Indigenous Peoples Trail (IPT) – Trek der Einsichten

Am besten übersetzt man diesen erst 2011 eingeführten Wanderweg wohl mit dem „der kleinen, der einfachen Leute“. Im Gegensatz zu den touristischen Welt-Bestsellern zum Everest Base Camp oder um den Annapurna mit ihren gigantischen Gebirgsformationen führt uns diese Tour dorthin, wo die Einheimischen, die kleinen Leute Nepals also, wo und wie sie tagtäglich leben. Das ist mindestens so spannend, wie sonst vermeintlich nur die ganz großen Trekkings.

Die Natur ist hier nicht der alleinige Star, aber noch immer grandios. Zudem dürfen wir mit den Bergbewohnern einige Zeit in deren Alltag verbringen. Meist noch ohne elektrischen Strom, ohne Straßenanbindung, ohne Zugang zum Internet und zu mobilen Telefonnetzen, ohne fließendes warmes Wasser, ohne Dusche und WC im Haus und andere gewohnte Selbstverständlichkeiten. Wohl aber mit Dingen, die aus unserem Alltag längst verschwunden sind, wie Dreschflegel, vom Wasser getriebenen Mühlsteinen oder dem im Foto abgebildeten großen  Naturstein-Mörser.

Und noch etwas ist hier anders als in den weltweit vermarkteten Trekkings, wo in der Hauptsaison in den Dörfern jeder Einheimische ein Vielfaches an Gästen erträgt und davon mehr oder weniger gut lebt. Auf diesem Trail sind oft wir die Attraktion, da es außer uns bisher nur sehr wenige in diese Gegend gezogen hat. Wir begleiten meinen Freund Pasang Sherpa in sein Heimatdorf, in die Berge seiner Kindheit, zu seiner Familie, seinen Freunden und den neben den Sherpas und Tamang weiteren hier lebenden ethnischen Gruppen der Thami, Newar, Yolmo oder Majhi. Weit weg sind die kommerziellen Trekkings. Hier findet unverfälscht der gar nicht auf Touristen ausgerichtete, oft einfache, dabei meist entspannt lustige Alltag dieser Leute statt. Deren Leben – hier können Sie es ein kleines Stück weit kennen lernen. Wer dazu bereit ist, der sei herzlichst willkommen!

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Ende Mai kündigt sich der Monsun beinahe täglich mit Gewittern und mehr oder weniger ergiebigen Schauern an. So statten wir uns vor der Abfahrt in Kathmandu am Busbahnhof noch mit robust ausschauenden Regenschirmen aus. Ab Dhulikel geht es am Roshi Fluss in zügiger Fahrt bei wieder einsetzendem Regen stets nach Süden und ständig bergab. Wir entsteigen dem in der Heimat mit Sicherheit vom TÜV längst gesperrten Gefährt in Nepalkhot. Hier hat der aus Tibet kommende Sunkoshi-Fluss sich tief in die Landschaft gegraben und ein breites Bett geschaffen. Durch dieses wandern wir nun, holen uns im schnell steigenden Pegel nasse Füsse und können die Flussfischer der Mahji bei ihrer nicht einfachen und heute auch nicht ungefährlichen Arbeit beobachten.

Für nepalesische Verhältnisse befinden wir uns im absoluten Tiefland, als wir nach der Passage einer neuen Hängebrücke am gegenüberliegenden Ufer in Lubughat auf nur 530 Metern unser Quartier für die Nacht beziehen. Dies ist, je nach Richtung Start- oder Endpunkt des Indigenous Peoples Trail. Obwohl sie dabei sind, die hiesigen Dörfer mit Strassen zu verbinden, fühle ich mich doch wie in der Zeitmaschine in ein vergangenes Jahrhundert versetzt.

Ja, einige Solarzellen liefern für den Abend eine Winzigkeit an Strom, also an Licht. Aber das war es dann auch mit der sonst gewohnten Infrastruktur. Wasser gibt es hier am Fluss reichlich, also wird auch vieles am heute recht wilden Wasser erledigt. Im Ort gibt es zwei gemauerte Wasserstellen, aus denen, so wie es gerade vom Berg herunter kommt, das eiskalte, herrlich weiche Wasser sprudelt, oder eben auch gerade nicht. Da herum hocken die Frauen. Sie waschen Wäsche, oder Küchengegenstände, oder ihre Kinder oder sich selbst. Hier erledige ich auch meine Minimalwäsche. Ich werde von allen genau beobachtet und trage damit erheblich zur Erheiterung, besonders der Kinder bei.

