Eine Backwaters-Bootstour von Alleppey nach Kollam

Viele Touristen buchen in Kerala eine Tour mit dem Hausboot. Das ist toll! Wir fahren auf verschieden Routen mit dem Fahrrad durch diese trotz aller menschlichen Eingriffe noch immer faszinierende Natur- und Kulturlandschaft. Das ist mindestens so toll! Aber zumindest einmal steigen auch wir ab und laden unsere Räder auf`s Boot. Denn es gibt eine tägliche 84 km lange Linienverbindung zwischen Alleppey und Kollam auf dem West Coast Canal, die es in sich hat. Wer einmal für einige Tage in der Region weilt, dem sei dieser Tag auf dem Wasser warm empfohlen. Intensiver erleben Sie Land und Leute kaum.

Nach knapp 3 Jahren begebe ich mich also wieder einmal mit lieben Gästen reichlich vor der geplanten Abfahrtzeit in Alleppey an die Jetty, wo das Boot schon wartet. Kaum angekommen umschwärmen uns schon Crewmitglieder und verstauen unsere Räder. Das kannte ich so noch nicht. Der Betreiber hat gewechselt und der Service ist von Anbeginn betont freundlich. Auch ist es rund um den Liegeplatz und im Wasser deutlich sauberer als damals.
Pünktlich 10:30 Uhr geht es los, zunächst den scheinbar unendlichen, unter dem Meeresspiegel gelegenen Reisfeldern des unteren Kuttanad entgegen. Da waren wir am Vortag noch mit Rädern unterwegs und haben die gerade beginnende Reisernte hautnah beobachtet. Immer wieder hörten wir lobende Worte über die den Job zur vollsten Zufriedenheit der Farmer verrichtenden Mähdrescher der deutschen Firma Claas mit dem großen Eindruck machenden Namen Crop Tiger (Erntetiger). Aber nicht wegen seines Namens, sondern wegen seiner Zuverlässigkeit und hohen Qualität loben sie das Produkt aus unserer Heimat. Das war`s dann aber schon mit der Mechanisierung. Der Rest der Ernte ist unverändert Handarbeit und Hände gibt es hier ja zur Genüge. Die Ernte ist wie seit Generationen der Höhepunkt im dörflichen Leben und alle, ob alt oder jung packen zu oder sind irgendwie dabei beim Einsacken der Körner, beim Verladen der Säcke auf Boote und Trucks und beim Einbringen des Strohs. Kurz machen sie auch heute immer wieder Pause und winken uns Vorbeifahrenden freundlich zu.

Da wir das Geschehen am Ufer schon kennen nutzen wir die Zeit, uns mit den recht zahlreichen Mitreisenden bekannt zu machen. In Nordindien feiern die Hindus einen ihrer wichtigsten Feiertage, das Dussehra-Fest, was man auch auf dem Boot merkt. So viele Inder wie heute habe ich noch nie gezählt. Dafür ist neben uns nur noch eine Holländerin an Bord, die sehr bald seekrank wird. So kommen wir uns mit den wie immer sehr lebhaften und lauten im Familienverbund reisenden Einheimischen schnell näher. Sie leben und reisen generationenübergreifend. Auf meinem Nachbarsitz herrscht reges Kommen und Gehen. Mal sind es neugierige Jungs im frühen Schulalter, die ihre Englischkenntnisse an mir ausprobieren und damit schnell das Eis brechen. Dann komme ich mit einem Vater ins Gespräch und noch spannender mit seiner gerade 6-monatigen Tochter. Die Kleine realisiert schon genau, dass wir nicht wie die anderen Familienmitglieder aussehen. Das fasziniert sie ungemein und während der ganzen knapp 8-stündigen Reise beginnt sie immer wieder, zu mir mit ihren großen braunen Augen Kontakt aufzunehmen, um dann schnell wegzugucken. Alle haben wir unseren Spass!
Die Szenerie am Wegesrand ändert sich nach einiger Zeit. Wir verlassen den breiten Hauptkanal und biegen in einen schmalen ein, den das Boot fast vollständig ausfüllt. Er vermittelt uns das Gefühl, mitten durch die „gute Stube“ der Anwohner zu fahren. Wir nehmen ein Stück weit an ihrem Alltag teil und sie lassen es freundlich geschehen. Nur die Kinder am Ufer überschlagen sich förmlich im Zur-Schau-Stellen von Kunstsückchen im Wasser, auf dem Fahrrad oder sonstwie. Lustig anzusehen ist es allemal und offensichtlich ist der Spass auf beiden Seiten.
Bald klingelt die Schiffsglocke zum kurzen Anlegen für das vegetarische Mittagessen.
Kaum einer lässt es sich entgehen. Diese Portion Reis auf dem Bananenblatt mit 2-3 leckeren Curries, dazu ein frisches Pappadam. Mehr braucht kein Mensch.

