Abhishek Kumar Sharma – ein Mann mit einer Mission

Es ist Mitte Oktober, wir sind mit den Rädern im Tamilenland auf eindrucksvoller Landpartie unterwegs, da kommt uns kurz vor den Toren der ehemaligen Königsstadt Thanjavur ein voll bepackter Tourenradler entgegen. Das ist außergewöhnlich in dieser Gegend. Seit 5 Jahren toure ich durch Südindien und habe auf ca. 15.000 km auf dem Rad gerade einmal 3 Biker-Kollegen getroffen. Und fürwahr, der, dem wir da begegnen braucht zwar einige Zeit zum Stoppen und Umdrehen (siehe P.S.), entpuppt sich aber sogleich als eine überaus schillernde Persönlichkeit.
Auf den ersten Blick macht er einen sehr professionellen Eindruck. Er fährt ein TREK-Bike mit Radtaschen vorn und hinten, hat ein Zelt, etliche Wasserflaschen, zusätzliche Beleuchtung und unübersehbar eine stattliche Indien-Flagge hinten montiert. Er ist komplett in Funktionskleidung gehüllt, so dass ihm die aggressive Sonne nichts anhaben kann. Dazu Helm, Sonnenbrille, Radschuhe und -handschuhe bekannter Markenartikler. Er ist gut 1,80m groß und von durchaus kräftiger Gestalt. Aus seinem entspannten Gesicht strahlen uns seine großen braunen Augen freundlich an und nehmen uns sofort für ihn ein. Sein Name: Abhishek Kumar Sharma, ein 28-jähriger Nordinder aus dem Unionsstaat Uttar Pradesh.
Was ist nun so besonderes an diesem Typen`?
Es ist seine Mission, die er markant auf einer unübersehbaren Tafel vorn am Lenker montiert, für alle sichtbar auf einer über einjährigen Tour durch den gesamten Subkontinent verkündet. Inspiriert durch das von Premierminister Modi nach dessen Wahl verkündete Programm „Clean India“ hat er sich am 10.November 2014 mit dem Rad auf den Weg gemacht, um genau dafür zu werben. Nach erfolgreichem Abschluss seines Masterstudiums in Sozialwissenschaften (Thema Umweltschutz)) hat er seinen gut dotierten Job in einer der größten Müllbeseitungsgesellschaften seines Heimatstaates aufgegeben und sich ganz diesem Thema verschrieben. Er, vorher nach eigenen Angaben völlig unsportlich, beschloss, sich dazu auf angemessene Weise durchs Land zu bewegen und befand dafür das Fahrrad als das am besten geeignete Mittel.
Daneben, oder wohl vor allem ist er mit einem seltenen Kommunikationstalent gesegnet. Zum einen ist es seine einnehmende Art und die Begeisterung für seine Sache. So findet er auf Anhieb Zugang, wählt die richtigen Worte, um seinen Gegenüber für sich und seine Sache zu gewinnen. Aber auch medientechnisch ist er Vollprofi. Mindestens die Hälfte seiner Ausrüstung dient der Dokumentation seiner Taten in Bild, Ton und Text.
Diesem Talent, und wer weiß was noch, ist sicher auch die Tatsache geschuldet, dass es ihm gelang, das Büro des Premierministers von seinem Anliegen zu überzeugen. So wurde er persönlich von Modi zum Beginn seiner Tour empfangen und hat auch für den 20.Dezember 2015 zum Abschluss einen weiteren Termin, um dem wichtigsten Mann im Lande Bericht zu erstatten. Welch eine Ehre! Und er kostet sie aus. Er führt einen Originalbrief des Premiers mit goldenem Staatswappen als Empfehlungsschreiben bei sich, der ihm überall im Land Türen öffnet, die anderen meist verschlossen bleiben. In jedem der bereits besuchten Unionsstaaten ist er vom jeweiligen Chief Minister oder zumindest einem hochrangigen Minister empfangen worden. Überall gibt er Pressekonferenzen für die wichtigsten nationalen und regionalen Medien. In Schulen, Colleges, Behörden und NGO`s hält er ohne Unterlass mitreißende Vorträge zu Fragen des Umweltschutzes, einer gesunden Lebensweise, der Notwendigkeit von Hygiene und des bedachtsamen Umganges mit natürlichen Ressourcen. Besonders propagiert er unter der jungen Generation den Verzicht auf unnötige Motorisierung und die Rückbesinnung auf das Fahrrad nicht nur als Transportmittel, sondern im weiteren Sinne als Mittel einer gesamtheitlich gesunden Lebensweise.
Natürlich ist er täglich in den sozialen Medien aktiv. Sein Facebook-Auftritt ist unter Indern geradezu ikonenhaft verehrt, beginnend mit seinem persönlichen Foto, welches ihn lächelnd mit PM Modi darstellt. Wer außer manchen Regierungs-Chefs kann das schon vorweisen?
All seine Aktivitäten sind bestens dokumentiert. Er führt immer 2 Ordner in einer der Radtaschen mit sich. Einmal handelt es sich um den Briefwechsel mit Regierungsstellen und zum Zweiten um das Medien-Echo. Hierbei verweist er uns gegenüber darauf, dass der aktuelle bereits der siebente proppenvolle Ordner während seiner nun fast einjährigen Tour ist.
An Radfahrtagen spult er 80-90 km, mitunter auch mehr ab. Inzwischen seien ca. 15.000 km zusammen gekommen. Angeblich weiß er morgens selten, wo er am Abend sein wird, da er das zu einem guten Teil von dem abhängig macht, was er zwischendurch erlebt, wen er trifft. Aber dank seiner Empfehlungen schläft er wohl meist kostenfrei in den besten Hotels des Landes. Inzwischen will er auch weit über 3.000 Vorträge gehalten haben in den knapp 350 Tagen, die er unterwegs ist. Seine Landsleute nehmen ihm das ab. Die wissen halt, wie hier gezählt wird. Ich hege noch gewisse Zweifel.