Die Häuser sind doppelstöckig, klassisch außen und innen mit Lehm verputzt und mit Reetgras gedeckt. Unten leben die Haustiere und es gibt Stauraum für Futter und alle möglichen Produkte. Oben, zu erreichen über so etwas wie eine „Hühnerleiter“, schläft in verschiedenen, durch Brettern abgeteilten Verschlägen die Familie. Dort schlafen auch wir. Alles andere spielt sich vor dem Haus, mehr oder weniger auf der Dorfstraße ab. Einige Familien besitzen hinter dem Haus neben den Schlafplätzen für die Wasserbüffel auch schon Plumps-Klos. Wir gehören dazu, müssen also nicht ins Feld oder hinunter an den Fluss.

Die meisten hier gehören zur kleinen Gemeinschaft der Mahji, der Flussfischer. Sie haben über Jahrhunderte eine spezielle Technik entwickelt, wie sie mit ihren Netzen vom Ufer aus oder von großen Steinen im Fluss die leckeren Exemplare aus den oft brodelnden Fluten holen. Das ist harte Arbeit und alles andere als ungefährlich. In der hier subtropischen Ebene und an den Hängen ist die Natur auf fetten Böden durchaus spendabel. Neben Mais, anderem Getreide und Kartoffeln gedeihen hier alle vorstellbaren Obst-und Gemüsesorten.

Unsere Gastgeber betreiben unten einen kleinen Kolonialwarenladen und die Chefin kocht vom frühen Morgen bis zum Abend. Wir werden mit dem traditionellen Tee begrüßt und permanent aufgefordert, doch dies und jenes zu essen. Es geht ausgesprochen lustig zu und alle sind wohlgenährt und „gut drauf“. Von hier hat man einen guten Blick auf die gegenüberliegende Flussseite, wo auf einer waghalsigen Piste erstaunlich oft Busse halten. Über die Hängebrücke werden von fleißigen Trägern, meist sind es Trägerinnen, Unmengen diverser Waren herbei geschafft. Nach einer kurzen Teepause beginnt für sie hier der anstrengende Aufstieg in die umliegenden Dörfer.

So auch für uns. Nach einer entspannten Nacht, nur den monotonen Regen und das Rauschen des Flusses im Ohr, wecken uns die Hähne kurz nach 4:00 Uhr. Wir lassen uns Zeit und ich bin beim Schlachten einer Ziege und mehrerer Hühner behilflich. In mir kommen Kindheitserinnerungen auf.  Unser eigentliches Tagwerk nehmen wir dann erst gegen 7:00 Uhr in Angriff. Fast das ganze Dorf steht Spalier. Es regnet nicht mehr und gut gestärkt starten wir den gut 5-stündigen Aufstieg nach Dongme auf knapp 2.000 Meter über dem Meeresspiegel.

Von der körperlichen Belastung her wird es der anstrengendste Tag. Gut nur, dass es am Wegesrand tolle Ausblicke, nette Begegnungen und dann in Dongme Seelen- und auch das gewohnte Futter im Überfluss gibt. Davon, dass der örtliche Lama mir sein Lager für die Nacht überlässt, will ich gar nicht reden. Er selbst ist neben seiner spirituellen Aufgabe auch Maurer, Maler und Landwirt. Derzeit stellt er gerade sein neues Haus gegenüber fertig. Heute verschmiert er mit seinen Händen (und keinen weiteren Werkzeugen) die Wände im Untergeschoss mit Lehm. In dem, was bald die Küche sein wird, bereitet seine liebenswerte Frau alle Speisen auf offenem Feuer zu. Es schmeckt super, wenn da nur nicht der viele Rauch wäre. Aber wir müssen uns ja nicht sehen, um satt zu werden. Trotzdem empfehlen wir den beiden, unbedingt einen Rauchabzug in die neue Küche einzubauen.

