten Punkt „Zero Kilo“, also am Nullpunkt, wo unsere Strasse in den Highway nach Kathmandu mündet. Nach einem kurzen Snack geht es zurück in die staubige Hauptstadt. Aber nur, um nach wenigen Stunden wieder aufzubrechen zu einem weiteren spannenden Trek.

 

 

 

 

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