Kurz danach öffnet sich der Kanal und wir haben scheinbar ein kleines Binnenmeer vor uns, den See von Kayankulam. Wie flach dieser ist sehen wir an dem Spalier von Hunderten von chinesischen Fischernetzen, durch die unsere Route gerade hindurch führt. Selten in meinem Leben habe ich so viele gefiederte Fischräuber gesehen, wie hier. Von sich jagenden Fischadlern und Milanen, über Schwärme von Kormoranen, allen Arten von Reihern bis hin zum bunt gefärbten Kingfisher – alle sind sie da und alle werden sie satt, was doch ein gutes Zeichen für die intakte Natur zu sein scheint.
Zunehmend begegnen uns die bunt bemalten Boote der Fischer, die auf das Arabische Meer hinaus fahren. Derzeit ist Krabbensaison und sie bringen reichlichen Fang mit zurück an die Kais. Dort geht es bunt und laut zu und das Vogelaufkommen nimmt nochmals zu, da auch für sie genügend Beifang abfällt. In den Dörfern duellieren sich lokale Bands auf ihren Trommeln hörbar über große Distanzen. Welch einen Spass sie haben und welch eine Lebensfreude sie verbreiten! Das ist sicher der eindrucksvollste Teil der Passage.

Immer wieder einmal durchfahren wir neue massive Brücken, die den schmalen Küstenstreifen mit dem sicheren Hinterland verbinden. Sie sind erst nach dem verheerenden Tsunami von Weihnachten 2004 errichtet worden, der weite Teile dieser Region in Mitleidenschaft gezogen hatte. An den Pfeilern sind nicht nur die Entfernungen zu unserem Zielort, sondern auch viele weitere Botschaften angebracht. Auch die zu dem vor uns auftauchen potthässlichen 13-geschossigen Hostel des bei vielen westlichen Jüngern beliebten Ashram von Ama, einer durchaus zwielichtigen, aber ungemein geschäftstüchtigen und bei einigen im Westen wohl verehrten Dame aus dieser Gegend. Heute steigt keiner hier aus. Die Inder nehmen von dem Anwesen keine Notiz. Ihnen ist der ganze Hokuspokus wohl so egal wie er mir befremdlich ist.

Nach einer kurzen Teepause wandelt sich das Bild am nahen Ufer erneut dramatisch. Wir sind jetzt ganz nah hinter den Dünen zum Meer und durchfahren ein durch unzählige Wachmänner und unübersehbare Sicherheitsanlagen sehr gut abgeschirmtes und, wen wundert es, überhaupt nicht ansehnliches Industriegebiet. Aus dem überreichlich angeschwemmten Meersand werden hier seltene Mineralien und Metalle ausgewaschen oder wie auch immer gewonnen. Es ist interessant, das einmal zu sehen, aber es ist auch gut, dass das Areal nach einiger Zeit wieder von lebendiger Natur abgelöst wird. Diese nennt sich hier Ashtamudi-See, ein weit verzweigter mit vielen Inseln versehener Lebensraum mit Zugang zum Arabischen Meer. Als wir ihn durchfahren öffnen sich zum Abend hin die ganztägig geschlossenen Wolken und wir dürfen bei unserer Einfahrt nach Kollam sogar noch einen traumhaften Sonnenuntergang genießen!

Wenn das denn keine Werbung für diese Tour ist. Alle auf dem Boot sind begeistert. Keiner, der das nicht mit der Kamera oder seinem Smartphone festhält. Ich jedenfalls werde nicht wieder drei Jahre ins Land streichen lassen. Bereits im Februar 2016 planen wir wieder hier zu sein. Kommen Sie doch einfach mal mit!

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