Beim nachmittäglichen Spaziergang sind zunächst Unmengen von Müll auf den Wegen nicht zu übersehen. Nach einigen Regentagen mit heftigen kurzzeitigen Überflutungen nehmen die Wassermassen die zivilisatorischen Hinterlassenschaften von uns modernen Menschen mit sich oder lagern sie bis zur nächste Welle sichtbar ab. Es beginnt hier oben, wo ich mitunter glaube, auf einer Mülldeponie aufzusteigen. Und es endet wie jedes Jahr im Monsun im Ozean. Scheinbar reinigt der große Regen wie immer das Land. Scheinbar auch nimmt der Ozean all unseren Müll auf. Scheinbar noch!

Von möglichen Konsequenzen unserer eigenen Sorglosigkeit sind wir hier oben genauso weit weg wie im Westen auch. Jedenfalls interessiert es noch keinen der Einheimischen wirklich. Der Müll wird entweder stinkend in der Küche verbrannt oder über einen steilen Hang hinter dem Haus in die Tiefe entsorgt. Leider gehört auch das zu dieser uns in vielem so beeindruckenden Tour.

Wohl interessiert die Dorfbewohner aber ein Entwicklungshilfe-Projekt, welches junge Israelis seit wenigen Monaten betreuen. Es geht um den Anbau von Gemüse in Gewächshäusern. Alle sind begeistert, geht es doch um die höchst notwendige und dabei schmackhafte Erweiterung ihres Speiseplanes und die Vermeidung teurer Trägerkosten. Und die beiden jungen israelischen Damen sind die Lieblinge im Ort. Schön, denke ich, nach den arroganten jungen Typen unterwegs endlich einmal wieder engagierte und sympathische Juden. So wie ich sie kenne und schätze.

Abends liege ich im Bett und reflektiere einiges Erlebte. Mir fällt auf, wie herrlich entspannt die Dorfbewohner mit verschiedenen kleinen Missgeschicken des Tages umgegangen sind. Ein klares Indiz für ihre positive Grundhaltung, was auch immer kommen mag. Diese ist vielen von uns aus dem westlichen Kulturkreis ein Stück weit abhanden gekommen, da mitunter Kleinigkeiten, wie z.B. ein Kratzer am Auto oder fremder Hundekot im Vorgarten zur kompletten Vergiftung des Tages,ja des gesamten Alltages führen. Schade für die von uns, die sich davon wegtragen lassen. Wozu aufgeregte Debatten führen, „Beweismaterialien“ sichern, wozu Polizei, Gerichte oder Versicherungen bemühen, wenn ein herzliches  Lächeln und ein Tee für alle Betroffenen es doch viel besser richten kann? Hier läuft es noch so! Warum eigentlich so selten in unserer westlichen Welt?

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Von Dongme soll uns die nächste Etappe über Galpa Bazaar, wo gerade heute der Wochenmarkt stattfindet, weiter nach Doramba oder, falls wir es noch schaffen, auch bis zu Pasangs Heimatdorf Dhara führen.

In der Frische des Morgens erreichen wir schnell Galpa Bazaar, wo sich Pfade aus fünf verschiedenen Richtungen kreuzen. Wir erfahren, dass heute in ganz Nepal eigentlich der „Tag der Republik“ ist, was aber nur die derzeit regierenden Maoisten in Kathmandu feiern. Hier gibt es noch in fast jedem Haus große Poster der 2006 gestürzten Königsfamilie und keinen interessiert dieser neue Feiertag. Wichtiger für alle ist der wöchentliche Markttag. Man trifft sich wie seit Generationen zum Austausch alles Wichtigen und Unwichtigen und kauft oder verkauft. Wie immer gibt es frisches Fleisch des am frühen Morgen geschlachteten Wasserbüffels. Renner des Tages sind ein Dutzend Ferkel, die heute mit ihren neuen Besitzern an langen Leinen oder auf dem Gepäckträger eines Motorrades die Reise in ihre zwischenzeitliche Heimat bis zur eigenen Schlachtung antreten. Wo immer möglich wird miteinander geredet. Es werden Unmengen eigentlich aus Tibet stammender Momos (mit Büffel-Hackfleisch gefüllte gedünstete Teigtaschen) verzehrt. Die Händlerin des hochprozentigen „local wines“ kann sich über Nachfrage wahrlich nicht beklagen. Alle sind entspannt , wir werden herzlich aufgenommen und genießen gemeinsam unsere Teepause.