Trotzdem, der Typ ist beeindruckend und strickt schon an seiner eigenen Legende.
Nach Abschluss der Tour will er seinen Doktor machen und ein Buch schreiben über das, was er in diesem Jahr auf dem Rad erlebt hat. Irgendwann plant er dann mal eine Welttour, aber das sei gegenwärtig mehr eine vage Idee. Wahrscheinlicher scheint mir, dass hier einer, noch dazu ein sehr Begabter, mit Vollgas eine Karriere in der Administration seines Landes anstrebt. Jedenfalls würde es mich nicht erstaunen, wenn ich in einigen Jahren einen indischen Unionsminister A.K.Sharma zu meinen radfahrenden Freunden zählen kann.

Zurück zur Gegenwart. Nach wenigen Minuten intensiven Meinungsaustausches zaubert er aus seinem Gepäck Kamera und Stativ. Es werden die obligaten Fotos gemacht und er interviewt uns improvisiert und doch professionell aufgezeichnet am Strassenrand. Auf seinen Wunsch hin formen wir mit Daumen und Zeigefinger ein „C“- seine einfache Botschaft für „Change“, „Clean India“, „Cycling“. Einfache, klare Botschaften, die jeder versteht. Warum kann so etwas kein verantwortlicher Politiker bei uns?
Er interessiert sich glaubhaft für unser Projekt des entspannten Kennenlernens seiner Heimat mit dem Fahrrad. Unfassbar erscheint ihm, in welcher Lebensphase wir uns das antun. Da würden die meisten seiner Landsleute nur noch im Schatten sitzen, Tee trinken und auf ihr seeliges Ende warten. Er versichert uns, dass dieses zufällige Treffen eine große Inspiration für ihn darstelle und dass er dies in all seinen künftigen Vorträgen vor jungen Indern beispielhaft hervorheben werde.
Sei es drum, einstweilen setzen wir, ein jeder bereichert durch dieses gut einstündige Treffen unsere jeweiligen Wege fort. Wir wünschen ihm den bestmöglichen Erfolg seiner Mission. Das Land kann es gebrauchen. Es braucht Millionen von Abhisheks!

P.S.
Während der improvisierten kleinen „Pressekonferenz“ bewege ich auch sein TREK-Bike und stelle fest, dass die Hinterbremse defekt ist und überhaupt nicht anspricht. Er bestätigt dies mit der Feststellung „No Problem!“ und dass er erst in 2 Tagen in Chennai wieder jemanden treffen wird, der das beheben könne. Er selbst wiegt ca. 80kg, hat knapp 30kg Gepäck am Rad und die Abfahrt aus den Bergen heil überstanden. Ab jetzt ist es flach, nur beim schnellen Abbremsen, wie vorhin für uns, sei es etwas problematisch.

Unglaublich! Keinen meiner Gäste würde ich so fahren lassen, keiner meiner Gäste würde auch auf solch ein Rad steigen, egal ob hier in Indien, zu Hause oder sonst wo! Sie sind schon sehr anders hier. Incredible India – Incredible Indians!
Alles Gute dem Land! Alles Gute den Indern auf all ihren Wegen!

Leave a Reply