Wir machen dann in Doramba nur einen kurzen Mittags-Stopp für eine vorzügliche Sherpa-Suppe. Bis hierher fahren jetzt schon die robusten indischen TATA-Busse auf einer abenteuerlichen Piste, wenn sie es denn schaffen. An den letzten 5 Tagen fuhr wegen des Regens keiner, was aber niemanden wirklich betrübt. Wir gehen also eskortiert von einem Dutzend Schülern und einem Jugendfreund Pasangs weiter in Richtung seines Heimatdorfes. Unterwegs treffen wir eine Trauergemeinde. Alle kennen Pasang und begrüßen uns sehr herzlich. Die meisten der Älteren sind schwer betrunken. Viele haben einen langjährigen guten Freund verloren.

Am Berg eingangs des Dorfes kehren wir ein  an einem äußerlich unscheinbaren buddhistischen Schrein. Diesen hat einst sein Großvater als Lama des Dorfes errichtet. Später wurde er von seinem zu früh verstorbenen Vater weitergeführt. Heute ist er meist verschlossen und dient nur noch an religiösen Feiertagen als Versammlungsort für die dörfliche Gemeinschaft.

Das vor 11 Jahren noch von Pasangs Vater fertiggestelltes Haus ist ein typisches robustes Bauernhaus ohne Stromanschluss oder großen Komfort. Alles ist dem rauen Leben hier oben und dem Broterwerb aus der Landwirtschaft angepasst. Das tägliche Leben findet in der Wohnküche statt. Diese wird derzeit von seiner jüngsten, 16-jährigen Schwester geführt. Später kommt seine Mutter vom Feld. Die Begrüßung fällt, obwohl alle sich mehrere Monate nicht gesehen haben, eher beiläufig aus mit einem freundlichen Nicken und dem Zusammenlegen der Hände zum Namaste. Für uns Westler erscheint es zumindest sehr ungewöhnlich. Jedoch sagt dieses traditionelle Verhalten nichts über die tatsächlich sehr enge Verbundenheit innerhalb der Familie aus. Diese herzliche Einfachheit, sie wirkt auf mich beeindruckend und bedrückend zugleich.

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Der Weitermarsch nach Kholakhara am Fuße des für die Einheimischen mythische Bedeutung besitzenden Sailung-Berges gleicht erneut einer kleinen Prozession. Da keine Busse fahren, werden wir auf der matschigen Piste zunächst von abwechselnden Gruppen junger Frauen und Männer begleitet. Alle kennen sie meinen Freund und es gestaltet sich ein reger Austausch. Immer mal wieder treffen wir am Wegesrand Verwandte, werden zum Tee eingeladen und erhalten zum Abschied als Zeichen für Glück und Gesundheit die traditionellen Seidenschals um den Hals gebunden.

Bei Rajbhir machen wir mitten im Wald halt an einer beeindruckenden Klosteranlage. Ein Mönch öffnet uns den Eingang zum Hauptschrein, wo ich Pasang während seiner Gebete allein lasse. Beim Umschauen im Hof verfolgen mich zwei ausgewachsene, zum Glück fest angekettete Rottweiler mit bedrohlichem Knurren. Später erklärt mir der Mönch auf meine fragenden Blicke, dass sie nachts frei umher liefen, um potentielle Diebe fern zu halten. Im Kloster gebe es sehr kostbare alte Gemälde, von denen einige auch schon gestohlen worden seien. Daher diese Maßnahme. Der Buddhismus sei zwar eine zutiefst friedfertige Religion, aber böse Menschen gebe es leider auch hier.

Am Wegesrand und in den Orten gibt es fortlaufend Beispiele für die internationale Hilfe in der Region. Mal ist es ein kleines Krankenhaus mit schweizer Hilfe, mal eine Schule mit deutscher. Und der Straßenbau wäre ohne japanische, indische und chinesische Unterstützung undenkbar. Auffällig für mich ist, dass wann immer die USA Hilfe leisten, sie dies groß drauf schreiben. Gefühlt geben die mehr für ihre mitunter penetrante Eigenwerbung aus, als für den Zweck selbst. Warum nur sind wir anderen, der „Rest der Welt“ da nur so bescheiden?

In Kholakhara checken wir dann nach kurzer Orientierung in eine fast fertig gestellte Herberge ein, die es beim letzten Besuch meines Freundes vor fünf Monaten nicht einmal ansatzweise gab. Sie wird nach dem Monsun sicher die erste Wahl am Ort sein, eine künftige Goldgrube am Fuße des Sailung. Der Ort mit seinem Berg ist eine einmalige Chance – gute Sicht voraus gesetzt –  weite Teile des gigantischen, von hier aus nördlich gelegenen Himalaya wie von einer Panorama Plattform wahrzunehmen. Vom Annapurna weit im Westen über Manaslu, Langtang, Ganesh Himal und viele weitere „Zacken in den Himmel“ bis hin in das überwältigende Everest Massiv. Selbst die kunstvolle Architektur der von hier aus südlich gelegenen Terassenfelder würde den Aufstieg lohnen. Klar, dass der Berg für die Einheimischen seit Ewigkeiten ein mystischer ist. Er wird – ob seiner Einfachheit – jedes Jahr vieltausendfach bestiegen, aber aus Respekt niemals direkt überflogen.

Allein schon die von den Yaks getretenen Pfade, die meist in Wolken verhüllten Rhododendren-Wälder und der Anblick der auf dem kahlen Berg thronenden Felsen machen den Aufstieg lohnenswert. Wer es sich zutraut, sollte in der am Hang gelegenen Yak-Farm unbedingt die frisch gemolkene Milch probieren, und sei als als Milch-Tee. Oder besser noch den Käse!

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Nach einem traumhaften Sonnenuntergang, einem weiteren Gewitter und einer sich anschließenden „saukalten“ Nacht in der zugigen Herberge sind wir pünktlich zum Sonnenaufgang 5:28 Uhr wieder auf dem Gipfel. Es ist noch immer lausig kalt, die Sicht ist bescheiden, aber es ist faszinierend. Wir halten geschlagene 40 Minuten in der Kälte aus und werden mit unbeschreiblichen Ausblicken durch die immer wieder nur für Sekunden in den aufreißenden Wolkenfenstern erscheinenden Himalaya-Giganten belohnt. Welch ein Spektakel!

Nach dem Abstieg vom Berg und dem Abschied von den Yaks wird die Landschaft deutlich milder. Wir durchwandern wahre Felder wilder Erdbeeren. Nie zuvor habe ich an einem Tage so viele natürliche Vitamine aufgenommen! Zumindest glaube ich es. Sehr zur Freude einer alten Bäuerin am Wegesrand, die unser Sammeln ausdrücklich unterstützt. Leider täte das heute auch hier kaum noch jemand. Umso strahlender das Leuchten ihrer Augen in ihrem bronzefarbenen wettergegerbten Gesicht. Ich nehme es mit und werde es nicht vergessen.

Bald erreichen wir Dhunge, wo der Trail eigentlich entweder endet oder beginnt, da es bis hierher (theoretisch) eine funktionierende Busverbindung geben soll. Der Ort ist prächtig gelegen, aber fernab der Zivilisation. Es ist Sonntag und alle, ob groß oder klein, scheinen auf der Straße zu sein. Wieder einmal wurde ein Büffel geschlachtet. Der wird nun unter genauester Beobachtung der Anwesenden und der sie umschwirrenden Fliegen in gleiche Portionen für alle etwa 60 Haushalte auf einer blutverschmierten Folie aufgeteilt. Alles, ja alles bis hin zu den Eingeweiden und Hörnern, wird gerecht zugeordnet. Nur die streunenden Dorfhunde gehen so gut wie leer aus. Was machen wir nur in Deutschland mit all den wirklichen Leckereien neben dem omnipräsenten, oft langweilig schmeckenden roten Muskelfleisch?

Da wir über einen soliden Zeitpuffer verfügen marschieren wir auf mein Drängen weiter in den nächsten Ort nach Deurali. Soll ich meine Entscheidung verfluchen oder dankbar sein? Wir landen in einem Nest, welches für gewöhnlich kein Ausländer betritt. Die vermeintlich beste Herberge am Ort verlangt selbst mir, der ich gewiss nicht zimperlich bin, einiges ab. Pasang lacht nur. Er hatte nur schweren Herzens auf diese Verlängerung des Marsches eingewilligt. Und er wusste genau warum. Hier erhält das unscheinbare Wort „authentisch“ mindestens die Konkretheit, die ich mir bisher so nicht vorzustellen mochte.

Beim nachmittäglichen Waten durch den Schlamm zwingt mich ein erneuter Gewitterguß zur Einkehr. Um den angebotenen hochprozentigen Gefahren auszuweichen, trinke ich mehr Tee, als meine Blase aufzunehmen bereit ist. Im gegenüberliegenden Laden soll es eine ordentliche Toilette geben. Als guter Buddhist hat der Eigentümer seinen Laden temporär den gerade hier brütenden  Schalben überlassen. Sein Verkaufstisch und der gesamte kleine Laden sind voll von Vögeln und deren Kot. Er verweist mich hinter das Haus. Nach der Erleichterung erschrecke ich zuerst über den Abgrund unter der Bohle, auf der ich stehe und dann über die Unmengen an Unrat unter mir. Gleich daneben, fast noch mittendrin im Dreck spielen die Kids Fußball auf einem Feld, was an die Innenseiten einer Eierschale erinnert. Diese bilden quasi Banden und bringen den Ball immer wieder ins Zentrum des Feldes. Vielleicht mal eine Idee für die FIFA?

Bei der abendliche Zubereitung des Nationalgerichtes Dhal Baat können wir als Folge des heute erlebten Schlachtfestes zusätzlich einen Buffalo-Curry wählen. Ich verzichte, interessiere mich aber umso mehr für das nicht verarbeitete Fleisch. Dieses wir über dem offenen Feuer in der Küche halb getrocknet, halb geräuchert und bleibt damit für die kommenden Tage genießbar. Und am kommenden Wochenende gibt es dann spätestens Nachschub. Nicht ohne Grund sehen sie hier alle durchgehend sehr gut genährt aus!

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Am letzten „Wandertag“ geht es nach Mudhe, dem Zentrum des Kartoffelanbaus in Nepal. Von hier verspricht die asphaltierte Strasse eine gesicherte Fahrt entweder hinunter nach Kathmandu oder weiter hoch nach Giri, früher der einzige Ausgangsort für die Everest-Treks. Wir marschieren meist entlang der schlammigen Piste und überholen einige fest steckende Trucks und Busse, obwohl wir immer wieder entspannte Pausen zum Verzehr der jetzt auf den Punkt vollreifen orangefarbenen Himalaya-Himbeeren einlegen. Ein Gedicht! Wären nicht die Berge, so würde mich der Marsch heute entlang der Kiefern- und Eichenwälder beinahe an das Brandenburg aus meiner Kindheit erinnern.

Der beiderseits der Straße ca. 300 m lange Ort erinnert an einen letzten Vorposten der Zivilisation. Hier wird nochmals Rast gemacht, gefuttert, Proviant aufgenommen und dann geht es hinauf in Richtung Everest-Region. Touristen machen hier, laut Aussage des gelangweilten Polizeichefs so gut wie nie halt. Dies bringt mir sogleich seine geballte Aufmerksamkeit ein. Auch Pasang ist nur dank meines Beharrens erstmals seit mehr als 10 Jahren wieder hier. Wir beziehen eine von außen ansprechend wirkende Absteige. Abends ziehen ins Nachbarzimmer einige Regierungsbeamte auf Dienstreise ein. Sie benehmen sich, wie Pasang es ausdrückt, wie die Straßenköter. Ich will dem nicht widersprechen.

Vorher, am Nachmittag besuchen wir etwas oberhalb eine Schule, die auch mit deutschen Mitteln errichtet wurde. Wir werden begeistert von Lehrern und Schülern begrüßt. Statt der erhofften Ausblicke auf den Himalaya erleben wir auf knapp 3.000 m ein Tropengewitter, welches sich gewaschen hat. Eine sehr spezielle Entschädigung, die ich mit etwas Abstand nicht missen möchte.

Am nächsten Morgen wartet tatsächlich ab 6:30 Uhr ein Bus, der uns nach Kathmandu bringen will. Die ersten zwei Stunden der Fahrt bis hinunter zur Brücke am Sunkoshi Fluss bei Khadichaur gehören zum Spektakulärsten, was man wohl auf der Welt während einer Busfahrt vor die Augen, resp. die Linse bekommt, wenn man denn so wie ich direkt hinter oder neben dem Fahrer sitzen kann.

Bald taucht das in seinem Smog erstickende Kathmandu-Tal wieder vor uns auf. Ich freue mich auf die bevorstehende Heimreise, bedaure aber schon jetzt, dass Pasangs Heimat nun endgültig hinter uns liegt. Umso klarer ist, dass ich im kommenden Jahr, sicher mit weiteren Freunden gemeinsam wieder zurück sein werde. Seien auch Sie dabei!

 

 

 

 

 

 

 

 

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